Читать книгу Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis - Sven Eisenmenger - Страница 44
c) Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot
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Die Generalklauseln des SOG verwenden äußerst unbestimmte Gesetzesbegriffe, wie etwa „bevorstehende Gefahren“, „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ und „erforderliche Maßnahmen“. Dennoch werden diese nach überwiegender Auffassung als vereinbar mit dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot angesehen. Zum einen, weil diese unbestimmten Rechtsbegriffe inzwischen durch die Rechtsprechung und Dogmatik konkretisiert worden sind.202
Begonnen hat diese Entwicklung mit dem berühmten Kreuzberg-Urteil des 1875 geschaffenen Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. 06. 1882. Das Polizeipräsidium in Berlin hatte eine Verordnung erlassen, wonach in dem das Siegesdenkmal auf dem Kreuzberg umgebenden Bauviertel Gebäude nur in solcher Höhe errichtet werden durften, dass dadurch die Aussicht vom Fuße des Denkmals auf die Stadt und umgekehrt die Aussicht auf das Denkmal nicht beeinträchtigt wurde. Die Verordnung war auf die damalige polizeiliche Generalklausel, § 10 II 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR), gestützt: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey“. Das Gericht urteilte, dass sich das Polizeipräsidium nicht auf § 10 II 17 ALR berufen konnte, da es sich nicht um die Abwehr einer Gefahr gehandelt habe, sondern nur um die „Förderung des gemeinen Wohls“203.
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Zum anderen sind die Generalklauseln als flexible Gefahrenabwehrinstrumente notwendig, um angemessen auf neuartige polizeiliche Herausforderungen reagieren zu können (Befugnisreserve).204 Bei besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen fordert der Vorbehalt des Gesetzes in Verbindung mit dem Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) jeweils genauere spezialgesetzliche Eingriffsermächtigungen.205 Hierbei gilt: Je grundrechtsintensiver die Maßnahme ist, desto bestimmter muss die Regelung sein. Auch neuartige grundrechtsintensive polizeiliche Maßnahmen können u. U. vorübergehend auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden. Hierdurch soll den Behörden ermöglicht werden, „auf unvorhersehbare Gefahrensituationen auch mit im Grunde genommen näher regulierungsbedürftigen Maßnahmen vorläufig zu reagieren“ und dem Gesetzgeber ermöglicht werden, eventuelle Regelungslücken zu schließen.206 Dies gilt jedoch nur für eine Übergangszeit.207
Es ist Aufgabe der Legislative, auf aktuelle Entwicklungen mit neuen Eingriffsbefugnissen zu reagieren. Schaffen die Parlamente für besonders grundrechtsintensive Maßnahmen keine Standardbefugnisnormen, dann bleibt diese Maßnahme dem Handlungsrepertoire der Exekutive entzogen.208
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Dies ist der verfassungsrechtliche Hintergrund für die ständige Erweiterung des Katalogs der „besonderen Maßnahmen“ (Standardbefugnisse) in den Polizeigesetzen. Die Schaffung des PolDVG im Jahr 1991209 geschah in Reaktion auf das Volkszählungsurteil des BVerfG210 und dient vor allem Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Allein hierdurch hatte sich der Umfang der Standardmaßnahmen mehr als verdoppelt (s. zum PolDVG unter C. I.).