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2.3.2 Theologische Phänomenologie

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Ein Grundsatz der Phänomenologie besagt, dass „nichts erscheint, ohne dass eine Form die Materie des Phänomens gestaltet.“424 Mit anderen Worten, ein Phänomen wird nur dann als Gestalt ansichtig, wenn und insofern es qua Denkform oder Begrifflichkeit der Vernunft zugänglich gemacht wird. In philosophischer Perspektive ist es das erkennende Subjekt, das eine solche Form, einer Intuition folgend, an das Objekt heranträgt. Hans Urs von Balthasar stellt nun heraus, dass im Unterschied zu allen weltlichen Phänomenen „die Offenbarung … nicht nur eine phänomenale Materie gibt, sondern ihr auch die sie begleitende Form und Bedeutung entspringt.“425 Wenn Balthasar davon spricht, Gott sei sein eigener Exeget426, so ist genau das gemeint. Die Form, mit der im Glauben die Materie gestaltet wird, kann nicht der menschlichen Intuition entspringen, „weil der Mensch kein Maßstab für Gott ist, und des Menschen Antwort kein Maßstab für das an ihn ergehende Wort.“427 Vielmehr werden Form und Maßstab der Selbstaussage Gottes von dem ergehenden Wort selbst mit hervorgebracht. „Für diese freie Selbstmitteilung haben wir das Wort Liebe. Dieses ist somit das einzige hermeneutische Prinzip für das Verständnis.“428 An dieser Stelle schon wird deutlich, dass Balthasar „dem Begriff Gestalt die letzte Ausweitung“429 zumutet, letztlich wiederum nur in analogem Sinn überhaupt von Gestalt sprechen kann.

Die Gestalt, die die vielfältigen Aspekte der göttlichen Selbstoffenbarung zu einer Sinntotalität zusammenschließt, ist nämlich die Gestalt des Lebenszeugnisses Jesu. Der Begriff der christlichen Gestalt meint also näherhin eine personale Gestalt, die es als solche zunächst einmal ähnlich wie eine menschliche Gestalt zu erfassen gilt. „Schon die Gesamtaussage eines rein menschlichen Lebens kann in keiner vereinzelten, noch so sorgfältigen und gewissenhaften Biographie erschöpfend dargestellt werden, sondern nur in der gegenseitigen Ergänzung verschiedener Perspektiven an die mehrdimensionale Lebensgestalt heran; umso mehr gilt dies … für den Fall der Lebensgestalt Jesu“430. Wie jede menschliche Gestalt, so erschließt sich auch die Gestalt Jesu nur mit Blick auf die wechselseitige Bezüglichkeit ihrer unterschiedlichen Dimensionen. Wird ein Moment isoliert gesehen, so gerät die Gestalt als solche aus dem Blick, und umgekehrt erschließt sich der Sinn jedes Aspekts ausschließlich von der Gesamtgestalt her. „Anspruch – Kreuz – Auferstehung sind ihre Artikulationen, die sich in einem strömenden Kreislauf gegenseitig fordern und beweisen.“431

Damit aber bricht in der Ähnlichkeit zugleich die wesentlich größere Unähnlichkeit auf. Jedes weltlich Seiende und somit auch jede menschliche Gestalt steht, so Balthasar, in der ontologischen Differenz und damit in der unaufhebbaren Spannung zwischen Immanenz und Transzendenz. In der Anteilhabe am Sein selbst ist ihr grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, das eigene Dasein zu übersteigen und in den Dienst an einer höheren Gesamtidee zu stellen. Solches aber bedeutet notwendig immer eine Relativierung der eigenen Existenz. „Wir sahen große personale Gestalten sich so aufbauen, daß eine Existenz sich zum Moment einer übergeschichtlichen Inspiration hergab, dafür unterging und in der Polis der zu humanisierenden Welt ein zum Eschaton hin polarisierendes Zeichen aufrichtete. Ihr Zeichen bleibt tragisch“432.

In Jesus Christus nun ist diese Tragik erstmals, aber für alle Zeit, überwunden. Mit seinem Kreuzestod nimmt er die menschliche Tragik des Scheiterns an einer übergeordneten Idee in ihrer vollen Tragweite auf sich; aber er überwindet sie, „indem das absolute Zerbrechen aller innerweltlichen Erfüllung am Kreuz überholt wird durch die alles und gerade auch diese totale Tragik rechtfertigende Auferstehung aus den Toten.“433 Mit ihrer Auferweckung wird die tragische Person als identisch mit dem transzendenten Gesamtsinn ausgewiesen. Durch diese Bestätigung schließt sich die Figur Jesu zur absoluten und endgültigen Gestalt, die im Vergleich zu weltlichen Gestalten in keiner Weise durch andere begrenzt ist. Vielmehr ist „diese Gestalt … die überschwengliche Erfüllung aller früher umrissenen, die zu ihrer Gestaltwerdung ausdrücklich transzendente Bezugspunkte beanspruchten und bezogen“434. Jede jemals von Gott her ergangene Zusage und Offenbarung ebenso wie die vielfältigen Versuche menschlichen Zudenkens auf Gott hin konvergieren in diesem Einheitspunkt. „Um das unableitbare allerfreieste Faktum von Menschwerdung-Kreuz-Auferstehung des Sohnes ordnen sich konzentrisch nach theo-logischer Gesetzlichkeit alle Ereignisse der Heils- und Weltgeschichte“435. Das Lebenszeugnis Jesu Christi schließt diese Ereignisse zu einer Einheit zusammen und verleiht ihnen dergestalt Sinn. Mit anderen Worten: Er selbst ist die Offenbarungsgestalt.

Diese Gestalt mit den Augen des Glaubens wahrzunehmen und folgend theologisch zur Sprache zu bringen, ist nun das zentrale Anliegen balthasarscher Theologie. „Christus als Mittelpunkt und äußerster Horizont ist bei Balthasar ausdrückliches Programm, das sich durch sein gesamtes Werk vom Anfang bis zum Schluß durchzieht.“436 Ihre Umsetzung findet diese Kon-Zentration vor allem auf dem Weg einer methodologischen Christozentrik. In immer neuen, umkreisenden Denkbewegungen versucht Balthasar, sich der Gestalt Christi mehr und mehr anzunähern. „Wie wir eine Statue umschreiten und dabei unsern Standpunkt kontinuierlich wechseln, um sie ganz zu sehen, so umschreitet die Erkenntnis den Gegenstand in infinitesimal sich verschiebenden Erkenntnisphasen.“437

Nun ist aber die Gestalt Jesu Christi als Offenbarung des Wesens Gottes zugleich Offenbarung der Wahrheit alles weltlichen Seins. Deshalb sind von ihr her auch „die Hieroglyphen des Kosmos als Aussage Gottes zu deuten.“438 Nach Balthasar liegt in der Selbstaussage Gottes in der Gestalt Jesu Christi also die Erfüllung aller menschlich-inchoativen Antwortversuche auf die Grundfrage nach dem Sinn des Seins, in welchem geistigen Kontext und in welcher Formulierung sie auch immer zum Ausdruck kommen mögen. In seinem theologischen Entwurf entwickelt er daher eine Vorgehensweise, die er selbst als „Methode des Einfaltens“439 bezeichnet. In intensivster Auseinandersetzung mit der europäischen Geistesgeschichte ist er stets bemüht, möglichst viele Denktraditionen einzuholen und auf eine Einheit in Christus hin zu synthetisieren. Ziel ist also die Integration aller Wahrheitsmomente in ihrem durch Gott in freier Gnade ansichtig gemachten Konvergenzpunkt Jesus Christus.

Sperare Contra Spem

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