Читать книгу Sperare Contra Spem - Susanne Hegger - Страница 25

Exkurs: Hans Urs von Balthasar und Adrienne von Speyr

Оглавление

1902 in La Chaux-de-Fonds geboren, wächst Adrienne von Speyr in einem streng protestantischen Milieu auf. Schon in früher Kindheit und Jugend verspürt sie den Drang, „Gott allein zu gehören, ihm mit ihrem ganzen Dasein restlos zur Verfügung zu stehen“309, kann innerhalb ihrer eigenen Kirche jedoch keine diesem innersten Wusch entsprechende Lebensform und somit keine religiöse Heimat finden. „Mit jedem Pastor setzt es neue Diskussionen ab: sie fühlt sich unerklärlich enttäuscht, der ihr vorgetragene Protestantismus dünkt sie leer, ‚Gott ist anders‘ erklärt sie aufs bestimmteste ihren Lehrern.“310

Zwei Elemente sind es vor allem, die sie schmerzlich vermisst: Zum einen fehlte ihr die Dimension der Mütterlichkeit.311 Eine Marienvision, die sie als Fünfzehnjährige hat, und vor allem „nach der Konversion der unglaublich intime Umgang mit der Mutter des Herrn wird ihr die Antwort auf das Fehlende geben.“312 Zum anderen sehnt sie sich nicht minder intensiv nach der Möglichkeit der Beichte, der bevollmächtigten Sündenvergebung. Noch 1940, im Jahr ihrer ersten Begegnung, konvertiert Adrienne von Speyr bei Hans Urs von Balthasar.

Schon bald darauf macht sie erste geistliche Erfahrungen, die sich zunehmend intensivieren. Die mystischen Einsichten, die ihr dabei zuteil werden, bilden die Grundlage für das, was Speyr und Balthasar immer deutlicher als an sie gemeinsam ergehenden Auftrag Gottes „ganz auf der Linie der großen, aus der Trad. bekannten ‚geistlichen Freundschaften‘ bzw. ‚Doppelsendungen‘“313 erkennen. Diese Sendung findet ihren Niederschlag sowohl auf der Ebene christlicher Lebensführung wie auf im engeren Sinne theologischdogmatischer Ebene, wobei unbedingt daran zu erinnern ist, dass beide Ebenen sich nach balthasarschem, aber auch nach speyrschem Verständnis notwendig wechselseitig durchdringen.

Im Hinblick auf Möglichkeiten, Ernst mit einem Leben ganz aus dem Glauben zu machen, wächst schon früh bei von Speyr, zunehmend dann auch bei Balthasar das Bewusstsein, von Gott dazu beauftragt zu sein, eine neue Gemeinschaft von Frauen und Männern zu gründen, die zwar mitten im weltlichen Leben stehen und arbeiten, sich aber dennoch zu einem Ordensleben im Geiste ignatianischer Spiritualität verpflichten. „Die Besten sollten sich hier zusammenfinden, die wichtige Stellungen in der Gesellschaft einnehmen sollten und stark genug wären, um in der schwierigen Position zwischen Welt und Kloster zu stehen.“314

In diesem Sinne wird 1944 die Johannesgemeinschaft gegründet; im Oktober 1945 entsteht als erster der weibliche Zweig. Die Initiative, das eigentlich Neue, Originelle geht dabei von Speyr aus. „Sie hat nicht nur eine Weltgemeinschaft gegründet, sondern dieses Institut auf eine umfassende Theologie gegründet, die wesentlich von ihr stammt.“315 Balthasar seinerseits bemüht sich, ihre Impulse theologisch gleichermaßen zu untermauern wie auszuwerten und einzuordnen. „Für Balthasar sind die sog. ‚Weltgemeinschaften‘ … die existentielle Klammer, welche die ‚konkrete Universalität‘ des christlichen Glaubens in seiner ganzen Spannung heute am ehesten lebensmäßig [und nicht nur theoretisch] zusammenhalten und in eine gesellschaftlich greifbare Gestalt bringen kann.“316 In dieser Form christlichen Lebens erkennt er die Zukunft der Kirche, und er weiß sich sicher von Gott dazu beauftragt, am Aufbau dieser Zukunft gestaltend mitzuwirken. Als das ursprüngliche Vorhaben, die Johannesgemeinschaft im Raum der Gesellschaft Jesu anzusiedeln, scheitert, weil die Ordensoberen Zweifel an der Echtheit des Auftrags, vor allem aber an der Integrität der Beziehung zwischen ihrem Mitbruder und Speyr hegen, tritt Balthasar darum schweren Herzens aus dem Orden aus, um seinem Auftrag in unverbrüchlicher Treue dienen zu können.

Bedeutsamer als die Gründung des Säkularinstituts ist im Hinblick auf die uns hier beschäftigende Frage nach dem Theologieverständnis Balthasars die theologische Zusammenarbeit beider, die unmittelbar aus den geistlichen Erfahrungen Speyrs erwächst. Während ihrer mystischen Zustände steht Balthasar ihr als Chronist zur Seite. Sein „Beitrag bestand darin, die Diktate zu stenographieren und sie, nach dem ausdrücklichen Wunsch Adriennes, in eine ‚kirchlich-präzise‘ Sprache zu übertragen.“317 Auch diese Form der Zusammenarbeit begreifen beide ausdrücklich als Moment ihrer gemeinsamen Sendung. „Diese Sendung ist wesentlich theologisch in der umfassenden Bedeutung des Wortes. Es bedeutet nämlich, das Wort Gottes zu empfangen und zu vermitteln, zu bedenken, zu ‚interpretieren‘ und in die menschliche Wirklichkeit einzupflanzen.“318 Worum es also geht, sind nicht etwa die Zustände der Mystikerin, die sie selber zeitlebens skeptisch beargwöhnt319, sondern einzig und allein der in der mystischen Erfahrung objektiv mitgeteilte Gehalt. Diesen aber allererst zu ermitteln und folgend zur Sprache zu bringen, bedarf es nach der Überzeugung Speyrs und Balthasars in ihrem gemeinsamen Fall des doppelten Charismas. „Während sie das Charisma der mystischen Erfahrung einbringt, bringt er das Charisma des Amtes mit, das ebendiese Erfahrungen prüft, einordnet und deutet.“320 Balthasar selbst nennt als unabdingbare Voraussetzungen, über die er zu diesem Zweck verfügen musste, „die zuerst philologische, dann philosophisch-theologische Ausbildung mit ihrer Ausrichtung auf eine Kenntnis der spirituellen Tradition, innerhalb derer ich das Besondere und Neue der Einsichten Adriennes zu situieren vermochte“321.

Genau hier eröffnet sich nun ein gewichtiges Problem, das denn auch in der Balthasar-Rezeption bis auf den heutigen Tag zu Irritationen führt. Balthasar legt ausdrücklich Wert darauf, bei seinen Mit- und Niederschriften „nirgends ergänzt, abgerundet, weggelassen“322, sondern lediglich im Bedarfsfall „kleine stilistische Änderungen angebracht“323 zu haben, und weist jeden Verdacht, seine eigene Theologie gleichsam in den Mund Speyrs gelegt zu haben, weit von sich. „Der entscheidende Grund …, weshalb die Diktate A’s – und zwar alle – keinesfalls auf ‚Suggestion‘ von meiner Seite beruhen können, ist die Originalität ihrer Theologie [meiner bisherigen gegenüber] und deren erstaunliche Kohärenz trotz so vieler verschiedenartiger Themen.“324 Zwar gesteht er zu, von Speyr sei, vor allem zu Beginn ihrer Beziehung, durch die vielen, intensiven religiöser Gespräche durchaus auch von ihm geprägt worden,325 kommt aber insgesamt zu der Einschätzung: „Im ganzen habe ich theologisch mehr von ihr erhalten, als sie von mir“326.

Dennoch scheinen hier Zweifel angebracht. Zwar „steht völlig außer Frage, dass Hans Urs von Balthasars Arbeiten nach der Begegnung mit Adrienne von Speyr von deren Erfahrungen geprägt und inspiriert sind“327, aber es gibt durchaus auch Äußerungen Balthasars, die eine nicht unerhebliche Einflussnahme seinerseits auf die Gedanken Speyrs einräumen. So etwa, wenn er notiert, „daß durch meine literarische, philosophische und theologische Vorbildung ein Mittel bereitgestellt wurde, die Fülle ihrer (= Speyrs; S. H.) theologischen Einsichten aufzunehmen und ihnen einen angemessenen Ausdruck zu geben [da es nicht um einen mechanischen Prozeß ging, sondern Adriennes Beteiligung an der Auswortung des geistig Geschauten ihre eigene Mitwirkung erforderte, die aber wiederum etwas wie eine katholische Sicht und katholisches Vokabular bei mir voraussetzte], sodann zuweilen auch so, daß ich Dinge oder auch Personen, die sie zwar erkannte, aber nicht genau zu bestimmen wusste, festlegen konnte.“328 Hier liegt doch der Verdacht nahe, dass Adrienne von Speyr, die nie Theologie studiert hat, mit der Beurteilung der Angemessenheit der balthasarschen Diktion und Interpretation zuweilen schlicht überfordert gewesen sein dürfte.

Zu ähnlich kritischem Blick veranlasst Balthasars Zugeständnis, „dass, wenn während der Lektüre der Werke Adriennes der Eindruck entstehen könne, dass das ‚purer H. U. [von Balthasar]‘ sei, diese Vermutung durchaus zu Recht bestehe. Er selbst gebe ‚gewisse Konturen‘ vor, die aber ‚nicht das Gesamtergebnis, sondern nur den Weg‘ beeinflussten.“329 Hinzu kommen eine Reihe widersprüchlicher Aussagen.330 Einerseits etwa sagt Balthasar, in den Erfahrungen von Speyrs fänden viele seine Väterstudien Bestätigung oder gar Erfüllung331, andererseits erklärt er, dass die „Hauptthemen im Werk Adriennes in meinen Büchern vor 1940 keine Rolle spielen, so viel Kirchenväter und andere Theologen ich auch studiert haben mochte.“332

Als letztes Beispiel sei das Thema der vorliegenden Studie, Balthasars Theologie der Hölle genannt, die, wie ein Blick in seine einschlägigen Texte schnell belegt, ohne die Speyrsche Theologie des Karsamstags schlechterdings undenkbar wäre333, während es auch Aussagen Balthasars gibt, wonach seine „diesbezügliche Theologie vor meiner Begegnung mit Adrienne von Speyr [1940] durchaus abgeschlossen“334 gewesen sei.

Diese wenigen Hinweise mögen genügen. Sie sollten lediglich zeigen, dass die Entwicklungslinie auch zentraler theologischer Gedanken Balthasars keineswegs immer eindeutig nachzuvollziehen ist. Eine inhaltliche Synopse des gemeinsamen Werkes Balthasars und Speyrs steht bisher aus, wäre aber sicherlich auch im Hinblick auf die Balthasarforschung ein ertragreiches Forschungsprojekt.335 Bisher versuchen die meisten TheologInnen, dem Problem aus dem Weg zu gehen, indem sie eine Herangehensweise wählen, wie sie pointiert in dem von Werner Löser formulierten Vorschlag zum Ausdruck kommt: „Gegen Balthasars eigenen Rat wird man gut daran tun, diese (= Speyrs; S. H.) Bücher auf sich beruhen zu lassen, und sich nur mit dessen (= Balthasars; S. H.) eigenem theologischen Denken zu befassen.“336 Das aber kommt m. E. einer Selbsttäuschung gleich, weil es nun einmal kein Werk Balthasars gibt, das sich als solches sauber vom Werk Speyrs separieren ließe. Wo also in dieser Untersuchung die zentralen Inhalte der balthasarschen Theologie zur Darstellung kommen, soll dies ausdrücklich in dem Bewusstsein geschehen, dass es sich dabei um Ergebnisse eines Prozesses handelt, in dem die Erfahrungen und Erkenntnisse Adrienne von Speyrs und Hans Urs von Balthasars, in welcher Form auch immer, zusammenfließen.

Im Hinblick auf die inhaltliche Fragestellung dieser Arbeit sind vor allem drei Themenkomplexe zu nennen, in denen von Speyr „systembildenden Einfluß auf Hans Urs von Balthasars Theologie“337 ausübt. Das Herzstück ihrer Theologie besteht in ihrer trintarischen Gotteslehre. „In diesem Zusammenhang entwirft sie eine trinitarische Ontologie (und) relativiert bzw. interpretiert mit einer Neuinterpretation des Werdens das traditionelle Theologumenon von der Unveränderlichkeit Gottes in Richtung einer trinitarisch motivierten Rede von der Lebendigkeit Gottes“338. Balthasar übernimmt ihre zentralen Gedanken und Anliegen; es wird im Einzelnen zu untersuchen sein, um welchen Preis. Zweitens ist von Speyrs Theologie der Beichte zu nennen, die ihren Niederschlag vor allem in Balthasars Stellvertretungslehre sowie in seiner Gerichtstheologie findet. Schließlich und vor allem ist noch einmal die Bedeutung der Theologie des Karsamstags zu erwähnen. Balthasar begreift diesen Ansatz als hilfreichen Versuch zur Wiederbelebung einer nahezu vergessenen Glaubensaussage. Im Sinne der theologischen Prüfung bringt er die zentralen Aussagen mit der christlichen Tradition ins Gespräch und entwickelt sie dergestalt zu einer Theologie der Hölle und, was das eigentlich Originäre ist, zu einer Theologie der Hoffnung für alle fort.

Damit wären die wesentlichen inhaltlichen Spuren Adrienne von Speyrs im Werk Balthasars umrissen. In eher formaler Hinsicht ist zudem, und damit kehren wir zum Ausgangspunkt dieses kurzen Exkurses zurück, ihre Theorie der Mystik zu nennen.339 Sie hat sich nicht nur auf die ihr zuteil werdenden mystischen Erfahrungen eingelassen und sich um ihre inhaltliche Auswertung bemüht, sie hat darüber hinaus auf einer Metaebene die Bedingungen der Möglichkeit wahrer christlicher Mystik und ihren theologischen Stellenwert reflektiert. Damit aber hat nach Balthasars Einschätzung „Adrienne von Speyr … die Mystik aus einer Winkelexistenz, in die sie, mehr und mehr verkannt, ja verachtet, von der offiziellen Theologie und Verkündigung verwiesen wurde, wieder zurückgeholt in die Mitte des Heilsgeschehens“340. Den Hauptakzent legt sie dabei entschieden auf die objektive Seite. Was einzig zählt, ist das Erfahrene; der Mensch in seiner übernatürlichen Zuständlichkeit ist irrelevant. „Sein ganzes Fühlen ist in den Dienst der zu erlebenden Schau gestellt; er verkörpert gleichsam etwas vom objektiven Empfinden Gottes.“341 Diese empfundene göttliche Wahrheit gilt es dann theologisch zum Ausdruck zu bringen. Balthasar kann in diesem Zusammenhang statt von objektiver Mystik auch von experimenteller Dogmatik342 sprechen, weil die mystische Erfahrung als unmittelbarer Ausgangspunkt für dogmatische Erkenntnisse ernst genommen wird. Er folgt Speyr in dieser Einschätzung und wertet sie seinerseits im Hinblick auf ein allgemeines Theologieverständnis aus.

Sperare Contra Spem

Подняться наверх