Читать книгу Sperare Contra Spem - Susanne Hegger - Страница 32
2.4.1 Überlegungen zum Verhältnis von Theologie und Mystik
Оглавление„Balthasars Rekurs auf die mystischen Schriften Adrienne von Speyrs berührt ein Problem der theologischen Erkenntnislehre, das wohl noch keine zureichende Klärung gefunden hat.“464 Von Anfang an wurde die Zusammenarbeit beider von kirchlicher, aber auch von theologischer Seite als äußerst irritierend empfunden und mit Ratlosigkeit beobachtet, wenn nicht gar misstrauisch beargwöhnt. Der bis heute immer wieder erhobene Vorwurf lautet im Kern, Balthasar habe „zentrale Lehrstücke wie die Trinitätslehre und die Soteriologie auf der Basis von Privatoffenbarungen aufgebaut“465 und damit einer „neuen Erkenntnisquelle gegenüber den konstituierenden Erkenntnisquellen der klassischen Theologie den Vorrang“466 eingeräumt. Dabei sei festzustellen, dass in wesentlichen Fragen „die vorgeblichen Offenbarungen die Lehre der Kirche in ihr Gegenteil verkehren“467, weshalb „am Ende doch in zentralen Punkten seiner (= Balthasars; S. H.) Theologie, besonders jedoch in seiner Eschatologie, ein seltsames Missverhältnis zur Doktrin der katholischen Lehre besteht.“468 Vor allem traditionalistisch orientierte Autoren versuchen Balthasar dergestalt sein erkenntnistheortisches Fundament abzugraben und so einen ihrer Meinung nach „längst überfälligen Paradigmenwechsel in der Balthasarrezeption endlich ernsthaft anzugehen.“469 Balthasar gewogenere Theologen neigen dagegen vielfach dazu, in dem bereits zitierten Sinne470 eine künstliche Trennung zwischen den Werken Speyrs und Balthasars zu vollziehen, um sich dann scheinbar nur noch mit Balthasars eigener Theologie auseinander zu setzen.
Nun soll keineswegs geleugnet werden, dass Balthasar „mit der Aufnahme der Visionen von Adrienne als Quelle der Theologie … einen sehr problematischen Weg betreten“471 hat, wohl aber sei vor allzu starken Simplifizierungen in der Ablehnung der balthasarschen Theologie wie auch in Versuchen ihrer „Rettung“ gewarnt. Zunächst einmal gilt es, wie ich meine, klarzustellen, dass es sich bei Privatoffenbarungen nicht etwa um obskure Phänomene handelt, die im weitesten Sinne im Bereich des Psychologischen oder gar Pathologischen zu verorten wären. Die grundsätzliche Möglichkeit besonderer Offenbarungen ist vielmehr fester Bestandteil der christlichen Lehre. Eine grundsätzliche Absage an alles Mystische käme einer Leugnung der geschichtlichen Wirkmächtigkeit Gottes und damit des Charakters des Christentums als einer übernatürlichen geschichtlichen Offenbarungsreligion472 gleich. „Nach dem Zeugnis der Schrift ist jedenfalls soviel klar: Das Prophetische und Visionäre [im weitesten Sinn] ist aus der Geschichte des Christentums nicht wegzudenken.“473
Gleichwohl sind Privatoffenbarungen aber deutlich von der revelatio publica zu unterscheiden. „P. sind im Gegensatz zur allgemeinen, heilsnotwendigen und alle verpflichtenden … Offenbarung, die mit Christus und der Verkündigung der Apostel abgeschlossen ist …, an Einzelne ergehende übernatürliche göttliche Kundgebungen … und Mitteilungen verborgener Wahrheiten und Inhalte“474. Als solche sind sie weder Bestandteil des depositum fidei, noch sind sie als dessen Ergänzung oder Ausweitung zu begreifen.475 Daher besteht auch im Bezug auf eine kirchlich appobierte Privatoffenbarung keine Glaubenspflicht; sie ist nicht selber Glaubensgegenstand, sondern „eine Hilfe zum Glauben, und sie erweist sich als glaubwürdig gerade dadurch, dass sie mich auf die eine, öffentliche Offenbarung verweist.“476
Das heißt nun aber andersherum keineswegs, Privatoffenbarungen wären nur für diejenigen von Bedeutung, denen sie zuteil werden. „Der Begriff ‚privat‘ bedeutet in der Theologie nicht, daß etwas nur den Betroffenen angeht und alle anderen nicht. Es ist vielmehr ein Ausdruck für eine Rangstufe“477. Privatoffenbarungen sind der öffentlichen Offenbarung in dem Sinne untergeordnet, als sie im Dienst des immer tieferen Eindringens in die Fülle der in Jesus Christus erschlossenen Wahrheit stehen. Josef Ratzinger ordnet Privatoffenbarungen daher der theologischen Kategorie der Prophetie zu.478 „Dabei müssen wir bedenken, dass Prophetie im Sinn der Bibel nicht Wahrsagerei bedeutet, sondern Deutung von Gottes Willen für die Gegenwart, die auch den rechten Weg für die Zukunft zeigt.“479 Privatoffenbarungen kommt demnach primär die Rolle der Vergegenwärtigung der göttlichen Selbstaussage zu. Durch mystische Erfahrungen spricht nach diesem Verständnis Gott in eine konkrete zeitliche Situation hinein. Bedeutsam ist nicht die subjektive Erfahrung als solche, sondern ihr objektiver Gehalt in seiner intersubjektiven, kirchlichen Dimension.
Folgt man diesem Verständnis, so ist Theologie in ihrer Aufgabe, die göttliche Offenbarung für die jeweilige Zeit rational zu erschließen, unmittelbar auf die prophetische Mystik verwiesen. Ratzinger jedenfalls ist der Überzeugung, „man könnte bei allen wirklich großen theologischen Gestalten zeigen, daß neue theologische Aufbrüche nur dann ermöglicht werden, wenn zuerst ein prophetischer Durchbruch da ist. Solange man nur rational weiterarbeitet, kommt nichts wesentlich Neues.“480 Als ein Beispiel nennt er ausdrücklich den Einfluss der Einsichten Adrienne von Speyrs auf die Theologie Hans Urs von Balthasars.
Damit sind wir wieder vor die Frage gestellt, ob das balthasarsche Bekenntnis, wonach vieles in seinem Werk „im wesentlichen theologische Transkription des von ihr (= von Speyr; S. H.) unmittelbar Erkannten“481 ist, seine theologischen Einsichten per se in ein fragwürdiges Licht rücken. Dies ist, wie ich mit Blick auf den zumindest grob markierten theologischen Ort von Privatoffenbarungen meine, zu verneinen. Balthasar, wie auch Speyr selbst, begreifen ihre Doppelsendung ganz im Sinne der christlichen Mystik ausdrücklich als Dienst an der göttlichen Offenbarung für die kirchliche Gemeinschaft. Beide wissen sich einer „apriopi einstehenden Bereitschaft … (verpflichtet), deren Inhalt zunächst Indifferenz, sodann Gehorsam und völlige Durchlässigkeit für die christliche Botschaft des Wortes ist“482. Die subjektiven Erfahrungen von Speyrs stehen dabei wie Werkzeuge im Dienst der Durchgabe des objektiven Gehaltes, den von Balthasar als von Gott ganz neu eröffneten Zugang zu seiner Selbstaussage begreift und theologisch auszuwerten versucht.
Das bedeutet nun aber andersherum keineswegs eine Immunität der Theologie Balthasars. Dies zum einen deshalb nicht, weil, wie gesagt, keinerlei Glaubenspflicht mystischen Erfahrungen gegenüber besteht, und zum anderen, weil an jeden theologischen Entwurf ungeachtet seiner Genese dieselben wissenschaftlichen Maßstäbe anzulegen sind. Wie jede andere Theologie so ist auch die Balthasars daraufhin zu untersuchen, ob sie erstens dem Zeugnis der Schrift und zweitens den Regeln der Vernunft gemäß ist. Für die vorliegende Untersuchung heißt das, es gilt zu prüfen, ob seine Annäherungen an die Frage der Hölle und die ihm daraus erwachsende Perspektive einer universalen Hoffnung als theologisch-rational ausgewiesen werden können. Gelingt der Nachweis innerer Stringenz und Schlüssigkeit, so ist damit der Frage nach der ursprünglichen Intuition zu den Gedanken m. E. zumindest der Stachel genommen; die theologischen Aussagen hätten dann auch unabhängig von ihrer Wurzel im mystischen Erleben Bedeutung und Bestand.
Bevor aber endgültig der Einstieg in die inhaltlichen Fragestellungen zur Höllenthematik genommen werden kann, ist es unerlässlich, noch einmal auf die balthasarsche Denkform zurückzukommen, und sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf das im Schlussteil dieser Arbeit zumindest anvisierte interdisziplinäre Gespräch gilt es dabei insbesondere zu fragen, ob sie mit Notwendigkeit zu einer Gestalt führt, von der her der Anspruch eines theologischen Apriori vor jeder anderen Wissenschaft zu formulieren ist, oder ob sie nicht vielmehr Wege eröffnet, die der Theologie ein wesentlich anderes Selbstverständnis nahelegen.