Читать книгу Hals über Kopf ein Star - Susanne Fülscher - Страница 8

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Als mich der Fahrer Montagmorgen um halb acht abholt, bin ich todmüde, mies gelaunt und zudem noch schlecht vorbereitet. Das Wochenende hat in Sachen Erholung so gut wie gar nichts gebracht. Die meiste Zeit habe ich vor dem Fernseher gehockt, Süßigkeiten gefuttert und es nicht mal geschafft, vernünftig meinen Text zu lernen.

Eine Dreiviertelstunde später sitze ich dann in der Maske und kriege kaum die Augen auseinander. Ganz im Gegensatz zu Anja, die mal wieder die Frische in Person ist. »Na? Wie war dein Wochenende noch so?«, will sie wissen und grinst derart frech, als hätte ich mindestens 50 Lover verschlissen.

»Langweilig.«

»Langweilig?« Anjas Grinsen wird immer breiter.

»Ja! Guck du mal 24 Stunden Fernsehen.«

»Süße, du wohnst am Prenzlauer Berg! Da schaut kein Mensch den ganzen Tag in die Röhre!«

Ich sage nichts, versuche mich nur mit meinem katastrophalen Spiegelbild abzufinden.

»Wie sollen wir bloß deine verquollenen Augen in den Griff kriegen!«, meint Anja dann, indem sie den Kopf schief legt und mich mustert.

Dann bückt sie sich, wühlt eine Weile im Mülleimer herum und fördert schließlich etwas Undefinierbares zu Tage. Keine zwei Sekunden später habe ich kalte Teebeutel auf den Augen. Derweil setzt ein Gezeter ein, als hätte ich jemanden umgebracht. Ich würde gleich ein Anschlussbild drehen und was mir überhaupt einfalle, die ganze Nacht durchzusumpfen, bla, bla, bla.

Mir ist das alles piepegal. Ich bezweifele, dass irgendeinem Zuschauer auffällt, wie verquollen meine Augen sind. Viel schlimmer ist, dass ich meinen Text noch nicht kann und jetzt durch diese dämlichen Teebeutel gehandikapt bin.

Ich höre die Tür klappen, dann drückt mir Anja einen Becher mit einem heißen Getränk in die Hand. Kaffeeduft steigt mir in die Nase.

»So bleibst du jetzt zehn Minuten sitzen und wachst erst mal auf.«

»Aber …«

»Das ist ein Befehl.«

Inzwischen ist Gesine, Dialoge vor sich hin murmelnd, in die Maske gekommen, um sich kurz den Lippenstift auffrischen zu lassen. So leise wie möglich ziehe ich das Drehbuch auf meinen Schoß, lüfte den rechten Teebeutel und schlage meine Szene auf, die ich mit einem gelben Post-it-Zettel markiert habe. Ich hoffe nur, dass Anja nichts merkt. Als Perfektionistin kann sie nämlich zur Furie werden, wenn man sie daran hindert, ihre Arbeit so gut wie möglich auszuführen.

Zum Glück redet sie jetzt auf Gesine ein, so dass ich wenigstens die Chance habe, meine Dialoge anzustarren. Lernen ist unmöglich. Denn Anjas Organ ist nicht ohne.

»Der Kurt und ich waren im Pergamon … Und danach essen … In so einem Touristenschuppen an den Hackeschen Höfen, wo sie dir für 8,50 Euro ’ne Pizza andrehen, die wie Pappe mit Käseklumpen schmeckt. Kurt sagt immer, wenn’s dir nicht schmeckt, lass es eben zurückgehen … Ich hab ja sonst keine Hemmungen, aber so was … Kann der Kurt alleine machen.«

Plapper, plapper, plapper. Nur gut, dass Anja bisher noch nicht angerufen hat. Eine Frau, die einem auch noch in der Freizeit nonstop die Ohren voll quatscht.

Zehn Minuten später werde ich erlöst.

»Na, siehste.« Selbstzufrieden mustert mich Anja. »Die guten, alten Hausrezepte funktionieren doch.«

Zwar sehe ich keinen Unterschied zu vorher, aber wenn sie meint … Hauptsache, ich habe noch ein paar Minuten zum Lernen. Meistens funktioniert mein Kurzzeitgedächtnis ja wie geschmiert, da brauche ich die Dialoge nur zwei-, dreimal zu lesen und schon sitzen sie. Anders heute. Zu allem Überfluss fängt Anja schon wieder an zu quasseln, kaum dass ich das Drehbuch aufgeschlagen habe.

»Kurt ist heute Morgen zum Flughafen, weißt du?«

Nee, weiß ich nicht.

»Fliegt nach New York. Fortbildung. Bezahlt alles der Arbeitgeber.«

»Was macht Kurt denn?«, frage ich anstandshalber. Eigentlich interessiert mich im Moment nichts weniger als das.

»Grafiker. Bei SAT.1.«

Ich will mich wieder ins Drehbuch vertiefen, aber schon funkt Anja erneut dazwischen. »Los – Kopf hoch.« In ihrer etwas rabiaten Art trägt sie die Grundierung auf. Außerdem ist sie noch nicht mit Reden fertig, und wenn Madame Anja etwas zu sagen hat, muss man eben zuhören. Ob man will oder nicht.

»Wir könnten doch heute Abend ins Kino gehen. Morgen ginge auch. Oder wie wär’s mit irgendeinem Klub, Stella?«

»Emma. Ich heiße Emma!«

»Ja! Schon gut.« Anja grinst. »Also?«

»Ja, mal sehen«, sage ich nur, um meine Ruhe zu haben.

Eine halbe Stunde später bin ich entlassen. Ich schnappe mir meine Tasche und das Drehbuch, stürme dann auf den Flur und rein in die nächste Damentoilette. Sicherheitshalber schließe ich mich in einer Kabine ein. Die Zeit drängt. Mir bleiben noch genau neun Minuten. Schon so manchen Text habe ich hier auf den letzten Drücker gelernt. Das Gute daran ist, dass man an diesem Ort so ziemlich seine Ruhe hat. Ab und zu plätschert es neben einem, die Spülung geht, manchmal hört man auch Kolleginnen vorm Waschbecken miteinander reden – geradezu paradiesische Zustände.

Und es funktioniert. Nach ein paar Minuten kann ich die Szene auswendig, zumindest in groben Zügen. Das habe ich erst bei Homepage gelernt. Mich auf Kommando zu konzentrieren und mir Texte einzubimsen. In der Schule konnte ich nicht mal ein Gedicht oder ein paar Vokabeln behalten, mittlerweile weiß ich, es ist alles nur eine Frage des Trainings.

Pünktlich um neun stehe ich in Halle vier und warte auf Max, der mir heute eröffnen wird, dass ich nur eine Affäre für ihn war. In der Szene muss ich anfangen zu weinen, in Wirklichkeit bin ich nur heilfroh, dass mir weitere Bettszenen mit ihm erspart bleiben. Vorerst zumindest …

»Reg dich ab!«, tönt es plötzlich hinter mir. »Du wusstest doch vorher, worauf du dich einlässt! Ich bin nun mal nicht der Typ für eine feste Beziehung.«

Automatisch drehe ich mich um und sehe in Max’ grinsendes Gesicht. Nett, wie er gerade seinen Text aufgesagt hat, doch dass er dann auch noch drehbuchgemäß seine Hand in meine schiebt, geht eindeutig zu weit.

»Pfoten weg.«

Genervt schiele ich zur Regieassistentin rüber und hoffe, dass der Zirkus hier langsam losgeht.

»Ich bin doch gar nicht wie Sebastian«, nervt Max weiter. »Wirklich nicht!«

»Darf ich mich jetzt bitte auf die Szene konzentrieren?«, herrsche ich ihn an. Zum Glück hält er daraufhin seine Klappe. Er dreht sich demonstrativ weg, berührt mich dabei allerdings absichtlich mit seiner Schulter.

»Max, so geht das nicht. Ich kann nicht mit dir spielen, wenn du mich ständig anbaggerst.«

Max dreht sich wieder zu mir und blinzelt verschlafen.

»Ich und baggern? Warum sollte ich das tun? Du bist überhaupt nicht mein Typ.«

»Na, wunderbar! Dann ist ja alles Ordnung.«

Keine Ahnung, ob Sensibelchen Max sich durch meine Bemerkung angegriffen fühlt, jedenfalls haut er sowohl bei der Generalprobe als auch beim Dreh derart daneben, dass wir die Szene nach drei Durchläufen immer noch nicht im Kasten haben. Mal verspricht er sich, mal verdeckt er mich ungewollt, beim dritten Mal fängt er wie aus heiterem Himmel an zu kichern.

Massimo findet das kein bisschen komisch.

»Leute, wenn ihr keine Profis seid, geht lieber putzen!«, schnaubt er, und als die Regieassistentin ihm steckt, dass wir bereits neun Minuten hängen, beschimpft er uns auch noch als geistig umnachtete Teenys.

Das wiederum finde ich nicht lustig. Warum schert er mich und Max über einen Kamm? Warum muss ich für Max’ Unprofessionalität den Kopf hinhalten?

»Reiß dich verdammt noch mal zusammen!«, raune ich ihm zu, als wir auf Position gehen. Immerhin bewirkt mein Anpfiff, dass er diesmal nicht patzt. Szene im Kasten. Bloß weg von diesem Irren. Zum Glück habe ich Drehpause, die ich mir mit Textlernen und Kaffeetrinken vertreiben will. Im Bistro ist es um diese Uhrzeit angenehm leer. Am liebsten setze ich mich ans Fenster, schaue auf das Stückchen Himmel, das zwischen Halle vier und fünf hervorlugt.

Kaum habe ich meinen Text für die kommende Szene einmal gelesen, stelzt Gesine auf ihren Storchenbeinen an meinen Tisch. Sie trägt ein Tablett vor sich her, auf dem zwei Snickers, ein Bounty und eine Cola-Light liegen.

»Hat Frau Schmitt dich schon angesprochen? Übermorgen ist Fototermin fürs Fanheft. Die wollen Carlos und uns beide für den Titel.«

»Echt? Ist ja irre!«

Aber Gesine verzieht nur das Gesicht, als wäre es eine Strafe, als Titelmodell ausgewählt zu werden.

»Freust du dich gar nicht?«, frage ich.

»Hast du dir das Heft mal angesehen? Es ist einfach nur bescheuert! Letztes Mal musste ich Ledershorts tragen! Stell dir vor! Ich und Ledershorts!«

Ich verstehe nicht, warum Gesine sich so aufregt. Was gibt es Großartigeres als profihaft gestylt und fotografiert zu werden? Da das Heft nicht öfter als viermal im Jahr erscheint, wurde ich in der letzten Ausgabe nur mit einem winzigen Foto als Neuzugang angekündigt.

»Übermorgen dann noch das Shooting für irgendeine blöde Fernsehzeitschrift«, mault Gesine weiter. »Wenn wenigstens mal Max anfragen würde oder der Playboy. «

»Du würdest dich wirklich ausziehen?«

»Warum nicht?«

»Na ja …«, fange ich an, aber dann fällt mir auf Anhieb keine passable Begründung ein.

»Prüde?«

»Gar nicht. Aber wenn ich an all die ekligen Typen denke, die mich dann später im Heft anglotzen … Außerdem geht es niemanden was an, wie ich nackt aussehe.«

Gesine lacht nur und wickelt ihr Bounty aus. Die eine Hälfte stopft sie sich komplett in den Mund, die andere bietet sie mir an. Ich schüttele den Kopf.

»Wenn’s so furchtbar ist, kannst du ja den Foto-Termin an mich abtreten«, scherze ich.

»Du bist doch nicht im Ernst auf dieses alberne Shooting neidisch!« Gesine stopft sich auch noch die andere Hälfte in den Mund und fährt kauend fort: »Wart’s nur ab. Das kommt sowieso noch alles auf dich zu. Programmzeitschriften, zweitklassige Frauenzeitschriften …«

Da wird Gesine schon wieder über Lautsprecher in die Maske gerufen. Sie schnappt sich ihre Cola, die restlichen Süßigkeiten und läuft mit einem Augenzwinkern raus.

Programmzeitschriften, zweitklassige Frauenzeitschriften … Schön wär’s. Denn wollen nicht alle, die hier vor der Kamera stehen, wenigstens ein bisschen berühmt sein?

Hals über Kopf ein Star

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