Читать книгу Bloody Julie 2.0 - Susanne Sievert - Страница 10

Alkohol und Antworten

Оглавление

Er nähert sich mir mit vorsichtigen, behutsamen Schritten, als hätte er es mit einem schreckhaften Tier zu tun. Fehlt nur noch, dass er die Hände ausstreckt und beruhigende Zischlaute macht. Ich frage mich, wo die waghalsige Julie Mond geblieben ist, die Zombies mit bloßen Händen tötet, auf jeden losgeht, der ihr zu nahe kommt, und absolut keine Unterschiede bei den Menschen macht, weil sie alle gleichermaßen hasst? Dieser Julie wäre spätestens jetzt etwas zur Rettung eingefallen, da dieser Typ nur noch zehn oder 15 Schritte von mir entfernt ist.

Wo bist du hin, Julie? Hast du ein Stück von dir selbst im Zimmer zurückgelassen oder im Fieberwahn ausgeschwitzt? Es fällt mir schwer, es zu leugnen: Etwas ist anders. Ich bin anders. Wie drücke ich es am besten aus? Stiller, geruhsamer? Nein. Gelassener? Vielleicht eher …

„Guten Tag.“

Seine Stimme reißt mich aus den Gedanken und vor Schreck knallt mein Kopf gegen die Glastür.

Na ja, unvorsichtig bist du immer noch, Julie. Und dumm. Ja, auf jeden Fall dumm.

„Hi“, antworte ich und reibe mir den Hinterkopf.

„Geht es Ihnen gut? Drehen Sie sich mal um, dann kann ich mir Ihren Kopf anschauen.“

Ja klar, und mir dann einen Schlag verpassen!

„Tut mir leid, Sir, das wird nicht passieren.“ Langsam aber sicher finde ich zu mir zurück. Ein willkommenes Gefühl, meine kalte Stimme zu hören.

„Wie Sie wollen, Julie. Ich zwinge meine Patienten zu nichts.“

Er lächelt, streicht sich über sein kurzes, krauses Haar und hinter seiner schmutzigen Brille erkenne ich braune Augen, die wie Murmeln glänzen. Sein Blick ist so direkt und offen, dass es mir unangenehm wird und ich ihm ausweiche.

„Sie kennen meinen Namen“, stelle ich fest. Was soll ich davon halten? „Sind Sie Arzt? Dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie einen richtig beschissenen Job machen. Im Knast wird man vermutlich besser behandelt.“

„Ach ja?“ Er ist erstaunt, nicht wütend. „Ich schätze, das ist Ihre Sicht der Dinge. Wollen Sie meine Meinung hören oder Ihre Beschwerde in den Kummerkasten werfen? Dann dürfen Sie aber nicht so schnell mit einer Antwort rechnen. Das Personal wurde in den letzten Wochen drastisch reduziert. Leider nicht wegen irgendwelcher Sparmaßnahmen.“

Das Spiel gefällt mir nicht, aber was soll’s. Ich nicke stumm.

„Erstens: Sie lagen im Koma. Zweitens: Sie sind keine wandelnde Leiche. Die Chancen dafür standen allerdings ziemlich gut. Drittens: Wie ich sehe, ist Ihr Zustand stabil. Sie gehen und reden. Mein Fazit, und verzeihen Sie meine Ausdrucksweise: Wir sprechen von einem verdammten Wunder! Meine Arbeit als beschissen zu bezeichnen, ist ungerecht. Was sagen Sie jetzt?“

Ich grinse über seine Bemerkung. Er ist zumindest witzig.

Dann streckt er mir seinen Arm entgegen und ein weiteres Wunder geschieht: Wir schütteln uns die Hände. Obwohl ich Berührungen doch so überhaupt nicht leiden kann!

„Mein Name ist Stone. Elvis Stone. Und ja, ich bin tatsächlich Ihr behandelnder Arzt. Facharzt für Urologie, um genau zu sein, aber in Zeiten wie diesen spielen Fachgebiete keine Rolle mehr. Ich freue mich, dass Sie wach sind und wir endlich miteinander sprechen können. Ich habe wirklich viele Fragen. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen mein Büro.“

„Zuerst will ich meinen Bruder sehen“, antworte ich. „Und meine Freunde. Wo sind sie?“

Es ist nur eine Vermutung, aber wenn er meinen Namen weiß, wird er Jules, Judith, Hank und Olivia ebenfalls kennen und wissen, wo sie sind, falls sie sich denn in diesem Gebäude aufhalten. Ohne guten Grund gehe ich nicht mit einem Fremden mit, auch wenn es sich um einen Arzt handelt. Das sind schließlich die schlimmsten Sadisten.

„Na, kommen Sie“, höre ich Elvis leise, weil er bereits losgegangen ist und mit der Wand redet, statt mit mir. „Ihre Fragen werden alle beantwortet.“

Das reicht mir vorerst. Mir bleibt auch keine andere Wahl, und so folge ich dem Arzt über den Flur.

„Elvis, ja?“ Ich habe keine Lust auf Kaffeeklatsch. Alles, was ich von ihm wissen möchte, ist, wo sich mein Bruder aufhält. Aber ich darf nicht zu ungeduldig sein, denn damit versaue ich mir womöglich ein paar wichtige Antworten.

„Tja, was soll ich sagen? Meine Eltern liebten den King und sie liebten ihren einzigen Sohn, der mal Arzt werden sollte – also mich. Raten Sie mal, zu welchem Lied sie auf ihrer Hochzeit getanzt haben? Richtig: Falling in Love. Kitschig, oder?“

Ich gebe ein paar kurze, harte „Ha, ha, ha“ von mir und versuche, in meinem Kopf die Puzzleteile zusammenzufügen. Es sind aber zu viele und meine Gedanken werden schwammig und trüb.

Vor einer Tür, die wie alle anderen aussieht, bleiben wir stehen. Elvis zieht einen schweren Schlüsselbund aus seiner Tasche und findet auf Anhieb den passenden Schlüssel. In meinen Augen eine Meisterleistung.

Beim Eintreten schlägt mir ein muffiger Geruch entgegen, der mich an Schweißsocken und fettige Haare erinnert. Ich halte mir die Hand vor Nase und Mund und als Elvis das merkt, hebt er entschuldigend die Schultern und öffnet ein Fenster. Ich wiederum nutze die Gelegenheit, mir einen schnellen Überblick zu verschaffen.

Sein Büro ist aufgeräumt und die Möbel alle in Weiß gehalten. Farbloser Tisch und Stühle und Schränke, die vom Boden bis zur Zimmerdecke reichen. In der hintersten Ecke entdecke ich seinen Schlafplatz, eine Matratze mit ordentlich drapierten Kissen und einer Decke so dünn wie Papier.

„Setz dich bitte“, fordert er mich auf und zeigt auf einen der Stühle. „Ist es in Ordnung, wenn wir uns duzen?“

Für mich ist nichts in Ordnung.

„Es wäre ein Anfang“, antworte ich und ziehe die Sitzgelegenheit in Richtung Tür, um einen schnellen Abgang hinzulegen, sollte Elvis sich in ein Arschloch verwandeln. Er nimmt meinen Argwohn zur Kenntnis, sagt aber nichts dazu.

„Möchtest du was trinken?“

Die Frage gefällt mir schon eher und ich hoffe, er hat etwas mit ein paar Umdrehungen anzubieten.

„Unbedingt.“

Mit einem zufriedenen Nicken greift er ins Regal und reicht mir ein Glas, aber als er eine Wasserflasche öffnet, schüttle ich enttäuscht den Kopf.

„Ich bin nicht von den Toten auferstanden, um Wasser zu trinken.“

Es braucht seine Zeit, bis Elvis meine Antwort als Scherz versteht und an seinem Gesicht erkenne ich, dass es ihm schwerfällt, sich zwischen Lachen und einer Predigt zu entscheiden. Er wählt ein mildes Lächeln.

„Als dein Arzt muss ich dir dringend von Alkohol abraten.“ Er wird viel zu schnell wieder ernst und öffnet eine andere Schranktür. „Aber als ein Überlebender empfehle ich Scotch.“

Ich werfe einen kurzen Blick in den Schrank und bin sprachlos. Elvis ist offensichtlich ein Sammler, ein Liebhaber edler Tropfen. Tja, Julie, das nenne ich mal einen Glückstreffer.

„Du bist ein echt merkwürdiger Arzt“, antworte ich und nehme das Glas Scotch, obwohl ich das Zeug nicht ausstehen kann. Aber ein Geschenk lehnt man nicht ab, erst recht nicht in solchen Zeiten.

„Tja, und du bist eine verdammt merkwürdige Patientin“, schließt Elvis unser Gespräch.

Seltsamerweise finde ich ihn sympathisch.

Ich lasse mich aber nicht von Alkohol oder witzigen Ärzten bezirzen und halte lieber an dem fest, was wirklich wichtig ist. Und das ist und bleibt mein Bruder. Nachdem ich den Scotch in einem Zug gekippt habe, behalte ich das Glas in der Hand, um es als Waffe benutzen zu können, sollte das Gespräch eine dunkle Wendung nehmen. Es hat einen schweren Boden und ist perfekt geeignet, um Elvis zur Not ein paar Beulen zu verpassen.

„Also“, fange ich an und unterdrücke ein Husten. Auch Elvis leert sein Glas und stellt es mit einem dumpfen Geräusch auf dem Schreibtisch ab. „Wo ist mein Bruder? Wenn ich hier bin, muss er in der Nähe sein und bevor ich auch nur eine Frage beantworte, will ich ihn sehen.“

Elvis’ Augen glänzen hinter seiner Brille. Er sieht wie ein Lehrer aus, der sich auf eine Klausur freut.

„Das verstehe ich sehr gut, Julie, und ich würde dich gerne zu deinem Bruder bringen. Es gibt allerdings Umstände, die das nicht zulassen. Du musst mir glauben, wenn ich dir versichere, dass er in guten Händen ist.“

Ich lache, obwohl ich sehr, sehr angepisst bin. Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte. Überhaupt nicht. Wenn er glaubt, dass derart gekünsteltes Gerede mich zufriedenstellt, wird er bald eine andere Seite von mir kennenlernen.

„Ich glaube dir gar nichts, Elvis, und letztendlich ist es egal, ob du mich zu ihm bringst oder nicht. Er wird mich finden. Oder ich ihn. So war das bis jetzt immer. Und dann wird es richtig hässlich. Das kann ich dir versichern.“

Meine Worte verfehlen nicht ihre Wirkung. Elvis lehnt sich in seinem Stuhl zurück und denkt nach, bevor er mir antwortet.

„Es tut mir leid“, sagt er. „Ich fürchte, ich habe mich nicht deutlich ausgedrückt. Was ich sagen will, ist, dass dein Bruder eine spezielle Überwachung benötigt.“

Mit anderen Worten was?! Er ist gefährlich? Er ist krank? Was will er mir damit sagen?

„Geht es auch genauer?“, frage ich. Mein Magen krampft sich zusammen. Wenn er nicht bald mit der Wahrheit rausrückt, werde ich die Fassung verlieren.

Und dann trifft mich die Erkenntnis.

Er weiß es. Nein, er hat es gesehen.

Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen? Elvis hat mich untersucht. Er hat den Biss an meinem Arm entdeckt, das Einschussloch, das ich eigentlich unmöglich überleben konnte. Himmel, er hat Jules gecheckt und nun sind wir die Starpatienten, die man nicht einfach so herumspazieren lässt. In ihren Augen benötigen wir tatsächlich eine spezielle Behandlung, aber wie die aussieht, will ich gar nicht erst herausfinden.

„Das wird mal wieder anstrengend“, denke ich voller Angst und mit einem Kribbeln im Nacken. Mein Mund wird trocken, wenn ich mir vorstelle, was sie mit Jules angestellt haben könnten.

„Nimm deinen Bruder und geh mit ihm nach Hause“, höre ich Bobby in meinen Gedanken.

In Ordnung, flüstere ich stumm. Ich werde ihn finden. Ich werde sie alle finden und dann hauen wir ab.

„Okay“, sage ich laut. „Reden wir.“

Ich fühle mich besiegt, geradezu machtlos. Im Vergleich hierzu ist ein Kampf gegen einen Zombie ein Kinderspiel. Da hatte ich bisher alles unter Kontrolle und der Vorteil ist ganz eindeutig, dass ein Untoter sich keine Gedanken macht. Er frisst, und dann wirst du ein Teil seiner Familie. Ende - aus. Ein Zombie arbeitet mit seiner Art zusammen, denn alle verfolgen dasselbe Ziel. Menschen dagegen sind gefährlich und unberechenbar. Sie lächeln nett und reichen dir ihre Hand, aber wenig später spürst du ein Messer zwischen den Rippen.

Ich hasse Menschen.

Elvis nickt und schenkt sich ein weiteres Glas ein. Er kramt in seiner Schreibtischschublade, reicht mir einen Schokoladenriegel und bietet gleichzeitig Alkohol an. Ich lehne beides ab.

„Julie, ich bin nicht dein Feind“, erklärt er. „Ich möchte dir helfen und herausfinden, was passiert ist.“

„Ah, natürlich“, antworte ich mit gespielter Ruhe. „Dann wollen wir beide wohl dasselbe.“

„So ist es.“ Als wären meine Worte der Startschuss, zieht er aus einer anderen Schublade eine braune Akte. Die Beschriftung kann ich nicht lesen. Er leckt Daumen und Zeigefinger an und blättert zu einem Bericht, dessen Seiten noch leer sind. Mit gefalteten Händen beugt er sich über die Akte, um sein Verhör zu starten.

„Kürzen wir es ab“, schlage ich nervös vor. „Welche Lücken kann ich in deinem netten kleinen Büchlein füllen?“

„Nun ja“, sagt Elvis und zückt einen Kugelschreiber aus seiner Kitteltasche. „Von … wie heißt sie noch gleich? Ah, ja, Judith. Genau, wie konnte ich ihren Namen nur vergessen? An das Schlangentattoo habe ich mich sofort erinnert, wirklich beeindruckend. Wie auch immer“, er lächelt entschuldigend und redet weiter: „Von ihr habe ich von dem Vorfall im Motel erfahren. Ihre Version gleicht der von eurem Freund Hank. Ich gehe davon aus, dass man sich so eine Geschichte nicht ausdenken kann. Übel, wirklich übel. Von ihr weiß ich auch, woher ihre Verletzungen stammen und dass der Verursacher tot ist. Für den Fall, dass es dich interessiert: Die beiden sind stabil.“

Ich bin interessiert und schäme mich gleichzeitig, weil Jules meine Gedanken beherrscht und ich meinen Freunden bisher kaum Beachtung geschenkt habe. Dabei sind sie ebenso wichtig.

„Und Olivia?“

„Ist sie das kleine Mädchen?“, fragt Elvis. Ich nicke, obwohl von klein nicht die Rede sein kann. Sie ist elf Jahre alt und hat mehr Mut bewiesen als manch Erwachsener. „Sie befindet sich derzeit auf unserer Kinderstation und lässt niemanden an sich heran. Der Vorfall hat sie traumatisiert, aber soweit ich es als Arzt beurteilen kann, geht es ihr gut.“

Traumatisiert, wiederhole ich in Gedanken. Ja, sicher. Olivia ist ein schlaues Mädchen. Sie wartet ab und plant, bis sich ein günstiger Moment ergibt. So stelle ich es mir zumindest vor. Sie hat gelernt, nicht jedem zu vertrauen, auch Ärzten nicht.

Halte dich gefälligst selbst daran, ermahne ich mich.

Elvis redet weiter, aber es fällt mir immer schwerer, ihm zu folgen. Seine Stimme rückt in den Hintergrund, bis sich nur noch sein Mund bewegt. In meinen Ohren rauscht es, in meinem Kopf grollt es und als ein kühler Windhauch mich berührt, wende ich mich zur Tür, in der Erwartung, dort jemanden stehen zu sehen. Aber da ist nichts, obwohl ich eine Anwesenheit wahrnehme.

Ein Geräusch! Kratzen, Schlurfen, Atmen? Mein Kopf schmerzt und ich fürchte, dass mir meine Sinne einen Streich spielen. Ich kneife die Augen zusammen, schaue zurück zum Schreibtisch und langsam, wie durch dichten Nebel, erreichen mich wieder Elvis’ Worte.

„… Trupp hat euch gefunden, gerade noch rechtzeitig.“

Er sieht mich an und bemerkt, dass ich ihm nicht zugehört habe. Nervös stehe ich auf, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas geschehen ist. Eine dunkle Vorahnung.

„Alles in Ordnung?“, fragt Elvis und lugt über seine Brille hinweg. Ich achte nicht auf ihn, gehe zum Fenster und blicke auf den Vorhof hinunter.

Es sind keine Zombies in Sicht, dafür Stühle und Tische, Sträucher und ein Weg, der zu einem Wald führt. Von hier aus blicke ich direkt auf den anderen Flügel des Krankenhauses. Hinter den Fenstern gibt es kein Leben, zumindest keins, das ich von Elvis’ Büro aus erkennen kann. Es ist eine nette Anlage.

„Wie viele Menschen leben hier?“, frage ich und hoffe, dass es nicht allzu viele Überlebende gibt. Menschen bedeuten Risiko. Wäre es unhöflich, nach der Sterberate zu fragen?

„Wir behandeln rund vierzig Patienten, überwiegend ältere Leute, die nicht in der Lage waren, das Bett zu verlassen. Es gibt nicht viele, die neu zu uns gestoßen sind.“

„Wie lange lag ich im Koma?“, frage ich weiter, denn bei der Zahl Vierzig wird mir schwindelig.

Die Umgebung ist mir seltsam vertraut. Mich überkommt dasselbe Gefühl wie zuvor im Flur. Ich war schon einmal hier. Und das würde bedeuten …? Verdammt, die Erinnerung rutscht mir immer wieder durch die Finger.

„Sechs Wochen“, antwortet Elvis knapp und aus seiner Stimme höre ich Unmut, denn er will die Fragen stellen und sie nicht beantworten.

„Wow“, ist alles, was ich darauf antworte.

Sechs Wochen außer Gefecht und in den Händen von Fremden. Sechs Wochen hilflos ausgeliefert. Sechs Wochen ohne meinen Bruder. Kein Wunder, dass Jules eine spezielle Überwachung benötigt. Er macht sich sicher wahnsinnige Sorgen.

„Ich brauche eine Karte“, sage ich. „Ich will wissen, wo genau ich bin.“

Lächelnd erhebt sich Elvis von seinem Stuhl und tritt zu mir ans Fenster. Die Sonne ist hinter ein paar Wolken verschwunden.

„Gern, aber nach meinen Informationen bist du hier aufgewachsen. Wozu also eine Karte?“

Er legt eine Hand auf meine Schulter. Der Boden bebt unter meinen Füßen und ich stütze mich am Fensterbrett ab, um nicht zum zweiten Mal ins Koma zu fallen.

„Cherryhill“, flüstere ich und unterdrücke ein irres Kichern. Warum habe ich es nicht gleich begriffen?

Ich fühle mich wie ein Hamster in einem durchsichtigen Laufball. Egal wie schnell ich mich bewege, egal welche Richtung ich einschlage, ich renne immer gegen eine Wand. Und als wäre das nicht genug, bin ich immer von meiner eigenen Scheiße umgeben.

„Cherryhill“, bestätigt Elvis mit einem kurzen Nicken. „Cherryhill Medical Center. So heißt das Krankenhaus.“

Ich bin starr und selbst als er sanft an meinem Arm zieht und „Komm, setz dich“ sagt, rühre ich mich nicht von der Stelle.

Dann höre ich es wieder und alle Nackenhaare richten sich auf. Ein Schlurfen, Keuchen, Kratzen. Ganz deutlich und nah. Diese Geräusche bilde ich mir definitiv nicht ein, dafür habe ich sie zu oft gehört.

„Julie …“, sagt Elvis und bevor ich etwas erwidern kann, klopft es an der Tür.

Nein, das ist kein Klopfen. Kein Geräusch, das ein Mensch mit seiner Hand verursacht. Es ist ein Pochen, als würde jemand oder etwas gegen die Tür rennen.

Ich erkenne den Unterschied.

Elvis nicht.

„Das ist sicher mein Kollege“, sagt er und geht mit großen Schritten durch das Zimmer. „Warte einen Moment.“

„Nein“, antworte ich und endlich finden Kopf und Körper wieder zusammen. Ich drehe mich um, um ihn aufzuhalten.

Doch es ist zu spät. Elvis öffnet die Tür und obwohl er mit dem Rücken zu mir steht, sehe ich sein Stirnrunzeln.

Es ist nicht sein Kollege, der ihn erwartet.

Bloody Julie 2.0

Подняться наверх