Читать книгу Julie's Monsters - Susanne Sievert - Страница 5

Albträume

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Das Leben ist beschissen, und dann geschieht etwas unfassbar Schreckliches – sagen wir mal, das Ende der Menschheit – und du denkst: Hätte ich mal auf Holz geklopft.

Die Welt zieht an mir vorbei, während ich das Paddel locker ins Wasser halte und meine Gedanken um die letzten fünf Tage kreisen. Ich bin müde, grüble vor mich hin und wechsle nur selten ein Wort mit den anderen. Es ist besser für sie, denn in meiner momentanen Stimmung kann nichts Nettes aus meinem Mund kommen. Meine aufbrausenden Launen sind bekannt, aber meine Lunte ist mittlerweile so kurz, dass die Ausbrüche ganz neue Dimensionen annehmen. Daher ist es klüger, den eigenen Gedanken nachzuhängen, als seine Mitstreiter zu nerven.

Mein Blick schweift über die kleine Gruppe von Überlebenden und trotz meiner schlechten Laune vergesse ich nicht, dankbar zu sein. Denn was wäre aus Jules und mir geworden, hätte Bobby uns nicht ein neues Leben ermöglicht? Auch jetzt, als Erwachsene, steht er beschützend an unserer Seite und will unser Überleben sichern.

Hinter ihm sitzen Hank und Rob. Hanky Boy, dem ich im Musikgeschäft zum ersten Mal begegnet bin. Sein Blick ist starr geradeaus gerichtet und auch wenn wir keinen guten Start hatten, entwickelte sich doch eine Freundschaft zwischen uns. Auch meine Freundin Judith ist an Bord, die sich von meinen Launen am wenigsten abschrecken lässt. Ich lernte sie in Bobs Bar kennen. Geplant war ein gemütlicher Abend mit Tanz und viel Alkohol, aber stattdessen wurde die Bar von Zombies überrannt und Judith und ich rannten gemeinsam um unser Leben – bis zum heutigen Tag.

Olivia wirft einen Blick über die Schulter und ich nicke ihr lächelnd zu. Das Mädchen hatte im zarten Alter von elf Jahren schon so viel Schlimmes erleben müssen ...

Der Einzige, auf den ich gut und gerne verzichten könnte, ist Rob. Ein ekelhaftes Schwein, das nur mit uns im Boot hockt, weil er einen Haufen Waffen besitzt, die wir während unserer Flucht definitiv brauchen werden.

Von all den Menschen an Bord kann nur ein einziger mein Gefühlschaos nachvollziehen, denn wir teilen seit unserer Geburt dasselbe Leid. Mein Bruder Jules. Er hat mich gerettet, und dass wir wieder als Familie vereint sind, grenzt an ein Wunder.

Vor wenigen Tagen befanden wir uns noch auf einer Jacht, mit einem gewissen Komfort, den wir jetzt schmerzlich vermissen. Wir hatten alles, wovon man in einer Welt voller Zombies nur träumen kann. Gemütliche, weiche Betten, ein Badezimmer mit fließendem Wasser, eine Toilette mit der dazugehörigen Privatsphäre und an Deck bot sich eine Aussicht, die einem das Gefühl von Freiheit schenkte und leise flüsterte: Ja, du kannst es in einer Welt voller Zombies schaffen! Es gibt noch Hoffnung.

Das alles haben wir so lange genossen, bis uns der Treibstoff ausging. Bei einer Jacht von dieser Größe dauerte das nicht einmal zwei Tage.

Unser Vater hatte damals zu Jules und mir gesagt: „Von so einer Jacht können alle anderen nur träumen. Sobald das Schätzchen in Fahrt kommt, zieht es einem sekündlich die Dollarscheine aus der Tasche.“ Dabei hatte er sich die Schuppen von der Schulter gewischt und den Bund seiner Hose zurecht gezogen.

Nachdem der Schock sich gelegt hatte, entbrannte eine heftige Diskussion. Bleiben oder nicht? Es war das Fairste, die Mehrheit entscheiden zu lassen und die wollte auf das Rettungsboot umsteigen und die Möglichkeit nutzen, bei der nächstbesten Gelegenheit an Land zu gehen. Jules bereitete das Boot vor, während wir anderen die notwendigsten Dinge zusammenpackten. Wasser, Essen und Waffen.

Jetzt sitzen wir zu siebt auf einem kümmerlichen Schlauchboot. Rechts von uns sehen wir nur das Meer und links die Scharen von Zombies, die ihre Nasen in die Luft halten und unsere Ausdünstungen wittern. Bobby trinkt Rum und singt Seemannslieder, die bei den anderen für rote Ohren sorgen. Er vermisst seine Bar, seine Mädels und die gute alte Zeit, von der nichts mehr übrig ist.

Nicht ganz. Ein Teilnehmer unserer Truppe erinnert mich unentwegt an einen düsteren Teil meines Lebens: Rob Thomsen. Der Mann, der dazu beitrug, unsere Kindheit zu zerstören, indem er seine perversen Neigungen an uns auslebte. Ich dränge die Bilder schnell zurück, bevor sie die Oberhand gewinnen und ich erneut durchleben muss, was damals mit uns unschuldigen Kindern geschah. Der widerliche Kerl sitzt zum Glück zwei Plätze vor mir und unter der Aufsicht von Bob, aber ich weiß, mir wird es erst besser gehen, wenn der Atlantik ihn mit Haut und Haaren verschlingt.

Letztendlich sind wir uns alle einig, dass die Bootstour nicht lange dauern darf, denn wir müssen neuen Proviant suchen. Es war nicht möglich, all unsere überlebenswichtigen Besitztümer mitzunehmen. Im Gegensatz zu einer Jacht ist der Platz auf einem Schlauchboot begrenzt und in Zeiten wie diesen überlegt man sich dreimal, ob man eine Konserve einpackt oder doch lieber eine Pistole. Nahrung oder Schutz? Wir haben uns für den Schutz entschieden, denn Proviant können wir zur Not an Land finden.

Am dritten Tag traf uns die Erkenntnis, dass es nicht ganz so einfach würde, das Boot zu verlassen und ans Ufer zu gelangen. Die gute Laune schwand und wurde durch Angst ersetzt, als wir die Menge der Zombies am Strand entlang schlurfen sahen. Es waren viele, sie waren überall und sie waren sehr hungrig. Ihr Knurren und Fauchen wehte zu uns herüber und als Rob ein paar Schüsse abfeuerte, schlug Hank ihm die Pistole aus der Hand. Ein Loch im Schlauchboot fehlte uns gerade noch zu unserem Glück, aber so weit reichte Robs Denkvermögen leider nicht. Wild fluchend stürzte er sich auf den armen Hank, der nicht wusste, wie ihm geschah. Bobby konnte das Schlimmste verhindern, aber dennoch machten die Drei solch einen Lärm, dass alle untote Aufmerksamkeit uns galt.

Es war schwierig, die hungrigen Blicke zu ignorieren, und sie zehrten an unseren Kräften.

Wir paddelten um unser Leben, denn nun gab es nur noch zwei Möglichkeiten: Paddeln und in der Nähe der Küste bleiben oder vom Atlantik mitgerissen werden.

Uns war klar, dass wir nicht auf den offenen Ozean getrieben werden durften. Niemand wusste, wie viele Menschen außer uns überlebt hatten und auf Hilfe von außerhalb zählte ich persönlich nicht mehr.

Das Schlauchboot wurde zu meinem Gefängnis, aber noch schlimmer als die Enge dieser paar Quadratmeter waren die langen, kalten und dunklen Nächte. Sobald wir eine Möglichkeit entdeckten, banden wir unser Boot mit Seilen an Bäumen oder Bojen fest und gönnten uns eine Pause.

In der vierten Nacht fanden wir ein gutes Versteck unter einem Steg und Judith war fest entschlossen, an Land zu gehen. Gerade, als ich mit Begeisterung einstimmte, hörten wir die ersten knarrenden Schritte über unseren Köpfen und das altbekannte Fauchen und Ächzen der Untoten.

Verfluchte Scheiße!

Enttäuscht ballte ich die Fäuste und unterdrückte einen Schrei. Jules legte einen Finger auf die Lippen und deutete auf Olivia, die still und mit weit aufgerissenen Augen meine Hand suchte. Für ein elfjähriges Mädchen zeigte sie mehr Durchhaltevermögen, als ich aufbringen konnte.

Die ganze Nacht lagen wir starr in unserem plätschernden Sarg und der Himmel und die Erde verschmolzen zu ein und demselben Gewirr aus Blut und Schmerzen. Unser Gestank zog noch mehr Zombies an, die alle nach Frischfleisch suchten und keine Anstalten machten, den Steg wieder zu verlassen. Stattdessen floss der Speichel aus ihren geifernden Mäulern und tropfte zäh durch die Holzspalten auf uns herab.

Mit jedem Plopp würgte ich die Galle hinunter. Hank kotzte in sein Hemd und von ganz vorn hörte ich den Schraubverschluss einer Flasche und wusste, dass Bobby sich einen Schluck Rum gönnte. Rob war der einzige, der leise schnarchend und schmatzend schlief, während wir anderen mit Angst und Ekel kämpften.

An Jules gelehnt nickte ich irgendwann doch ein und träumte von Robs Händen, die über meinen Körper glitten. Sie berührten meine Brüste, meinen Bauch, griffen zwischen meine Beine und wühlten sich durch mein Innerstes wieder nach oben. Schreiend wachte ich auf, fest davon überzeugt, Rob vergriff sich wie damals an meinem Körper, aber es war Jules, der mich festhielt und eine Hand auf meinen Mund drückte.

Für ihn sind meine Albträume nichts Neues. Jules hat bereits ein Gefühl dafür entwickelt, wann ich schreiend aufwachen werde, denn ich träume nichts anderes, seit wir auf dem Boot festsitzen.

Ja, seit fünf Nächten zerfetzt die Reise mein Nervenkostüm, und egal wie oft Jules mich hält und die Albträume aus mir herausquetscht, ich muss einen Weg aus diesem Boot finden, wenn die anderen überleben sollen. Ein vertrauter Druck legt sich um meine Brust und verlangt danach, gelöst zu werden.

Ich muss hier raus, abhauen und verschwinden, ansonsten werde ich jemandem noch sehr weh tun.

Julie's Monsters

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