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II

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Torben bezog gemeinsam mit Julia, Levitt und einem weiteren, jüngeren Mossad-Agenten namens Mosche Shalev, den er ebenfalls bereits kannte, ein paar nebeneinander liegende Zimmer in der zweiten Etage eines schäbigen Motels. Mosche wurde, seitdem er ihre kleine Truppe am Hamburger Flughafen in Empfang genommen hatte, die Rolle des Fahrers zuteil. Und Levitt? Ja, Levitt schien irgendwie zum Anführer ihrer Gruppe aufgestiegen zu sein. Er fällte mittlerweile nahezu alle Entscheidungen, ob nun wichtig oder nicht.

Torben versuchte, sich an möglichst viel zu erinnern, was in den letzten Stunden geschehen war.

Thailand lag noch nicht einmal zwei Tage zurück, und doch kam es ihm so vor, als sei eine kleine Ewigkeit vergangen. Julia hatte nicht gelogen, als sie davon sprach, ihn nach Hause bringen zu wollen, wenn man den Begriff Zuhause etwas weiter definierte und damit lediglich das Heimatland meinte, denn in Deutschland waren sie schon mal.

Er konnte sich durch seinen letzten Rausch nicht an jedes Detail ihrer Reise erinnern. Nachdem sie ihn in der Bar aufgelesen hatten, brachten sie ihn wohl gleich in sein Hotel und stellten ihn unter eine kalte Dusche, die ihn in die Lage versetzte, zumindest für die nächsten Stunden halbwegs auf den Beinen zu bleiben. Levitt und Julia packten – von seinen Flüchen und Verwünschungen begleitet, als das eiskalte Wasser auf ihn niederprasselte und sich in seinem Kopf wie tausend kleine Nadeln bohrte – eilig seine Sachen zusammen und beglichen die offenen Rechnungen. Als das erledigt war, verfrachteten sie ihn wieder in den Toyota und kündigten ihm an, dass ihr nächstes Ziel der Flughafen Bangkok sei. Torben, noch halb betrunken, hatte nur mit den Schultern gezuckt, was von beiden als Zustimmung aufgefasst wurde. Von der eigentlichen zweistündigen Fahrt bekam er nicht viel mit, weil er tief und fest schlief. Am Flughafen wurde er dann auch recht grob von Levitt geweckt, weil es Julia einfach nicht gelingen wollte.

Verschlafen und verkatert, wie er war, registrierte er kaum, dass sie ein uniformierter Flughafenbeamter am Zoll und allen anderen Kontrollen vorbei hastig zu einer Linienmaschine brachte. Sie hatten kaum ihre Sitze in der Business Class eingenommen, da rollte der Flieger auch bereits auf die Startbahn. Torben war mittlerweile sowieso alles egal, denn die Trunkenheit oder genauer die Betäubung seiner Nervenbahnen ließ langsam nach. Während Julia und Levitt ihre Sitze in Liegepositionen brachten, um sich auszuruhen, übergab er sich mehrfach auf der Flugzeugtoilette und fühlte sich hundeelend. Erst nach einigen Stunden, in denen er im Halbdunkel ständig und fast schon zwanghaft Julia in ihrem unruhigen Schlaf beobachtete, klangen die schmerzhaften Magenkrämpfe ab, und die Müdigkeit überwältigte ihn. Er wachte erst auf, als sie im Landeanflug auf Frankfurt am Main waren.

Julia schien genauso wie er noch ziemlich verschlafen zu sein. Sie lächelte ihm müde aber aufmunternd zu. Im Gegensatz zu ihnen beiden wirkte Levitt erstaunlich frisch. Irgendwie war es dem Mossad-Agenten sogar gelungen, sich zu rasieren. Als Torben das bemerkte, strich er sich unbewusst über seine langen Bartstoppeln. Er konnte sich nicht einmal mehr an seine letzte Rasur erinnern.

Die Temperaturen waren in Deutschland zwar bedeutend niedriger als in Thailand, aber eine strahlende Sonne verkündete, dass es ein angenehmer Frühsommertag werden würde.

Zeit, das schöne Wetter zu genießen, blieb nicht, denn Levitt drängte schon wieder zum Aufbruch, da sie ihre Reise mit einem innerdeutschen Flug nach Hamburg fortsetzen sollten. Und so bestand Torbens Frühstück dann auch lediglich aus einem Coffee to go in der Ankunftshalle, den er unbemerkt von seinen Begleitern mit etwas Cognac aus einer kleinen Schluckflasche aus einem Duty-Free-Shop aufpeppte.

Leidlich wiederhergestellt und am Nachmittag endlich in der Lage, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen, erfuhr Torben erst in der Hansestadt, wo sie auf einen breit grinsenden Mosche trafen, warum sie so in Eile waren. Es war Julia, mit der er bisher kaum ein offenes Wort wechseln konnte, die ihn jetzt in einem kleinen Zimmer eines bestenfalls zweitklassigen Hotels darüber aufklärte.

Es war das erste Mal auf diesem Trip, dass sie wirklich allein waren und Torben erinnerte sich, dass ein ähnlicher Moment bereits mehr als zwei Monate zurücklag. Sie waren sich in Wien nähergekommen, obwohl Michael zu jener Zeit noch am Leben war, der, damals wie heute, wie eine riesige Mauer zwischen ihnen stand.

Julia brach als erste das Schweigen: „Torben, wie geht es dir? Ist soweit alles okay?“

Während sie bei ihrer Frage an der Tür stehen blieb, bewegte sich Torben in Richtung Bett, ließ sich darauf fallen und antwortete etwas scherzhaft: „Ich fühle mich so, wie ich aussehe! Die nächsten Tage sollte ich wohl lieber auf Alkohol verzichten.“

„Kannst du das denn?“ Die Bemerkung klang beiläufig, sollte ihn aber trotzdem direkt treffen.

Er ignorierte die Anspielung und stellte selbst eine Frage: „Okay, was um alles in der Welt machen wir hier?“

Sie seufzte, setzte sich neben ihn, nahm seine Hand und sagte leise: „Ganz einfach – ich möchte, dass diejenigen, die für den Tod deiner Mutter und Michaels verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden.“

„Aber, das ist …“ Weiter kam Torben mit seiner Antwort nicht, denn Julia schnitt ihm sofort das Wort ab und entgegnete energisch: „Kein Aber! Das sind wir ihnen schuldig! Es geht mir nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit!“

Kopfschüttelnd erwiderte Torben darauf: „Was wir wollen spielt keine Rolle! Julia, diese Geschichte ist zu groß für uns! Begreifst du das noch immer nicht? Diese Leute sind zu allem fähig! Gerade du müsstest das am besten wissen!“

„Das brauchst du mir nicht zu sagen“, ihre Stimme wurde leiser, „sobald ich meine Augen schließe, sehe ich Michaels entstellten Leichnam vor mir.“

Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach: „Torben, ich muss mich dieser Sache stellen, um wieder ein normales Leben zu führen.“ Ihr Händedruck wurde stärker. „Und ich weiß, dass es dir genauso geht. Bevor wir beide damit nicht abgeschlossen haben, wird es auch keine gemeinsame Zukunft für uns geben.“ Torben schlug der Puls plötzlich bis zum Hals. Sie sprach von einem gemeinsamen Leben mit ihm, wovon er nicht mehr zu träumen gewagt hatte, denn er hatte sie nicht nur einmal enttäuscht. Nicht genug, dass er es war, der sich vor mehr als zehn Jahren von ihr getrennt hatte, er hatte sie auch allein gelassen, als es um die Organisation von Michaels Beerdigung ging, und er hatte ihr nicht beigestanden, als sie sich den Fragen der trauernden Verwandten stellen musste, ein weiteres Versäumnis, das er sich vorwerfen musste.

Julia wiederum hatte trotz allem an der Beerdigung seiner Mutter teilgenommen und ihm dadurch die nötige Kraft gegeben, diesen Tag durchzustehen.

Ihr Erscheinen verstand er aber im Nachhinein – so redete er es sich seit Wochen ein – nur noch als rein freundschaftliche Geste, da sie sich danach lediglich zweimal kurz sahen und während Torbens Vietnamreise weniger als ein halbes Dutzend Mal miteinander telefonierten. Und nach jedem dieser – in seinen Augen – unpersönlichen Telefonate hatte er sich schlechter gefühlt als vorher. Sie wurden dadurch nur zu weiteren willkommenen Anlässen, um zur Flasche zu greifen.

Aber vielleicht hatte sie ja nur etwas Zeit gebraucht, um – genauso wie er – etwas Abstand zu gewinnen und ihre Gefühle zu ordnen. Tief in seinem Inneren begann wieder ein Funke zu glimmen, sein Widerstand brach und er hörte sich selbst die Frage stellen: „Levitt und du, wie wollt ihr denn vorgehen?“

Ihr Händedruck löste sich, sie stand auf und lief in dem kleinen Zimmer langsam auf und ab.

„Wir haben eine Spur gefunden, die vielleicht zum Orden führen könnte. Sie hängt offenbar mit den Finanzgeschäften dieser Stiftung in Bad Mergentheim zusammen, die als Tarnung für die Priesterinnen gedient hatte.“

Torben erinnerte sich, sie waren damals bei ihren Nachforschungen auf das Deutschordensschloss in Bad Mergentheim gestoßen. In Unkenntnis, dass dort tatsächlich just zu diesem Zeitpunkt eines der wichtigsten Treffen des Ordnens stattfand, hatte Torben die Veranstaltung gestört, was dazu führte, dass seine Freunde und er gefangen genommen wurden. Es stellte sich heraus, dass die im Schloss ansässige Stiftung für Demografie und Pflege der deutschen Kultur eine der vielen Tarnorganisationen der Priesterinnen war. Nach ihrer Entdeckung hatten die Ertappten jedoch unverzüglich begonnen, die dort unterhaltenen Büros zu räumen und alle Spuren zu verwischen.

In Torben fing es zu arbeiten an. Julia könnte Recht haben. Obwohl der Orden unbeschreiblich mächtig und einflussreich war, hatten es seine Repräsentanten sicherlich dennoch nicht mehr geschafft, alle Unterlagen zu vernichten, die zum Beispiel in deutschen Finanzämtern oder den zuständigen Ministerien zu der Stiftung lagerten. So sehr sich die Priesterinnen auch anstrengt hatten, dieses Mal hinterließen sie bestimmt Brotkrumen, denen man folgen könnte.

Julia sprach bereits weiter: „Mosche hat die Ermittlungen der deutschen Behörden begleitet. Ihm ist der Vorname einer Person aufgefallen, die die Prokura besaß, die Finanzgeschäfte der Stiftung abzuschließen, nicht nur, weil er in seinen Ohren ziemlich ungewöhnlich klang, sondern auch, weil er ihn bei deiner Aussage, die du damals machen musstest, schon einmal gehört hatte. Er lautet Margot. Du weißt schon, Meisterin Margot! Das könnte eine gute Spur sein, glaubst du nicht?“

Torben dachte nach. Margot war nicht eine x-beliebige Vertreterin des Ordens. Sie wollte ihm damals zur Flucht verhelfen und hatte ihm gestanden, dass die Schwester seines Großvaters namens Hilde Schauweiler nicht im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen war. Sie war vielmehr der Trumpf gewesen, mit denen sein Vorfahr zur Zusammenarbeit mit dem Geheimzirkel genötigt und zu Höchstleistungen motiviert worden war.

Margots Familie wurde nach Kriegsende vom Orden auserwählt, Hilde an Kindes statt großzuziehen. Und so kam es, dass beide Frauen wie Schwestern aufwuchsen. Die Gefühle, die sie verbanden, hatten aber, je älter sie wurden, irgendwann nichts mehr mit Geschwisterliebe gemein. Margot hatte ihm erzählt, dass sie bis zu Hildes Tod nicht nur gemeinsam dem Orden dienten, sondern über all diese Jahrzehnte auch eine Liebesbeziehung pflegten.

Dennoch zweifelte er: „Julia, ich weiß nicht, ist das nicht alles etwas weit hergeholt? Sicherlich ist der Name Margot heute nicht mehr so geläufig, aber vor siebzig, achtzig Jahren war es keineswegs ungewöhnlich, sein Kind so zu nennen.“

„Ich bin noch nicht fertig!“, setzte Julia schnell fort, die spürte, wie Torbens Neugier erwachte. „Der komplette Name lautet Margot Wiese. Es gibt zwar keine Adresse zu ihr, aber wir sind in den Unterlagen auf eine weitere Frau namens Hilde Wiese gestoßen, für die die Stiftung Beiträge an die Rentenversicherungsanstalt abgeführt hat. – Verstehst du, zwei Schwestern, die beide für die Stiftung arbeiteten und laut den Unterlagen auch noch ungefähr gleich alt waren! Dazu die Vornamen Margot und Hilde! Es passt alles zusammen, meinst du nicht auch?“

Selbst Torben musste zugeben, dass dies ein erstaunlicher Zufall war und fragte gespannt: „Was habt ihr noch?“

In diesem Moment erkannte Julia, dass sie ihn am Haken hatte. Und Torben wusste es auch. Sie setzte sich wieder neben ihn. „Die Zahlungen der Stiftung an Hilde wurden vor fast neun Jahren eingestellt. Das könnte auf zwei Möglichkeiten deuten, zum einen, dass sie sich einen anderen Arbeitgeber gesucht hat oder zum anderen, dass sie …“

„ … verstorben ist“, beendete Torben den Satz.

Julia nickte.

„Mosche hat in den letzten Wochen unzählige Sterbeanzeigen durchforstet und Bestattungslisten eingesehen. Offenbar gibt es kein einheitliches Sterberegister in Deutschland. Du erinnerst dich vielleicht an den letzten Zensus. Dieser wurde ja auch mit fehlenden oder ungenauen Strukturdaten begründet. Auf jeden Fall hat er etwas gefunden.“

„Du sprichst sehr oft von diesem Mosche“, bemerkte Torben beiläufig und mit dem Versuch eines Augenzwinkerns.

„Was? Was soll das denn jetzt?“ Julia schüttelte ungläubig den Kopf. „Nichts weiter, es fiel mir nur auf. Ich wusste nicht, dass du so engen Kontakt zum Mossad hast. Also, auf was ist er gestoßen?“

„So intensiv war der Kontakt nicht. Ich glaube, sie wollten eher mit dir reden, aber du hast dich ja völlig abgekapselt. Wahrscheinlich hatten sie gehofft, über mich an dich heranzukommen. Offensichtlich lagen sie da nicht ganz daneben.“ Dieses Mal blinzelte sie ihm zu.

„Aber weiter, in dem Monat, in dem die letzte Einzahlung erfolgte, wurde die Urne einer Frau Hilde Wiese anonym, ohne Grabstelle auf einer extra für diese Fälle vorgesehenen Fläche eines Friedhofs in einem kleinen Ort namens Meldorf an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste beigesetzt.“

„Also deshalb sind wir hier. Aber wie kommt ihr darauf, dass uns das weiterbringt?“

„Weil sich ihr Todestag morgen jährt!“

Germanias Vermächtnis

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