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Immer, wenn Isabelle am Morgen vor die Tür trat, freute sie sich über den Blick, der sich ihr bot: die Wälder am Horizont, die noch im Morgennebel verschwimmende Linie der Hügel, die Felder und Wiesen. Das Dorf lag in einer Senke. Isabelle konnte von ihrem höhergelegenen Platz nur die Dächer und die Kirchturmspitze sehen.

Manchmal hatte Isabelle dann das Gefühl, den hölzernen Wasserzuber einfach fallen lassen zu müssen, die Arme auszubreiten und barfuß, mit wehendem Rock und aufgelöstem Haar in diesen Morgen hineinzulaufen, so weit ihre Füße sie trugen, um dann irgendwo hinter einer Weißdornhecke zu liegen und in den Himmel zu träumen, der an diesem Tag wieder genau so tiefblau war wie Isabelles Augen.

Isabelle seufzte. Sie hatte wenig Zeit zum Träumen. Der Gasthof »Zum schwarzen Schwan« lag an der Straße nach Avignon. Es kamen viele Reisende durch, Händler, Soldaten, vornehme Herrschaften mit Gefolge – und manchmal auch fahrendes Volk, das Madame Margot je nach Laune mit groben Scheltworten fortschickte oder gnädigerweise in der leerstehenden Scheune kampieren ließ.

Ja, Madame Margot und ihre Launen! Es war nicht einfach, sie zu ertragen. Es gab Tage, an denen Isabelle am liebsten auf und davon gegangen wäre. Aber wohin? Zurück ins Kloster von St. Claude, wo die Nonnen sie vor siebzehn Jahren in einer regnerischen Aprilnacht als hilfloses, schreiendes Bündel auf der Türschwelle gefunden hatten?

Es war Isabelle nicht schlecht gegangen im Kloster. Aber das Leben dort war ihr zu ernst, zu eingeengt. Und die Schwestern in der strengen Ordenstracht der Karmeliterinnen waren ihr immer ein wenig wie steinerne Standbilder erschienen, ähnlich den Heiligenfiguren, die unten im Dorf die Brücke über die Isère flankierten.

Entschlossen nahm Isabelle den hölzernen Zuber wieder auf. Nein, ins Kloster zurück wollte sie nicht. Und wenn sie woanders hinging . . . Nun, es war fraglich, ob sie es dort besser anträfe als im »Schwarzen Schwan«. Irgendein Haar in der Suppe fand sich immer.

Als Isabelle vom Brunnen ins Haus zurückkehrte, kam Madame Margot gerade die Stiege aus ihrer Schlafkammer herunter. Vielleicht war sie früher einmal hübsch gewesen. Aber das mußte lange her sein, eine ganze Ewigkeit. Jetzt war Margot Bertrand nur noch fett. Auf dem Kopf trug sie eine weiße Haube, unter der das grau-schwarze Haar unordentlich hervorquoll. Ihr mächtiger Körper steckte in einer Jacke aus grobem Tuch und einem Rock, dessen Saum sie hochgebunden hatte.

Auf Isabelles Morgengruß hatte Margot nur ein mürrisches Knurren. Sie schlurfte in die Küche und stocherte in dem mächtigen Herd herum, dessen Feuer sommers wie winters nie ausging. »Ist die Suppe fertig?«

»Gewiß.« Isabelle stellte den Wasserzuber ab und nahm eine der irdenen Schalen vom Bord. Da hinein schöpfte sie aus einem rußgeschwärzten Eisenkessel die Morgensuppe, die jeden Tag den Auftakt zu Madame Margots Frühstück bildete. Es folgten Hasenpastete und ein Stück Kapaun in Weinsoße. Madame Margot aß schmatzend und mit größtem Wohlbehagen. Zwischendurch wischte sie sich die fettigen Finger an ihrem Rock ab.

Isabelle beschäftigte sich unterdessen mit dem Aufräumen und Säubern der Schankstube, in der – sehr zu des Mädchens Unbehagen – bereits Messire Paul, Margots Ehemann, vor einem Humpen Wein saß.

Früher hatte Isabelle den schmächtigen Mann mit dem Gesicht eines traurigen Eichhörnchens recht gern gehabt. Er war der einzige, der hin und wieder einen kleinen Schwatz mit ihr hielt oder sie lobte, wenn sie etwas besonders gut gemacht hatte. Aber allmählich war aus dem mageren, kindhaften, scheuen Ding, das Madame Margot vor drei Jahren aus dem Karmelitenkloster geholt hatte, ein bildschönes Mädchen geworden. Ein Mädchen mit einem straffen jungen Körper, geschmeidigen Bewegungen und dem zarten, makellosen Teint der Rothaarigen.

Ein großes Wundern überkam Paul Bertrand, als er Isabelle betrachtete, wie sie da, von der Morgensonne beschienen, auf dem Boden kniete. Wie war es nur möglich, daß ein solches Geschöpf in seinem Hause lebte? Wo mochte es herkommen? Wer mochten seine Eltern gewesen sein?

Isabelle hatte inzwischen ihre Arbeit beendet, ging zur Hintertür und leerte den Wassereimer mit kräftigem Schwung. Dann kam sie zurück und schlenkerte ihre nassen Hände. »Ihr eßt ja gar nichts, Messire Paul. Habt Ihr keinen Appetit?«

Bertrand starrte sie noch immer an. Was für schöne Zähne sie hatte! Und dieser rote Mund . . . Die Kehle wurde ihm trocken. Er streckte die Hand aus. »Setz dich zu mir, dann schmeckt es mir besser.«

Sie wollte zurückweichen, aber er hielt sie fest und zog sie zu sich heran. In seinem schmächtigen Körper steckte erstaunlich viel Kraft, und ehe es sich Isabelle versah, saß sie neben ihm auf der Bank. »Ich bitte Euch, Messire, laßt mich los! Was soll Madame Margot denken?«

»Madame Margot ist nicht hier!« Bertrand grinste und versuchte, Isabelle zu küssen.

Sie wehrte sich nach Leibeskräften. »Nicht! Seid doch vernünftig! Wie oft soll ich Euch noch sagen . . .« Sie stieß gegen den Tisch. Der Humpen mit Wein kippte um und kollerte auf den Boden. Diesen Moment benutzte das Mädchen, um aufzuspringen. »Seht Ihr, das kommt davon. Der gute Wein! Und ich habe gerade saubergemacht. O Messire, warum könnt Ihr mich auch nicht in Ruhe lassen! Eines Tages wird Madame Margot dahinterkommen, und natürlich wird sie mir die Schuld geben und mich hinauswerfen.«

»Pah, in dem Fall bin ich auch noch da«, sagte Paul Bertrand großspurig.

Trotz allem mußte Isabelle lachen. »Als ob Ihr gegen Eure Frau aufzumucken wagtet!« Sie hob den Humpen auf, holte einen Lappen vom Schanktisch und begann, den verschütteten Wein aufzuwischen.

Bertrand beugte sich nach vorn. »Im Ernst, Isabelle, warum läufst du mir immer davon? Ich könnte dir . . .«

Er verstummte, weil in diesem Augenblick Madame Margot eintrat. Sie blieb auf der Schwelle stehen und stemmte die fetten Arme in die Hüften. »Was könntest du, Paul Bertrand?«

»Ich . . . oh . . . ich sprach nur gerade mit Isabelle darüber, daß ich nächste Woche zum Markt nach St. Claude fahre. Ich könnte ihr etwas mitbringen, wenn sie etwas braucht.«

»Sie braucht nichts«, sagte Madame Margot streng und streckte ihr Doppelkinn vor. »Außerdem hältst du das Mädchen mit deinem Geschwätz von der Arbeit ab. Es könnte schon längst fertig sein.«

»Ich bin fertig, Madame!« Isabelle richtete sich auf. »Soll ich jetzt die Quitten pflücken?«

»Meinetwegen. Aber schlaf nicht ein dabei. Und steck dir deine Zöpfe auf. Wie du wieder aussiehst mit deinen halb aufgelösten Haaren! Wie ein liederliches Frauenzimmer!« Madame Margot sah Isabelle nach, wie sie mit ihrem wiegenden Schritt zum Schanktisch ging und den Lappen zurückbrachte. Bei allen Heiligen, dieses Ding wurde alle Tage reizvoller. Man mußte ein Auge auf sie haben, und auf Messire Paul!

In diesem Augenblick pochte es an die Vordertür.

»Wer kann das sein?« fragte Paul und stand auf.

Die Ankömmlinge waren Gilberte und die Herzogin. Sie wankten mit zerrissenen Schuhen und wirren Haaren in die Schankstube. Die Herzogin war in eine Decke gewickelt, unter der ihre staubigen Unterkleider hervorsahen. Sie sank sofort erschöpft auf eine Bank.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« fragte Madame Margot barsch, während ihr Mann von einer zur anderen blickte.

Gilberte nannte ihre Namen und erzählte, was ihr und ihrer Herrin in der vergangenen Nacht passiert war. »Jetzt sind wir schon seit dem Hellwerden unterwegs«, schloß sie, »und sind keiner Menschenseele begegnet. Gott, waren wir froh, als wir endlich Euer Haus sahen.«

»Ja, wir sind weit und breit die einzige Herberge auf dem Weg nach Avignon«, nickte Paul und machte einen Kratzfuß nach dem anderen in Richtung der Herzogin. »Schrecklich, diese Banditen, man sollte sie alle aufhängen! Aber nun erholt Euch von dem Ausgestandenen. Ich werde Euch sofort ein Bad bereiten lassen und ein kräftiges Essen. Und mein bestes Zimmer sollt Ihr auch . . .« Er brach ab, weil er einen vernichtenden Blick von Madame Margot auffing.

»Du bist doch ein Dummkopf, Paul Bertrand! Woher willst du wissen, ob uns die beiden nicht ein Lügenmärchen auftischen? Oder habt Ihr Geld, um die Zeche zu bezahlen?«

Die Herzogin hob den Kopf. »Natürlich nicht. Meine Kammerfrau sagte Euch doch, daß wir ausgeraubt worden sind. Ich wollte Euch bitten, einen Boten nach Schloß Beaumont zu senden, damit man uns hier abholen kommt. Dann werdet Ihr Euer Geld erhalten.«

»Oder Ihr seid inzwischen bei Nacht und Nebel verschwunden«, sagte Madame Margot störrisch. Ihre fetten Hängebacken bebten. »Ich kenne die Herzogin nicht. Aber seit wann reist eine Dame von Stand ohne Gefolge, nur mit einem Kutscher und zwei Knechten durch das Land? Ihr müßt zugeben, daß das reichlich sonderbar klingt.«

»Aber es ist die Herzogin«, rief Isabelle in diesem Augenblick. Sie hatte sich bis jetzt in dem dämmrigen Hintergrund des Hauses gehalten, wo weder die Herzogin noch Gilberte sie bemerkt hatten. Nun kam Isabelle nach vorn. Die Sonne, die durch eines der spitzbogigen Fenster fiel, ließ ihr Haar kupfern schimmern. »Bitte, bleibt«, sagte sie zu Johanna von Valance und wandte sich dann wieder an Madame Margot. »Ich kenne sie, weil sie einmal in St. Claude die Ostermesse besuchte. Dort habe ich sie gesehen.«

Paul Bertrand war es gewöhnt, daß Isabelle von seinen Gästen angestarrt wurde. Die auffallende Schönheit des Mädchens erregte bei jedem, der es zum erstenmal sah, Staunen. Aber so wie die Herzogin und ihre Kammerfrau hatte noch niemand auf Isabelles Anblick reagiert. Gilberte war zurückgewichen und bekreuzigte sich. »Jesus Maria . . . nein! So etwas gibt es nicht!«

Die Herzogin war leichenblaß geworden. Sie hielt sich am Tisch fest. »Beatrice«, murmelte sie und schloß die Augen, so, als müsse sich Isabelle, wenn sie sie wieder öffnete, gleich einer Geistererscheinung in Luft auflösen.

Isabelle stützte sie. »Was ist Euch, Madame? So setzt Euch doch. Messire Paul, schnell, einen Schluck Wasser.«

Die Herzogin winkte ab. »Nein, nein, es ist schon vorüber.« Sie hatte die Augen wieder geöffnet und starrte Isabelle an. »Wer . . . wer bist du, mein Kind?«

Das Mädchen machte einen Knicks. »Ich heiße Isabelle St. George und bin hier Magd. Meinen Nachnamen habe ich von den frommen Schwestern des Karmel, weil sie mich am Tage des heiligen Georg vor der Tür ihres Klosters gefunden haben.«

»Ein Findelkind also?«

»Ja, Euer Gnaden. Geht es Euer Gnaden wirklich besser? Oder soll ich Euch eine Kompresse machen? Im Kloster hab’ ich etwas Krankenpflege gelernt.«

»Bemüh dich nicht, mein Kind. Ich fühle mich ganz wohl. Es waren wohl nur die Strapazen der vergangenen Stunden. – Herr Wirt?«

»Ja, Madame?« Paul Bertrand kam eilfertig herangewieselt.

»Bekommen wir jetzt ein Zimmer und etwas zu essen? Oder habt Ihr immer noch Bedenken?«

»Gewiß nicht, Euer Gnaden. Ihr müßt meiner Frau verzeihen, sie ist immer ein wenig mißtrauisch. Kein Wunder, wenn so viele schlechte Menschen in der Welt herumlaufen. Mörder und Diebe, die sich nicht scheuen, friedliche Reisende zu überfallen und auszuplündern.«

»Wenn ich Euer Gnaden nun das Zimmer zeigen darf? Es ist unser bestes!« Madame Margot schwenkte jetzt um wie eine Wetterfahne. Ihr rotes Gesicht war eitel Wohlwollen. »Euer Gnaden werden doch über Nacht bleiben?«

»Vermutlich«, erwiderte die Herzogin. »Es sei denn, man holt uns noch heute nachmittag hier ab. Aber das wird kaum möglich sein. Ein guter Reiter braucht bestimmt vier bis fünf Stunden nach Beaumont.«

»Ich werde sofort einen Knecht losschicken«, versprach Madame Margot. »Und du, Isabelle, kümmere dich um heißes Wasser für ein Bad und ein kräftiges Essen.«

Zauberhafte Isabelle

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