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Warst du im Tunnel auf Urlaub?

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Ich kann etwas, was nur wenige können. Während die meisten Menschen mit jedem Tag Strandurlaub dunkler werden, werde ich täglich heller! Bereits an Tag zwei habe ich den Break-even mit den restlichen Strandliegern erreicht. Das heißt, die sind dann so braun wie ich. Nur dass es bei ihnen anschließend rapide weitergeht in Richtung Urlaubsbräune und bei mir rapide zurückgeht in Richtung keltische Kellerprinzessin. Darum mache ich auch alle Urlaubsselfies ausschließlich in den ersten zwei Tagen.

Als Jugendliche war das ein Drama für mich. Rundherum haben sich alle mit Tiroler Nussöl eingeschmiert oder gleich mit Olivenöl, um möglichst schnell möglichst braun zu werden. Braun wie Thomas Anders von Modern Talking, das war das Ziel! Ich war Dieter. Damals ist man noch stundenlang in der Sonne gelegen, warst du nicht braun, warst du nicht auf Urlaub! Ich kenne alle, und damit meine ich, wirklich alle Sprüche, die es in Zusammenhang mit strahlend weißer Haut geben kann. Warst du im Urlaub in einem Tunnel? War es schön im Keller? Hautkrebs war noch kein Thema, zumindest hat es sich nicht herumgesprochen. Wir hatten gerade erst Tschernobyl überstanden, der Feind hieß jetzt saurer Regen und nicht warme Sonne. Ein Schattenplatz im Schwimmbad war wertlos.

Letztes Jahr riet mir ein Hautarzt bei der Routinekontrolle, mit meinem Hauttyp Sonneneinstrahlung nicht südlicher als Helsinki zu genießen. Als ich nachher heimkam, hab ich gegoogelt, wohin mich zukünftige Reisen führen könnten. Viel bleibt da nicht mehr übrig, sag ich nur. Je nachdem wie touristisch erschlossen die Ostsibirische See ist, wäre das eine Option. Grönland oder Alaska. Wien sei eigentlich für meinen Hauttyp schon nicht mehr zu empfehlen, meinte der Arzt damals. Nichtsdestotrotz unterliege ich immer wieder den Verlockungen südlicher Urlaubsländer. Maturareise nach Griechenland. Ich war dabei! Was für ein Highlight. Ein Sonnenbrand war damals noch ein Statussymbol.

Wenn du am ersten Tag keinen ordentlichen Sonnenbrand oder Knutschfleck aufgerissen hattest, warst du nicht dabei. Ich werde in der Regel bis zum allerletzten Urlaubstag für einen Neuankömmling gehalten. Das hat aber auch tolle Vorteile, zumindest was die Ausgabe der Willkommenscocktails betrifft.

Vor ein paar Jahren wendete sich allerdings das Blatt. Beim Durchblättern einer Frauenzeitschrift entdeckte ich einen Artikel über Airbrush-Tanning, das mittlerweile raus ist aus der Ecke der Bodybuildershows. Das jetzt breitenwirksam ist. Und das Wichtigste für mich: Das es jetzt auch in Wien gibt! Schon zwei Stunden später stand ich nackt in einer gekachelten Kabine und ließ mich von einer jungen, sympathischen Mitarbeiterin mit brauner Farbe anspritzen. Hossa! Fiesta Mexicana! Ich wurde zur dunklen Senorita! Diese künstliche Bräune hält ungefähr eine Woche an, wenn man selten ins Chlor- oder Salzwasser geht, sogar länger.

Genau so eine Senorita-Verwandlung wollte ich noch schnell vor dem thailändischen Reiseantritt machen. Also bin ich am 24. Dezember gleich in der Früh ins Soli. Das ursprüngliche Tanning-Studio, das ich damals aus der Zeitschrift hatte, gab es leider nicht sehr lange. Dafür sind einige andere Solarien hellwach geworden und auf den Zug aufgesprungen. Zack, prack wurden manche Kabinen ausgetauscht. Proletentoaster, wie wir in Wien zärtlich sagen, raus, Sprühanlage rein. Und in so einer umgebauten Soli-Sprühanlage stand ich dann heimlich am Weihnachtstag. Der Gatte dachte, ich wäre noch schnell was für die Bescherung besorgen. So weit daneben lag er eh nicht. Stichwort: Bescherung!

Soli samt Mitarbeiterin waren zwar sehr weihnachtlich dekoriert, aber leider nur sehr mäßig motiviert. Ob ich eh wüsste, wie das so geht? Dieser eine Satz war dann auch schon die Einschulung für das Airbrush-Tanning. Ich war von den kleinen grünen Miniatur-Tannenbäumen auf den Fingernägeln der Soli-Mitarbeiterin so abgelenkt, dass ich die Antwort an der richtigen Stelle verabsäumte. Das letzte Mal war ich vor zwei Jahren in so einem Studio, was kann sich da groß geändert haben? Und ja, das Peeling habe ich natürlich vorher daheim gemacht. Das war natürlich eine Lüge, denn das Peeling halte ich für einen Verkaufsschmäh, um ihre Peelingprodukte zu verkaufen. Ich arbeite im Marketing! Ich kenne die Tricks! Aber ich hatte vorher geduscht und mich rasiert. Die Klinge war schon so stumpf, das geht bestimmt als Peeling durch.

Und so kam es, dass im ganzen Land Christbäume geschmückt und Weihnachtskarpfen mariniert wurden, während ich in würdevoller Haltung mit leicht gespreizten Beinen nackt in einer umgebauten Solariumkabine stand und wartete. Das heißt, ganz nackt war ich nicht, denn ich hatte Klebesohlen an den Füßen. Klebesohlen sind eine tolle Erfindung! Das sind Einwegfußsohlen, die man sich auf die Fußsohlen klebt, wenn man barfuß gehen will oder muss, so wie in meinem Fall, damit nicht die ganze Sprühfarbe auf den Fußsohlen pickt und man dann kohl-rabenschwarze Füße hat. Das kommt auch nicht gut am Strand. Wozu man sonst Einwegfußsohlen benötigen könnte? Keine Ahnung. Irgendwann war mir auch schon fad mit meinen Einwegfußsohlen, aber leider war immer noch keine Mitarbeiterin in Sicht. Jetzt ist das eine blöde Situation. Soll man rausgehen und schauen, wo sie bleibt? Wenn man nackt ist? Rufen fände ich unhöflich. Nein, stillhalten und abwarten. Die Zeit nützen, im Kopf nochmal die Gepäckliste durchgehen. Überlegen, ein Packerl Einwegfußsohlen zu klauen, falls es im Flugzeug keine Schlafbrillen gibt. Irgendwie war es außerhalb meiner Kabine verdächtig ruhig. Ist die heimgegangen und hat mich nackt im Soli eingesperrt? Vergessen?

Dann endlich hörte ich die erlösende Stimme. Offenbar musste sie noch ein dringendes Telefonat beenden. »Nein, Jäcki. Heute muss i hackeln und kann nicht chillen kommen. Nach der Hacke muss ich zu meinen Oiden, die machen voll den Terror wegen den scheiß Weihnachtsfest, Oida!«

DEM! Es heißt dem scheiß Weihnachtsfest, dachte ich mir. Die soziale Talfahrt beginnt immer mit der unsachgemäßen Verwendung des dritten und vierten Falls. Wem oder was. Die Kontrollfrage für den Dativ lautet: »Wem oder was?« Aber ich stand nackt und mit erhobenen Händen in der Box, nicht gerade die beste Position für schlaue Belehrungen.

»Okay, ich muss Schluss machen«, sagte sie dann, »hör’ ma sich später.« Auch das kein ganz korrekter Gebrauch eines Reflexivpronomens, doch auch diese kleine Spitzfindigkeit verkniff ich mir.

Dann ging es los. Sie kam zu mir in die Kabine rein und schraubte an einen Schlauch mit einer Sprühdose dran einen von drei Kanistern, die in der Kabine bereitstanden. Sie bat mich, die Arme seitlich vom Körper wegzustrecken, und fuhr mehrfach mit der Sprühdüse rauf und runter. Als sie fertig war und ich mehrfach gewendet wie ein Schnitzel beim Panieren, kam der obligatorische Standventilator zum Einsatz. Da heißt es dann: ruhig stehen bleiben und trocknen. Beim Trocknen fiel mir die Farbe zum ersten Mal als seltsam auf. So hatte das bisher noch nie ausgesehen. Aber das künstliche Licht war auch schlecht und ich vertagte die Inspektion auf daheim. Bei besserem Licht. Daheim dann riss der Gatte zuerst die Tür und dann die Augen weit auf. Ob ich durch den Rauchfang gerutscht sei? Oder zu nah hinter einem LKW spaziert? Das alles klang für mich nicht unmittelbar beruhigend und ich suchte sofort das Badezimmer auf. Und tatsächlich! Eine metallisch blau-schwarze Schicht überzog meinen gesamten Körper. Besonders stark metallisch schimmerte es im Gesicht, auf dem Kinn und an der Oberlippe! Ich hatte einen Sprühbart!

Schon ahnte ich die Wurzel des Übels: Hatte sich die engagierte Soli-Mitarbeiterin in der Farbe geirrt? Wurde mir statt »Middle European« der Farbton »African« aufgetragen? Der Gatte lachte laut. Er musste sich erst einfinden in seiner neuen Rolle als Gatte der Magda aus »Verrückt nach Mary«. Googelt die mal, dann wisst ihr, wer gemeint ist!


Es folgt ein Tinder Screenshot mit Profilbild. Prinz, 43, posiert im Halbdunkeln auf Waschbetonplatten neben einem Holzstoß. Vorher dürfte er noch schnell den Boden für das Foto hergerichtet haben, weil ein blauer Besen lehnt noch am Holzstoß. Er trägt eine Haube, es scheint kalt zu sein. Verstörend ist, dass auf der Haube kleine Bärliohren wegstehen. Noch verstörender ist, dass er eine Langwaffe im Arm hält. Flinte, Schrotgewehr, so was in der Art.

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