Читать книгу Liebe auf den zweiten Klick - Susanne Fülscher - Страница 6

prognostizierter liebestaumel

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Dabei hätte alles so schön sein können! Denn Karl war im Tierkreiszeichen Widder geboren. Nelly war hingegen Zwilling, was auf eine geradezu perfekte Kombination hindeutete: Hier treffen sich zwei ähnliche Persönlichkeiten mit sexuell magnetischer Ausstrahlung und Gier nach ewiger Abwechslung und erregenden Gesprächen. Nicht nur eine kurze Affäre, selbst eine Ehe kann hier für lange Zeit das Himmelreich sein.

Schon gut, okay … Nelly wollte Karl nicht gleich heiraten, aber dass beim Widder und beim Zwilling die Funken sprühten, hatte sie gleich in mehreren astrologischen Büchern nachlesen können (und auch schon am eigenen Leib erfahren dürfen). Der Widder war – abgesehen von der Waage und dem Wassermann – das Sternzeichen, das zu ihr passte. Topf auf Deckel, Milchhaube auf dem Cappuccino, Käse im Cheeseburger. Zu ärgerlich, dass sie den gerade erworbenen Widder gleich wieder an die dumme Pute Jolka hatte abtreten müssen.

Das Intermezzo im Saigon bewirkte jedenfalls, dass Nellys Laune weit unter die Gefriermarke rutschte, und nach einem kurzen Abstecher bei Sofia (ein Verehrer war zum Glück nicht anwesend, tröstende Worte fand ihre Freundin aber auch nicht) verabschiedete sie sich mürrisch und lief im Stechschritt zurück nach Hause.

In ihrem rosa Reich ließ es sich am besten Trübsal blasen. Vom Kleiderschrank über das Sofa bis zu dem kleinen Couchtisch war alles in ein und derselben Farbe gehalten, und den Sekretär ihrer verstorbenen Großmutter, den Nelly aus taktvoller Rücksichtsnahme nicht hatte anmalen dürfen, zierte ein pinkfarbener Überwurf. Sofia beschimpfte das zehn Quadratmeter große Gemach als Puffhöhle, in der man bestenfalls Kopfschmerzen bekam, schlimmstenfalls blind wurde, doch Nelly störte das herzlich wenig.

Kaum hatte sie eine Barry-White-CD in den Player geschoben und suhlte sich im bittersten Selbstmitleid, als Carlotta ohne Vorwarnung ins Zimmer platzte.

„Du sollst den Müll rausbringen“, sagte sie, indem sie sich lässig gegen den Türrahmen lehnte und ihren dünnen, blonden Zopf wie ein lieb gewonnenes Haustier streichelte.

„Soll ich nicht.“

„Sollst du doch!“ Carlotta drehte sich um und brüllte: „Mama, soll Nelly den Müll rausbringen?“

„Ja, soll sie!“, ertönte es prompt von nebenan.

„Denke ja gar nicht dran.“ Nelly setzte sich an ihren Schreibtisch und warf den Computer an. Ein kleiner Ausflug in den Single-Chat war das Einzige, wonach ihr der Sinn stand.

„Sie denkt ja gar nicht dran!“, echote Carlotta.

Kurz darauf kam ihre Mutter mit zwei Mülltüten ins Zimmer gestiefelt; ihre sonst himmelblauen Augen waren düster wie eine aufziehende Gewitterfront. „Wenn du dich bitte mal bequemen würdest … Leon und Carlotta haben schon beim Abwasch geholfen.“ Nelly stöhnte. Sie hatte sich gerade mit ihrem Passwort eingeloggt und wollte ihre Mails checken.

„Ha!“, machte Carlotta und grinste dabei so triumphierend, dass Nelly ihr am liebsten ein paar gescheuert hätte.

„Die beiden haben auch keine Regelschmerzen.“

„So schlimm?“, erkundigte sich ihre Mutter jetzt mit einem weicheren Zug um den Mund.

„Allerdings. Aber um des lieben Familienfriedens willen mache ich ja so gut wie alles.“

Von schlechtem Gewissen geplagt erhob sich Nelly, schnappte sich die beiden Mülltüten und ging nach draußen auf den Hof. Unwillkürlich glitt ihr Blick an der Fassade des maroden Gartenhauses hinauf. Ob sich Jolka und Karl gerade in den Kissen wälzten? In dem Zimmer, in dem sie selbst mal (nur noch in Unterwäsche) im Bett gelegen und darauf gehofft hatte, dass Karl auf ihr mehr als eindeutiges Angebot eingehen würde …

Sofort hielt sich Nelly in Gedanken ein Stoppschild vor die Nase, dann steuerte sie, ohne nach links und rechts zu gucken, die Mülltonnen an. Es tat ihr nicht gut, sich solche Szenarien auszumalen. Niemandem tat es gut, sich solche Szenarien auszumalen …

Mit einem Ruck riss sie den Deckel des Papiercontainers auf und wollte gerade die prall gefüllte Papiertüte entleeren, als ihr die Überschrift einer beschmutzten und wie zufällig aufgeschlagenen Zeitschrift ins Auge stach: Zwillinge – Ihr Jahreshoroskop. Sie stutzte. Jahreshoroskope bevölkerten die Dezemberausgaben sämtlicher Zeitungen und Zeitschriften. Wie kam dieses Blatt also jetzt hierher, mitten im Oktober, mit einem Dreivierteljahr Verspätung? Ein Zufall? Oder war es vielleicht ein Omen? Genau in dem Moment, in dem es ihr so hundsmiserabel ging, warf ihr irgendeine fremde Himmelsmacht ein Horoskop vor die Füße. Ihr Horoskop. Damit sich ihr Leben auf einer Skala von eins bis zehn langsam, aber stetig der Zehnermarke näherte.

Ein paar Sekunden lang fühlte Nelly nichts als Watte in ihrem Hirn. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Was sollte sie bloß tun? Regungslos starrte sie in den Container, dann streckte sie automatisch die Hand aus und fischte nach der Zeitschrift. Nur ganz vorsichtig, so als könne sich die Erde unter ihr auftun oder das Ding plötzlich in Flammen aufgehen, nahm sie es an sich, stopfte den Müll in die Tonne und hastete nach Hause, ohne an der Hausfassade nach oben zu sehen.

Carlotta lauerte ihr auf dem Flur auf, schlimmer, sie versperrte ihr dreist den Weg. „Wahnsinn, du hast es überlebt. Hey, was ist das?“

„Nichts.“

„Nichts sieht aber irgendwie anders aus.“

„Wenn du nicht sofort Platz machst, überlebst du den heutigen Abend nicht, klar?“

„Ist das ein Porno?“, fragte Carlotta, indem sie einen halben Schritt zur Seite trat. „Aus dem Altpapier?“

„Du hast es erfasst. Und zwar ein sodomitischer.“

„Ein was?“ Carlotta wollte mit ins Zimmer schlüpfen, aber Nelly drückte die Tür so weit zu, dass gerade noch ihre Nasenspitze durch den Türschlitz passte.

„Sex mit Schafen, Schweinen, Klapperschlangen und anderem Getier. Sonst noch Fragen?“

Mit aller Wucht drückte sie die Tür zu und schloss ab.

Geschafft. Quälgeist Carlotta abgehängt.

Barry White sang immer noch zum Herzerweichen schön, als Nelly die blinkenden Mails in ihrem Computer links liegen ließ und sich mit einem Filzstift bewaffnet auf ihr Bett warf. Neugierig begann sie zu lesen. Das Frühjahr verspricht Ihnen kaum Glück, der Sommer hält viele schmerzliche Erfahrungen bereit. Verschnaufpause im Oktober. Ab Mitte Oktober lichtet sich langsam, aber stetig der dunkle Blätterwald. Jeder Blick nach hinten wirft Sie bloß zurück und lässt womöglich alte Wunden aufreißen. Schauen Sie also nur noch nach vorn. Ab November steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf Ihre große Liebetreffen, sprunghaft an. Halten Sie Augen und Ohren offen, und greifen Sie bei entsprechender Gelegenheit beherzt zu! Denn bereits ab dem 24. Dezember sinken die Chancen wieder von 99 auf knappe 11%.

Für die Dauer eines Atemzugs stand die Welt still. Falls die Astrologen Recht behielten, würde der Rest des Jahres für Jolka zu einem fulminanten Liebestaumel werden. Purer Humbug (wie Sofia behauptet hätte) oder vielleicht doch Schicksal? Was, wenn sich Karl erst in Jolka hatte verlieben müssen, damit Nelly für eine neue/größere/die wahre Liebe frei wurde?

„Nelly, wer macht Sex mit Schafen?“ Leon hämmerte wie ein durchgedrehtes Rumpelstilzchen gegen die Tür, aber Nelly tat, als wäre sie taub. Zu spannend waren die Dinge, die ihr in diesem zerfledderten Heft prophezeit wurden. Es gab angeblich Tage, an denen Nellys Flirtchancen besonders gut standen, aber auch Tage, an denen es richtig ernst werden könnte. Genau genommen handelte es sich bloß um wenige Tage: den 1.11., den 3.11., den 15.11., den 17.11. und den 10.12. Mit Vorab-Schmetterlingen im Bauch notierte sich Nelly die Termine in ihrem Kalender. Dieser Winter – so trist, kalt und verregnet er auch sein mochte – würde ihr Winter werden. Und Jolka und Karl – das Traumpaar der Nation – würden sie dann mal kreuzweise können …

Liebe auf den zweiten Klick

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