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Das Gewässer des Grauens

Dass der schöne letzte Arktiswinter auch einen hohen Preis kosten würde, zeichnete sich schon beim ersten Zwischen-Tauwetter ab: Etwas Rötliches leuchtete unter dem Teicheis hervor. Es war Shui. Glänzend in sattem Orange, von langen Flossen umwallt, makellos bis zur letzten blanken Schuppe – aber tot. Ausgerechnet Shui! Sie war nicht nur die Schönste meiner Goldfische, sie und Feng waren auch die, mit denen das Wasser im Garten buchstäblich gewachsen war: vom Holzfass über die Riesen-Mörtelwanne zogen die Fische schließlich in einen kleinen Teich. Dass sie den nicht einmal mehr vorübergehend zu verlassen gedachten, machten sie mir dann schon im ersten Herbst nachdrücklich klar. Sie verschwanden unauffindbar ins mehr als Metertiefe, sobald es kalt wurde, und ins Wohnzimmer-Aquarium zog stattdessen ihr Nachwuchs: winzige schwarze Fischchen, die über den Winter eine fast magische Verwandlung vollführten: Sie wechselten zunächst in eine metallische Messingfarbe, dann in reines Gold und schließlich ins erwachsene Strahlendrot. Einige hatten von Mutter Shui die lang gezogenen Flossen und das lebhafte Temperament geerbt, andere schlugen mehr nach Fengs behäbiger Karpfenseite – und alle sahen sie verschieden aus.

Ja, ich weiß: Goldfische sind der flossentragende Horror ökologisch korrekter Teichbesitzer, aber mir war das egal: Ohne Feng und Shui hätte es hier überhaupt keinen Teich gegeben, und ich liebte sie einfach allesamt. In seinem grünen Rahmen brachte der Schwarm gleichzeitig Leben und Ruhe in die Gartenmitte, und wenn die schimmernden roten Rücken auftauchten und mit dieser lautlosen, fast meditativen Gelassenheit wieder versanken, verstand ich genau, weshalb Goldfische, das allererste Luxus-Haustier der Menschheit, in so vielen Kulturen als Glückssymbole gelten. Nützlich waren meine übrigens auch, denn sie vertilgten begeistert so ziemlich alles Krabbelzeug, das ich im Garten loswerden wollte, am liebsten massenhaft Blattläuse.

Im Winter leisteten mir einige Fische im Haus Gesellschaft, die anderen überwinterten problemlos draußen, selbst bei längerem Frost. Als letzten Herbst jedoch Terrier Erbse einzog, entschloss ich mich, zum ersten Mal auf das große Aquarium zu verzichten. Kabel und Wasserschläuche im Wohnzimmer sind mit einem überaus nagefreudigen Junghund nur sehr bedingt kompatibel, und im Teich hatte es jahrelang nie Verluste gegeben. Es sollte also gut gehen. Eigentlich. Doch spätestens, als nach Rekordschneefall, Tauwetter und dann hartem Frost sogar der Eisfreihalter komplett im massiven, undurchsichtigen Gefrorenen verschwunden war, wurde klar, dass es diesmal kaum gut gehen konnte.

Es ging auch nicht gut: Im März schaukelten gleich im ersten getauten Spalt zwischen Eis und Teichwand traurig zwei leblose Goldfische, und was dann unter den schmelzenden Schollen hervorkam, war nichts als Tod und Verwesung. War der Verlust der Fische besonders schmerzhaft, weil er etwas wie den Abschied von vertrauten Freunden bedeutete, so erinnerten die vielen toten Frösche an einen ganz besonders brechreizerregenden Horrorfilm. Die armen Viecher hatten sich zwischen den Steinen im Flachen verkrochen und waren da monatelang komplett ins Eis eingeschlossen gewesen. Jetzt ragten überall erst lange bläulichblasse Beine wie gruselige Tentakel aus den verhängnisvollen Verstecken hervor, denen dann aufgequollene Körper folgten – ein Anblick, der mich inständig wünschen ließ, das Gewässer des Grauens kurzerhand zuzuschütten und schnurstracks in die Karibik zu fliehen. Immer neue Leichen rutschten aus jeder Spalte nach, und je weiter der Frühling fortschritt, desto weniger ansprechend sahen sie aus.

Der Massenbeerdigung folgte dann eine Grundreinigung per Teichsauger – jedenfalls bis dessen Abfluss verstopfte und ich versuchte, mit den Fingern zu entfernen, was ich für alte Blätter hielt. Mit einem satten »pflopp« löste sich schließlich der Pfropfen, und blitzschnell wickelten sich in einem Schwall eisigen Wassers sehr lange und nicht mehr sehr frische Froschbeine wie winzige Gummihandschuhe um meine Finger, gefolgt von einer amorphen, gallertartigen Masse. Der Schock war so groß, dass er sogar den Fluchtreflex ausschaltete: Ich glotzte fassungslos auf den surrealen Anblick und verstand erst mit Verzögerung, was ich da eigentlich anstarrte. Dafür wurde ich in den nächsten Tagen schon beim bloßen Gedanken an meinen Teich von unheimlicher, garantiert psychosomatischer Übelkeit geplagt.

Inzwischen ist das kleine Gewässer längst wieder ansehnlich und ökologisch einwandfrei dazu. Selbstverständlich freut es mich, dass es von Libellenlarven nur so wimmelt, aber die kleinen grauen Killer-Torpedos – die übrigens die spärliche Brut der wenigen überlebenden Frösche komplett vertilgt haben – besitzen nun einmal nicht die dekorativen Qualitäten schimmernder Goldfische, von den meditativen ganz zu schweigen. Feng, Shui und Familie werden hier zwar keine Nachfolger bekommen, weil ich ein derartiges Desaster nie wieder erleben möchte – aber sie fehlen schon sehr!

Mein Garten, mein Paradies

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