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(2) Subsidiarität der Generalklausel

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Beide Generalklauseln des SOG sind nur einschlägig, wenn keine speziellere Eingriffsermächtigung vorliegt.

Dies ist bei der Ermächtigungsgrundlage zu prüfen (dazu Prüfungsaufbau unter B. I.1.b.).

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So tritt die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG als subsidiär zurück, wenn die Voraussetzungen einer spezielleren Eingriffsermächtigung in einem spezielleren Gesetz vorliegen.

Das SOG wird dann von einer spezielleren Rechtsmaterie verdrängt, wie z. B. dem Infektionsschutzrecht, Ausländerrecht, Baurecht, Gewerberecht. Die polizeiliche Datenverarbeitung ist im PolDVG spezialgesetzlich geregelt (dazu C. I.), das Verwaltungsvollstreckungsrecht z. T. im HmbVwVG (dazu unter B.IV.).

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Der Anwendungsbereich der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG ist des Weiteren nur eröffnet, wenn das SOG eine polizeiliche Befugnis nicht besonders regelt. Unter besonderen Regelungen im SOG sind die Bestimmungen über die sogenannten Standardbefugnisse305 oder Standardmaßnahmen zu verstehen (§§ 11 SOG ff.). Hier werden bestimmte, in der polizeilichen Praxis häufig wiederkehrende, Maßnahmen typisiert306 bzw. standardisiert307. Die Befugnis, eine Maßnahme des jeweiligen Typs zu ergreifen, kann dann nur der speziellen Standardbefugnis des SOG entnommen werden.

Beispiel:

Gestützt auf § 3 Abs. 1 SOG verfügt ein Polizeivollzugsbeamter zur Durchsetzung eines Platzverweises die zwangsweise Verbringung eines unter Entzugserscheinungen leidenden Drogensüchtigen vom Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofes in die weit abgelegene Boberger Dünen im Stadtteil Vierlande (Stadtrand von Hamburg, ca. 12 km entfernt). Dieser sog. „Verbringungsgewahrsam“ kann nicht auf § 3 SOG gestützt werden, da der Tatbestand der Ingewahrsamnahme als Standardmaßnahme im SOG abschließend geregelt ist und es sich hier zudem als Maßnahme auch nicht ausschließlich um eine Ingewahrsamnahme, sondern um ein „aliud“ handelt (dazu unter B.II.4.d.bb.1.).308

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Ein Rückgriff auf die Generalklausel für eine Maßnahme scheidet auch dann aus, wenn eine Standardmaßnahme der Rechtsfolge nach gewollt ist, der Tatbestand für diese Standardmaßnahme aber im konkreten Fall gar nicht erfüllt ist.309

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Auch wenn eine Maßnahme als solche gar nicht speziell geregelt wurde, aber durch systematische Auslegung, insbesondere durch Vergleich mit sehr „ähnlichen“ Standardmaßnahmen, darauf geschlossen werden kann, dass die geregelten Maßnahmen abschließend sein sollen („numerus clausus“ der Standardmaßnahmen310), so verbietet sich in diesem Fall auch ein Rückgriff auf die Generalklausel. Wichtiger Indikator einer solchen Sperrwirkung durch eine Standardmaßnahme ist eine vergleichbare oder sogar höhere Eingriffsintensität der zu ergreifenden Maßnahme.311 Gesetzesvorbehalt und Bestimmtheitsgebot erfordern dann erst recht auch für diese Maßnahme eine eigene spezielle Regelung.

Bespiel:

Wegen der Rechtsprechung des EGMR im Jahr 2009, wonach ein Gesetz zur nachträglichen Verlängerung von Sicherungsverwahrungen gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 7 EMRK „nulla poena sine lege“) verstößt,312 wird ein ehemals sicherungsverwahrter Sexualstraftäter, bei dem laut Gutachten noch immer eine hohe Wahrscheinlichkeit des Rückfalls besteht, aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Er nimmt in Hamburg seinen Wohnsitz und wird, gestützt auf § 3 Abs. 1 SOG, seither durch fünf hamburgische Polizeibeamte rund um die Uhr observiert bzw. begleitet. Wegen der Schwere des Eingriffs kann die Maßnahme nicht auf § 3 Abs. 1 SOG gestützt werden (zur deshalb geschaffenen Standardbefugnis der polizeilichen Begleitung [§ 12 c SOG] s. B.II.6.).313

Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis

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