Читать книгу NUR DIE LIEGE ZÄHLT - Susanne Kristek - Страница 9

Wir holen uns die Wiener zurück

Оглавление

Nachricht von daheim. Meine frisch geschiedene Freundin Lisa schickt eine Nachricht mit einem Selfie neben einer Ortstafel. Poppendorf steht da drauf.


Au weia, wenn jetzt die Wiener das Südburgenland gentrifizieren, Fincas errichten und Ausschau nach Pusta-Boys halten, sehe ich schwarz für die völkerverbindende Freundschaft zwischen den Bundesländern. Pusta-Boys! Wem bitte fällt so was ein. Die wird gleich wieder ausgewiesen werden aus Poppendorf und das schöne Burgenland nie wieder weiter als bis zum Designer-Outlet-Center Parndorf betreten dürfen! Integration beginnt im Urlaub. Darum heißt es auch nicht mehr Fremdenverkehr, sondern »Urlaub bei Freunden«!

Wobei ich da eh noch ein Urlauberintegrationstrauma habe. Als ich einst Kind war, waren wir an einem warmen Sonntag im Frühling beim Kirchenwirt essen. Es muss irgendein akuter Feiertag gewesen sein, denn man ging damals nicht einfach so ins Gasthaus essen. Ich tippe auf Muttertag, denn es war schon warm. Ich durfte zum ersten Mal meine neuen, schneeweißen Sandalen ausführen, und überall in den Gasthäusern wurden die Mütter ausgeführt. Normalerweise waren in diesen Gasthäusern neben den Kirchen eher Sommerfrischler und Urlaubsgäste anzutreffen. Aber an besonderen Hochamtsfeiertagen übernahmen wir Einheimischen wieder den Vorsitz. Und saßen in sicherer Distanz nebeneinander. Kulinarisch waren beide Seiten voll integrationswillig, die Wiener aßen gern Bauernschmaus, wir vom Land hingegen gern Wiener Schnitzel. Mit einer Scheibe Zitrone, oder wenn das Gasthaus etwas Besseres war, sogar mit Preiselbeeren. Neugierig blickte jeder über seinen Tellerrand hinaus und zu den Fremden hinüber. Manchmal wurden unter uns Kindern auch zarte Bande der Freundschaft geknüpft. Obgleich die sprachliche Hürde eine nicht zu unterschätzende Barriere bildete, auch wenn die große Hauptstadt Wien, wo die meisten Sommerfrischler her waren, eigentlich nur 120 Kilometer entfernt war. Ohne Autobahn bedeutete das damals noch drei Stunden Fahrt über kurvige Bergstraßen.

Am Nebentisch an diesem warmen Frühlingssonntag saß ein Sommerfrischler-Ehepaar. Die Sommerfrische dürfte aber das einzig Frische in ihrer Ehe gewesen sein, denn sie hat ihn von der Suppe (Leberknödel) bis zur Nachspeise (Birne Helene) angekeift. Vorwiegend ging es um das Schuhwerk. Und dass man für die Sommerfrische die guten Schuhe nicht hätte beanspruchen müssen. »Man trägt hier Gummistiefel!«, sprach sie. Ich schaute auf meine Füße hinunter, die den Wirtshausboden noch nicht erreichten, auf meine wunderschönen weißen Sandalen, und verstand die Welt nicht mehr.

Später war ich selbst auch nicht besser. Das ferne Wien kannte ich nur aus der beliebten TV-Serie »Ein echter Wiener geht nicht unter«. Das war für mich das echte Wien. Ich wusste nichts von Hietzing oder dem Burgtheater. Als ich zum ersten Mal nach Wien kam, erwartete ich, dass hier alle Familien ihre Badewannen in der Küche hätten und man sich abends rund um den Esstisch versammelte, um viel Bier zu trinken und sehr laut miteinander zu sprechen. Vielleicht braucht der Mensch solche Klischees zur ersten groben Orientierung. Alle Kärntner singen. Alle Schwaben sind sparsam. Alle Tiroler tragen Lederhosen. Alle Wiener sind grantig. Die Berliner noch mehr. Darum mag ich die auch so.

Die Wiener kamen sehr gern zu uns auf Urlaub. Mir gefiel das auch gut, weil es etwas Exotisches in meinen Alltag brachte. Schließlich gab es zu der Zeit noch kein Internet, sondern zwei Fernsehkanäle und Vierteltelefone. Manchmal fuhr ich heimlich mit meinem roten Rennrad zu den touristischen Hotspots unserer Gegend und hielt nach den Fremden Ausschau. Beim Natur- und Waldlehrpfad oder im Freibad. Je älter ich wurde, desto genauer schaute ich, bis irgendwann einer zurückschaute. Mein erster Freund. Ein Wiener!

Auf einmal gab es brasilianische Telenovelas im Fernsehen (»Die Sklavin Isaura«), und ich hatte einen Wiener Freund! Das war der Beginn meiner persönlichen Globalisierung. Vor lauter Freude wollte ich mit meinem Integrationswillen bei ihm Eindruck schinden. Nach unserem ersten romantischen Abend sagte ich zu ihm: »Baba, i drah mi jetzt ham.« Das kannte ich von einem Wolfgang-Ambros-Lied vom Sender ORF Burgenland, der bei uns immer lief, weil wir so nah an der steirisch-burgenländischen Grenze wohnten. Was ich damals nicht wusste, war, dass »I drah mi ham« bedeutet, dass man schwer suizidgefährdet ist und ein letaler Ausgang des Abends im Raum stehen könnte.

Später hörte sich das mit der Sommerfrische leider auf. Die Wiener sind weitergefahren nach Italien oder Jugoslawien. Oder gleich nach Griechenland geflogen. Da war auf einmal alles möglich. Aber wir Steirer und Burgenländer steckten nicht traurig die Köpfe in den Sand, sondern Bohrmaschinen in die Erde. Und siehe da, wir fanden Thermalquellen! So holten wir die Wiener wieder zurück und bauten ihnen gleich noch eine Autobahn dazu, damit das mit der Anreise schneller geht.


NUR DIE LIEGE ZÄHLT

Подняться наверх