Читать книгу Das Bekenntnis - Susanne Zwing - Страница 12
ОглавлениеBegegnung
Ein schwüler und heißer Tag reihte sich an den anderen! Die Arbeit auf dem Feld forderte ihr Letztes an Kraft. Kaum konnte sie sich noch aufrichten nach der stundenlangen Arbeit in gebückter Haltung. Ihre Finger waren starr vor Schmutz durch das Unkrautjäten. Sie spürte die unzähligen kleinen Risse und Schrammen, die ihre Hände überzogen. Nur mit ihrer letzten Willenskraft hielt sie durch, bis die Sonne schon recht tief stand und die ungewohnte Hitze an Kraft verlor. Die langen Haare, nass geschwitzt und verstaubt, schienen ihr unerträglich. Erdrückend klebten ihr die Kleider am Leib, als sie sich zum Abendbrot versammelten. Allein der Gedanke an ein erfrischendes Bad in jenem kleinen See hinter dem Hügel beschäftigte sie während der ruhigen Mahlzeit. Auch die anderen waren von der Tagesarbeit erschöpft.
Nachdem Marie endlich in der drückenden Schwüle der kleinen Hütte eingeschlafen war, konnten sie auch die anklagenden Blicke von Giselle nicht länger zurückhalten. Längst wusste Giselle, wohin sie abends lief, wenn die anderen zusammensaßen, plauderten und so manchen Spaß miteinander hatten. Sie selbst hätte sich niemals allein vom Hof entfernt und verstand Cathlines Verschwinden nicht. Mit dem Handrücken wischte sie den Schweiß fort und eilte hinaus. Nur fort, drängte es in ihr. Mit beiden Händen hob sie ihre Röcke, um möglichst schnell durch das hohe Gras hinauf in den lichten Birkenwald zu kommen. Dort erst war sie vor Blicken geschützt und sie verlangsamte keuchend ihren Schritt. Was für ein schöner Anblick sich ihr von hier oben bot: versteckt zwischen den Bäumen schimmerte das Blau des Sees, während die tiefer stehende Sonne alles in ein goldenes Licht zauberte. Tief sog sie die Ruhe ein, die sie umgab. Ja, hier war sie glücklich!
Bewusst suchte sie von ihrem erhabenen Aussichtspunkt eine dichtere Ansammlung verschiedener Weiden ab. Dorthin führte sie ihr Weg. Bei einem ihrer abendlichen Streifgänge hatte sie dort einen Durchbruch durch das dichte Schilf entdeckt, der in einer kleinen Bucht endete.
Ein idealer Platz, um geschützt zu baden.
„Ahh.“ Ein tiefer Seufzer der Erleichterung machte sich aus ihr frei, als sie ihre Kleiderschichten mit einem einzigen Ruck über den Kopf zog. Übermütig sprang sie in das glasklare Wasser und ließ sich wild prustend in das kalte Nass sinken. Ihre losen Haare trieben um ihr Gesicht, kurz tauchte sie unter. Welch Wohltat, den Schmutz und die Hitze des Tages wegzuwaschen. Wenn nur die Zeit still stünde, dachte sie fast wehmütig. Langsam schwamm sie Zug um Zug. Erst als sie sich genügend erfrischt fühlte, schwamm sie ohne jede Eile zurück.
Tropfnass schlüpfte sie in ihr kurzes Untergewand. Es machte ihr nichts aus, dass der dünne Stoff sich sofort mit dem Wasser vollsaugte und sich eng an ihren Körper legte. Bis zum Hof wäre es längst wieder trocken.
Mit den Fingern entwirrte sie ihr langes Haar, das ihr über den Rücken fiel. Genussvoll legte sie den Kopf in den Nacken und schüttelte ihr dichtes Haar aus.
Da! Ein plötzliches Knacken ließ sie blitzschnell herumfahren. Und ihre weit aufgerissenen Augen verfingen sich in ebenso erschrockenen.
Wie lange waren sie so dagestanden? Zu Reglosigkeit erstarrt, stand Jean direkt vor ihr auf dem kaum wahrnehmbaren Trampelpfad durch das mannshohe Schilf. Sein Obergewand, das er sich in eben dem Augenblick über den Kopf gezogen hatte, in der Hand haltend.
„Oh, Himmel!“ Erlag sie einer Sinnestäuschung, oder stand er wirklich ähnlich entblößt wie sie selbst nur wenige Meter von ihr entfernt? Gefesselt starrte sie auf seinen nackten Oberkörper. Seine Muskeln zuckten im Licht. Kaum konnte sie ihren Blick davon abwenden, so überrascht war sie. In diesem Moment nahm sie in aller Deutlichkeit wahr, wie gut er aussah und wie sehr seine kräftigen Arme auf sie Sicherheit und Geborgenheit ausstrahlten. Cathline erschauerte.
Seine Augen waren das Erste, das sich bewegte. Sein Blick huschte ihren Körper entlang und wandte sich schnell wieder hilflos ab, nachdem er alles gesehen hatte.
Ein schlechtes Gewissen beschlich sie ebenso schnell wie die unwürdige Situation, in der sie sich befand. Wie musste sie in seinen Augen aussehen? Das nasse Kleid an ihrem Körper klebend. Ohne Erlaubnis im Gewässer des Seigneurs zu baden. Stand darauf nicht sicherlich eine Strafe? Beschämt, verletzt und beunruhigt entfuhr ihr ein leises Stöhnen.
Doch nicht sie war es, die sich entschuldigte.
„Vergebt! … vielmals … ich, ich hatte hier niemanden vermutet“, brach es in eben diesem Moment stockend aus Jean heraus.
Ebenso um Worte ringend, kamen Cathline nur Bruchstücke über die Lippen: „Ich, ich hatte keine Ahnung. Ihr badet hier?“ Ihre Verwunderung konnte sie beim besten Willen nicht zurückhalten, was Jean schmunzeln ließ.
„Nun ja; ich glaube, ich bin dazu durchaus im Recht.“ Sein Schmunzeln hatte sich zu einem schelmischen Grinsen ausgebreitet. Nachdem er seine anfängliche Überraschung überwunden hatte, wurde er wieder Herr über sich selbst. Cathline so unerwartet allein gegenüberzustehen, erregte ihn zutiefst; und das nicht nur körperlich.
„Wir hatten offensichtlich denselben Gedanken! Wie ich sehe, brauchtet auch Ihr dringend eine Abkühlung“, vermerkte er mit einem spitzbübischen Grinsen.
Sein Blick ging nun allzu deutlich von ihren Augen abwärts über ihren Hals und blieb unverwandt auf ihren festen Brüsten haften. Hastig griff sie nach ihrem Obergewand, das zwischen ihr und Jean auf dem Boden lag. Fest drückte sie es vor ihren Körper, als gälte es, ihr Leben zu verteidigen.
„Lasst euch nicht länger aufhalten. Das Wasser kühlt in der Tat alle Hitzen ab.“ Übereilig machte sie die ersten Schritte und versuchte seitlich an ihm vorbeizustürmen.
Doch war der Pfad zu schmal, da er den Weg nicht frei machte.
Da griff er nach ihrem Arm. Hielt sie hart fest.
„So wartet doch. Habt ihr es so eilig fortzukommen?“
Seine Berührung schien ihren gesamten Körper lahmzulegen. Unfähig zu irgendeiner Bewegung, waren sie sich so nah und ihre Blicke verfingen sich ineinander. Als gäbe es kein Entrinnen mehr. Nur ihr beider heftiger Atem war zu hören. Die Zeit stand still. Spürte er ebenso wie sie diese Spannung?
„Ihr tut mir weh. Ich bitte Euch, lasst mich gehen!“
„Verzeiht!“ Erschrocken ließ er sofort von ihr ab. Jeans Blick fiel auf den rot angelaufenen Arm. Nun war es an ihm, sich zu schämen, da er nicht gemerkt hatte, mit welcher Kraft er zugepackt hatte. Und dennoch konnte er nicht davon ablassen, sie mit seinem Blick festzuhalten, denn verflixt, er wollte sie nicht gehen lassen!
War nur er es, der verhindern wollte, dass dieses unerwartete Treffen so rasch endete? Ihre Worte waren ernst und sicher, doch ihre Augen schienen ihm gleichzeitig traurig. Wollte sie wirklich gehen? Noch einmal holte er tief Luft.
„Seht Ihr dort drüben die alte Weide?“, brachte er mühsam hervor und wies dabei mit dem Kopf in deren Richtung, ohne jedoch Cathline aus den Augen zu verlieren. „Würdet Ihr dort auf mich warten?“
Cathline drehte sich in die angegebene Richtung. Ja, sofort erkannte sie den hohen Baum, der in einer kleinen Lichtung thronte. Immer schneller schlug ihr das Herz in der Brust und tausend Gedanken rasten ihr durch den Kopf.
Sein flehentlicher, bittender Blick! Eine tiefe Sehnsucht, die sie, ach schon so lange, in sich tief vergraben hatte, drängte gewaltvoll nach oben. Sie spürte genau, wie sie mit jedem Moment schwächer wurde und ihre ganze Willenskraft dahinschmolz. Alles, wozu sie fähig war, war ein kurzes Nicken. Abrupt drehte sie sich ab und verschwand im hohen Schilf.
Der Weg schien ihr viel zu kurz, um ihre Gedanken zu ordnen. Verspürte auch er dieselbe lodernde Lust wie sie? Keuchend stieß sie ihren Atem aus. Sein freier Oberkörper, die starken Muskeln, auch sie war gebannt gewesen von seiner Männlichkeit. Oh, Gott! Hatte er womöglich ihre verwirrten Blicke, die sie nicht hatte zurückhalten können, als Aufforderung verstanden? Was wird dort oben geschehen? Bei diesem Gedanken spürte sie eine tiefe Wärme durch ihren Körper steigen. Angst kroch in ihr hoch. Sie würde sich hilflos verlieren. Dann würde alles noch viel schlimmer für sie werden. Und sie wusste nun ganz genau, dass sie dieser Sehnsucht nicht würde standhalten können, wenn sie ihr mehr Raum gewähren sollte. Tränen traten ihr in die Augen.
Nun stand sie dort, vor diesem Baum. Langsam drehte sie sich um. Dort konnte sie Jean im Wasser erkennen. Er schwamm zurück zum Ufer. Nicht mehr lange und er würde hier – bei ihr – sein.
Jean war aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sachte und vorsichtig bahnte sie mit den Händen einen Weg durch die herabhängenden Äste. Sanftes Gras bedeckte den Boden. Im schwachen Abendwind bewegten sich leise die Blätter, ineinander verwoben. Wie feinste Seide, so leicht und schwerelos, kam eine längst vergessen geglaubte Erinnerung in ihr hoch. Welch atemberaubender Platz. Eine eigene Welt. Umgeben von den Blättern bildete sich ein geschützter Raum. Was für ein sinnlicher Ort!
Noch hörte sie ihn nicht kommen. Doch schon sehr bald würden sie in dieser eigenen Welt alleine sein. Sie würde hier mit Jean sein, und nichts wünschte sie sich mehr, als mit ihm zusammen in einer anderen, ihr allein gehörenden Welt zu sein.
Jean war nicht fähig, den erlebten Augenblick – denn länger konnte es unmöglich gedauert haben – aus seinen Gedanken zu verbannen. Und im Grunde genommen wollte er es auch gar nicht. Schnell war er wieder in seine Kleider geschlüpft und hatte keinen anderen Wunsch, als möglichst rasch dort oben bei Cathline zu sein. Dieser bezaubernde Anblick, in dem sie sich unbeobachtet fühlend ganz frei bewegte, war einfach zu viel gewesen. Es hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen.
Sein Atem ging heftig und stoßweise, doch er hätte nicht sagen können, war es vom raschen Anstieg oder mehr von der freudigen Spannung, die ihn ergriffen hatte. Kurz blieb er vor dem alten Baum stehen, als wolle er sich sammeln. Dann trat er durch den Schirm aus Blättern hindurch.
Unschlüssig blieb er stehen.
„Cathline? Seid Ihr hier?“ Suchend schweiften seine Augen umher, hinauf ins Geäst, doch nur Stille umgab ihn. Die Enttäuschung schmeckte bitter und er musste schwer schlucken.
„Ihr wolltet mich wohl einfach nur schnell losbekommen, was?“, murmelte er verärgert vor sich hin. Doch wie er so dastand, fiel sein Blick auf das frische Gras. Ja, es waren frische Spuren überall. Dort war sie am Stamm entlanggelaufen und von dort führten die Spuren hinaus. So war sie also hier gewesen.
Es zog ihn magisch nach der Stelle, wo die Spuren nach draußen führten. Dort öffnete er die Wand aus Blättern.
Er sah sie sofort. Sie war noch nicht weit entfernt. Durch das hohe Gras kam sie nur langsam voran. Es wäre ein Leichtes, sie einzuholen. War es sein gekränkter Stolz, der ihn zurückhielt?
Ihr Schritt wurde langsamer, bis sie schließlich zögerlich stehen blieb.
Ein Prickeln lief Cathline über die Haut. Sie spürte seinen Blick auf ihrem Rücken. Langsam drehte sie sich um. Dort stand er und beobachtete sie unbeweglich. Er ließ sie gewähren, erkannte sie. Mit schweren Schritten ging sie dem Hof entgegen.
Die Wochen verstrichen und mit ihnen die Gelegenheit, über die Begegnung am See zu reden. Cathline wagte nicht, noch einmal dort hinauszugehen. Zu sehr fürchtete sie sich vor einem weiteren Zusammentreffen. Selbst auf dem Gut vermied sie es, Jean alleine gegenüberzustehen. Ihm schien es gerade recht zu sein. Nur selten wandte er sich direkt an sie. Wo er früher mit ihr gesprochen hatte, übernahm immer häufiger Nicolas die Rolle Notwendiges zu besprechen.
Nicolas‘ warmherzige Art tat ihr gut. Sie wusste, dass sie längst sein Herz gewonnen hatte und er eine neue Mutter für seine fünf Kinder brauchte. Noch war sie hart gegen sich selbst. Doch wie lange würde sie standhalten können? Immer mehr spürte sie die tiefe Sehnsucht, einem Mann anzugehören und eine Familie zu haben. Schon neckten die anderen Mägde sie, wann sie endlich den schmachtenden Blicken Nicolas‘ nachgeben würde. Sie kannte sich ja selbst nicht aus. An einem Tag war sie zu Scherzen mit ihm aufgelegt und schon am nächsten suchten ihre Augen nach einem anderen.
So wurden aus Tagen Wochen. Das Leben auf dem Gut hatte sie längst in seinen Kreislauf aufgenommen. Die ersten Ernten wurden eingefahren und bald schon drehte sich bei Groß und Klein alles um das bevorstehende Fest, das sie alljährlich nach Einbringen der ersten Früchte auf dem Hofgut gemeinsam feierten.