Читать книгу Germanias Vermächtnis - Swen Ennullat - Страница 11
VII
ОглавлениеTorben berichtete dem Professor und seiner Tochter in aller Kürze von den letzten Ereignissen in Meldorf an der Nordseeküste. Als er von Margots Tod und dem Schusswechsel mit Tim berichtete, sah er, wie Anna kurz die Farbe aus dem Gesicht wich, und er fragte sich, ob sie wirklich wusste, worauf sie sich da einließ.
Geduldig beantwortete er dem wissbegierigen Professor im Anschluss einige Nachfragen und endete mit: „Das ist alles, was wir Ihnen mitteilen können. Hilft es Ihnen weiter?“
Professor Meinert rieb sich das Kinn, bevor er antwortete. „Vielleicht das Unwichtige zuerst.“ Er blickte Levitt an. „Ihre Leute versuchen ja gerade, Informationen zu dieser Firma PRAETORIUS aus Bern herauszubekommen. Es dürfte nicht unerheblich sein, dass ich glaube, dass dieser Name nicht zufällig gewählt wurde.“
„Wie kommen Sie darauf, Professor?“, fragte Julia.
„Nach unseren Erlebnissen mit den Priesterinnen habe ich mich etwas mit Heidentum, Esoterik und Hexenkult in Deutschland beschäftigt. Offensichtlich gab es Ende des 16. Jahrhunderts einen protestantischen Pfarrer namens Anton Praetorius, der sich der Hexenverfolgung und vor allem der Folter widersetzte, mit der die Geständnisse erpresst wurden. Es versteht sich von selbst, dass sein Leben dadurch in Gefahr geriet und er das Land verlassen musste. Seine Überzeugungen fasste er in einem Buch zusammen, das als Plädoyer gegen grausame Hexenprozesse gilt und schon damals in mehreren Auflagen erschienen ist.
Die Namensgleichheit lässt bei mir die Vermutung aufkommen, dass das Sicherheitsunternehmen möglicherweise nicht nur den Auftrag hatte, Margot zu schützen, sondern auch für die Sicherheit weiterer Hexen oder Priesterinnen, wenn nicht gar für den gesamten Orden, verantwortlich sein könnte. Möglicherweise haben wir den ausführenden Arm des Zirkels gefunden, diejenigen, die die schmutzige Arbeit für die Priesterinnen machen.
Die Ansiedlung in Bern wiederum kann rein praktische Ursachen haben, die in der Versorgung mit Finanzmitteln zu suchen sind. Wir haben uns schon damals gefragt, wie der Orden es schafft, sein vermutlich beträchtliches Vermögen zu verbergen. Die Diskretion der Schweizer Banken könnte eine Erklärung liefern. Noch immer sollen dort beispielsweise Konten von Altnazis existieren, bei denen die Herkunft des Geldes nie geklärt wurde. Von den Einlagerungen der heutigen afrikanischen oder arabischen Diktatoren und Kriegsherren will ich gar nicht sprechen. Über ein ähnliches Konto könnte auch PRAETORIUS finanziell gespeist werden.“
„Das sind wichtige Information, Professor.“, bedankte sich Levitt, der sich nebenbei einiges notiert hatte. „Ich werde sie nachher gleich weitergeben.“
„Tun Sie das.“, stimmte Professor Meinert ihm zu.
Anna war währenddessen an den Kühlschrank gegangen und verteilte nun an alle ein paar Softdrinks.
Der Professor trank einen Schluck, bevor er weitersprach: „Wenn keiner etwas dagegen hat, würde ich gleich fortsetzen.
Als nächstes haben wir das Lebensborn-Projekt, von dem Margot sprach, oder die Idee dahinter, die zur Zeugung der beiden Kinder geführt haben soll. Wie hießen sie gleich, Ruben und Riva?“
Torben nickte zur Bestätigung.
„Es handelt sich beim Lebensborn um einen ehemaligen eingetragenen Verein der Waffen-SS des Dritten Reichs, der auf Heinrich Himmler, dem Reichsinnenminister und Reichsführer-SS, zurückgeht und ihm direkt unterstellt war. Der Begriff leitet sich von dem altdeutschen Wort ‚born‘ für ‚ Brunnen‘ oder ‚Quelle‘ ab.
Um den Zweck dieses Vereins zu verstehen, muss ich etwas ausholen: Nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland einen starken Einbruch in der Geburtenrate, weil es durch den Feldzug bedeutend mehr Frauen als Männer gab. Erschwerend kam hinzu, dass im Gegensatz zur heutigen Zeit die Institution Ehe noch eine herausragende Bedeutung hatte und uneheliche Kinder in der Gesellschaft verpönt waren.
Die Nazis suchten nun nicht nur nach Möglichkeiten, diese Rate wieder zu steigern, sondern präferierten aus Gründen ihrer angestrebten „Rassenhygiene“ ausschließlich die Geburt „arischer“ Kinder, um die „nordische Rasse“ zu stärken. Als erstrebenswert galt darüber hinaus, den Nachwuchs „qualitativ“ zu verbessern.“
Julia schüttelte ungläubig den Kopf, und der Professor kommentierte das, indem er weitererzählte: „Anfangs schien der Verein durchaus Positives zu bewirken. In den ersten gut ein Dutzend Heimen wurden ledige Mütter aufgenommen, die anonym ihre Kinder gebären konnten, die dann meist sofort an Familien von SS-Angehörigen vermittelt wurden. Offiziell wurde dies damit begründet, dadurch illegale Abtreibungen zu vermeiden. Dem Standesamt in der Heimatgemeinde der Mutter wurde nämlich nie mitgeteilt, dass sie ein Kind zur Welt gebracht hatte. Sie brauchte also später keine Nachteile, keine gesellschaftliche Ächtung mehr fürchten.
Sehr schnell wurde allerdings klar, dass nur diejenigen Frauen mit offenen Armen aufgenommen wurden, bei denen die Väter der ungeborenen Kinder und sie selbst den „rassenhygienischen“ Ansprüchen der Nazis entsprachen.
So mussten sie den „großen Abstammungsnachweis“, im Volksmund „Ariernachweis“ genannt, vorlegen. Hier hatte man seine direkten Vorfahren rückblickend bis zum 1. Januar 1800 nachzuweisen. Außerdem wurde bereits im Vorfeld darauf geachtet, dass die Gefahr von Erbkrankheiten weitgehend ausgeschlossen war.
Himmler selbst ging bei der angestrebten Steigerung der Geburtenrate sogar soweit, dass er seine SS-Männer mit Verweis auf ihre „völkische Verpflichtung“ explizit dazu aufforderte, mit ledigen Frauen, die den nötigen Abstammungskriterien entsprachen, sexuelle Beziehungen einzugehen und Kinder zu zeugen.
Mit dem einsetzenden Krieg und weil die Anzahl der Geburten noch immer nicht seiner Vorstellung entsprach, erließ er die Order, in den besetzten Gebieten jedes „arisch“ aussehende Kind, sprich blond und blauäugig, von seiner Familie zu trennen und den Lebensborn-Vereinen zuzuführen. Dort erhielten sie einen neuen Namen und mussten die deutsche Sprache lernen, bevor sie weitervermittelt wurden. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Arisierung, obwohl es nichts anderes als ein verabscheuungswürdiger Menschenraub war.
Besonders erwähnenswert ist hierbei auch die Besetzung Norwegens durch die deutschen Truppen. Da die Frauen des Landes in besonderem Maße den Vorstellungen Himmlers von der nordischen Rasse entsprachen, wurden dort etliche neue Lebensborn-Heime eingerichtet und die deutschen Soldaten erneut ermutigt, Liebesbeziehungen – diesmal zu den Einheimischen – einzugehen. Insgesamt spricht man allein in Norwegen von etwa zwölftausend Kindern, die in der Folge geboren wurden.“
„Und wie viele waren es insgesamt?“, fragte Julia wieder nach.
„Schwer zu sagen … In allen Heimen? Etliche Zehntausend vielleicht. Exakte Aufzeichnungen gibt es nicht.“
„Und was geschah mit Kindern, die mit einer Behinderung geboren wurden? Sie entsprachen doch bestimmt nicht Himmlers Vorstellung von der Herrenrasse.“ Ihre Stimme stockte kurz bei dieser Frage.
„Diese Kinder wurden als lebensunwert betrachtet, als Laune der Natur, und …“, jetzt zögerte selbst Professor Meinert bei der Antwort, „ … getötet.“
„O mein Gott …“, schluchzte Julia, und Torben nahm sie tröstend in den Arm.
„Nun gut“, führte der Professor weiter aus, „wenn Margot tatsächlich die Wahrheit gesprochen hat, wäre das nicht einfach eine Sensation, es wäre ein folgenschweres, politisches Erdbeben, das können Sie mir glauben!“
„Übertreiben Sie da nicht etwas?“ Torben zweifelte.
„Nicht im Geringsten mein Freund! Überlegen Sie nur einmal, es gibt wahrscheinlich nicht nur direkte Nachfahren Adolf Hitlers, sie wurden offenbar regelrecht gezüchtet. Im Rückschluss vereinen sie nun in den Augen ihrer Anhänger in sich die besten Eigenschaften unseres germanischen Erbes.
Für nationalsozialistische Kreise wären Sie die Übermenschen, die Begründer einer neuen Herrenrasse.
Können Sie sich auch nur ansatzweise vorstellen, was das für ein Brandbeschleuniger in ganz Europa wäre? – Rechte Organisationen existieren nicht nur in Deutschland. Denken Sie an Frankreich, Belgien, Holland, Polen, Österreich oder Italien. In den letzten Jahren haben die Ressentiments gegen Ausländer und Juden überall in der EU zugenommen. Ich sage nur Islamophobie und Organisationen wie PEGIDA. Erzkonservative Gruppen haben ausnahmslos Zulauf. Und eines haben alle gemein: Sie sehnen sich nach einem starken Führer.
Dieser Führer, würde er über eine natürliche Legitimation, wie einen entsprechen Stammbaum verfügen, hätte die Macht, unzählige aus- und inländische Organisationen sicher zu einer einzigen gewaltigen Streitmacht zu vereinen.“
Der Professor hatte sich regelrecht in Rage geredet und musste erst einmal eine Pause machen, um Luft zu holen. Das nutzte Levitt und sagte: „Meisterin Margot sprach vor ihrem Tod von einem politischen Umsturz und davon, dass der Orden erneut die Macht in Deutschland übernehmen würde? Was muss ich mir konkret darunter vorstellen?“
„Tut mir leid, das weiß ich nicht genau“, antwortete Professor Meinert kopfschüttelnd und noch immer etwas atemlos. „Die Mitgliederzahlen der größten rechtsextremistischen Partei in Deutschland gehen nicht nur zurück, weil man mit den Funktionären an der Spitze unzufrieden ist, derzeit wird sogar von staatlicher Seite mal wieder über ein Verbot diskutiert. Was die Arbeit sicherlich erschweren würde.
Anderen konservativen Vereinigungen wird auch kein Vertrauen mehr geschenkt und das Ansehen der politischen Führung schwindet in der Gesamtbevölkerung mehr und mehr. Allein dadurch wäre das Bevölkerungspotential sicher enorm, das man mit seinen eigenen radikalen Ideen für sich gewinnen könnte. Aber ich habe Zweifel, dass die Priesterinnen einen demokratischen Weg beschreiten und sich mit ihrer neuen Bewegung den regulären Wahlterminen stellen werden. Sie werden eine andere Möglichkeit suchen oder haben sie bereits gefunden.“
„Nun gut“, Levitts Stimme klang trotz allem entspannt, „wir sollten unsere nächsten Schritte planen. – Ich denke, wir haben zwei erfolgversprechende Spuren, denen wir folgen können: die Firma PRAETORIUS in Bern und Margots Hinweis auf die Stadt Quedlinburg. Vielleicht ist sie eine Hochburg des Ordens.“
„Das glaube ich kaum!“ Der Professor nahm dem Agenten schnell diese Hoffnung. „Unseren Priesterinnen ging es immer um Macht und Profit, beides Dinge, die sie im Arbeiter- und Bauernstaat nicht wirklich erreichen konnten. Die permanente Gefahr der Entdeckung durch die Staatssicherheit brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass sie – zumindest organisiert – in der DDR lebten und agierten.“
„Also sollen wir unsere Suche nicht in Quedlinburg fortsetzen, George?“, fragte Torben nach.
„Doch, natürlich! Die Stadt befindet sich nicht einmal zwei Fahrstunden entfernt. Wir können sie heute noch erreichen. Sie ist ein hervorragender Ort, um mit unseren Nachforschungen zu beginnen. Ich vermute eben nur, dass die Hinweise auf die Priesterinnen nicht sehr aktuell sind.“
Die Antwort schien Torben nicht zu stören und er erklärte: „Wir sind es doch mittlerweile gewohnt, im Kaffeesatz der Geschichte zu lesen. Also, was machen wir noch hier, lasst uns endlich aufbrechen!“