Читать книгу NUR DIE LIEGE ZÄHLT - Susanne Kristek - Страница 12

Der Häuptling der Indianer

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»Das Licht am Klo kann auch der Betriebsrat nicht beeinflussen.«

Der Gatte liegt auf seiner Liege und spricht mit geschlossenen Augen. Schläft er? Träumt er? Wenn ja, was ist das für ein seltsamer Traum? Sicher, das hat ihm schon zugesetzt in den letzten Wochen, zuerst die Kündigungswelle, dann der Firmenverkauf. Die Unsicherheit, die Angst, die vielen betroffenen Mitarbeiter. Wie wird es weitergehen?

Ich mache mir langsam Sorgen. Vielleicht träumt er gerade, dass er als Betriebsrat der Letzte sein wird, der die Firma verlässt. Letzte Kuh macht Türe zu! Oder wie heißt der Spruch? Der Letzte dreht das Licht ab. Ich mache mir wirklich Sorgen. Dabei hätte er diesen Urlaub dringend notwendig, um abzuschalten und nicht an dieses ganze Drama zu denken. Jetzt liegt er hier und träumt, dass er das Licht abdreht … am Klo.

»Du, da kann ich wirklich nichts mehr machen«, sagt er jetzt. Der Arme, diese Machtlosigkeit. Wenn du nichts mehr tun kannst für die Kollegen. Das macht ihm zu schaffen. Ich schleiche mich langsam von hinten an, will ihn nicht aufwecken.

»Das ist eine Zeitschaltuhr«, redet er weiter im Schlaf. Jössas, Zeitschaltuhr! Da brauche ich nicht mal mein Traumdeutungsbuch befragen, das kann ich auch so deuten. Er spürt eine Bombe ticken, der Druck, die Existenzangst, das ist alles zu viel. Mir tut das so leid. Ich werde ihn gleich aufwecken, hole aber vorher noch schnell ein Getränk von der Beach Bar, das wird ihn beruhigen. Der All-inclusive-Cocktail-des-Tages nennt sich »Royal Explosion«. Das klingt gut. Er hört die Bombe ticken, und ich nähere mich mit der Royal Explosion.

Als ich mich über ihn beuge, um das Cocktailglas auf dem kleinen Tischchen abzustellen, werfe ich einen Schatten auf sein Gesicht. Er reißt die Augen auf.

»Sorry, ich wollte dich nicht aufwecken. Du hast im Schlaf geredet.«

»Nein, ich habe gar nicht geschlafen. Ich habe mit einem Kollegen aus der Lohnverrechnung telefoniert.«

»Oje, gibt es Probleme wegen der Gehaltsabrechnung?«, frage ich besorgt und bin froh, dass ich den All-inclusive-Cocktail genommen habe und keinen von der Karte, den man extra hätte bezahlen müssen. Jetzt gilt es den Gürtel enger zu schnallen! Jetzt müssen alle ran!

»Nein, nein, er wollte nur wissen, ob ich als Betriebsrat etwas machen kann, damit das Licht am Klo länger eingeschaltet bleibt.«

»Wie bitte?«

»Die Zeitschaltuhr, die geht irgendwann aus, und er möchte, dass man die Intervalle verlängert.«

Diese Forderung kann ich gut nachvollziehen. Manchmal finden dringende geschäftliche Sitzungen eben länger als ursprünglich anberaumt statt, wer kennt das nicht? Und wenn dann mittendrin das Licht ausgeht, hast du zwei Möglichkeiten. Bis zum Ende der Tagesordnung (»Allfälliges«) in völliger Dunkelheit weiter vorgehen. Oder aber mit heruntergelassener Hose in den vorgelagerten Waschraum hoppeln, um dort nach ein bis zwei Hampelmännern zu hoffen, dass der Bewegungsmelder vom Licht schneller anschlägt als eventuell ein Kollege den Waschraum betreten könnte.

So ein Büroklo ist ein Pulverfass an potenziellen Peinlichkeiten. Nie werde ich vergessen, wie mein erster Chef in einem großen Unternehmen mit vielen Mitarbeitern den langen Gang vom Klo in sein Büro zurückmarschierte. Ich stand gerade beim Kopierer, und als er bei mir vorbeikam, sah ich, dass ungefähr ein halber Meter Klopapier hinten aus seiner Hose hing! Was tut man da? Hinlaufen wie beim Flag-Football und dran ziehen? Nichts sagen? Ein anonymes Mail schreiben (»Sie haben da was aus der Hose hängen!«), seiner Sekretärin einen Hinweis geben? Das ist übel, für alle Beteiligten.

»Aber da kann der Betriebsrat leider wirklich nichts machen«, fährt der Gatte fort. »Da muss er sich an die Facility wenden.«

Facility, mein Lieblingswort seit der Erfindung englischsprachiger Berufsbezeichnungen. Was war denn schlecht am Wort »Hausmeister«?

»Und das ist so dringend, dass er dich deswegen im Urlaub anruft?«

»Es hat ihm eh leidgetan. Ich glaube, er hat auch nur einen Grund gesucht, um mit mir zu reden, er hat dann auch noch gefragt, ob ich schon Näheres wegen der Kündigungen weiß.«

»Und weißt du?«

»Nein. Keiner weiß mehr. Wir müssen alle abwarten. Ich kann den Leuten aktuell leider auch nicht mehr helfen«, sagt er und schaut traurig aufs Meer.

»Prost«, sag ich und halte ihm die Royal Explosion hin, weil mir kein besserer Trost einfällt.

»Prost«, antwortet er, »aber eines habe ich ihm sagen können.«

»Was denn?«

»Dass wir nicht kampflos aufgeben werden. Weil aufgegeben wird nur ein Brief!«

Und wer sollte das besser wissen als er! Ein ehemaliger Postler, der vor 30 Jahren seine Berufung als Betriebsrat bei der Post gefunden hat. Oder besser gesagt, die Berufung hat ihn gefunden. Oder noch besserer gesagt, der Kollege Studeny hat ihn gefunden.

»Wüst du net Jugendvertrauensobmann werden?«, hat ihn der Studeny vom Postamt 1080 Wien gefragt, als der Gatte dort Lehrling war. Das macht einen natürlich schon sehr stolz. Ganz gerade hat er sich hingesetzt in seinem Postamtsdienstsessel und gefragt: »Wirklich? Warum genau ich?« Erwartet und erhofft hätte er sich ein paar Lobesreden auf seine Person. Irgendwas mit »Vertrauen«, »Verantwortungsgefühl«, »Stolz« oder »Teamplayer«.

»I wü mi endlich nimma um die Theaterkoartn kümmern miassn«, hat huldvoll der Studeny geantwortet, und kurz danach war der Gatte Jugendvertrauensobmann, sowohl vom Postamt 1080 als auch von den angrenzenden Postämtern 1070 und 1090.

So fing das alles an mit der Betriebsratslaufbahn. Inzwischen greift das auch immer mehr in unser Familienleben über.

Wir sind regelmäßig dazu angehalten, sämtliche Maßnahmen zu boykottieren, die Arbeitsplätze gefährden könnten. Der Schutz von Arbeitskräften und Arbeitsplätzen ist die oberste Maxime. Also tanken wir nicht auf Automatentankstellen. Wir checken niemals beim Self-Check-in ein. Wir benützen auch keine Selbstbedienungskassen im Supermarkt. Da steht man dann schon ab und an einsam und verloren an der Kassa, mit einer einzigen traurigen Wurstsemmel in der Hand und wartet, bis jemand kommt, um das Geld höchstpersönlich und arbeitsplatzschützend entgegenzunehmen.

Wir warten im Theater, bis wir platziert werden, und natürlich verwenden wir auch keine Post-Self-Service-Boxen. Die schon gar nicht! Bei so viel Automatisierungsverweigerung mag ich mir gar nicht vorstellen, wie der Postamtsjugendvertrauensobmann damals die Einführung der elektronischen Mail aufgenommen hat. E-Mail statt Briefe! Der Untergang der Postamtskultur! Konnte damals ja noch keiner ahnen, dass sich das nur verlagert. Dass man als Postbeamter zukünftig statt parfümierter Liebesbriefe Waschmaschinen aus dem Online-Versandhandel ausführen wird. Das wäre was für den Gatten-Papa gewesen, er hätte die Waschmaschinen nicht nur zugestellt, sondern sie auch noch angesteckt.

Der Gatten-Papa war auch Postbeamter. Hochbeliebt im ganzen Zustellbezirk, und besonders unter den Kollegen. Weil er wunderbar singen konnte, und mit seinen legendären Gus-Backus-Darbietungen (»Brauner Bär und weiße Taube«) jeden Betriebsausflug zu einem musikalischen Highlight machte. Betriebsausflüge kommen ja auch irgendwie aus der Mode. Heute macht man lieber Teambuilding-Activities, wo man ein Floß bauen muss. Gemeinsam mit Kollegen, die man vielleicht gar nicht so leiden kann. Vorher nicht. Nachher auch nicht. Oder sich gemeinsam vom Hochseilklettergarten abseilen, weil nur so kann man die »Experience« erleben und seine persönlichen Grenzen und auch die des Teams kennenlernen. Oder einen Barfußlauf machen, um fünf Uhr früh im Schnee (!) durch den Wald (!) mit verbundenen Augen (!) und im Team aneinandergebunden. Weil nur so lernt man, sich blind aufeinander zu verlassen. Die Möglichkeiten, sich mit seinem Team zu »builden«, werden immer ausgefuchster und kreativer. Es gibt Lach-Yoga im Team oder den Beziehungskonto-Tag. Dort wird dein persönliches Beziehungskonto analysiert, in das die Kollegen einzahlen. Wer warum und wie viel einzahlt. Man ist natürlich angehalten, sich auf die positiven Einzahlungen zu konzentrieren. Da darf man dann aus sich rausgehen und sagen: »Du bist bei mir im Beziehungsplus, liebe Kollegin XY, weil du mich immer beim Kopierer vorlässt.«

Aber auch die Wünsche der Kollegen in puncto Teambuilding werden immer anspruchsvoller. Letztens erzählte mir der Gatte, dass ein Mitarbeiter mit dem Wunsch an den Betriebsrat herangetreten sei, gewisse Unstimmigkeiten in seinem Team mit einer Aktivität aus dem Weg zu räumen. Der Vorschlag des Kollegen: Panzer fahren in der Slowakei! Man hat sich dann auf einen Baggerpark in Wien-Simmering geeinigt. Dort können erwachsene Menschen einen Tag lang baggern. Gebaggert hat man damals am Postamt auch, nur dass dieses Teambuilding-Event noch schlicht und einfach Betriebsausflug geheißen hat. Gerne auch mit Motto: Spanferkelessen in der Steiermark oder Pusta-Kutschenfahrt ins Burgenland mit anschließendem Ritteressen. Das Highlight beim Ritteressen war, dass man das fettige Fleisch mit den Fingern angreifen, Alkohol aus großen Krügen trinken und nachher laut rülpsen durfte. Ja, sogar musste, wenn man ein echter Ritter sein wollte! So nah kommt man sich menschlich nie wieder, als wenn man mit Kollegen gemeinsam rülpst.


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