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»ICH BIN GENUG«

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Um diese geflügelte Phrase kommen wir, sobald es um Yoga, Achtsamkeit und Heilung geht, nicht herum – und auch sonst begegnet sie uns überall. Wahrscheinlich hast auch du schon mal diesen überaus nett gemeinten Tipp bekommen, dir bei Problemen jeglicher Art einfach zu sagen, dass du – genau so, wie du bist – genug bist. Gern in Dauerschleife, gern als Notiz an den Spiegel geklebt. Klar klingt das auf den ersten Blick besser als das übliche »Ich bin nicht schön/klug/gut/schlank/gesund/xyz genug«, das man sich ansonsten so an den eigenen Kopf wirft, aber ob es tatsächlich weiterhilft – daran habe ich meine Zweifel.

Denn wenn ich aus tiefstem Herzen fühle oder mir auffällt, dass ich in Bezug auf was auch immer nicht genug bin – dass ich vielleicht wirklich nicht genug Zeit für mich selbst, meine Kinder oder meine*n Partner*in habe, dass ich mich als nicht schön genug für was auch immer empfinde –, dann kommt es einer ziemlich platten Lüge gleich, wenn ich mir einfach stur das Gegenteil einrede. Was ich allerdings versuchen könnte, ist, den Druck aus alldem herauszunehmen: Vielleicht bin ich wirklich nicht genug, aber hey, was wäre denn, wenn das … gar nicht so schlimm wäre? Oder vielleicht sogar okay? Vielleicht bin nämlich nicht ich das Problem, sondern es sind die hohen Erwartungen, die ich an mich selbst habe? Die mein Umfeld oder die Gesellschaft mir vermitteln? Ja, für die bin ich möglicherweise nicht genug. Ich entspreche nicht genug der Norm. Aber muss ich mir diese Norm denn selbst zum Ziel setzen?

Stark vereinfachtes Beispiel: Wenn ich mir vorgenommen habe, jeden Tag spazieren zu gehen, es de facto aber nur jeden dritten Tag mache, dann spaziere ich nicht genug im Hinblick auf mein Vorhaben. Und dann bringt es auch nichts, mir einzureden, dass ich – doch, doch! – genug spazieren gehe. Im Hinterkopf sitzt ja nach wie vor das Wissen darum, dass ich es eigentlich jeden Tag tun wollte. Deswegen fühle ich mich nicht nur mies, sondern kaufe mir dieses »Doch, doch« höchstwahrscheinlich nicht einmal ab.

Hingegen hilfreich und möglicherweise einen Versuch wert könnte es sein, einfach meinen Plan anzupassen – und mir zum Beispiel vorzunehmen, statt jeden Tag zunächst zweimal pro Woche spazieren zu gehen.

Sicher wird das komplizierter, sobald es um Dinge oder Zustände geht, die ich nicht so leicht beeinflussen kann – wenn ich mich zum Beispiel als nicht leistungsfähig genug, nicht schön oder schlank genug wahrnehme –, aber auch hier spielt die Frage nach dem Maßstab eine wichtige Rolle. Nicht schön genug wofür, gemessen an was? An gesellschaftlich vorherrschenden Normen, an Erwartungen anderer Menschen an mich? Wenn ich mir diese auch in meinem eigenen Denken verinnerlichten Normen bewusst mache, kann das schon dabei helfen, den Maßstab für mich neu zu definieren. Oder mir eben einfach zu sagen: Tja, nein, ich mag nicht schlank genug sein für diese abstrusen Normen, aber was soll’s? Denn daran hängt ja nicht mein Wert.

Sich von dieser Tatsache zu überzeugen, ist zugegebenermaßen kein leichtes Unterfangen in einer Gesellschaft, in der insbesondere weiblich gelesene Körper permanent bewertet und stigmatisiert werden. Und selbst wenn ich persönlich davon überzeugt bin, schützt mich das nicht automatisch vor unangemessenen und gewaltvollen Kommentaren sowie Bodyshaming durch andere – es kann aber einen Teil dazu beitragen, dass ich mich zumindest besser von diesen Situationen abzugrenzen lerne.

So ein Abgrenzen (mehr dazu übrigens im entsprechenden Kapitel) meint jedoch nicht, dass ich mich stillschweigend damit zufriedengebe, halt einfach »nicht genug« zu sein. Es bedeutet auch nicht, dass ich übergriffige Kommentare oder gar die Normen an sich völlig kritiklos hinnehme – es heißt lediglich, dass ich eine distanziertere Haltung ihnen gegenüber einnehme und sie mir dadurch nicht mehr so nahegehen. Und auf diese Weise helfe ich mir selbst mehr, als wenn ich mich immer angestrengter davon zu überzeugen versuche, auch ja genug, genug, genug zu sein.

Und apropos …

Radikale Selbstfürsorge. Jetzt!

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