Читать книгу Das Bekenntnis - Susanne Zwing - Страница 10

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Erinnerungen

Es war Ende April. Cathline wanderte langsam die Obstwiese hinauf, die sich hinter dem Gemüsegarten über eine sanfte Kuppe erstreckte. Sie wählte einen kaum ausgetretenen Pfad Richtung Süden, von dem sie einen guten Blick auf all die Felder hatte, die das Hofgut umgaben. Noch lagen sie brach, aber bald schon würde auch dort üppiges Grün wachsen. Der gerade erblühte Ginster stieg ihr mit seinem Duft zärtlich in die Nase. Tief sog sie den Geruch des Frühlings in sich auf. Genoss die Wärme, das frische Grün und das Meer der wogenden Gräser um sich her.

Der Wind blies durch die hochgewachsenen Kirschbäume und wirbelte weiße Blütenblätter in die Luft. Liebevoll rieselten sie wie ein warmer Schnee auf sie herab.

Als sie hinunter in die Ebene blickte, sah sie von dort oben den aufgewirbelten Staub sofort. Seit Wochen hatte es nun schon nicht mehr geregnet und alle Wege waren völlig ausgetrocknet. Die Staubwolke bewegte sich langsam auf das Gut zu. Jetzt wand sie sich durch die Allee der hohen Pappeln und inzwischen konnte Cathline eindeutig eine Kutsche erkennen, die von einem kleinen Pferd im frechen Trab gezogen wurde. Ein einzelner Mann saß auf dem Kutschbock.

In den drei Monaten, die sie inzwischen hier war, hatte sie noch keinen einzigen Besucher gesehen.

Beim Abendbrot bekam sie ihn zum ersten Mal zu Gesicht. Fasziniert beobachtete sie den fremden Besucher und ihren Herrn.

Als hätten sie die Welt um sich herum vergessen, waren sie in ein Gespräch vertieft, das ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchte. Wild gebärdete sich Jean. War er verärgert? Oder war es seine Art, sich leidenschaftlich auszudrücken? Schon wurde er durch heftiges Kopfschütteln des Gegenübers eines Besseren belehrt. Mit hochrotem Kopf schien es, als würde Jean im nächsten Augenblick aufspringen und seinen Gast hinauswerfen. Zornig funkelten Jeans Augen und spornten den kleinen Mann umso mehr an, der geradezu Gefallen an der Auseinandersetzung zu haben schien.

Nicht nur Cathline, auch die anderen warfen immer wieder verunsicherte Blicke zu den beiden hinauf ans Tischende, die aber keine Einmischung duldeten. Das fröhliche Lärmen, das sonst jedes Essen begleitete, war an diesem Abend einem leisen Gemurmel gewichen.

Nie zuvor hatte sie Jean derart heftig erlebt.

Plötzlich drehte sich der Fremde nach ihr um. Erschrocken fuhr Cathline zurück. „Mein Gott!“ Sie musste ihn derart angestarrt haben, dass er nun auf sie aufmerksam geworden war. Mit seinem bohrenden Blick drang er tiefer und tiefer. Bis in ihr Innerstes. Dunkelrot vor Bestürzung überzog sich ihr Gesicht bei dem Gedanken, er könnte all ihre Geheimnisse sehen. Als nun auch Jean verärgert nach der Störung suchte, wurde ihre Verlegenheit noch größer und ihre Röte noch tiefer. Könnte sie sich doch nur in Luft auflösen!

Ganz offensichtlich redeten sie nun über sie, denn der Fremde wies mit dem Kopf in ihre Richtung.

Wie hatte sie nur so leichtsinnig sein können? Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn.

Da unterbrach ein weinerliches Gejammer ihre Gedanken.

„Maman.“ Gierig streckte Marie ihre kleinen Hände nach dem Honig aus. Schuldbewusst, da sie die Kleine tatsächlich vergessen hatte, strich sie ihr hastig das Brot, mit einer extra dicken Schicht des süßen Honigs, was ihr wiederum einen tadelnden Blick von Françoise einbrachte. Mit einem kurzen Seitenblick wagte sie noch einmal an das Kopfende der Tafel zu schauen. Jean und der Fremde sprachen noch immer über sie. Das konnte sie sehen. Gesprächsfetzen drangen bis zu ihr durch. „… die Mutter von …, … erkennt sie nicht …“

Wie froh war sie, als Françoise in die Runde bellte: „Zeit, abzuräumen.“ Hastig wurden die letzten Reste vertilgt, die Becher geleert, Holzschüsseln aufgestapelt und in die Küche getragen.

Eilig drängten alle lärmend nach draußen, um den kurzen Abend auszukosten. So nutzte auch Cathline die Chance schnellstmöglich zu verschwinden.

Die Schatten der hohen alten Bäume hatten sich längst über das Gut gelegt. Dennoch war es noch angenehm. Cathline hatte noch keine Lust, in der engen, dunklen Hütte zu bleiben. Sie würde Marie schlafen legen und nochmals nach draußen gehen, überlegte sie sich.

Doch Marie hielt sie länger als gedacht auf:

„Singen, singen!“, bettelte sie. Nachdem sie schließlich zum dritten Mal eines der wenigen ihr bekannten Schlaflieder vorgesungen hatte, wurde sie langsam heiser.

„Tut mir leid, Schatz, aber ich kann nicht mehr.“ Sachte streichelte sie zärtlich Maries Haare. Sichtlich genoss Marie die volle Aufmerksamkeit von Cathline. Wenn sie sich doch nur mehr Zeit für das Kind nehmen könnte! Armer Schatz, hast nicht einmal einen Papa.

Dunkle Erinnerungen stürmten auf sie ein. Nein. Sie wollte nicht an die Vergangenheit denken. Heftig schluckte sie ihre bitteren Gedanken hinunter.

„Schlaf jetzt, mein Schatz.“ Sie drückte Marie einen dicken Kuss auf die kleine Wange und bekam zur Belohnung ein strahlendes Lächeln. Fest hielten die kleinen Händchen ihre Hände, als wollten sie sie niemals mehr loslassen. Wie schön sie doch aussah. Ihre zarte Haut, die Augen, die sie anstrahlten und ihr vertrauten.

„Ich hab dich lieb, meine Süße.“

Ein herzhaftes Gähnen ließ nun aber doch erkennen, dass Marie müde wurde. Behutsam löste sich Cathline aus ihrem Griff. Stattdessen gab sie ihr eine kleine Puppe, um die Marie heftig ihre kleinen Ärmchen schlang. Gerührt dachte Cathline daran zurück, wie sie aus dem Wenigen, das ihr zur Verfügung stand, dieses einfache Geschenk genäht hatte. Für Marie war es ohne Bedeutung, dass der Stoff gebraucht war und die Haare lediglich aus verfilzter Wolle bestanden.

„Puppi auch zudecken“, wurde sie von Marie ermahnt.

„Na klar doch.“ So zog sie die dünne Decke über Kind und Puppe. Beide lagen so friedlich und zufrieden da, dass ein tiefes Glücksgefühl Cathline durchstrahlte.

Sie war dankbar für dieses wunderbare Geschenk, dieses Kind, das nun zu ihr gehörte. Leise schlich sie hinaus.

In der Zwischenzeit war es dunkler geworden. Doch noch immer flogen vereinzelt Bienen und Hummeln umher. Cathline streifte durch die Obstbäume. Da die letzten Tage warm und sonnig gewesen waren, hatten sich schnell nacheinander alle Bäume mit einer blühenden Pracht überzogen. Ein weiß-rosa Blütenmeer. Darunter die gelbe Pracht des Löwenzahns, blaue Vergissmeinnicht, die die Bäume umsäumte. Und dort, im lichten Unterholz der hohen Buchen, blühten bereits die ersten kleinen weiß-gelben Blüten wilder Erdbeeren. Dort müsste es bald schon leckere Früchte in Hülle und Fülle geben, malte sich Cathline aus. Kaum konnte sie sich an dem Blütenwunder satt sehen, das sie mit dem starken Duft nach Frühling und dem Konzert der Vogelstimmen geradezu betörte.

Vereinzelt brannten bereits die Laternen. Auch dort im Gutshof konnte sie durch das offen stehende Fenster den flackernden Schein mehrerer Kerzen sehen. Ebenso den Schatten zweier Männer, die sich eifrig im Raum auf und ab bewegten. Es mussten Jean und der Fremde sein! Ihre Neugier wurde aufs Neue geweckt.

Widerwillig riss sie sich von ihrem Beobachtungsposten los und ging zur Hütte zurück. Inzwischen waren auch die beiden anderen Mägde Giselle und Molette da, die mit ihr die Kammer teilten. Vielleicht konnte sie von ihnen mehr erfahren?

Beide saßen nahe um einen kleinen Tisch. Sie hatten ihre Laternen entfacht, um bei den Näharbeiten, die sie in Händen hielten, besser sehen zu können. Mit geschickter Hand flickten sie ihre Wäsche. So griff auch Cathline nach ihrer Näharbeit und zog den letzten Stuhl näher an den Tisch. Bereitwillig machten sie ihr mit einem freundlichen Lächeln Platz. Wie dankbar war sie für den leichten Leinenstoff, den man ihr als Lohn gegeben hatte. Nun konnte sie für sich und Marie ein Sommerkleid nähen. Geschickt hatte sie mit sicherem Blick den Stoff zugeschnitten. Kritisch hatten Giselle und Molette sie beäugt, doch sie ließen sie in Ruhe weiterarbeiten, sichtlich beeindruckt von der Sicherheit, mit der Cathline schnell, zügig und genau arbeitete. Im Stillen dankte sie nun ihrer Mutter, die sie mit den täglichen Näharbeiten gequält hatte. Wie viel lieber wäre sie mit ihrem Bruder draußen herumgetollt oder hätte die Ställe ausgemistet! Nun aber war sie froh für die stundenlangen Zurechtweisungen. Leise stöhnte sie auf. Wie sehr sie sie doch alle vermisste!

Giselle horchte verwundert auf. „Ist alles in Ordnung?“ Fragend forschte sie in Cathlines Gesicht. „Du warst schon beim Essen so seltsam!“

Um von ihr selbst abzulenken, wagte sie es, nach dem Fremden zu fragen. „Was ist der Fremde für ein Mann? Ist er mit dem Seigneur gut bekannt?“, platzte es, schneller als geplant, aus ihr heraus.

Giselle und Molette warfen sich belustigte Blicke zu und fingen prustend an zu lachen. „Ah, er gefällt dir, was? Ist zwar ein bisschen klein geraten, aber nicht schlecht gebaut“, fuhr Molette amüsiert auf.

Errötend blickte Cathline zur Seite. Zu dumm! Hätte sie nicht geschickter nachfragen können? „Nein, es interessiert mich nur so, wer er ist. Obwohl er zugegeben nicht übel aussieht“, grinste sie nun doch zurück. Was tat es ihr schon? Sollten sie doch denken, was sie wollten.

„Ah, dieses Lächeln und dieser mitfühlende Blick“, schwärmte Molette. „Und immer fragt er, wie es mir geht, wenn ich ihm morgens beim Wasserholen begegne. Das fragt mich sonst nie jemand!“ Dabei blickte sie vorwurfsvoll von einer zur anderen. Die beiden mussten lachen, obwohl sie durchaus recht hatte.

„Aber lass die Finger von ihm“, meinte nun Giselle ernst, an Cathline gewandt. „Es ist Abbé Bernard. Und er fühlt sich für das geistliche Wohl von uns allen verantwortlich“, erläuterte sie. „Und“, fügte sie bedeutungsschwer hinzu, „nimmt es mit allem sehr genau. Noch nie ist er einer von uns zu nahe gekommen! Aber er ist lustig und macht mit uns allen seine Späße. Ist es nicht so, Molette?“ Diese nickte eifrig.

„Selbst den Seigneur bringt er zum Lachen! Und das soll was heißen!“

Verwirrt starrte Cathline Giselle an. „Was hast du gesagt? Der Mann dort oben ist ein Geistlicher?“

„Ja, sicher doch, Schätzchen. Er ist ständig auf Achse. Behauptet, eine lange Kutte sei ihm da ein Hindernis, die zieht er nur mal bei ganz besonderen Gelegenheiten über.“

„Dabei sieht er gar nicht wie ein braver Pater aus! Nicht wahr?“, mischte sich Molette ein.

„Und über was reden die zwei Herren stundenlang derart heftig?“ Sie wies mit dem Kopf Richtung Gutshof. Zu spät fiel ihr auf, dass sie sich damit verraten hatte, sie ausspioniert zu haben! Doch die beiden argwöhnten nichts, stellte Cathline erleichtert fest.

„Keine Ahnung. Er bringt jedes Mal seltsame Dinge mit, die wir nicht zu Gesicht bekommen. Nur Françoise sieht das ein oder andere beim Saubermachen. „Seltsames Gerümpel, sagt sie, auf das sie sich keinen Reim machen kann. Und natürlich die vielen alten, schon halb zerfallenen Bücher, für die schon der alte Seigneur sein halbes Vermögen ausgegeben hat. Sehr zum Leidwesen der Madame!“, fügte Giselle mit einem Ausdruck des Unverständnisses bei.

„Auf jeden Fall kommt Abbé Bernard weit herum, reist gerne und erzählt uns von fernen Ländern, die jenseits eines großen Wassers liegen sollen“, erzählte Molette weiter schwärmerisch. „Meist bleibt er für mehrere Tage. Der Seigneur ist dann kaum noch zu Gesicht zu bekommen. In diesen Tagen lässt er draußen alles stehen und liegen.“

„Hmm.“ Fasziniert hörte Cathline zu. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie auch gerne die Neuigkeiten aus der Welt außerhalb dieses Gutes wissen würde. Doch gleichzeitig stiegen Gefühle der Angst in ihr auf. Sie durfte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Je weniger sie kannten, desto besser. Stumm blickte sie in Richtung des beleuchteten Zimmers.

„Genug für heute“, beendete Giselle das Gespräch und die Arbeit.

Da wurde auch ihr bewusst, wie müde sie war.

Sie legte ihre Näharbeit zurück in den Korb. Einen letzten Blick erlaubte sie sich durch die Tür hinüber zum Haupthaus, bevor sie diese verschloss. Im Dunkeln zog sie sich ihr Arbeitskleid aus, hängte es an den einzigen Haken an der Wand und zog sich rasch ein einfaches Hemd über, das ihr als Nachtgewand diente. Sachte hob sie die Decke von Marie an und schlüpfte zu ihr auf die Schlafstatt. Wohlig empfingen sie die Wärme und der Geruch des Kindes. Doch lange noch fand sie keine Ruhe zum Schlaf. Zu sehr bewegte sie die Ankunft des Fremden.

Cathline trat am anderen Morgen leise aus ihrer kleinen Behausung heraus, um die anderen nicht unnötig früh zu wecken. Was für ein Tag! Sie roch es geradezu, wie schön dieser werden würde. Ein heller Lichtkegel im Osten ließ erkennen, dass die Sonne bald als strahlend leuchtender oranger Ball aufgehen würde. Doch noch lag Tau auf den stillen Wiesen, während die Vögel längst mit ihrem fröhlichen Gesang begonnen hatten.

Cathline lief den Obsthain hinauf, um besser in die Ferne schauen zu können. Dort, wo nur die obersten Baumwipfel aus einem Nebelstreifen herausragten, lag, so hatte sie inzwischen auf ihren Erkundungsgängen entdeckt, ein kleiner See.

Sie hatte es gerade noch rechtzeitig geschafft. Denn in eben diesem Moment stand die Sonne am Horizont. Stumm bestaunte sie, wie die Sonne höher und höher stieg. Unauffällig verschwanden gleichzeitig die Nebelschwaden und wichen innerhalb kürzester Zeit einem strahlenden Morgen.

Ein nahes Knirschen auf dem kiesigen Weg ließ sie plötzlich erschrocken herumfahren.

„Auch ich genieße diesen Augenblick des Tages. Wenn alles mit Ruhe und Frieden beginnt!“ Die Augen des Abbés blieben strikt auf den grandiosen Sonnenaufgang gerichtet. Doch noch bevor sie sich von ihrer Sprachlosigkeit erholt hatte, setzte er unerwartet fort: „Ich habe Euch hier nie zuvor gesehen. Seid Ihr schon lange hier?“ Blitzschnell drehte er sich zu ihr um. Sein forschender Blick traf ihre Seele.

Cathline erschauerte innerlich. Tief sog sie die Luft ein, um erst wieder Herr über sich selbst zu werden.

„Ein paar Wochen“, stieß Cathline unwillig aus.

„Ihr redet nicht gerne über die Vergangenheit?“, versuchte er es etwas sanfter, denn das entsetzte Aufflackern in ihren Augen war ihm ebenso wenig wie die Verärgerung in ihrer Stimme entgangen.

Unfähig, darauf zu antworten, blieb ihr Mund verschlossen.

„Entschuldigt!“ Formvollendet verbeugte er sich vor ihr. „Ich habe mich Euch noch nicht einmal vorgestellt. Abbé Bernard, unterwegs im Namen des Herrn.“ Er lächelte sie so charmant an, dass all ihre Angst so schnell verflog, wie sie gekommen war.

Noch immer von der Neugier getrieben, beschäftigten sie noch dieselben Fragen wie am Vorabend. Sie versuchte es: „Erlebt Ihr viel auf Euren Reisen, wohin kommt Ihr und …?“ Mitten im Satz stockte sie und wagte nicht weiter zu fragen.

Bernard schmunzelte und freute sich, dass sie sich ihm gegenüber ein wenig geöffnet hatte. Gerne war er bereit, über seine Aufträge zu reden. Doch wieviel würde sie vertragen? Allzu oft machte er die Erfahrung, dass ein ungläubiges Auflachen sofort jedes weitere Interesse vereitelte.

„Es erfreut mich, Euer Interesse zu sehen. Bitte habt nie Furcht davor, mir Eure Fragen zu stellen. Es ist schön zu sehen, dass Ihr Euch Gedanken über meine Arbeit und mich macht. Und darüber hinaus bereit seid zuzuhören.“ Bernard schmunzelte ihr zwinkernd zu. „Lasst mich mit meiner Jugend beginnen. Seit jeher lebe ich hier und bin ich allen sehr gut bekannt.“ Bernard lachte auf. „Doch muss ich gestehen, dass dies nicht auf ein vorbildliches Leben zurückzuführen ist. Ich war ein Kämpfer der unangenehmen Sorte, der mit jedem Streit suchte und auch fand. Geschickt im Umgang mit Waffen, habe ich meist auch gesiegt. Nur in einem nicht.“ Bernard vergewisserte sich, dass Cathline ihm noch immer ihre Aufmerksamkeit schenkte. Erst als er sich davon überzeugt hatte, sprach er weiter.

„Meinen Stolz zu besiegen, war ich nicht imstande. Und dieser war es auch, der mich zu Fall gebracht hat. Doch will ich nicht klagen, denn was als Demütigung begann, führte mir vor Augen, was ich nicht besaß und mir nie würde erkämpfen können. Freude und Wohlbehagen!“

„Und wie habt Ihr diese dann gefunden?“ Cathline platzte so schnell mit ihrer Frage heraus, dass der Abbé auflachte, doch bereitwillig antwortete.

„Ich wendete mich demjenigen zu, der mir seine Hilfe anbot.“ Ratlos zuckte Cathline die Schultern. „Ein großer König wurde mein Herr. El Redi fand mich im Staub und bildete mich für seinen Dienst aus. Seine Worte vergesse ich nie: ‚Dein Kampf gegen deinen eigenen maßlosen Hass ist sinnlos. Steh jetzt auf, denn ich bin zu dir gekommen, damit du mir dienst. Du sollst denen die Augen öffnen, die sich in dunklen Banden verfangen haben. Sei ihnen die Hilfe, die sie brauchen. Wenn sie Rettung annehmen, haben sie einen Platz unter denen, die zu mir gehören.‘

Viele Jahre sind seither vergangen und nichts ist mir erfüllender, als diesem Auftrag zu folgen.“ Eine kurze Pause entstand. „Jede Begegnung ist ein Abenteuer, auf das ich mich gerne einlasse. Herzen öffnen sich und damit oft auch Einblicke in die unglaubliche Vielfalt an Talenten, die jedem von uns mitgegeben sind. Errungenschaften, die so wertvoll sind, dass sie geteilt werden sollen und nicht nur mich zum Staunen bringen. Es gibt so viel Schönes zu entdecken. Und ich bin unterwegs, um es ans Licht zu bringen.“

Cathline nickte als verstünde sie, wovon er sprach. Noch immer strahlte er sie freundlich an. Sie sah ihm offen ins Gesicht. Er hatte nichts zu verbergen, was ihn mächtig machte. Sie jedoch wollte keinesfalls, dass er ihr sorgfältig verborgenes Geheimnis ans Licht brachte.

Beide hörten sie die lauter werdenden Stimmen unter ihnen. Der Hof war zum Leben erwacht. Cathline wies mit ihrem Kopf in die Richtung. Ein Grund sich schleunigst aus dem Staub zu machen.

„Entschuldigt Ihr mich. Ich muss an die Arbeit.“ Hastig knickste sie vor ihm, drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort raschen Schrittes davon. Sie spürte den anhaltenden Blick in ihrem Rücken auch ohne dass sie sich umdrehte. Heftig schlug ihr das Herz. Was war das für ein Mensch, der sie mit solcher Leichtigkeit durchschauen konnte. Etwas, das sie unbedingt vermeiden musste.

Bernard schaute ihr nach und murmelte: „Hoffentlich habe ich die richtigen Worte gefunden. Lass dir helfen, Mädchen!“

Beim Abendbrot war der Platz des Abbés bereits wieder von Nicolas besetzt. Jean nagte in sich gekehrt das Fleisch von den Knochen des Huhnes, von dem sie wusste, dass es eigentlich für den Besucher geschlachtet worden war. So plötzlich, wie er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden.

Das Bekenntnis

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