Читать книгу Hals über Kopf ein Star - Susanne Fülscher - Страница 10
ОглавлениеZwei Tage später drückt mir Frau Schmitt von der Pressestelle einen ganzen Stapel Fanpost in die Hand. Der reinste Wahnsinn! Zwar sind zuvor auch hin und wieder ein paar Briefe für mich eingetrudelt, aber eben nicht in solchen Mengen.
Mit einem wohligen Kribbeln im Bauch lasse ich mich nach Hause fahren. Ein furchtbar anstrengender Drehtag liegt hinter mir. Max war derart schlecht vorbereitet, dass er einen Patzer nach dem anderen gebracht hat. Dummkopf. Wir alle mussten die Soße ausbaden und bis zur Erschöpfung ackern. Umso ärgerlicher, da die Regisseurin Fanny, die den Block nach Massimo dreht, eine Hysterikerin in Hochpotenz ist. Ständig verändert sie den Text, und wenn wir ihre Änderungen nicht sofort draufhaben, fängt sie an rumzublöken. Sie motzt bereits, wenn wir aus Versehen mal einen Wortdreher bringen. Meine Güte, so was passiert eben! Und eigentlich ist es doch auch egal, denn der Zuschauer bekommt es sowieso nicht mit. Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich streike und sage, mit der Giftnatter drehe ich nicht, werde ich eben aus der Serie rausgeschrieben.
Heute ist der Feierabendverkehr so dicht, dass ich erst gegen halb acht nach Hause komme. Zum Glück ist Frau Behrens da und hat ganz muttimäßig einen leckeren Gemüseeintopf gekocht. Heißhungrig stürze ich mich auf das Essen, da macht es mir auch nichts aus, mich von meiner Vermieterin über die Dreharbeiten ausfragen zu lassen.
Später fläze ich mich mit der Fanpost auf mein Bett. Fanpost lesen ist so eine Sache. Einerseits ist man unglaublich aufgeregt und hofft auf Komplimente, andererseits langweilt es einen schnell, in einer Tour angebetet zu werden. Viel schlimmer wären natürlich Schmähbriefe, doch die sind mir bisher zum Glück erspart geblieben.
»Verehrte Künstlerin«, beginne ich den ersten Brief zu lesen. »Ich bewundere Ihre Leistungen als Schauspielerin – meine Hochachtung. Deshalb wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir ein Foto zusenden und mit einer Unterschrift versehen könnten. Alles Gute für Sie und möge Ihre berufliche Zukunft Ihnen weitere große Erfolge bringen! In aufrichtiger Verehrung, Ihr Karl Lesinger.«
Irgendwie kann ich diesen Karl Lesinger kein bisschen ernst nehmen. Verehrte Künstlerin. Meine Hochachtung. In aufrichtiger Verehrung. In welchem Jahrhundert hat der sich denn eingeparkt?
Der zweite Brief stammt von einem 14-jährigen Mädchen. Sie findet, dass ich total super aussehe und eine megaschöne Stimme habe. Wie nett …
Überhaupt schreiben fast nur Mädchen. Die meisten wollen eine Autogrammkarte, in seltenen Fällen schütten sie mir aber auch richtig ihr Herz aus. Eine Bianca aus Bremen schreibt zum Beispiel, ihr Freund habe mit ihr Schluss gemacht und sie wisse einfach nicht mehr weiter. Seit sich ihre Eltern hätten scheiden lassen, sei ihr Leben ein einziges Desaster. Erst sei sie sitzen geblieben, dann hätte ihre Mutter zu trinken angefangen und jetzt auch noch das mit ihrem Freund. Briefe dieser Art sind furchtbar. Einerseits will ich das Mädchen nicht hängen lassen, andererseits weiß ich nicht, was ich groß raten soll. Ich bin doch keine Kummerkastentante bei einer Zeitschrift!
Danach das Kontrastprogramm. Ein Brief von einem Jungen, der sich unbedingt mit mir treffen möchte, um mich von meiner Essstörung zu heilen. Na, prima. Glaubt der allen Ernstes, ich hätte auch in Wirklichkeit Bulimie? Und dass ich auch noch so blöd wäre mich mit ihm zu treffen?
Gesine hat einmal den Fehler gemacht und sich auf ein Date mit einem Fan eingelassen. Einmal und nie wieder! Ein BWL-Student hatte ihr geschrieben, er fände sie so interessant und würde sie gerne kennen lernen. So weit ein ganz netter Brief, außerdem hatte er ein Foto beigelegt, auf dem er ziemlich ansprechend aussah. Doch dann das böse Erwachen: An Stelle des erwarteten Prinzen tauchte ein ungepflegter Typ auf, der ihr sofort an die Wäsche wollte.
Kurz vor zehn habe ich den Stapel abgearbeitet. Ich bin so hundemüde, dass ich nur noch schnell Zähne putze und dann wie ein Stein ins Bett falle. Gerade bin ich am Wegdämmern, da schrillt mein Handy. Mist. Das kann um diese Uhrzeit nur Mami sein. Hektisch springe ich aus dem Bett, verheddere mich in meinen Hausschuhen und stolpere über den Stapel Fanbriefe, den ich sorgsam am Fuße des Sofas aufgeschichtet hatte. Dann endlich habe ich das Handy in der Hand.
»Mami, was gibt’s?!«
»Hier ist nicht deine Mami. Hier ist deine Anja!«
»ANJA?«
»Deine Maskenbildnerin bei Homepage – falls du dich vielleicht noch erinnerst.«
»Was ist los? Terminverschiebungen?«
»Seit wann mache ich die Dispo?« Anja gackert wie ein Huhn.
Ich gehe zurück zum Bett und lasse mich kraftlos drauffallen.
»Anja, ich schlafe schon!« Eigentlich will ich gar nicht vorwurfsvoll klingen, aber passiert ist passiert.
»Gerade sprichst du mit mir. Wenn du das Schlafen nennst …« Sie hört gar nicht mehr auf zu lachen. »Los, schwing dich in deine Klamotten und leg einen netten Lippenstift auf. Brombeerrot oder so.«
»Spinnst du? Was ist denn los?« Die Frau kann einen mit ihrer guten Laune wahnsinnig machen.
»Tanzen gehen. Das ist los.«
»Du hast sie ja wohl nicht mehr alle!«
»Wie redest du mit mir? Immerhin bin ich ein paar Jährchen älter als du!« Anjas Lachen verebbt langsam, nur manchmal spuckt sie noch einen Kiekser aus. »Emma, ich hab doch gesagt, ich ruf mal an.«
Ja, das hat sie wirklich. Nur wer hätte ahnen können, dass sie es mitten in der Nacht tun würde.
»Hör zu, Chériechen.« Sie räuspert sich. »Bei dir um die Ecke hat ein neuer Klub aufgemacht. Und weißt du, wer heute auflegt? Eroplane!«
»Kenn ich nicht. Außerdem muss ich morgen früh frisch aussehen.«
»Ach, meine Teebeutelmethode hat doch neulich auch funktioniert.«
Ich erwidere nichts und versuche nur meine Gedanken zu sortieren. Mal schnauzt Anja uns an, wenn wir morgens verquollen in die Maske kommen, jetzt will sie mich zu so später Stunde zu irgendeinem Eroplane schleppen. Die Frau soll einer verstehen.
»Was ist nun?« Wie in allen Lebenslagen ist Anja ziemlich hartnäckig.
»Es geht nicht. Wirklich nicht.«
»Schade.«
Eine längere Pause entsteht. Vielleicht ist Anja am anderen Ende der Leitung eingeschlafen.
»Wir können es ja am Wochenende nachholen.«
Anja mault in den Hörer, am Wochenende sei Eroplane schon wieder in Leipzig oder weiß der Teufel wo, gibt sich aber schließlich geschlagen.
Als ich kurz darauf zurück ins Bett schlüpfe, bin ich immer noch ganz verwirrt. Will ich überhaupt mit Anja ausgehen? Wenn ich ehrlich bin, ist sie gar nicht mein Typ. Zu schrill, zu laut, zu lustig, nicht meine Altersklasse – also als Freundin völlig untauglich.