Читать книгу Heile die Wunden deiner Kindheit - Susanne Huhn - Страница 44

Hat Jan wirklich nicht verstanden, dass Dominik ihm nicht bei den Gutachten helfen wollte, sondern emotionale Unterstützung angeboten hat? Vermutlich nicht. Er ist so sehr in seiner Überforderung und deren Rechtfertigung gefangen, dass er nicht erkennt, auf welche Weise er in Not ist. Jan ist in eine Falle geraten: Aufgrund seiner Ausbildung glaubt er zu wissen, was mit ihm los ist, doch in Wahrheit hat er hier einen blinden Fleck. Er ignoriert seine eigene Aggression und sein negatives Männerbild. Würde er sich mit sich selbst beschäftigen, müsste er zugeben, dass er sehr wütend auf seinen Vater ist.

Woher wissen wir das? Er erlaubt seiner Mutter, ihn, den Sohn, an die Position des Ehemannes und Vertrauten zu setzen. Statt die Mutter an den Vater zu verweisen, lässt er zu, dass der Vater aus seiner Rolle gedrängt wird, und er verachtet ihn dafür. Das erkennen wir an dem Gedanken, den er plötzlich über Männer hat. Er erschrickt zwar, als er wahrnimmt, wie negativ sein Männerbild ist, doch er verdrängt dieses Gefühl sofort und kehrt auf die fachliche Ebene zurück.

Jan müsste erkennen, dass seine Mutter ihn ausnutzt. Er müsste erkennen, dass sie bei ihm Trost und Kraft sucht, statt die Beziehung zu ihrer eigenen Mutter und zu ihrem Ehemann zu klären und sich professionelle Hilfe zu holen. Die Schuldgefühle zeigen, das Jan seinerseits in einer Co-Abhängigkeit gefangen ist. Er unterstützt auf seine Kosten das ungesunde Beziehungssystem seiner Mutter, statt sich herauszuhalten. Jan ist bereit, die gut gehende Praxis zu verlassen, die Zusammenarbeit mit seinem Partner zu kündigen, weil er sich missverstanden fühlt, statt sich den Problemen zu stellen, die er tatsächlich hat. Er wirft etwas Gutes weg, um etwas Toxisches zu behalten – das ist Co-Abhängigkeit.

Wissen genügt nicht. Die Wunden der Kindheit heilen nur, indem man bereit wird, sie zu fühlen und sich selbst zu geben, was man braucht.