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3. Dr. med. Arnold Blumenbach, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

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Ich hab das extra so förmlich tituliert, weil er eine absolute Persönlichkeit in Lüneburg war. Meine Mutter hatte angerufen, einen Termin vereinbart und ging mit mir zum ersten Besuch hin.

So, so, Nervenarzt und was? Psychia … klingt nach Klapsmühle … hmm … wenn ich das heute so überdenke, waren meine Eltern superlieb und mutig. Sie haben das Alles mit mir durchgestanden. Ja, wenn nur die Nachbarschaft nicht beobachtet, dass man dort in die Praxis hinein geht. Aber meine Mutter war unendlich tapfer, hatte mich an der Hand und öffnete die Tür.

Ich war aufgeregt und natürlich unendlich neugierig. Über die Dramatik meiner Erkrankung war ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht so ganz im Klaren. Ja, der Hausarzt Dr. Brunswig sprach schon in einigen Sätzen davon, dass Anlass zu Vorsicht geboten sei, ich dieses oder jenes nicht unbedingt tun sollte, aber mehr auch nicht.

Drinnen war es nicht so schön hell, wie Licht durchflutete Räume, alles war so ein bisschen altbacken. Wir warteten nach der Anmeldung kurz im Wartezimmer, dann bat uns die Sprechstundenhilfe ins große Sprechzimmer. Erst zu den folgenden Terminen empfing uns Dr. Blumenbach in einem der drei kleineren Sprechzimmer.

Dann kam er schweren, aber schnellen Schrittes herein, setzte sich und begrüßte erst mich, dann meine Mutter. Er hatte schwarze glatte Haare, einen Seitenscheitel, eine Brille und eine Hasenscharte. Das war mir sofort aufgefallen. Seine Sprache war schnell, laut, und Ehrfurcht einflößend.

Meine Mutter schilderte die vergangenen Anfälle und die häusliche und familiäre Situation. Mein Vater war in Bardowick bei Schulenburg Polstermeister, meine Mutter hatte während der Nazizeit auf Grundschullehramt studiert, zum Kriegsende wurde diese Lehrerinnenbildungsanstalt aber geschlossen. Es fiel ihr nicht leicht, dass sie sich „nur“ als Hausfrau und Mutter angeben konnte. Ich merkte es sehr deutlich, dass sie darüber traurig war.

Und nun, in gerade diesem wichtigen Arztgespräch fühlte sie sich klein, das tat mir leid. Dr. Blumenbach gab das Seinige dazu, er verhielt sich sehr stark, wie der Halbgott in Weiß.

Und das war er auch, Lüneburgs fast einziger, zumindest aber Top-Nervenarzt.

Er erklärte kurz, dass ich alle 3 Monate zur Gehirnstrommessung EEG und zu Blutabnehmen kommen sollte, dass (bevor er das fertige EEG gesehen hatte) meine Anfälle Grand Mal Anfälle von franz. Großes Übel genannt werden und dass ich keine Epilepsie, sondern unbedingt nur ein hirnorganisches Anfallsleiden hätte. Dann brachte mich eine Sprechstundenhilfe in den EEG Raum. Dr. Blumenbach und meine Mutter unterhielten sich weiter. Ich weiß bis heute nicht genau, was er ihr und sie ihm erzählt haben.

Ich erhielt eine Art Gumminetz auf den Kopf, welches unter dem Kinn mit einem Riemen gehalten wurde. Die Sprechstundenhilfe war erklärfreudig und ich sehr neugierig. Die Elektroden wurden im Netz befestigt und mit Wasser auf der Kopfhaut befeuchtet. Dann kamen noch die einzelnen Kabel von der Maschine an die vielen Elektroden und schon ging es los. Das EEG wurde geschrieben. Dr. Blumenbach hatte vorher erklärt, dass man Gehirnstromunregelmäßigkeiten im EEG erkennen könne.

„Augen auf, Augen zu hörte ich… Ruhig sitzen, nicht bewegen… jetzt 3 Minuten tief ein- und ausatmen, dann 2 Minuten mit geschlossenen Augen in ein Blitzflackerlicht schauen.“

Ich fand das Atmen das Schlimmste. Oh Graus, mir wurde ganz anders. Aber sonst hörte ich nur das Rattern der Maschine, die die Gehirnströme aufzeichnete… und sonst… nix weiter. Es war doof.

Auch das Blutabnehmen ging, ich hatte keine Angst vor dem Piecks, ich fand es alles unglaublich spannend.

Anschließend brachte mich die Sprechstundenhilfe zurück zu meiner Mutter und Dr. Blumenbach. Das EEG Papier legte sie vor ihn auf den Schreibtisch. Unglaublich schnell blätterte er die Seiten um, las das EEG, machte hier und da einen Kringel …. Ach so… wichtig … er benutzte noch einen ganz alten Tintenfederhalter mit Kolbenaufzug … keinen Kuli … alles sehr chic … Dann nahm er meine Patientenkarteikarte und machte mit diesem Füller seine völlig unleserlichen Notizen.

Im nächsten Moment wandte er sich uns zu und sagte: „Das EEG ist unauffällig, alles in Ordnung. Blut sehen wir in einer Woche. Susanne nimmt ab jetzt Tabletten. Primidon. Dann schrieb er meiner Mutter einen Aufdosierungsplan, erkundigte sich kurz, ob wir alles verstanden hätten und erhob sich, um uns zu verabschieden.“

Er gab uns die Hand und wünschte uns bis zum nächsten Mal alles Gute. Wir verließen das Zimmer und machten uns mit dem Rezept auf zur Apotheke.

Für die Zeit von 1976 bis 1988 sollte er mein behandelnder Neurologe bleiben. In dieser gesamten Zeit sind alle geschriebenen EEGs bei Dr. Blumenbach ohne Befund. Ich werde viele weitere Grand Mal Anfälle bekommen.

Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt

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