Читать книгу Das Bekenntnis - Susanne Zwing - Страница 9
ОглавлениеBruchstücke
Die Tage vergingen. Abends fiel sie todmüde auf das einfache Lager, das man ihr zugeteilt hatte. Sie und Marie teilten sich einen kleinen Raum mit zwei anderen jungen Mägden. Einfach ausgestattet, mit einem Tisch und drei Stühlen, bot er dennoch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Doch heute hielt sie es nach der Arbeit nicht länger in der kleinen Hütte aus. Auch Marie hüpfte unausgeglichen auf ihrem Schoß. So groß war der Drang in ihr, hinauszuwandern in die umliegenden Felder, die Hügel zu erklimmen und zu erkunden, was dahinter lag. Mit klopfendem Herzen nahm sie Marie an die Hand und stahl sich ohne eine Erklärung hinaus. Sie schlugen den Weg zu ihrem Garten ein, wie sie ihn schon für sich nannte. Langsam durchstreiften sie die Beete, am Brunnen vorbei; dort, wo der Garten durch eine dichte Buschhecke begrenzt wurde. Mit einem letzten kurzen Blick zurück schlüpften sie durch das Gebüsch hindurch und kletterten über die niedrige Steinmauer, die den Gemüsebereich von den umliegenden Wiesen trennte.
Nachdem sie den ersten Hügelkamm überschritten hatten, hielt Cathline an einer einzeln stehenden Eiche inne. Doch die Kleine an ihrer Seite war so voller Lebenslust, dass sie augenblicklich weiter sprang.
„Ja, lauf nur“, rief sie ihr heiter hinterher. „Aber nicht zu weit. Hörst du!“ Beruhigt ließ sie ihren Blick über das Grün um sie herum schweifen. Hier lauerten keine Gefahren, sodass sie Marie frei springen lassen konnte.
Langsam ließ sie ihre Arme nach unten gleiten, spürte den noch warmen Stamm in ihrem Rücken, unter ihren Händen. Ruhig ließ sie sich in die Umarmung ihres starken Freundes hinter ihr fallen.
Er war stark, hatte dem Leben getrotzt und wuchs Jahr für Jahr höher hinaus. Hier fand sie Trost und konnte ihre Gedanken fließen lassen und musste ihre Gefühle nicht verstecken. So versunken, nahm sie zuerst nur vage eine Veränderung wahr. Lange Minuten verstrichen, bis sie zu sich kam und diese weit entfernte Stimme einordnen konnte, die nach ihr verlangte. Noch immer benommen, löste sie sich von dem Baum und horchte, woher sie die lachende Stimme Maries gehört hatte. Wo steckte sie nur? Stimmen kamen näher. Verwirrt ging sie einige Schritte in die Richtung, aus der sie das Kichern zu hören gemeint hatte.
Da, wieder, es waren eindeutig zwei Stimmen. Und irgendwie kam ihr diese andere Stimme bekannt vor. Doch sie konnte sie niemandem zuordnen. Cathline stand unbeweglich. Dort! Schemenhaft bewegte sich jemand durch das wogende Gras auf sie zu. Schritt für Schritt erkannte sie in der hohen Gestalt Seigneur Jean, der auf seinen Schultern ihr strahlendes Kind trug! Näher und näher durchschritt er das Meer aus Grün, bis er direkt vor ihr stand. Vor Schreck rührte sie sich nicht von der Stelle. Kein Laut kam über ihre Lippen.
Glücklich strahlend zeigte Marie mit ihrem kleinen Ärmchen auf Cathline: „Maman, da Maman!“
„Hey, Marie, wo kommst du denn her?“, fand sie ihre Stimme schwankend wieder. Unsicher, wie sie sich verhalten sollte, sah sie von einem zum anderen.
„Ich fand sie dort unten am Wasser, sie spielte ganz vertieft – allein!“ Abwartend versuchte er in Cathlines Gesicht zu lesen.
„Wie soll ich Euch nur danken, Seigneur Jean?“, suchte Cathline nach Worten.
Noch immer war Marie auf seinen Schultern zufrieden und machte keinerlei Anstalten, daran etwas zu ändern.
Schweigend standen sie sich gegenüber, und als dies Jean zu unbehaglich wurde, löste er seinen Griff, mit dem er bislang die Beinchen Maries festgehalten hatte, und nahm sie von seinen Schultern herunter. Unmut zeigte sich in dem kleinen Gesichtchen.
Cathline streckte ihre Arme nach ihr aus. Sie sah so klein und zierlich in seinen kräftigen Armen aus.
Entschuldigend wies sie auf den Baum über ihr und den Horizont.
„Ich war so versunken hier an diesem wunderschönen Ort.“
Goldrot ging die Sonne hinter Gräsern und Schilf unter.
„Alles liegt so ruhig da!“
„Ja, um diese Zeit ist es hier sehr schön.“
Ungehalten forderte Maries Stimme Gehör: „Maman, Maman, was essen, essen!“
„Oh, Marie. Bald. Bald sind wir daheim, dann bekommst du Brot. Trink einen Schluck!“ Dabei löste sie einen von zwei kleinen ledernen Beuteln ihres Gürtels und gab ihn Marie in die Hände. Sie stellte Marie auf den Boden, als ihr das Wasser über das Kinn hinunterlief und auf Cathline tropfte. Rasch fasste sie nach dem kleinen Ziegenbeutel, bevor Marie das ganze Wasser auf den Boden laufen ließ. Schon verzogen sich ihre Mundwinkel und gleich würden die ersten Tränen kullern, wusste Cathline. Doch Jean kam ihr zuvor.
„Sieh mal, was ich dabei habe! Magst du Honig?“ Dabei war er vor ihr in die Hocke gegangen und hatte ein Tuch vor ihrer Nase aufgeschlagen. „Die Wabe habe ich gerade vorhin aus dem Stock geholt.“
Das Weinen war vergessen. Neugierig beobachtete sie Jean, wie er die Überreste eines Fladens vom Abendbrot aus seiner Umhängetasche hervorzauberte.
„Probiere, Marie!“ Sachte zog er sie zu sich auf einen Oberschenkel. Auf den anderen hatte er die Wabe und das Brot gelegt.
Mühsam beherrscht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, riss er ein Stück vom Fladen ab.
„Hier, schau!“ Er strich mit dem Brot über die Honigwabe.
„Probiere es!“ Zufrieden ging ein Grinsen über sein Gesicht, als Marie danach griff und es lächelnd in ihrem Mund verschwinden ließ.
Cathline musste bei diesem Anblick schmunzeln. Ächzend ließ er Marie von seinem Schoß gleiten, gab ihr aber noch einen Happen nach, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich zufrieden war.
„Nehmt auch Ihr!“ Noch einmal hatte er vor ihren Augen den Rest geteilt und in die Waben eingetunkt.
„Habt Ihr den Honig schon einmal frisch vom Stock probiert?“
„Nein, ehrlich gesagt nicht.“ Aber der süße Duft hatte auch ihr das Wasser im Mund zusammenfließen lassen und so streckte sie ihm ihre Hand entgegen und nahm den Anteil, welchen er ihr anbot.
So vergingen Minuten, in denen sie vergnügt einen Brocken nach dem anderen in die Wabe tauchten. Marie saß zufrieden im Gras und knabberte an einem besonders harten Randstück, das ihrer ganzen Aufmerksamkeit bedurfte.
„Seid ihr öfters hier draußen unterwegs?“
Erschrocken blickte sie auf.
„Ich hoffe, Seigneur, Ihr habt nichts dagegen. Meine Arbeiten sind alle erledigt“, versuchte sie sich zu verteidigen, noch bevor er zum Angriff übergehen konnte. Heftig schluckte sie.
„Es ist nur so“, gab sie sich einen Ruck, „es ist wie eine Sucht, etwas in mir zieht mich hinaus.“
Nun war es an ihm, erschrocken dreinzublicken, angesichts ihrer heftigen Reaktion.
„Habt keine Furcht!“, versuchte er ihre offensichtliche Beunruhigung zu mildern.
„Geht hinaus, wenn es Eure Pflichten erlauben. Es ist nur, wie soll ich sagen, recht ungewöhnlich, jemanden hier draußen anzutreffen. Es sei denn, er hätte gewildert. Und das, vermute ich, trifft nicht auf Euch zu“, versuchte er sie zu necken. Ihr entrüsteter Gesichtsausdruck ließ ihn schmunzeln. Und als Cathline endlich erkannte, dass er nicht ärgerlich war, stahl sich auch um ihren Mund ein zaghaftes Lächeln.
Mit einem plötzlichen knappen Nicken verabschiedete sich Jean.
„Ich muss noch nach Migel sehen!“ Damit wandte er sich um und ging um den Hügelkamm herum, in Richtung der Koppel, auf der sein schwarzer Hengst stand, den er selbst versorgte. Denn so wild, wie der noch junge Hengst war, traute sich niemand an ihn heran.
Erst ein paar Minuten später wagte er es, sich umzudrehen, um nach Cathline zu sehen. Mit Marie auf dem Arm ging sie zurück. Heftig stöhnte er auf. „Was bin ich nur für ein Dummkopf und laufe vor ihr davon? Bin nicht ich der Herr und sie die Magd?“ Wütend auf sich selbst, stieß er mit dem Fuß in die Erde und schleuderte einen gewaltigen Erdballen in die Luft. „Was ist an dieser Magd, das mich durcheinanderbringt?“, fragte er Migel, als er bei ihm angekommen war und ihm den Hals klopfte. Migel wieherte und schleuderte seinen Kopf zur Seite, sodass seine lange Mähne aufflatterte. Ungestüm machte der junge Hengst Sprünge und brachte damit Jean zum Lachen.
„Ah, verstehe. Du willst mir zeigen, dass auch du Lust auf das Leben hast und Energie in dir steckt, die hinaus will.“
Müde und verwirrt erreichte Cathline den Hof. Aus dem jungen Herren wurde sie nicht schlau. Meist wirkte er sehr zurückgezogen und ernst. Doch eben hatte er eine Zärtlichkeit für Marie gezeigt, die sie nicht in ihm vermutet hätte. Seine Ruhe und sein Lächeln hatten sie beruhigt. In seiner Nähe hatte sie sich sicher gefühlt, stellte sie fest. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte sie ein leises Glücksgefühl, von dem sie schon gedacht hatte, es wäre für immer verloren gegangen.