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Roger Herzog von Valance, Pair des Königs von Frankreich und unumschränkter Herr seines Herzogtums sowie der Grafschaften Beaumont und Romans, saß in einem hohen Eichenstuhl, in dessen Rückenlehne das geschnitzte Wappen seines Hauses eingelassen war. Durch die grünlichen bleigefaßten Fensterscheiben sickerte spärliches Sonnenlicht. Die Wände des einfenstrigen Kabinetts waren mit burgunderrotem flandrischen Tuch bespannt, in das wiederum das Wappen der Herzöge von Valance mit goldenen Fäden eingestickt war. Ein Sonnenstrahl ließ es aufleuchten.

Der Herzog nahm von seinem mit Gänsekielen, aufgerollten Pergamenten, Schreibtäfelchen und Griffeln bedeckten Tisch ein Schriftstück und beugte den dunklen Kopf darüber. Entgegen der herrschenden Mode trug er das wellige Haar kurzgeschnitten und keinen Bart. »Hier führt eine Madame de Grunelle Klage, der Profos von Arigny habe ihr dreitausend Livres Erbschaftssteuer ab verlangt. Madame de Grunelle schreibt, daß sich aber die Steuer auf fünf Sou pro Livre in ihrem Bezirk beläuft. Demnach hätte sie wesentlich weniger an die Staatskasse abzuführen.«

»Mag sein, Euer Gnaden. Aber ich kenne die Grunelles. Sie haben Schulden wie andere Leute Haare auf dem Kopf. Madame de Grunelle wird auch eine geringere Erbschaftssteuer schuldig bleiben, wenn man sie nicht gewaltsam eintreibt.« Der Mann, der das sagte, hieß Philippe de Crêve und war der Kanzler Herzog Rogers. Er stand auf der anderen Seite des breiten Schreibtisches in einem schwarzgelben Wams und ebensolchen Beinkleidern und hielt das Barett mit den Reiherfedern ehrerbietig vor der Brust.

Der Herzog runzelte nachdenklich die Stirn. Als er aufstand, sah man erst, wie groß er war, breitschultrig, mit schmalen Hüften. Seine Kleidung war schlicht, aber ausgesucht kostbar. »Sagtet Ihr nicht, daß Ihr im kommenden Monat nach Brecour reisen wolltet, um dem dortigen Gerichtstag beizuwohnen? Nun, Brecour ist nur ein paar Stunden von Arigny entfernt. Wenn Ihr Eure Angelegenheiten in Brecour erledigt habt, macht einen Umweg und laßt Euch die Sache von Madame de Grunelle vortragen. Und denkt daran, daß ich keine unnötigen Härten wünsche – und keine Unkorrektheiten meiner Beamten.«

»Gewiß, Monseigneur«, erwiderte Herr de Crêve mit einer Verneigung.

Auf dem Schloßhof wurde es laut, Schritte klangen auf, dann Pferdegetrappel. Eine Stimme brüllte ein paar Kommandos.

Der Herzog trat an das Fenster und schaute hinunter. Eine Reiterschar verließ den Hof. Ihre Lanzen und Helme blinkten in der Sonne. Die Männer trugen Kettenhemden, aber ihr Anführer hatte einen goldfarbenen Brustpanzer umgeschnallt. Der große rot-weiße Federbusch seines Helms wehte im Wind. Die Satteldecke seines Rappen trug die gleichen Zeichen.

Ein Lächeln zuckte um des Herzogs schmalen Mund auf. »Unser guter Ritter de Chalors hat sich wieder einmal herausgeputzt, als gälte es ein Turnier.«

Philippe de Crêve nickte belustigt. »Seine Putzsucht kennt keine Grenzen – wie bei einem Frauenzimmer. Es erstaunt mich immer wieder, daß er dennoch ein so guter Soldat ist. Wenn es jemandem gelingt, diese Schurken, die Ihre Gnaden, die Herzogin, überfallen haben, aufzustöbern und ihrer gerechten Strafe zuzuführen, dann ihm.«

Der Herzog blickte zum Himmel auf. »Die Sonne steht schon hoch. Wenn meine Mutter am Morgen aufgebrochen ist, wird sie bald hier sein. Laßt mich jetzt allein, Messire Philippe. Ich habe noch zu arbeiten.«

Der Kanzler entfernte sich. Lautlos schloß sich die Tür des Kabinetts hinter ihm. Herzog Roger kehrte an den Schreibtisch zurück. Er las und schrieb noch eine Weile. Dann verließ auch er den kleinen stillen Raum, in den er sich am liebsten zurückzog, wenn er zu arbeiten oder über etwas nachzudenken hatte.

Vor der Tür warteten zwei Pagen im blau-goldenen Wams, den Farben des Hauses Valance. Der Herzog gab ihnen einen Wink zurückzubleiben und durchquerte allein eine lange, von zwölf Fenstern erhellte Galerie. Über eine schmale Treppe gelangte er in einen anderen Teil des Schlosses, das wehrhaft und gewaltig von einer runden Hügelkuppe in das liebliche Tal zwischen Rhone und Isère hinabschaute. In diesem Trakt lagen die Gemächer, die Roger von Valance einst für seine geliebte Braut Beatrice hatte einrichten lassen.

Es war seit ihrem Tode nichts daran verändert worden. Die Mägde mußten die Räume sauberhalten, täglich frische Luft hereinlassen, ja sogar Blumen und wohlriechende Essenzen in die bereitstehenden Schalen aus italienischem Marmor, Lapislazuli und kostbaren Mosaiken verteilen. Und so sahen die Gemächer aus, als sei ihre Bewohnerin nur für eine kleine Weile fortgegangen und könne jeden Augenblick wiederkehren.

Der Herzog durchschritt den Vorsaal, dessen Wände mit flämischen Gobelins bedeckt waren, und eine Reihe von Zimmern. Dann gelangte er durch eine niedrige Tür in ein Turmgemach. Seit drei Jahren verging kein Tag, an dem er nicht zu einer Stunde trauervollen Gedenkens in dieses Zimmer kam, von dem Beatrice einmal gesagt hatte, daß sie es zu ihrem Lieblingsaufenthalt machen werde. Beatrice . . .

Ihr Bild hing zwischen zwei Fenstern. Ein florentinischer Meister hatte es angefertigt. In sanften, warmen Farben zeigte es die Anmut der schönen jungen Gräfin, Beatrice de Marville trug ein Kleid aus apfelgrüner Seide, reich besetzt mit Spitzen aus Brabant. Ein hermelinverbrämter Mantel bedeckte die kindhaft schmalen Schultern. Über der Haube funkelte ein Diadem. Die schweren Flechten waren wie zwei Vasenhenkel zu beiden Seiten des Gesichtes aufgesteckt.

Der Herzog blieb vor dem Bild stehen, seine männlichschönen Züge trugen den Ausdruck düsterer Trauer. Bei Gott, sie war die bezauberndste Frau gewesen, die es gab. Nie würde sich eine andere an Schönheit, Geist und Anmut mit ihr messen können, nie eine andere sein Herz besitzen.

Roger von Valance war immer ein schwerblütiger Mensch gewesen. Natürlich hatte er als Jüngling seine Abenteuer gehabt, allein schon deshalb, weil er nicht als Außenseiter und Sonderling vor seinen gleichaltrigen Gefährten dastehen wollte, die sich mit ihren amourösen Erlebnissen spreizten wie die jungen Hähne, wenn der Frühling kommt.

Aber derlei Dinge hatten Roger niemals sonderliche Befriedigung gewährt, eher einen müden Überdruß. Doch dann war er Beatrice begegnet, und von diesem Tag an hatte sich die Welt für ihn verändert.

Es war eine Liebe gewesen mit aller Verzauberung und Glückseligkeit, die ein Menschenherz fühlen mag. Oder schien ihm das nur in der Erinnerung so?

Nein, dachte Roger. Man sagt zwar, daß die Erinnerung vergoldet. Doch nur am Anfang, wenn sie frisch und lebhaft ist. Später erlischt der Glanz, die trügerischen Farben werden blasser, und alles stirbt im Dunkel des Vergessens.

So war es mit dem ersten wilden Schmerz nach Beatrices Tod geschehen. Er war eingemündet in das sanfte Grau der Traurigkeit. Doch jene Liebe, die der Herzog einst empfunden hatte, starb nicht, und mit ihr blieb die glückliche Vision vergangener Seligkeit.

Herzog Roger wußte, daß seine Mutter nicht die Hoffnung aufgab, ihn eines Tages dennoch vermählt zu sehen. Er wußte auch, daß Pflicht und Herkunft ihm das abverlangten – und trotzdem schien es ihm unmöglich. Er hatte ein volles Maß an Glück besitzen wollen, hatte es fast schon in den Händen gehalten, als man es ihm wieder nahm. Sollte er sich nun mit den Brosamen begnügen?

Herzog Roger wandte sich ab. Als er auf die große Galerie zurückkehrte, meldete ihm ein Hauptmann der Wache, daß die Herzogin vor einer halben Stunde eingetroffen sei und ihn erwarte.

Zauberhafte Isabelle

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