Читать книгу Liebe auf den zweiten Klick - Susanne Fülscher - Страница 9
zeichen & wunder
ОглавлениеWenige Tage später – es war der 1. November – deutete einiges darauf hin, dass Nellys Glücksfaktor auf ihrer internen Skala endlich wieder ein paar Punkte aufwärts wanderte. Ganz wie das Horoskop aus dem Müll es prophezeit hatte. Auslöser war die glänzende Klausur in Geschichte (13 Punkte!), die Nelly einen derartigen Kick gab, dass sie kurz entschlossen bei dem Website-Projekt mit ihrer Erzfeindin Jolka zusagte. Natürlich war sie ein Profi, zumindest wollte sie einer sein, also schien es nur ratsam, sich nicht wie ein gekränkter, dummer Teenager aufzuführen.
So weit der Vormittag. Am Nachmittag hatte Nelly wie jeden Donnerstag Streetdance-Unterricht, doch statt der Trainerin stand ein ausgesprochen appetitlicher Ersatz für die erkrankte Birgit auf der Matte: Mike, 21 Jahre alt, angehender Tanzpädagoge und Dauerkomparse in einer Telenovela. Das allein klang schon viel versprechend. Weitaus verheißungsvoller war jedoch Mikes Erscheinung. Honigfarbene Locken fielen sanft auf seine wohlgeformten Schultern, ein zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen, während sich sein muskulöser, samthäutiger, latte-macchiato-farbener Körper wie eine Weide im Wind bog …
Ups.
Kitschgefahr im Anmarsch!
Nelly musste über ihre eigenen Gedanken kichern. Dabei hockte der neue Tanzlehrer bloß vor der Musikanlage und ließ beim Antesten verschiedener CDs unabsichtlich seinen Trizeps spielen. Als sie jedoch einen Pulsschlag später ihr eigenes Bild in der verspiegelten Front des geräumigen Tanzsaales wahrnahm, verging ihr jegliches Grinsen. Sie sah aus, als wäre sie gerade einem Gruselkabinett entsprungen: Das Gesicht bleich und von köterbeigem Fusselhaar umrahmt, dafür leuchtete ihr ihre Nase umso ausdrucksstärker entgegen. Eine Tragödie, denn der Latte-macchiato-Mann schien für Liebesturteleien wie gemacht zu sein. Warum hatte sie nicht wenigstens ihren pinkfarbenen Gloss aufgetragen!
„Cool, Ladys!“ Er klatschte nur einmal in die Hände, und schon bezog die kichernde Mädchenschar vor dem Spiegel Stellung. Brust rein, Bauch raus, Kopfhaltung erhaben. Alles deutete darauf hin, dass nicht nur Nelly den neuen Tanzlehrer prickelnd und scharf wie einen asiatischen Glasnudelsalat fand. „Das hier ist ein Fortgeschrittenenkurs, richtig?“
Der Finger der rundlichen und überaus begabten Lisa flog in die Luft. „Ja!“
„Wunderbar. Dann legen wir gleich mit der Erwärmung los. Danach probieren wir eine kleine Schrittkombination.“
Lisa hatte die Tanzschülerinnen wohl etwas zu vorschnell als fortgeschritten angepriesen, denn bereits beim Warm-up wurde klar: Mike war nicht bloß ein Tanzlehrer – er war ein Gott. Zumindest tanzte er so und erwartete auch von den Mädchen, dass sie seine Choreografie auf Anhieb begriffen. Star Lisa konnte gerade noch folgen, aber der Rest der Gruppe stakste wie Störche durchs Salatbeet. Und Nelly mittendrin.
Schon nach dem ersten Durchlauf brach Gott Mike ab. „Ladys, so wird das nichts. Ihr habt die Basics einfach noch nicht drauf.“
Geschnatter, Gemurre, Gestöhne – dann nahm die Stunde ihren unheilvollen Verlauf. Nicht nur für Nelly war es erniedrigend, wieder bei null anfangen zu müssen, so als hätte sie außer bei Häschen in der Grube noch nie einen Schritt vor den anderen gesetzt. Lisa schmollte, und ein Mädchen verließ sogar den Tanzsaal. Auch wenn Mikes Schönheit alles überstrahlte und er sich zum Niederknien bewegte, ein Pädagoge, der die Fähigkeiten der Mädchen richtig einzuschätzen vermochte, war er nicht.
Nach dem Duschen – Nelly hatte absichtlich ein wenig herumgetrödelt und darüber nachgedacht, warum sich ihr angeblicher Glückstag auf einmal so gar nicht mehr danach anfühlte – traf sie den Latte-Macchiato-Mann zufällig am Ausgang der Sporthalle. Zu einer ausgewaschenen Jeans trug er eine lässige Antiklederjacke in Tannengrün. Sofort machte sich ihr Herz selbstständig und flatterte aufgeregt wie ein Vogeljunges.
„Und?“, erkundigte sich Gott Mike. „Wie war die Stunde für dich?“
„Gut“, log Nelly, woraufhin ihr Tanzlehrer auflachte und mit ironischem Unterton sagte, das hätte jetzt aber reichlich überzeugend geklungen.
„Na ja, die Stunde war insgesamt vielleicht ein bisschen zu leicht für uns.“
„Aber für das, was ich eigentlich mit euch vorhatte, seid ihr leider noch nicht weit genug.“
Nelly nickte ergeben, so als müsse sie sich für die Unfähigkeit der ganzen Gruppe entschuldigen, dann platzte es aus ihr heraus: „Auch wenn wir schlecht sind, wir waren trotzdem unterfordert!“
„Mm“, machte Mike und fuhr sich durch seine Honiglocken. Er sah einfach zum Anknabbern und Vernaschen aus. „Könntest du mir vor der nächsten Stunde vielleicht zeigen, was für ein Repertoire ihr bei Birgit einstudiert habt?“ Für den Bruchteil einer Sekunde fror sein Lächeln ein. „Es wird sicher ein paar Wochen dauern, bis sie wieder einsatzfähig ist.“
„Na und ob … Kein Problem … Mach ich gern“, stammelte Nelly, während ihr zu gleichen Teilen Angst- und Glücksschauer über den Rücken liefen. Himmel noch mal! Sie kannte bloß ein paar simple Schritte, und Gott Mike nannte das Gehampel gleich hochtrabend Repertoire! Andererseits war dies ihre Chance. Sich entweder in Mikes Arme zu tanzen oder sich bis auf die Knochen zu blamieren. Top oder Flop.
„Wunderbar! Dann bis nächste Woche halb vier?“
„Ja, ich freue mich“, brachte Nelly noch wie ein stotternder Motor über die Lippen, da schulterte Gott Mike bereits seine Sporttasche und sagte: „Tut mir Leid wegen der fucking lesson. Manchmal bin ich vielleicht ein wenig egoistisch.“ Er lachte kehlig. „Typisch Wassermann.“
Damit eilte er davon, und Nelly spürte dem Vulkanausbruch in ihrem Innern nach. Egal, wie fucking die lesson auch gewesen sein mochte, Mike war Wassermann! Ein Wassermann lief ihr an einem ihrer Glückstage über den Weg. Es geschahen doch noch Zeichen und Wunder.