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Im Verlauf des Tages hatte Isabelle alle Hände voll zu tun. Es war, als ob sich sämtliche Durchreisende verabredet hätten, im »Schwarzen Schwan« abzusteigen oder Rast zu machen.

Isabelle lief treppauf, treppab, richtete Schlafkammern her, holte Wein und Bier aus dem Keller und schleppte Teller und Schüsseln mit dampfenden Braten, Pasteten und Ragouts, auf deren Zubereitung sich Madame Margot wie keine zweite verstand. Zwischendurch mußte Isabelle sogar die Pferde der Reisenden versorgen, weil Antoine, der Knecht, ja nach Beaumont geritten war und Messire Paul von seiner Frau in die Küche befohlen wurde, um ihr beim Rupfen der Hühner und Fasane zu helfen.

Im allgemeinen liebte Isabelle den Trubel, den die vielen Gäste mit sich brachten. Man hörte viel Neues, und die Stunden flogen nur so dahin. Heute allerdings wäre Isabelle lieber mit sich allein gewesen. Was sie auch tat, sie war nicht bei der Sache. Immer wieder spukte ihr die Unterredung mit der Herzogin im Kopf herum, aber so viel Isabelle auch grübelte, sie kam zu keinem Ergebnis, was sie tun sollte.

Auf ihr Schloß wollte die Herzogin sie mitnehmen? In ihre Dienste sollte Isabelle treten – aber nicht etwa als Magd, o nein! Sie sollte Unterricht im Lesen und Schreiben erhalten, feine Handarbeiten machen, ein wenig musizieren und der Herzogin Gesellschaft leisten. Und dies alles nur, weil sie, Isabelle, einer Toten ähnlich sah, die der Herzogin und ihrem Sohn sehr nahe gestanden hatte!

Das alles hörte sich großartig und phantastisch an. Ein anderes Mädchen als Isabelle wäre vielleicht mit Freuden und ohne das geringste Zögern darauf eingegangen. Aber nicht sie.

Bisher hatte noch niemand Isabelle mit Samthandschuhen angefaßt. Und das Leben im »Schwarzen Schwan« hatte sie gelehrt, mißtrauisch zu sein. Sie stand allein auf der Welt und wußte, daß es im Ernstfall keinen Menschen gab, auf dessen Hilfe sie sich verlassen konnte. Sie wußte auch, daß man zu viel Freundlichkeit ebenso wenig trauen durfte wie offener Feindseligkeit. Und die Freundlichkeit der Herzogin war Isabelle irgendwie unheimlich.

Gegen Mitternacht – im »Schwarzen Schwan« war allmählich Ruhe eingekehrt – kam Antoine zurück. In seiner Begleitung befanden sich ein Dutzend Reiter, die eine Sänfte mit sich führten. Ihr Anführer brachte Kleider für die Herzogin und Gilberte sowie eine Geldbörse, um die Zeche zu bezahlen.

Die Herzogin und ihre Kammerfrau hatten den ganzen Tag in ihrem Zimmer verbracht. Isabelle hatte sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie hörte nur noch von Madame Margot, daß Johanna von Valance morgen früh bei Sonnenaufgang aufbrechen wollte. Bis dahin mußte sich Isabelle also entschieden haben.

Sie war todmüde, als sie endlich ihre einfache Kammer über dem Hühnerstall aufsuchte. Aber dann konnte sie trotzdem nicht einschlafen. Sie lag im Bett, die Arme hinter dem Nacken verschränkt, und starrte auf den mondhellen Himmel, der durch die offene Fensterluke hereinschaute. Draußen rauschten die Bäume. Ab und zu schnaubte ein Pferd im Stall.

Wie vertraut das alles war, die Stimmen der Nacht, der Blick aus dem Fenster, die ärmliche Einrichtung der Kammer! Es war ein Stückchen Zuhause. Nicht wie im Kloster, wo man Isabelle aus Barmherzigkeit aufgezogen und sie gelehrt hatte, immer dankbar dafür zu sein. Sondern ein Zuhause, für das sie arbeitete und auf das sie deshalb ein Anrecht hatte. Irgendwie schien Isabelle dieser Unterschied sehr wichtig.

Was soll ich nur tun? dachte sie. Gehen oder bleiben?

Ein Geräusch schreckte sie auf. Sie richtete sich im Bett auf. Da kam doch jemand die Treppe herauf? Ganz deutlich hörte sie das Knarren der hölzernen Stufen und einen schnaufenden Atem. Paul Bertrand?

Den ganzen Abend hatte er mit ein paar reisenden Händlern in einer Ecke der Schankstube gesessen. Isabelle hatte immer wieder die Krüge mit Wein und dem starken, mit Wacholder, Nelken und spanischem Pfeffer gewürzten Bier nachfüllen müssen. Dabei hatte Messire Paul jedesmal nach ihr greifen und sie auf seinen Schoß ziehen wollen. Sie hatte Mühe gehabt, seinen zudringlichen Händen zu entkommen.

Und jetzt stand er vor ihrer Kammertür. »Isabelle, mein Engel, mach auf. Ich bin es, Paul . . . der gute Messire Paul. Laß mich rein, Isabelle.«

Zuerst wollte sie keine Antwort geben. Aber als Messire Pauls Stimme immer lauter wurde, sprang sie aus dem Bett und lief auf bloßen Füßen zur Tür. »Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen, Messire Paul? Geht sofort schlafen. Ihr weckt ja das ganze Haus.«

»Mach die Tür auf«, lallte Paul Bertrand. »Dann bin ich auch ganz still.«

»Ich denke nicht daran. Laßt mich in Ruhe!«

»Aber Isabelle . . .. ich will doch nur ’n bißchen lieb zu dir sein. Es macht mich ganz krank, daß du so abweisend zu mir bist. Laß mich rein, Isabelle, mein Täubchen!«

Im Grunde war es fast komisch, Messire Pauls weinseliges Säuseln. Wenn es nur nicht so laut gewesen wäre! Isabelle versuchte vergeblich, ihn durch Zureden und Schimpfen in sein Bett zurückzuschicken. Er fuhr fort, an die Tür zu hämmern und Einlaß zu begehren.

Da hörte man plötzlich unten im Flur Madame Margots Stimme: »Hab’ ich dich endlich erwischt, du liederlicher Kerl! Na warte, das sollst du mir büßen.« Die dicke Wirtin stampfte im wallenden Nachtgewand die Treppe herauf.

Isabelle schob den Riegel zurück und öffnete die Tür. Sie ahnte, welches Gewitter sich gleich auf den benebelten Kopf des armen Messire Paul entladen würde, und hatte trotz allem Mitleid mit ihm. Vielleicht gelang es ihr, seine erzürnte Ehehälfte etwas zu beruhigen.

Aber Madame Margot dachte gar nicht daran, sich beruhigen zu lassen. Sie schnaubte vor Wut, und ihr Zorn richtete sich genauso gegen Isabelle wie gegen ihren auf Abwege geratenen Ehemann. Messire Paul, den der Schreck über das Auftauchen seiner Frau sichtbar ernüchtert hatte, duckte sich wie ein geprügelter Hund, als sie auf ihn losfuhr.

»Du dachtest wohl, ich schliefe, was? Du dachtest, ich bin blind und hätte nicht gemerkt, wie du schon seit Tagen um das Frauenzimmer da herumschleichst wie ein liebeskranker Kater. O du erbärmlicher Hundesohn! Du doppelzüngiger, schiefmäuliger Teufel! Verschwinde! Mach, daß du hier wegkommst, ehe ich dich die Treppe hinunterwerfe!«

Und Messire Paul verschwand. Verschwand mit schlotternden Knien und ohne noch einen Blick auf Isabelle zu werfen.

Madame Margot aber wandte sich nun an das Mädchen: »Das hast du dir fein ausgedacht! Hinter meinem Rücken meinem Mann schöne Augen zu drehen! Hast dich wohl schon als Wirtin im ›Schwarzen Schwan‹ gesehen, du unverschämtes Ding!«

»Aber Madame, ich kann doch nichts dafür. Messire Paul war betrunken. Und ich habe nie . . .«

»Schweig! Natürlich hast du ihm Augen gedreht. Und wie du immer um ihn herumscharwenzelt bist. Messire Paul hier – und Messire Paul da! Ein bißchen die Hüften schwenken, ein dreister Blick, ein verstohlenes Lächeln! Oh, ich weiß Bescheid. Aber jetzt ist es genug. Du packst noch heute deine Sachen und verschwindest.«

»Madame, ich bitte Euch . . .«

»Kein Wort mehr!« Die dicke Wirtin versetzte Isabelle einen groben Stoß, daß sie über die Türschwelle in ihre Kammer zurückstolperte. »Mach, daß du mir aus den Augen kommst.«

Wahrscheinlich hätte Madame Margot noch eine ganze Flut von Beschimpfungen losgelassen, aber die Luft wurde ihr knapp. Sie preßte die Hand auf ihren wogenden Busen und stampfte stöhnend die Treppe hinunter. Isabelle schloß die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen.

Jetzt war die Entscheidung also gefallen, ganz ohne ihr eigenes Zutun. Madame Margot warf sie hinaus, also würde sie mit der Herzogin gehen.

Isabelle brauchte nicht lange, um ihr Bündel zu schnüren. Sie besaß nur zwei Kleider und einen schwarzen wollenen Umhang. Schuhe, Strümpfe, ein wenig Wäsche und das Gebetbuch, das ihr die Schwestern vom Heiligen Karmel zum Abschied geschenkt hatten. Fertig!

Doch nein, da war noch etwas: ein flaches, von einer Schnur umwundenes Paket, das Isabelle unter der Matratze ihres Lagers aufbewahrte. Es enthielt winzige, spitzenbesetzte Kindswäsche, ein dreieckiges Umschlagtuch aus naturfarbener Wolle, einen Lederbeutel und ein zusammengerolltes Stück Pergament.

Die Kleidungsstücke hatte Isabelle getragen, als man sie vor siebzehn Jahren vor dem Karmeliterinnenkloster fand. Das schreiende Kind war in das Tuch gewickelt gewesen. In dem Lederbeutel hatten die erstaunten Nonnen einen überaus kostbaren Halsschmuck entdeckt.

»Verkauft den Schmuck«, hatte auf dem Pergament gestanden. »Der Erlös, ist für das Kloster bestimmt, wenn ihr mein Kind behaltet und aufzieht. Es ist auf den Namen Isabelle getauft. Um Christi Barmherzigkeit willen, seid gut zu ihm.«

Isabelle konnte nicht lesen. Aber sie hatte sich von Mater Angélique die Worte so oft vorsagen lassen, bis sie sie auswendig kannte. Die einzigen Worte, die Isabelle St. George von jener unbekannten Frau wußte, die sie geboren hatte . . .

Als Isabelle das flache Bündel unter der Matratze vorholte, war ihr nach Weinen zumute. Das hatte nichts mit ihrer Mutter zu tun. Isabelle dachte nicht oft an sie, höchstens mit einem leisen Verwundern. Was mochte sie für eine Frau gewesen sein, daß sie ihr Kind in der Nacht vor den Stufen eines Klosters ausgesetzt hatte? Isabelle haßte sie nicht deswegen. Aber sie sehnte sich auch nicht nach ihr, wenn sie sich in manchen Stunden ihrer Verlassenheit bewußt wurde so wie jetzt. Es war nicht schön, heimatlos zu sein und nirgendwo hinzugehören.

Die Tränen tropften auf das Päckchen, und Isabelle biß sich auf die Lippen. Sie hätte gerne gebetet, aber irgendwie erschienen ihr die lateinischen Gebete, die sie die Karmeliterschwestern gelehrt hatten, nicht passend für das, was sie Gott zu sagen gehabt hätte.

Etwa dies nämlich: Wenn wir auch alle deine Kinder sind, so will ich dir doch nicht zumuten, ständig auf mich aufzupassen. Das tue ich schon selbst, soweit ich’s kann. Ich bin nicht gerade dumm, und dafür bin ich dir sehr dankbar. Trotzdem ist es möglich, daß ich manchmal etwas falsch mache. Davor bewahre mich doch bitte. Du hast gewollt, daß ich allein bin und niemanden um Rat fragen kann. Vergiß das bitte nicht. Dann wirst du mir auch helfen, wenn es nötig ist.

Nein, das war sicherlich nicht das richtige Gebet. Ob Gott denn nur Lateinisch verstand?

Isabelle wischte sich die Tränen ab. Sie legte das Päckchen zu den übrigen Sachen, knüpfte alles zu einem Bündel zusammen und verließ die Kammer. Sie würde unten an der Wegbiegung auf die Sänfte der Herzogin warten.

Zauberhafte Isabelle

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