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Frühlingsgefühle

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Das Wunderbare am Mai ist die Qual der Wahl. Ich weiß nie, worüber ich mich am meisten freuen soll: frisches Grün, duftende blassviolette Nachtviolenschleier, verheißungsvoll anschwellende Mohn- und Rosenknospen – oder ist es etwa doch mein ebenso winziger wie üppiger Nutzgarten? Der misst, großzügig gerechnet, etwa zwei auf zwei Meter und liegt zwischen dem großen Apfel- und dem kleinen Quittenbaum. Auf der einen Seite begrenzt ihn der rötlich knospende Burgunder am Zaun, auf der anderen das Grasfleckchen, das »Rasen« zu nennen eine Vermessenheit wäre. Um diese Jahreszeit bekommt das Stückchen Erde dazwischen noch so viel Licht, dass ich mich hier auch mal so richtig selbstversorgertüchtig und autark fühlen darf – zumindest, was Salat und Kräuter betrifft.

»MS Fischland«, das überall in Haus und Garten verbaute Schiff meines uralten Kapitäns-Vorgängers, hat lange dabei geholfen: Eine ihrer Ladeluken aus massiver Eiche ergab ein perfektes Hochbeet. In diesem silbrig verwitterten Rahmen war alles dekorativ: Lollo Rosso plus Kopfsalat, beide so eng in Reihen gesetzt, dass sie statt Köpfen besser dosierbaren Pflücksalat ergaben, ein üppiger Kresserand rundum. Rot zu Maigrün, durchsichtig-zarte zu stabilen gekrausten Blättern, dazu lila Schnittlauchblüten-Tupfer und moosgrüne Petersilie – das war unter den blühenden Bäumen so hübsch, dass es richtig schwerfiel, Löcher in dieses lebende Bild zu pflücken. Ein großer silbriger Estragon, ein bisschen Rauke, Kapuzinerkresse und reichlich von meinem Lieblingskraut Borretsch kamen dazu. Im Halbschatten hielt sich alles erstaunlich lange lecker, bevor der Salat schoss und der himmelblau blühende Borretsch übernahm.

Im letzten Frühjahr allerdings flog die keimende Kressesaat ungewohnt großflächig aus dem Beet. Das schrieb ich zunächst den Amseln zu und buchte es unter »etwas Schwund ist immer« ab. Als der gut eingewurzelte Salat nicht nur aus-, sondern auch noch zu Hügelchen aufgescharrt wurde, wunderte ich mich doch. Allerdings nicht lange: Kurz darauf rekelte sich auf dem Gras vor dem Beet eine dicke schwarze Katze, bedauerlicherweise eine mit mangelndem Urteilsvermögen: Als sie Terrier Erbse sah, blies sie sich zum doppelten Umfang auf, zischte wie ein ärgerlicher Igel und stakste dem deutlich kleineren Hund drohend entgegen. Daraufhin explodierte Erbse regelrecht, und der aggressive Eindringling schaffte es nur noch mit knapper Not über den Zaun.

Nun war alles klar: Mein Küchengarten war ein Katzenklo. Nach lauter Rasen- und Betonplatten-Biotopen rundum bot sich hier wunderschöne lockere Erde – ein Komfort, den die Mieze keinesfalls aufzugeben bereit war: Essiggetränkte Lappen am Beetrand interessierten sie kein Stück, stacheliger Rosenschnitt, der solche Probleme bisher immer gelöst hatte, zerriss mir die Finger und zerfledderte die Gewächse jämmerlich, wenn ihn die Katze allnächtlich ungerührt beiseitekratzte. Kükendraht ermunterte die nächtliche Besucherin zu akrobatischen Höchstleistungen: Sie kackte tatsächlich ungerührt durchs Gitter, überließ aber fortan mir die Aufgabe, das von ihrem Körpergewicht heruntergebogene Geflecht von ihren Hinterlassenschaften zu trennen. Der Appetit war mir längst vergangen, und so war es eine reine Trotzreaktion, als ich mit stabilerem Draht nachrüstete. Für mich waren die verbarrikadierten Gewächse nun kaum noch zu erreichen, und die Mieze wich ungerührt ins Beet direkt unter meinem Küchenfenster aus. Was nicht nur meinen Kochspaß noch weiter schmälerte, sondern auch der Katze zu einigen Nahtoderfahrungen bei unverhofften Zusammentreffen mit Erbse verhalf. Die hatte angesichts dieser ständigen Verletzung ihrer Hausrechte inzwischen den blanken Mord im Auge.

Mein Grünzeug war ungenießbar. Mein Hochbeet erinnerte an einen Raubtierkäfig. Mein Hund strich knurrend durchs Revier und fing an, ebenfalls an strategischen Punkten zu markieren. Gartenspaß im schönen Mai stelle ich mir irgendwie anders vor. Zumal die Mieze nun auch noch dazu überging, mit ihren Liebhabern olfaktorische Verabredungen zu treffen. Sprich: Immer mehr Katzen mit Frühlingsgefühlen markierten mein Hochbeet dermaßen intensiv, dass die verwitterten Bohlen bald rochen wie eine öffentliche Toilette der zweifelhaftesten Sorte. Dem nächtlichen Gekreische nach zu urteilen, ging es dort auch ganz ähnlich zu.

Was nun? Da ich weder auf mein essbares Frühlingsgrün verzichten, noch gärtnern wollte, um mich zu ärgern, blieb mir nur noch, das Beste aus allem zu machen und mir kurzentschlossen das lang ersehnte kleine Gewächshaus zuzulegen. Es wurde nicht die Gusseisen-Orangerie aller Träume, ist leider lange nicht so romantisch wie »MS Fischland«, aber es bedeutet eine Tür zwischen dem Katzen-Nachtleben und meinem Salat. Und es ist mal wieder ein Muster für Wunscherfüllung auf ziemlich skurrilen Umwegen. Nachdem das geklappt hat, fehlt mir nun eigentlich nur noch der zwingend perfekte Grund, mir endlich Hühner anzuschaffen …

Mein Garten, mein Paradies

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