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Der Kokos-Killer

Der Mai war gekommen, und prompt schlugen nicht nur die Bäume aus, sondern auch noch die Rambler zu. So war es jedenfalls im letzten Frühjahr. Immer dasselbe: Entweder hatte es geregnet, und die an der Pergola aufgebundenen Ranken der Rosengiganten waren nass und schwer, wenn ich sie passierte. Oder ich zog sie ungeduldig zu mir herab, um zu sehen, ob da nicht doch schon was aufblühte. Und dann: Die scheinbar stabile Anbinde-Kokosschnur riss, und ich sah mich unversehens dem vehementen Luftangriff einer Riesenrose ausgesetzt. Zunächst schob ich das regelmäßige Malheur auf eines der großen ungelösten Rätsel der Gartenwelt: Warum kann die Menschheit eigentlich zum Mond fliegen, ist aber außerstande, Anbindematerialien zu produzieren, die gleichermaßen haltbar, pflanzenfreundlich und optisch akzeptabel sind?

Der klassische Bindebast ist zwar nett zu den Gewächsen, reißt aber in der Nässe norddeutscher Sommer schon unter geringer Belastung. Auf Fotos stören die vielen hellen Strippen in üppigem Clematisranken-Grün überdies ebensosehr wie in natura. Kunstbast wäre da, abgesehen von den herbstlichen Häcksler-Komplikationen, wenn man ihn nicht sorgfältig genug entfernt, schon eher geeignet, aber: Er ist hier kaum in einer annehmbaren Farbe aufzutreiben. Vielleicht bin ich ja pingelig, aber ein Krassgrün mit Metallicschimmer soll meinen Pflanzen nun mal nicht die Schau stehlen. Toll waren die dezent braun ummantelten Binder aus dem Weinbau, aber auch die gaben dann viel zu schnell auf. Ähnlich der Bindedraht, der komischerweise auch fast nur in scheußlich auffallender Farbe zu haben ist. Um Kaliber wie die Rambler-Rosen zur Ortstreue zu verdonnern, bedarf es ohnehin eines Drahtes in Zaunbau-Stärke. Das unnachgiebige Material zerscheuert dann irgendwann die Rosen-Rinde, und die Pilze lassen nicht auf sich warten.

Kräftige Kokosschnur war da immer ein akzeptabler Kompromiss. Bis zu jenem Frühjahr, in dem das merkwürdige Phänomen auftrat: Die Schlingen rissen nicht nur dauernd, ich fand sogar morgens welche abgefallen unter der Pergola. Aber wieso, und wieso so plötzlich? Kleine Singvögel, die Kokosfasern zur Brutzeit gern als Nistmaterial benutzen, waren für so viel Schaden eher nicht kräftig genug. Eichhörnchen? Aber weshalb, und weshalb nahmen sie das schöne Baumaterial dann nicht mit? Der Wind, der die Schnur auf der Pergolakante zerscheuerte? Gute Theorie, die sich aber erledigte, als ich eines sonnigen, total windstillen Morgens das abends gezogene Band schon wieder auf dem Rasen fand – ausgefranst und durchgerissen.

Ich hätte den chronischen Schnurschwund wohl ebenfalls unter den ewig ungelösten Rätseln verbucht, hätte ich nicht eines frühen Maimorgens durchs offene Fenster ein seltsames Geräusch gehört, eine Mischung aus Luftkampf und animiertem ornithologischem Selbstgespräch: Gekrächze, kleine Gesangsstrophen dazwischen und immer wieder Flügelschlagen. Vorsichtig peilte ich aus dem Fenster – und da sah ich ihn endlich, den Kokos-Killer: Ein blanker, schmucker Eichelhäher saß auf der Pergola und zerrte wie verrückt an der Schnur, die ich erst am Vortag so sorgfältig verknotet hatte. Die Inbrunst, mit der er dabei vorging, war erstaunlich: Er zog und riss, er flatterte mit vollem Körpereinsatz rückwärts, bis er sich auf seine gespreizten Schwanzfedern setzte, er schüttelte das Objekt seiner Begierde wie ein Welpe einen Lappen. Als nichts half, hüpfte er auf die Schnur und zupfte mit seinem kräftigen Schnabel büschelweise Fasern heraus, bevor er die immer fransigere Schnur wieder rückwärtszerrte. Zwischendurch hielt er inne, krächzte und sang, so, als würde er sich selbst anfeuern. Und schließlich hatte er Erfolg: Die Schnur riss. Doch der Vogel nahm die schwer erkämpfte Trophäe nicht etwa zum Nestbau mit, wie ich eigentlich gewettet hätte. Er schleuderte sie einfach weg und ließ sie fallen. Einen Moment lang sah er ihr mit schiefem Kopf nach, gab ein kleines, wie beifälliges Geräusch von sich, dann hopste er weiter die Pergola entlang, bis er den nächsten Kokosknoten erreicht hatte. Daran zerrte er wieder mit viel Geflatter und einem Einsatz, der verdächtig nach Vergnügen aussah.

Und erst in diesem Moment wurde mir klar, was ich da eigentlich Verblüffendes beobachtete: Der Häher spielte! Der clevere Rabenvogel verfolgte tatsächlich keinen Zweck. Es ging ihm weder um Nistmaterial noch um Beute – es ging ihm einfach, auf irgendeine vogelige Weise, um seinen Spaß. Den hatte er anscheinend so sehr, dass er noch eine ganze Zeit lang täglich wiederkam, bis ihn offenbar der Ernst des Brutzeit-Lebens samt Elternpflichten doch noch einholte: Irgendwann blieben die Schnüre heil. Zwar hatte ich da längst dicken Zaundraht durch meine absturzgefährdeten Rambler gezogen und seitdem wieder Ruhe, aber die Kokosschnur ließ ich trotzdem hängen, extra für den Häher. So verrückt es klingt: Ich brachte es einfach nicht fertig, meinen so unerwartet kreativen gefiederten Gast zu enttäuschen. Er wollte doch nur spielen!

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