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Warum Schreiben?
ОглавлениеMehr denn je gibt es heute Zugang zu Literatur, welche sich mit der Psyche des Menschen auseinandersetzt. Bücher über Achtsamkeit, Resilienz, Selbstbewusstsein, dem Kind in uns; auch findet die Beschäftigung mit der Psyche wieder mehr Zugang in die Medizin. Die „falschen Darmbakterien“ können Depressionen verursachen und die Haut ist eben Ausdrucksorgan für die Psyche; wenngleich schon lange bekannt, heute präsenter denn je. Die Psyche erlangt lange nach der Sage von „Amor und Psyche“ – in der die Psyche gemeinsam mit der größten Macht im menschlichen Sein spielerisch brilliert und auf eine Ebene gestellt wird – eine Renaissance. Das ist wichtig und gut, sollte jedoch nicht als Reservoir für das Theoretisieren eines Bereiches dienen, welcher erlebt werden will, welcher gelebt werden will.
Unsere Psyche ist komplex und wunderbar. Sie ist tückisch, wenn sie sich unserer bewussten Wahrnehmung entzieht. Sie ist wunderbar, wenn uns Abwehr durchs Leben trägt, wenn sie Erlebtes ungeschehen macht, Schmerz und Angst zu lindern weiß.
Dennoch ist es eine gesunde und aufrichtige Auseinandersetzung mit unserer Psyche, die uns zusätzliche Kräfte schenkt, zunächst vielleicht destabilisiert. Dann aber, wenn Klärung und Deutungen greifen, wenn wir ernüchtert beginnen uns neu kennen zu lernen, beginnen zu verstehen – Dieses so wertvolle Verstehen, welches uns so viel freier macht, wird in unserer so „scheuen“ Psyche, der man sich doch zaghaft, fast liebevoll zuwenden sollte, zu einer authentischen Welle.
Diese Welle ist Kraft, kann uns tragen, uns Ruhe schenken, uns beschützen. Diese Welle steht uns bei, wir stehen uns bei, weil wir uns verstehen – und das macht einen entscheidenden Unterschied in unserem Leben, in unserer Genesung, im Prozess des Alterns, in unseren Beziehungen, es macht einen Unterschied für uns selbst.
Dieses Verstehen unseres Selbst hat so viele unterschiedliche Wege. Eine Möglichkeit ist die Durchführung einer Gesprächstherapie, zu der im Wesentlichen die drei großen Richtungen Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie und Psychoanalyse zu zählen sind. Zu den Kreativtherapien können alle erlebnisorientierten Therapieformen gezählt werden. Beispielsweise die Körperwahrnehmungs-, Musik- und Kunsttherapie sowie auch die Bibliotherapie, das Kreative Schreiben und etliche weitere erlebnisorientierte Therapieformen.
In diesem Buch und im Folgenden soll es um das Kreative Schreiben als einen bedeutenden Teil der Kreativtherapien gehen. Wie wirkt dieser komplexe Vorgang, in dem ein Teil vom Erlebenden transformiert wird in ein Wort, transformiert in einen Text, in einen Reim, in einen beliebigen Stil? Wie kann dieser Mechanismus funktionieren? Es ist banal und tiefgründig zugleich, es ist ein Algorhythmus. Es beginnt mit Aufregung, mit Vertrauensbildung und mit einem Platz in einer Gruppe, vor allem die Vertrauensbildung ist eine unumgängliche Voraussetzung. Diese Schritte dürfen nicht misslingen, sie sind die solide Basis für ein „geistiges Schweben“, ein freies Assoziieren, ein Fühlen ohne Grenzen und ohne Angst davor, es fließen zu lassen, es aus sich heraus und in das Wort, in den Text, in den Reim, in den Stil fließen zu lassen, frei von Angst vor Bewertung – mutig, genau diesen Teil von sich sichtbar zu machen, den man bis vor ein paar Minuten noch nicht kannte.
Beginnt der Prozess des Schreibens, so fließt er zuweilen unaufhaltsam, birgt Gefahren, Unbehagen, aber auch Magie oder einfach nur Liebe und Wertschätzung für sich und das Durchlebte, das nun beleuchtet und sichtbar gemacht werden darf. All das bedeutet das Kreative Schreiben für die, die sich ihm öffnen wollen. Die Schreibenden kommen ins Erleben, können – durch das Fühlen und die Fähigkeit des Gehirns, flexibel zu sein, seiner Neuroplastizität geschuldet – neue neuronale Verbindungen ausbilden und neue Erfahrungen verinnerlichen.
Durch das Schreiben kann die freie Assoziation bei den Schreibenden einsetzen. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Psychoanalyse und meint einen Zustand, in dem der Analysand in einem geschützten Raum seine Gedanken frei ausspricht, der Analytiker greift Pausen oder ein Innehalten des Analysanden auf. Auch während des Schreibens kann es zu solch einem vergleichbaren Gedankenfluss kommen, der Schreiber berührt unbewusste Anteile, diese dürfen, bevor sie zum ersten Mal verbalisiert werden, geschrieben werden – was für ein Prozess!
Es kommt während des Schreibens des Weiteren zur Ressourcenaktivierung, sofern Erinnerungen berührt werden, Momente die bereits überwunden worden sind, Momente, die als unüberwindbar galten. Auch kommen Copingstrategien zum Einsatz. Eine Folge von vielen kleinen mutigen Schritten, die wir bereit sind zu gehen.
Dieses Buch setzt sich nach einem theoretischen Teil mit den Themen „Selbstbewusstsein“, „Ressourcen – Natur“, „Angst“, „Schmerz“, „Narben“ und „Kostbare Momente“ auseinander. Gewählt wurden diese Themen basierend auf den Stadien seelischer Schmerzen, die eine Person durchleben kann. Die Themen greifen hierbei sowohl die negativ besetzten Themen, wie Angst, als auch die positiv konnotierten, wie Ressourcen oder kostbare Momente auf. Diese Diversität brauchen wir, um eine ganzheitliche Verarbeitung möglich zu machen. In der Entsagung entsteht die Veränderung, und das Herausbilden unserer Stärken ist notwendig, um in die Akzeptanz zu kommen, d. h. um sein zu dürfen ohne das Gefühl, etwas an uns muss sich verändern.
So kann schreibend aus Resignation Kraft und Überwindung entstehen, eine wertvolle Möglichkeit, die wir nutzen sollten, um Heilungsprozesse zu unterstützen, ganzheitlich gesund und präventiv Kräfte generierend leben zu können, so wie es uns Nives, Ilona, Laura, Barbara, Uta und Gika in diesem Buch vormachen. Mutig, stark und zugleich sensibel verletzlich geben sich diese Frauen der Herausforderung hin.
Ich bewundere Euch dafür und folge Eurem Pfad.
Dr. Adak Pirmorady