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XI

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Darin waren sich Torben und der Professor einig: Frieda Kern hatte sich für ihre Sache als Glücksfall erwiesen. Wie so viele Male zuvor, hatten sie eher zufällig eine interessante Geschichte ausgegraben, die womöglich mit dem Orden in Verbindung stehen könnte. Jetzt hieß es, die Spur weiter zu verfolgen. Zwar war die seit Jahrzehnten erkaltet, aber an solche Herausforderungen hatten sie sich längst gewöhnt.

Als erstes trafen sie sich wieder mit den beiden Frauen und setzten sie kurz über das Gespräch mit Frieda Kern in Kenntnis.

Julia und Anna waren selbst nicht untätig gewesen und hatten die Zeit genutzt, um St. Servatius noch weiter zu besichtigen, einschließlich der Krypta in der höchstwahrscheinlich statt eines deutschen Königs eine junge Hexe beerdigt lag. Dadurch konnten sie mit eigenen Erkenntnissen glänzen.

Und so berichtete auf dem Spaziergang zurück zum Hotel zuerst Annabell: „Der Name des Doms geht auf einen der drei Eisheiligen, den Servatius von Tongern, zurück. Zwar vermischen sich in dieser Heiligenfigur vermutlich zwei historische Gestalten zu einer einzigen; besondere Verehrung in Deutschland erfuhr der Heilige Servatius aber, weil er den Einfall der Hunnen circa 450 nach Christus vorhergesagt haben soll.

Damals befand er sich der Legende nach auf einer Wallfahrt in Rom. Dort soll ihm der heilige Petrus erschienen sein, der ihm diesen bevorstehenden Angriff verkündete. Er reiste sofort ab und warnte die Bürger, die sich entsprechend wappnen konnten.“

„Die göttliche Erscheinung wird wohl viel eher auf die Hinweise der päpstlichen Spione zurückzuführen sein, die in der ganzen ihnen bekannten Welt unterwegs waren und der Kurie jede nur noch so unwichtige Information zukommen ließen“, vermutete der Professor.

„Das nehme ich auch an“, stimmte Anna ihrem Vater zu.

Torben, der so mutig gewesen war, Julias Hand zu greifen und sie jetzt hielt, kombinierte: „Im Ergebnis hieße das aber nichts anderes, als dass Mathilde, bei der wir vermuten, dass sie in Wahrheit eine Meisterin des Ordens gewesen ist, sich bei der Namensgebung ihres Stiftes in Quedlinburg bewusst für einen Heiligen entschieden hat, der durch sein Handeln das germanische Reich vor einem kriegerischen Einfall warnte, richtig?“

„Genau, ein erneuter genialer Schachzug des Ordens!“ Professor Meinerts Antwort wurde vom Kopfnicken der Frauen begleitet.

Anna redete weiter: „Wir haben uns außerdem den Kirchenschatz angesehen und wegen seiner Plünderung mit dem Kurator gesprochen.

Demnach hatte Meador 1945 unter anderem das Samuhel-Evangeliar, eine aus fast zweihundert Seiten bestehende Prachthandschrift, und den Reliquienschrein Heinrich des Ersten entwendet. Die Anzahl und Größe aller Stücke würde – glaubt man Frieda Kerns Geschichte – es tatsächlich nötig machen, dass ein einzelner Mann mehrfach in die Altenburger Höhle hätte einsteigen müssen.“

Julia ergänzte: „Wir wissen ferner, dass der Domschatz in der sogenannten Großen Höhle oder Champignonhöhle eingelagert gewesen war. Champignonhöhle deshalb, weil hier tatsächlich einmal diese Pilze gezüchtet worden. Während des Krieges sollen auch Teile der Quedlinburger Industrie dort untergebracht gewesen sein.“

„Der Betrieb der Maschinen der Produktionsstätten hätte bestimmt ein gewisses Belüftungssystem nötig gemacht“, dachte Professor Meinert laut nach. „Was für Frieda Kerns Geschichte spricht.“

„Solltet ihr vorhaben, euch die Örtlichkeit anzuschauen, wird daraus leider nichts“, fuhr Julia fort, „weil sich in den Hohlräumen 1980 einige ostdeutsche Philosophen mehrfach zu Feiern trafen, wurde der Zugang zur Höhle aus Angst vor ‚staatsschädlichen Zusammenrottungen‘ und ‚im Auftrag der kommunistischen Regierung‘ gesprengt. Ein Zugang ist seitdem nicht mehr möglich. Gleichwohl sollen wohl noch andere kleine Höhlen samt separaten Eingängen existieren.“

Julia blieb stehen und zwang Torben dadurch, das Gleiche zu tun. Sie sagte: „Außerdem, und hier wird die Geschichte für uns wieder interessant, hatte der Kurator noch zu berichten, dass man Jahre später zufällig auf einen Luftschacht der Großen Höhle stieß, der durch Naturschützer zu einer Einflugöffnung für Fledermäuse gemacht wurde.“

„Wieder etwas, was in Frieda Kerns Geschichte stimmt“, freute sich Torben. „Ich könnte dich küssen!“

„Vielleicht später“, antwortete Julia herzhaft lachend.

„Definitiv!“, kommentierte Torben gedanklich ihre letzte Bemerkung.

„Und was ist mit mir, wer küsst mich? Ich war auch dabei!“ Annabell tat gekränkt.

„Kommt schon Kinder, benehmt euch!“, schaltete sich Professor Meinert ein.

„Hey, bist du eifersüchtig?“ Annabell amüsierte sich über das Verhalten ihres Vaters und nahm ihn in den Arm. „Ich kann dich doch drücken!“

Dem Professor gefiel natürlich die Umarmung seiner attraktiven Tochter, die die neidischen Blicke etlicher Passanten auf ihn zog, trotzdem räusperte er sich und sagte: „Jetzt ist aber gut! Lasst uns endlich zum Hotel gehen.“

„Nicht so schnell“, Anna hatte sich wieder beruhigt. „Nur eines noch: Es wird die Herren freuen, dass wir nunmehr – quasi aus erster Hand des Kurators – wissen, dass tatsächlich aus dem Domschatz noch immer ein Bergkristallreliquiar in Form einer Bischofsmütze und ein gleichschenkliges Kreuz byzantinischer Herkunft aus dem 14. Jahrhundert, das man im Übrigen sogar öffnen konnte, fehlen. Beide Gegenstände wurden in Dallas nachweislich im Besitz Meadors gesehen. Sie sind also erst in den USA abhandengekommen.“

„Und vielleicht noch immer dort“, mutmaßte Torben.

Julia wurde misstrauisch: „Oh, oh, ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Herr Trebesius, du willst doch nicht etwa nach Texas und die beiden Artefakte suchen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Derzeit sieht es so aus, als ob in den beiden noch fehlenden Teilen des Domschatzes geheime Botschaften oder Hinweise des Ordens versteckt worden. Als Meador sie stahl, gerieten sie quasi außer Kontrolle. Der Orden wird sie zurück haben wollen und intensiv nach ihnen suchen.“

„Vielleicht hat er sie schon längst gefunden. Möglicherweise kehren sie nur deshalb nicht zurück“, gab der Professor zu bedenken. Er umfasste den Arm seiner Tochter und brachte sie so dazu, endlich den Weg weiter fortzusetzen. Julia und Torben folgten ihnen nach. Julia beugte sich dabei zu Torben und flüsterte ihm ins Ohr: „Seine letzte Aussage meint er doch nicht ernst oder?“

Torben grinste und sagte: „Nein, ich kenne ihn. Gedanklich geht er jetzt alle Optionen durch. Womöglich überlegt er bereits, ob er einen alten Kunstschieber auf dem amerikanischen Markt kennt, den er um Hilfe bitten könnte.“

Als er ihr Gesicht so nah vor dem seinen sah und bemerkte, wie gelöst sie im Moment war, umfasste er einem Impuls folgend ihre Hüfte und zog sie eng an sich. Seine Lippen fanden die ihren und ihr Mund öffnete sich bereitwillig.

Plötzlich ertönte die Stimme des Professors: „Dafür haben wir später noch Zeit!“

Torben und Julia, die sich wie zwei ertappte Teenager fühlten, trennten sich schnell voneinander und blickten ihm entgegen. Professor Meinert brummte nur, drehte sich um und ging zügigen Schrittes wieder weiter.

Torben sah jedoch, wie Annabell grinste und in Julias Richtung mit dem Mund Worte formte, die „Na endlich“ heißen konnten. Verwirrt blickte er zu Julia und sagte: „Ich versteh nicht ganz …“

Sie lächelte nur, hauchte ihm noch einen flüchtigen Kuss auf den Mund und antwortete geheimnisvoll: „Ich weiß, dass du manche Sachen nicht verstehst. Du bist halt ein Mann. Manchmal braucht es einfach den richtigen Moment. So sind Mädchen eben. Und jetzt komm, sonst kriegen wir wirklich noch Ärger mit dem Professor.“ Julia machte sich von ihm los, eilte der wartenden Anna entgegen, hakte sich bei ihr ein und Torben sah keine andere Möglichkeit, als sich seinem Schicksal zu ergeben und seinem Mentor und den beiden kichernden Frauen zu folgen.

Germanias Vermächtnis

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