Читать книгу Das Bekenntnis - Susanne Zwing - Страница 8

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Herzklopfen

Mit klammen Fingern versuchte Cathline ihren fadenscheinigen Umhang zusammenzuhalten. So wie sie auch ihre Tränen zurückzuhalten versuchte.

Heftig sog sie die feuchte und kalte Luft ein. Mit einem langen Atemstoß stellte sie sich der Begegnung, die über ihr weiteres Schicksal entscheiden sollte.

„Seht, Kindchen!“ Die alte Frau an ihrer Seite drückte ihr dabei energisch mit ihrer verrunzelten Hand in den Arm. „Dort kommt er!“

Mit klopfendem Herzen wandte Cathline ihren Blick in die Richtung, die ihr die Alte wies. Die zwei Männer, die ihnen von dort zwischen den Stallungen entgegenkamen, blickten zum Himmel und schüttelten verwundert ihre Köpfe. Wild flogen ihnen die Schneeflocken ins Gesicht. Die grauen Wolken ließen immer wieder die Sonne hindurch, sodass der Schnee sofort wieder schmolz, sobald er die Erde erreichte. Ihre Gesichter konnte sie nicht deutlich erkennen, da sie ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen hatten.

Beide trugen sie Arbeitskleidung; ein wollenes Hemd, hohe Stiefel und ein ledernes Wams, das sie gegen die Morgenkühle schützte. Dies und die wettergegerbten Gesichter hätten sie beide gleichermaßen als Bauern gekennzeichnet, wüsste sie nicht, dass einer der beiden der Seigneur des Gutes sein musste. Inzwischen waren sie dichter herangekommen, nahmen aber noch immer keine Notiz von der kleinen Gruppe, die ihnen entgegensah. Der eine, erkannte sie nun, konnte nicht viel älter als sie selbst sein. Der andere, ein dunkelbärtiger Hüne, starrte auf seine ledernen Stiefel hinab, die zweifellos das Wasser nicht mehr zurückhalten konnten und ihm schon am frühen Morgen nasse Füße bescherten.

Verunsichert glitt Cathlines Blick von dem nur wenig älteren Hünen wieder zurück zum Jüngeren, der in eben diesem Moment in ihre Richtung sah.

Rasch wandte Cathline ihren Blick von ihm ab und drehte sich Hilfe suchend der Alten neben ihr zu. Diese nahm aber keine Notiz von dem Unbehagen der jungen Frau. Vielmehr schob sie diese aus dem Schatten der schützenden Hütte ins Freie. Selbst aber trat die alte Magd hinter Cathline zurück, während ihr Mann, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, aus dem Schatten heraustrat und auf die beiden Männer zueilte.

„Seigneur! Seigneur Jean, entschuldigt.“ Stockend brach er ab und neigte seinen Blick, zur Überraschung von Cathline, vor dem Jüngeren.

„Was gibt es denn, Jacques?“ Verwundert richtete er seine Aufmerksamkeit dem herangekommenen Knecht zu.

„Nun, Herr, diese“ – kurz hielt er stockend inne – „diese junge Frau dort sucht Arbeit.“ Sichtlich unangenehm über sein Anliegen, senkte er den Kopf noch tiefer und schaute verstohlen zu den beiden wartenden Frauen zurück.

„Du weißt doch, dass ihr Dahergelaufene fortschicken sollt!“, gab der junge Mann unwirsch zurück, hatte aber den unglücklichen Blick des Knechtes bemerkt und schaute nun doch in dessen Richtung.

Wie schämte sich Cathline plötzlich, als sie den abschätzenden Blick, der sie musterte, auf sich spürte. Sie hatte ihr Möglichstes getan. Dennoch war ihr Kleid schmutzig und am Saum zerrissen. Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der jedoch unter einem wollenen Kopftuch verborgen war. Schmerzlich war sie sich ihrer verwahrlosten Erscheinung bewusst und nur mühsam hielt Cathline den Drang zurück, davonzulaufen.

Während der Bärtige sich abwandte, trat der Angesprochene mit wenigen kraftvollen Schritten auf sie zu. Auch er war groß gewachsen, stellte sie erstaunt fest. Sollte dieser also der Herr des Gutes sein? Mit einem kaum wahrnehmbaren Knicks blieb sie starr stehen und bohrte ihren Blick in den Boden.

Dabei sah sie die flehentlichen Blicke nicht, die die alte Magd unverhohlen mit dem jungen Herrn wechselte.

Einen langen Augenblick herrschte banges Schweigen.

„Wie ist Euer Name?“ Seine kräftige Stimme durchschnitt plötzlich die erdrückende Stille, und da sein Tonfall kein Misstrauen erkennen ließ, schöpfte sie Hoffnung.

„Cathline, mein Herr.“ Mit diesen Worten sah sie langsam auf. Mit der Morgensonne im Rücken lagen seine Augen im Schatten und sie hätte nicht sagen können, welche Farbe sie hatten. Aber sein Gesicht strahlte Offenheit und Neugierde aus, wodurch sich ihre Aufregung etwas legte und ihr Atem ruhiger wurde.

„Wenn Ihr die Arbeit nicht scheut, so könnt Ihr bis auf Weiteres bleiben. Nicolas wird Euch sagen, was zu tun ist.“ Er deutete mit dem Kopf auf ein kleines Stallgebäude, vor dem sich der Hüne zu schaffen machte und sie von dort aus beobachtete.

„Ich danke Euch, Herr!“

Unverwandt forschte er in ihren Augen und Cathline hoffte inständig, dass er nicht allzu tief in sie hineinblicken konnte. Ein kurzes Nicken seinerseits beendete die Vorstellung abrupt und ohne einen weiteren Ton von sich zu geben, wandte er sich ab und ging auf das große Herrenhaus zu.

Erleichtert atmete Cathline aus. Er hatte sie nicht fortgeschickt.

„Geht nun, mein Kind, und seid ohne Sorge. Nicolas sieht zwar aus wie ein Bär, ist aber eine gütige Seele. Ihr könnt ihm vertrauen!“ Leiser fügte Françoise hinzu: „Auf Eure Tochter werde ich schon Acht geben.“ Aufmunternd legte die alte Magd ihre Hand auf Cathlines Arm. Sie überließ Cathline ihrem weiteren Schicksal und ging zusammen mit ihrem Mann auf eine kleine abseits gelegene Hütte zu, die ihr in den letzten Tagen Unterschlupf gewesen war.

Plötzlich ganz allein gelassen, beeilte sich Cathline, zu dem Stallgebäude zu kommen, in dem der Bärtige verschwunden war. Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben. Aber sie war froh, hier an diesem abgeschiedenen Ort bleiben zu können. Das war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte.

„Hallo? Hallo, ist da jemand?“ Zaghaft öffnete sie das hölzerne Tor des Gebäudes und spähte in das dämmrige Innere. Nur ein leises metallisches Klirren verriet ihr, dass tatsächlich jemand im Gebäude war. Gleich darauf erschien sein riesiger Schatten.

„Der Seigneur schickt mich zu Euch. Er sagte, Ihr habt Arbeit für mich.“

„Aha!“, stellte er fest. Grübelnd fuhr er sich mit der Hand durch seinen Bart.

„Kommt mit, es gibt allerhand zu tun.“

Im Stillen wunderte er sich über seinen Herrn. Mit dieser zierlichen Gestalt würde sie sicherlich nicht lange bei der harten Arbeit draußen durchhalten. Warum hatte er sie ausgerechnet zu ihm geschickt und nicht ins Haus?

Mit großen Schritten war er vorangegangen und Cathline beeilte sich ihm zu folgen. Sie traten durch eine rückwärtige Tür ins Freie hinaus. Dort schloss sich ein von einer niedrigen, steinernen Mauer eingefasster Gemüsegarten direkt an das Stallgebäude an.

„Seht selbst!“ Dabei schritt er eine lange Reihe vernachlässigter Beete entlang. Einfassungen hatten sich gelöst, Wurzelreste und Unkraut des Vorjahres lagen verstreut auf der hart gewordenen Erde. Ganz offensichtlich fehlte es hier an Zeit oder der nötigen Hingabe.

„Die Beete müssen für die Aussaat und das Pflanzen vorbereitet werden.“ Dabei wies er auf den weitläufigen Gartenbereich, der sich um Süd- und Westseite des Gebäudes erstreckte. Nicolas hatte sehr wohl ihren erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkt. Mitleid wollte in ihm aufkommen bei dem, was sie hier erwartete. Doch so ausgemergelt wie sie aussah, war ihr bisheriges Leben auch nicht gerade komfortabel gewesen.

„Ich zeige Euch die Geräte, kommt mit“, versuchte er sich nun etwas freundlicher.

Gemeinsam gingen sie zurück in das Stallgebäude, das sich als Lagerraum für die verschiedensten Dinge entpuppte. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte sie trotz dem heillosen Durcheinander von Hacken, Eimern und Karren schnell die Geräte, die sie brauchen würde.

„Werdet Ihr allein zurechtkommen?“, fragte Nicolas mit deutlich hörbarem Zweifel in der Stimme. Entschuldigend fügte er an: „Wir hatten im Winter das Fieber hier, einige sind daran gestorben und vieles kam dadurch durcheinander.“ Ein kurzer Schatten huschte über sein Gesicht. „Es wird zu Euren Aufgaben gehören, hier Ordnung zu schaffen. Habt Ihr denn überhaupt eine Ahnung von der Arbeit, die hier auf Euch wartet?“ Missbilligend glitt sein Blick über ihre bleiche Haut.

„Ja, gewiss“, erwiderte sie mit aller Zuversicht, die sie in ihre Stimme legen konnte. Die Pflege eines Gartens war ihr tatsächlich vertraut. Doch gerade deshalb wusste sie, wie viel Arbeit es brauchen würde, bis alles rechtzeitig zur Aussaat vorbereitet war.

„Nehmt, was Ihr braucht. Dann beginnt Ihr am besten an der Südseite, wo der Boden schon trockener ist. Damit werdet Ihr die nächsten Tage genügend Arbeit haben.“

Ein Funken Mitleid überkam ihn, denn schon bald würden ihr alle Muskeln schmerzen. Unvermittelt schenkte er ihr ein langes, freundliches Lächeln.

„Ich muss jetzt raus auf die Koppel. Werdet Ihr zurechtkommen?“, fragte er noch einmal mit einer Stimme, die seinen Zweifel verriet.

„Nun geht schon. Ich brauche Euch gewiss nicht“, warf sie ihm unerwartet keck zu. Erleichtert lachte Nicolas auf und ließ sie kopfschüttelnd zurück.

„Also gut!“, machte sich Cathline selber Mut. Es war schließlich nicht das erste Mal! Und es war ihr allemal lieber, hier draußen allein zu arbeiten als in dem dampfend stickigen Waschhaus oder der allzeit geschäftigen Küche.

„Ob hier wohl irgendwo ein brauchbarer Spaten zu finden ist?“ Mühsam kämpfte sie sich bis in die hintersten Ecken durch das Gewirr von abgebrochenen Stielen und rostigen Klingen.

„Ah! Das könnte doch gehen!“ Sie raffte sich Spaten und Hacke unter den einen Arm. In der anderen Hand zog sie zwei hölzerne Eimer hinter sich her. So trat sie wieder hinaus ins Freie und wurde von den ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages freundlich gegrüßt, die nun endgültig über die letzten Schneeflocken gesiegt hatten. Ein lauer Wind bewegte sachte Bäume und Gebüsch um sie her und alles schrie förmlich nach einem neuen Anfang. Tief sog sie die Kraft des Frühlings ein und mit ebendieser Entschlossenheit machte sie sich daran, die winterschwere Erde umzugraben.

Von den neugierigen Blicken, die die anderen im Vorübergehen auf sie warfen, nahm sie nichts wahr. Nur kurze Pausen gönnte sie sich, stemmte die Hände in ihr Kreuz und versuchte dadurch die Anspannung ihrer Muskeln zu lösen. Mit all ihrer Willenskraft schaffte sie es, bis zur Dämmerung durchzuhalten. Als sie den Ruf für das Abendessen hörte, seufzte sie erleichtert auf. Hastig räumte sie ihre Sachen auf, schloss sorgfältig das kleine Tor und ging in die Richtung, in der sie die anderen hatte verschwinden sehen.

Der Weg führte sie seitlich an das Hauptgebäude; dort stand eine Tür weit offen. Vorsichtig spähte sie im Vorbeigehen durch die hell erleuchteten Fenster und konnte einen geräumigen Raum mit Holztischen und langen Bänken ausmachen. Aufgeregt schlug ihr das Herz bis zum Hals und zum wiederholten Mal an diesem Tag musste sie ihre Bedenken loslassen und ihre Zukunft dem überlassen, dem sie geschworen hatte zu vertrauen.

Ein Gewirr von Männern, Frauen und Kindern drängelte sich um die langen, schweren Holztische, die von grob geschnitzten Holzbänken umgeben waren. Schnell ließ sie ihren Blick über die Menge gleiten. Da war das freundliche Gesicht der alten Françoise, die ihr zunickte. Sie hielt das kleine Kind auf dem Arm, nach dem sie Ausschau gehalten hatte.

„Ah, Marie, mein Schatz. Da bist du ja!“ Dankbar empfing sie ihr Kind aus den Armen der guten Magd. Wie froh war sie doch, sich an ihr festhalten zu können. Nicht minder jedenfalls als das kleine Mädchen selbst, das ihre Arme fest um den Hals von Cathline klammerte und ihr Gesichtchen an ihrem Hals verbarg.

„Kommt hierher zu mir, ihr zwei. Setzt euch, nur zu!“ Erleichtert nahm sie neben Françoise Platz. Auch Jacques nickte ihr freundlich zu.

„Setz dich ruhig. Nur das obere Ende der Tafel ist für den jungen Herrn und seine Gäste reserviert. Was allerdings nicht allzu oft der Fall ist“, fügte sie etwas unglücklich hinzu.

„Ja, aber! Isst er denn mit dem Gesinde?“, brach es überrascht aus Cathline.

„Hmm, ja sicher, mein Kind. Nur am Tag des Herrn bleibt er für sich.“

„Hat er denn keine Familie hier?“, flüsterte Cathline vorsichtig zurück, nachdem sie sich gesetzt hatte. Doch Françoise schien sie nicht gehört zu haben, vielmehr herzte sie Marie, die auf Cathlines Schoß hin und her rutschte.

Als der junge Seigneur in die Halle eintrat, wurde es stiller. Mägde und Knechte nickten ihm zu, doch gleich erhob sich wieder das muntere Stimmengewirr.

Genüssliche „Ahs“ und „Ohs“ ließen Cathline aufschauen. Von zwei Mädchen wurden große, dampfende Schalen hereingetragen, gefüllt mit saurem Kraut und fleischartigen Knödeln. Große Laibe Brot, die bereits auf den Tischen standen, wurden rasch aufgeschnitten und an alle verteilt. Dazu gab es reichlich Apfelmost und für die Kleineren frisch gemolkene Milch.

Mit Heißhunger stürzten sich alle auf das Essen. Zufriedenes Schmatzen breitete sich aus.

Völlig ausgehungert, versuchte sich Cathline zu zügeln, um nicht allzu gierig zu erscheinen. Marie begnügte sich mit einer Schale Milch, in die sie mit Freude Brotstücke eintauchte und sich tropfend in den Mund stopfte.

Vorsichtig spähte sie die Tischreihen entlang. Was sie dort sah, überraschte und freute sie gleichermaßen. Denn Knechte und Mägde saßen fröhlich beieinander, scherzten, wenngleich sie auch von der Arbeit müde waren. Selbst den Kleinsten wurde nicht verwehrt, sich munter in die Gespräche einzumischen. Nicolas saß am anderen Ende der Tafel, direkt neben dem Seigneur. Ein vielleicht zweijähriger Junge und ein kaum älteres Mädchen kämpften auf seinem Schoß darum, wer die besseren Happen des Vaters erhaschen konnte. So sehr war sie in ihre Betrachtungen vertieft, dass ihr zuerst gar nicht auffiel, wie auch sie Gegenstand neugieriger Blicke war. Doch Nicolas schien es sehr wohl gemerkt zu haben. Seine Augen trafen sich mit den ihren und dies wiederum hatte zur Folge, dass auch Jean auf sie aufmerksam wurde. Errötend wurde ihr gewahr, wie sein Blick von ihr auf das Kind auf ihrem Schoß fiel, dort verharrte und wieder fragend auf sie zurückfiel. Als warte er auf eine Antwort, ließen seine Augen nicht locker. Rasten seine Gedanken ebenso schnell wie die ihren?

Da legte sich das zweite Mal an diesem Tag eine knorrige Hand auf die ihre und langsam beruhigte sie sich.

Das Bekenntnis

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