Читать книгу Hals über Kopf ein Star - Susanne Fülscher - Страница 6
ОглавлениеEs gibt Tage, da liege ich auf meinem Bett, draußen rasseln S-Bahn und Straßenbahn vorbei und ich denke, was tust du hier eigentlich? Wieso bist du nur so Hals über Kopf von zu Hause weg? Und was soll das überhaupt – Daily-Soap-Schauspielerin? Zumal mir alle abgeraten haben. Meine Lehrer an der Gesamtschule, mein Vater – er arbeitet freiberuflich als Anlageberater – und natürlich meine Mutter, große Diva am Hamburger Schauspielhaus, die nur in Ausnahmefällen ihre Nase fürs Fernsehen hinhält.
Aber ich habe es eben so gewollt. Bloß weg aus Hans’ Dunstkreis, weg von Mami, die keinen Tag ohne einen klugen Spruch vergehen ließ, und die Schule … – ach – keine Lust mehr. Meine Zensuren waren lausig, wahrscheinlich wäre ich noch durchs Abi gefallen – und was dann?
Also habe ich bei der einmaligen Chance zugegriffen. Mein erstes Casting – im Grunde bin ich nur aus Jux hin – und sofort eine Hauptrolle kassiert. Ohne Abi, ohne je eine Schauspielschule von innen gesehen zu haben. Alles nur mit ein bisschen Schultheatererfahrung.
»Mach erst mal die Schule zu Ende«, hat Mami damals nach dem Casting gesagt. »Danach sprichst du an einer Schauspielschule vor und dann …«
Nein!! Wieso auf etwas warten, das vielleicht irgendwann eintreffen wird, vielleicht aber auch nie? Warum Zeit verlieren, wenn man auf Teufel komm raus spielen will? Dieses Gerede Aber du brauchst eine vernünftige Ausbildung! und Verschleiß doch nicht dein Gesicht in jungen Jahren! – einfach nur lächerlich. Seit vier Monaten habe ich einen Job, seit einem Monat bin ich auf dem Bildschirm zu sehen, ich verdiene gut und mit der Wohnsituation muss ich eben klarkommen. Am liebsten wäre ich mit den anderen auswärtigen Schauspielern gemeinsam ins Hotel gezogen, aber Mami war strikt dagegen. Lotterleben! Drogen! Exzesse! Kommt ja gar nicht in Frage! Von einer eigenen Wohnung ganz zu schweigen. Stattdessen hat Mami mich bei Frida Behrens, einer Bekannten meiner verstorbenen Oma, untergebracht. Frau Behrens lebt im Ostteil Berlins in einer 160 Quadratmeter großen Altbauwohnung, in der sie auch schon zu DDR-Zeiten gewohnt hat. Ihr Mann ist vor vielen Jahren gestorben, die Kinder sind aus dem Haus – Platz gibt’s also genug. Netterweise hat sie mir das größte Zimmer der Wohnung überlassen. An den Wänden kleben grotesk-bunte Tapeten, der Teppich ist wild gemustert und von der Decke baumelt eine ufoartige Lampe aus den 60er-Jahren. Ziemlich cool, aber doch fremd. Und was Mami nicht weiß: Oft habe ich die ganze Wohnung für mich allein, weil Frau Behrens so gut wie nie da ist. Die meiste Zeit lebt sie bei ihrem Freund auf Mallorca, und selbst wenn sie mal ein paar Tage in Berlin verbringt, ist sie ständig auf Achse. Niemand, der mich also mamimäßig bevormunden könnte. Die Kehrseite der Medaille: An manchen Tagen grusele ich mich ziemlich in der riesigen und unübersichtlichen Wohnung, von Einsamkeitsgefühlen mal ganz abgesehen …
Heute ist Freitag und ein fürchterlich langes Wochenende liegt vor mir. Frau Behrens ist zu einer Freundin in den Spreewald gefahren und auch sonst stehen keine Verabredungen an. Ich hatte ein bisschen auf Carlos spekuliert, aber der ist mal wieder ganz und gar pärchenmäßig mit seinem Klaus zugange.
Etwas lustlos setze ich mich mit einem Becher Tee auf die Fensterbank, und während ich auf das Menschen- und Autogewusel runterschaue, überlege ich, was ich mal so tun könnte. Leider fällt mir nichts Berauschendes ein. Außer MTV dudeln zu lassen, meine Fingernägel zu schneiden und mir in Frau Behrens Wohnküche Spiegeleier zu braten. Gerade habe ich die glibbrigen Teile auf dem Teller, als mein Handy klingelt. Mami ist dran.
»Emma, wie geht’s dir?«, fragt sie. Wie schon bei den letzten Telefonaten klingt sie abgespannt. Endprobenstress am Schauspielhaus. Dann ruft sie meinem Vater zu: »Spaghetti, hab ich gesagt. Bloß keine Penne. Du, ich hab grad deine Tochter am Telefon!«
Aha. Erst die Nudeln, dann die Tochter.
»Mir-geht-es-gut«, sage ich mit roboterhafter Stimme. Erst ruft sie mich an und dann quatscht sie nebenbei einfach mit meinem Vater. Zum Kotzen.
»Alles klar im Job?« Nie würde Mami meine Arbeit als Schauspielerei bezeichnen.
»Ja. Schon …«
»Aber …?«
»Ich hatte heute meine erste …« Das Wort Bettszene schlucke ich runter, sage stattdessen Liebesszene.
Mami lacht. »War bestimmt furchtbar, was?«
Bevor ich antworten kann, reißt Papa ihr den Hörer aus der Hand. »Wann kommst du, Kleines? Wir vermissen dich ganz schrecklich.«
»Anfang Mai.«
»Wie lange wirst du bleiben?«
»Sechs Wochen. Vielleicht auch sieben. Mal gucken.«
Papa gibt einen Schmatzer von sich. »Wie schön! Ich freu mich!«
»Mhm«, murmele ich nur und frage mich, ob es wirklich so schön ist, wieder so endlos lange bei meinen Eltern zu wohnen. Andererseits würde mir in Berlin so ganz ohne Arbeit bestimmt die Decke auf den Kopf fallen.
»In deinem Zimmer hat sich jedenfalls nichts verändert«, sagt Papa, dann ist Mami wieder dran.
»Und Frida kümmert sich auch schön um dich?«
»Ja«, lüge ich. »Sie kocht wirklich spitzenmäßig.«
»Soll ich dir Wäsche schicken? Hast du genug Slips?«
Jetzt muss ich doch lachen. Nach außen setzt Mami alles dran, nur Star und bloß kein Muttertier zu sein, und dann mutiert sie doch zur Glucke.
»Berlin ist eine Großstadt, Mami! Und Frau Behrens hat eine Waschmaschine und – stell dir vor – es gibt hier sogar Läden, in denen man richtige Unterhosen kaufen kann!«
Ich höre Papa im Hintergrund vor Lachen glucksen. Mami seufzt. »Manchmal ist es ganz schön schwer, dass du so weit weg bist. Und dann noch in einer Riesenstadt wie Berlin.«
»Ihr könnt mich ja mal wieder besuchen«, schlage ich vor.
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Papa muss die Börse im Auge behalten und wir spielen Die Möwe erst mal en suite.«
Ausreden. Lauter faule Ausreden. So groß ihr Gejammer auch ist – in Berlin fühlen sie sich einfach nicht wohl. Ganz abgesehen davon, dass sie auch nicht auf unrenovierte Ossi-Wohnungen stehen. Als sie das letzte Mal vor zirka zwei Monaten hier waren, haben sie sich im Westteil der Stadt in einem Hotel einquartiert, angeblich weil sie Frau Behrens nicht auf den Wecker fallen wollten.
»Wir kommen bestimmt bald mal«, meint Mami, dann haucht sie einen Kuss in den Hörer, Papa gibt noch einen obligatorischen Schmatzer ab und schon bin ich wieder mit den Geräuschen von der Straße alleine.