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Kapitel 3 Placebo-Effekt, Selbstheilungskräfte und die Macht der inneren Bilder

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Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, häufig eine Zuckerpille, von dem PatientInnen aber glauben, es handele sich um ein echtes pharmakologisches Mittel. Studien zeigen, dass durch die Gabe von Placebos unter anderem Blutdruck und Cholesterinwerte sinken, die Magensäure reduziert wird und sich die Aktivität weißer Blutkörperchen verbessert. Mit einer Scheinakupunktur kann man die Häufigkeit von Hitzewallungen halbieren und nach der Einnahme von angeblichen »Fruchtbarkeitsmedikamenten« werden 40 % der wegen Unfruchtbarkeit behandelten Patientinnen schwanger! (Rankin 2014)

Placebo-Effekt nennt man die Tatsache, dass allein die Vorstellung, eine Therapie, ein Medikament oder eine andere Behandlung sei wirksam, auch tatsächlich die Körperchemie verändert. Umgekehrt spricht man bei der negativen Vorstellung, nämlich dass die Behandlung schadet, von einem Nocebo-Effekt, lateinisch: Ich werde schaden.

Im Herbst 2012 wurde ein 26-jähriger junger Mann von seiner Freundin in die Notaufnahme der Universitätsklinik Hamburg eingeliefert. Er zitterte am ganzen Leib, schwitzte stark, und sein Blutdruck war auf 80/40 abgesackt. Die Freundin berichtete, dass er mithilfe von 29 Anti-­Depressiva-Tabletten versucht habe, seinem Leben ein Ende zu setzen. Bei näherer Nachforschung stellte sich heraus, dass der junge Mann an einer Medikamenten-Studie teilnahm, bei der Anti-Depressiva erforscht wurden. Er befand sich jedoch ohne zu wissen in der Kontrollgruppe, also in der Gruppe von Patienten, die lediglich Placebos bekamen. Mit anderen Worten: Der Patient hatte versucht, sich mithilfe von Zuckerpillen das Leben zu nehmen–und zeigte tatsächlich alle Erscheinungen einer Medikamentenvergiftung (Ärztezeitung, 19. 10. 2012)!

In einer Studie wurde PatientInnen Zuckerwasser verabreicht mit dem Hinweis, es handele sich um ein Brechmittel. 80 Prozent übergaben sich dennoch! Bernie Siegel zitiert in Prognose Hoffnung eine weitere Studie, bei der man KrebspatientInnen statt einer Chemotherapie eine Kochsalzlösung verabreichte. 30 Prozent der Versuchsteilnehmenden fielen daraufhin die Haare aus! (Rankin 2014)

Interessanterweise existiert der Placebo-Effekt sogar in der Chirurgie. Der Orthopäde Bruce Moseley teilte 180 PatientInnen mit Arthrose im Knie in drei Gruppen ein. Eine Gruppe erhielt nur einen oberflächlichen Einschnitt, bei der zweiten Gruppe wurde ins Gelenk eingedrungen und es wurde ausgewaschen, die dritte Gruppe erhielt die volle Operation inklusive Knorpelentfernung. Die PatientInnen und die nachuntersuchenden ÄrztInnen wussten nicht, welcher Gruppe sie jeweils zugehörten. Nach zwei Jahren stellte sich heraus, dass sich die PatientInnen in allen drei Gruppen im gleichen Maße besser fühlten. Das zeigt, dass allein die Vorstellung, operiert worden zu sein, bereits dazu führt, dass man sich besser fühlt und dass sie offenbar genauso wirksam ist wie die komplette Arthrose-Operation selbst (Moseley 2002).

Lissa Rankin zitiert den interessanten Fall einer Psychiatriepatientin mit multipler Persönlichkeit. Der eine Teil der Patientin war keine Diabetikerin und hatte ganz normale Blutzuckerwerte. Wenn sie aber in den anderen Teil ihrer Persönlichkeit schlüpfte, glaubte sie, Diabetikerin zu sein, und ihre Blutzuckerwerte schossen derartig in die Höhe, dass sie nach medizinischen Kriterien tatsächlich Diabetikerin war. Die Werte normalisierten sich wieder, wenn sie in den anderen Teil ihrer Persönlichkeit zurückkehrte (Rankin 2014).

Wie kann das sein? Wieso bekommt jemand Diabetes, nur weil sie glaubt, Diabetikerin zu sein? Wieso fallen Menschen nach der Einnahme einer Kochsalzlösung die Haare aus? Und wieso wirken Zuckerpillen gegen Schmerzen fast so gut wie Morphium?

Der Nocebo-Effekt wird von WissenschaftlerInnen damit begründet, dass eine Negativbotschaft Stressalarm, eine Erhöhung des Cortisolspiegels und damit eine Angst- und Fluchtreaktion auslöst. Umgedreht führt der Glaube an die Wirksamkeit eines Medikaments oder einer Therapie zu einer vermehrten Ausschüttung von Endorphinen und Dopaminen, die wiederum aufsteigende Schmerzreize hemmen. Indem wir uns entspannen, die Angst loslassen und die Besserung unserer Symptome antizipieren, nehmen wir ganz direkt Einfluss auf die Vorgänge in unserem Körper. Neben der Erwartungshaltung spielt aber auch ein Konditionierungseffekt eine Rolle. Wenn – laut Studien – eine Person regelmäßig ein Medikament einnimmt, von dem sie weiß, dass es wirksam ist, und das dann aber bei jeder zweiten oder dritten Dosis durch ein Placebo ersetzt wird, lässt die Wirkung des Medikaments keineswegs nach (Walach 2017).

Harald Walach kommt in seinem Buch Weg mit den Pillen nach der Auswertung vieler Studienergebnisse zu dem Ergebnis, der Placebo-Effekt sei der eigentliche Riese, auf dem der Zwerg der pharmakologischen oder chirurgischen Behandlung reite und nicht umgekehrt. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen es nicht so ist, in denen die materielle Ebene der Behandlung Vorrang hat vor der des Glaubens und der Vorstellungskraft, wenn zum Beispiel einem Patienten, der im Koma liegt, blutdrucksenkende Mittel gegeben werden und diese wirksam sind. Dennoch illustriert das Bild des Riesen sehr gut, wie sehr wir bisher den Placebo-Effekt, also die Kraft unserer Vorstellung, unterschätzt haben. Walach schlägt vor, diesen Effekt, der mit der Kraft von Zuversicht, Hoffnung, Entspannung und Angstreduktion einhergeht, zukünftig als den Effekt der Selbstheilungskräfte zu bezeichnen. Dadurch wird die in jedem von uns existierende Heilkraft nicht zu einem unerwünschten Nebeneffekt medizinischer Forschung abgewertet, sondern als etwas für den Gesundungsprozess Wesentliches herausgestellt.

Das Wort »Medikament« stammt aus dem Lateinischen medica mente, was so viel bedeutet wie: »Heile durch den Geist«. Mit der Vorstellung, dass ein bestimmtes Medikament, eine Operation oder andere Therapie wirksam sei, entwickeln wir ein inneres Bild von Heilung. Wir fühlen uns entspannter und hoffnungsvoller als zuvor. Alle dies hat tatsächlich messbaren Einfluss auf unseren Körper. Deshalb ist es so wichtig, dass wir herausfinden, an welche Behandlung wir wirklich glauben, und diese dann auch durchführen. Nur wenn uns eine Therapie auch innerlich überzeugt, kann sie ihre volle Wirkung entfalten.

Schon Paracelsus hielt vor 500 Jahren die Imagination für die eigentliche Kraft im Heilungsprozess. Er führte aus, wir besäßen als Menschen eine sichtbare Werkstatt, unseren Körper, und eine unsichtbare, die Vorstellungskraft. Diese sei die Sonne in der Seele des Menschen. Er fügte weiter hinzu, dass der Arzt oder die Ärztin in uns selbst vorhanden sei! (Faulstich 2010)

Der Hirnforscher Gerald Hüther spricht ebenfalls von der Macht der inneren Bildern, die unsere Wahrnehmung von der Welt bestimmen und ordnen. Es sind diese im Gehirn gespeicherten Muster, die wir benutzen, um uns in der Welt zu orientieren. Offenbar entscheiden diese Bilder auch darüber, wie und wofür wir unser Gehirn benutzen. Joachim Faulstich stellt in seinem Buch Das Geheimnis der Heilung die These auf, dass unsere inneren Bilder die eigentlichen Steuerinstanzen sind, die Intelligenz, die das psychosomatische Netzwerk aus der Tiefe im Gleichgewicht hält (Faulstich 2010).

Bei einer ganzheitlichen Krankheitsbehandlung geht es dementsprechend nicht nur um die Bekämpfung von Symptomen, sondern um eine grundsätzliche Neuorientierung: eine Veränderung unheilsamer, häufig unbewusster Vorstellungen und Überzeugungen in Richtung heilender und wohltuender innerer Bilder.

Mithilfe der achtsamen Körperdialoge wird es uns möglich, unsere verborgenen, krankmachenden Bilder aufzuspüren. Einmal ins Licht des Bewusstseins geführt und körperlich gefühlt, findet unser Organismus dann häufig von selbst neue, heilende Bilder, die wiederum zu einer Neuorganisation des psychosomatischen Netzwerks führen. Am Ende eines Körperdialoges fühlen wir uns deshalb in aller Regel entspannter, wohliger und mehr in Einklang mit uns selbst. Wir haben neue Bilder und Einsichten gefunden, die uns stärken, heilen oder zumindest die Kraft geben, mit der Symptomatik oder der Erkrankung besser umzugehen.

WissenschaftlerInnen haben die seltenen Spontan-Heilungen von KrebspatientInnen untersucht, das sind Fälle, in denen Menschen entgegen aller Erwartung und ohne jede Behandlung wieder gesund wurden. Eine Gemeinsamkeit war, dass alle PatientInnen ihren ganz individuellen Weg gingen (Faulstich 2010). Wenn wir dies auf unseren Genesungsprozess übertragen, macht es zutiefst Sinn, dass wir unsere ganz persönlichen Bilder kennenlernen und neue, maßgeschneiderte Bilder für das finden, was Heilung für uns bedeutet. Sie werden in den Beispielen dieses Buches etliche solcher individuellen Heilungsbilder finden.

Im Dialog mit dem Körper

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