Читать книгу Home sweet Julie - Susanne Sievert - Страница 10

Bobby Bear

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Blauer Dunst schlägt mir entgegen, als ich die Tür zu Baker‘s Pub öffne. Es stinkt nach Pisse, Alkohol und altem Schweiß. Aus der Jukebox ertönen die letzten Klänge von Nancy Sinatra. Ihre traurige Stimme heißt mich willkommen, als sie mir entgegen singt: Bang Bang, he shot me down.

Ich fühle mich sofort wohl, denn Baker’s Pub ist der einzigen Ort, an dem Cherryhill sein wahres Gesicht zeigt. Es ist dunkel, und nur die Lampen über den Tischen und an der Bar spenden ein wenig dämmeriges Licht und schenken der Bar ihren persönlichen, melancholischen Charme. An diesem Ort benötigt der Alkoholgenuss keine Ausrede. Hier trifft sich eine Gemeinschaft von Säufern und niemand stellt eine Ausnahme dar. Die Ausstattung ist ein zusammengewürfeltes Etwas – alt, kaputt und schmierig von tausenden saufenden Ärschen. Von Renovierung und Modernisierung möchte der Inhaber Mr. Baker nichts hören.

„Trink oder verpiss dich“. Ein hübscher Spruch für die Eingangstür.

Es ist genau der richtige Ort, um diesen besonderen Tag zu feiern.

Baker’s Pub liegt am Rande von Cherryhill, und ist nicht einfach zu finden, wenn ein Fremder das Städtchen besucht. Dabei ist das Gebäude unverwechselbar und hat nichts mit den hübschen weißen Häusern gemein, die sich bei den Alleen aneinanderreihen. Die Bar liegt im Hinterhof einer Mall, versteckt zwischen Müllcontainern und so klein, dass sie zunächst nicht auffällt. Aber die grauen Steine, die Leuchtreklame in den Fenstern und Bakers einfallsreiches Schild sind unübersehbar, und obwohl Baker‘s Pub alles andere als einladend erscheint, ist die Bar stets gut besucht.

Dem Stadtrat war der Laden immer ein Dorn im Auge, aber alle Versuche, ihn zu schließen, scheiterten. Mr. Baker ist weder ein dummer noch ein armer Mensch. Es gibt immer Beamte, die sich über ein paar Dollar extra freuen. Ich habe das Geheimnis seines Erfolges sofort erkannt. Saubere Häuser, ein hoher Verdienst, eine Frau und ein bis zwei Kinder, ein glattpoliertes Leben ... Perfektion langweilt die Menschen früher oder später und Mr. Baker besitzt etwas, das kleine, finstere Seelen befriedigt: Frauen, Drogen und Alkohol. Sehr viel Alkohol.

Bekannte und unbekannte Gesichter schauen zu mir auf, betrachten mich einen winzigen Augenblick und widmen sich wieder ganz ihren Gläsern. Abgesehen von der leisen Hintergrundmusik ist es ganz ruhig. Hier und da höre ich ein Räuspern, Husten oder Würgen. Ich stehe an der Tür und halte nach einem Tisch Ausschau.

„Einen hübschen Tisch am Fenster bitte“, höre ich meine Mutter in Gedanken.

Das kannst du hier vergessen, Liebchen. Die Fenster sind so dreckig, dass kein Sonnenlicht hinein scheint, und das ist auch gut so. Glaub mir bitte. Es ist kein Teppich, den du unter deinen Füßen spürst und der nette Mann am Nachbartisch flirtet nicht mit dir, nein, er holt sich unter dem Tisch einen runter, während er daran denkt, dir den Arsch aufzureißen.

Ich entscheide mich für die Theke, denn ich sitze gerne an der Quelle und warte nur ungern auf meine Drinks. Gerade jetzt fehlt mir die Geduld, auf irgendetwas zu warten. Sei es auf Jules, auf irgendeinen Kerl oder einen guten Head Shock aus Tequila und Absinth, den ich mir bestelle.

Nach zwei Drinks sehe ich die Welt von der anderen Seite des Spiegels und lächle dümmlich über mein verzerrtes Leben.

Julie Mond, Julie Mond, Julie Mond ...

Mein Name dringt wie ein Song durch meine nebligen Gedanken. Ohne ein einziges Mal aufzublicken, erkenne ich den Besitzer der Stimme sofort wieder. Das letzte Mal hörte ich sie vor 15 Jahren, und sie hat nichts von ihrem wunderbar tiefen, melodischen Klang verloren. Ich erinnere mich noch ganz genau an seine letzten Worte: „Lauf, Julie Mond. Lauf.“

„Bob Baker.“

Er wird es mir nicht so schnell verzeihen, dass ich ihn nicht sofort erkannt habe, dabei hat er sich kaum verändert.

Der Besitzer höchstpersönlich reicht mir einen dritten Head Shock, den ich in einem Zug hinunterkippe. Genüsslich lecke ich mir über die Lippen. Der Geschmack von Anis brennt auf meiner Zunge und meinen Lippen.

„Müssen erst deine verdammten Eltern sterben, bis du mich wieder besuchst?“

Ich lache nicht, obwohl die Wahrheit wirklich komisch ist.

Er sieht alt aus, aber seine dicken, hängenden Backen haben nichts von dem intensiven Rot verloren und er trägt wie eh und je eine Elvis-Tolle auf seinem Kopf. Seine Haare sind ergraut und glänzen fettig. In seinen kleinen, wässrigen Augen sehe ich den Schimmer der guten und der schlechten Tage. Sie sehen müde aus. Ich habe Bob Baker niemals müde erlebt.

„Sieht ganz so aus“, antworte ich.

„Hör auf, die Scheiße zu trinken. Wenn du so weiter machst, wird Absinth noch mal dein Tod sein. Gönn dir lieber etwas Gutes.“

„Nichts kann besser sein als Absinth.“

Bob verschwindet polternd hinter der Theke und taucht wenig später mit einer Flasche Black Velvet wieder auf. Meinen ersten Drink habe ich damals mit ihm getrunken. Es war der Tag, an dem er mir die starken Worte sagte, die mir den letzten Stoß gaben. Sie wirkten wie ein Zauber und verliehen Jules und mir Flügel, mit denen wir aus der Stadt flogen.

„Danke, Mr. Baker.“

Er sieht mich an und weiß, dass ich mich nicht für den Drink bedanke.

„Seit wann nennst du mich Mr. Baker? Ich bin Bob, Püppi, und das weißt du ganz genau.“

Püppi ... So hat er mich vom ersten Tag an genannt und es gefällt mir. Es erinnert mich an etwas, das ich nie hatte.

„Leck mich am Arsch. Wie lange hast du keinen Fuß mehr in meinen Laden gesetzt? Ich würde ja sagen, welch traurige Zeiten das für dich und deinen Bruder sind, aber wir wissen es besser, nicht wahr? Das Beileid erspare ich dir.“

Er zwinkert und gießt erst mir und dann sich selbst etwas ein.

„Eure Eltern haben schon immer viel zu viel Wert auf Äußerlichkeiten gelegt. Dass ein Auto nicht nur von außen poliert werden muss, haben sie in ihrer grenzenlosen Arroganz vergessen. Da kann es schon einmal passieren, dass man mit defekten Bremsen gegen einen Baum rast. Was für eine Verschwendung. Ich verstehe nicht viel von Autos, aber der Aston Martin deines Vaters sorgte für Gesprächsstoff in unserer kleinen Stadt. Was für ein Auto! In eurer Familie wird nicht gekleckert.“

Nein, im Grunde kann es nicht passieren und ich denke nicht weiter darüber nach, wie es passiert war. Unsere Eltern fuhren regelmäßig mit ihren Autos zur Inspektion, ließen Wasser und Öl überprüfen und sie behielten kein Auto länger als zwei oder drei Jahre.

„Ich weiß noch ganz genau, wie du mit acht Jahren diese Tür dort drüben mit deinen kleinen Händen geöffnet hast.“

„Ich war elf Jahre alt, Bob“, verbessere ich ihn und schüttle den Kopf. „Ich bin hier, um zu trinken und nicht, um über alte Zeiten zu plaudern. Hast du mir schon ins Gesicht gesehen? Bis jetzt hatte ich einen wirklich bescheidenen Tag und mir steht nicht der Sinn nach tiefgründigen Gesprächen.“

„Dann halt die Klappe und trink! Das ist auch besser für mein Geschäft.“

Es ist unvermeidlich, mit alten Geschichten gelangweilt zu werden. Doch wie kann ich dem Mann etwas abschlagen? Das ist immerhin Bobby Bear, der Mann, der uns Flügel schenkte.

Home sweet Julie

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