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Gesellschaftstaugliche Sportfrauen

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An einem dieser düsteren Tage holte ich wieder einmal Julian vom Sport ab. Der Schnee taute, um mich herum befand sich nur grauer Matsch, der meine Stimmung nicht gerade hob. Die Wolken modellierten am Himmel ein Gebilde in allen denkbaren Grautönen und ich sehnte mich schon jetzt, am frühen Nachmittag, nach meinem Bett. Während sich die Kinder umzogen, unterhielten sich die ehrgeizigen Mütter der kleinen Sportler angeregt über ihre eigenen sportlichen Aktivitäten. Eine lief Schlittschuhe und zwar wie einst Katharina Witt, eine spielte Tennis wie Steffi Graf, die andere wieder hob ihre Leistungen beim Reiten hervor und sah mit ihrem aufgedonnerten Look aus, dass ich mir nicht sicher war, ob sie tatsächlich von einem Pferd erzählte. »Dieser Hengst war so wunderschön – und stark war er, sag ich euch! Ich traute mir kaum, ihn zu besteigen und meinen Po auf ihm niederzulassen, Mädels!«, schwärmte sie ausgelassen und die anderen Frauen bestaunten ausführlich ihre Berichte. Ich stand dabei, verbiss mir einen Lachanfall und glaubte kaum, dass diese Weiber nicht merkten, wie dämlich sie waren. Ich tat wie immer so, als ob ich dem Gespräch aufmerksam lauschte, als ob ich mittendrin wäre (und doch nicht dabei). Dann sagte eine von ihnen, eine jener Frauen, die man mit der Taschenlampe röntgen konnte: »Ich sage euch, ich habe über Weihnachten zwei Kilo zugenommen. Jetzt muss ich mich aber ranhalten, um die wieder loszuwerden! Ich hasse die Feiertage!« Sie hob dabei Beifall heischend die Augenbrauen, verdrehte affektiert die Augen und erhielt von den anderen Müttern mimikreiche, verständnisvolle Zustimmung.

Ich merkte, wie mein Mund offen stand und klappte ihn schnell wieder zu. Das durfte nicht wahr sein! Haben diese Zaunslatten sonst keine Probleme? Diese dürre Pute regte sich jetzt gerade nicht über zwei Kilo auf, oder? (Ich hasste die Feiertage schon seit Jahren nicht mehr, ich liebte Kekse und Festtagsbraten, Ruhe und meine kleine Familie, stressfreie Tage, an denen mein Sohn nicht mit dem Leistungssport gequält wurde und ich niemanden von den ambitionierten Sportmüttern sehen musste!) Sollte ich das etwa sagen? Oder sollte ich von den lächerlichen Rückenübungen berichten, die mir der Arzt verordnete, damit diese dämliche Zecke nicht mehr Schaden anrichtete? War ich eine Eigenbrötlerin? Sollte ich mit dem Strom schwimmen, um auch so viel Beifall zu ernten wie die dünne Mutter, die jetzt leider hungern musste, um sich wieder zu mögen? Vielleicht könnte ich die vielen Kortison-Infusionen der letzten Monate und die zahlreichen Medikamente erwähnen. Sollte ich diesen Weibern erzählen, wie viele Wochen ich in der Neurologie verbringen musste, um ein einigermaßen erträgliches Leben in Jogginghose führen zu können? Nein, das würden sie nicht verstehen, die nicht. Sie drehten sich nur um sich selbst. Warum waren sie so? Hatten die alle solche Mütter wie ich? Verließen sie sich auf das Werbefernsehen, wo eine dünne Frau mit Kleidergröße 38 für Diätdrinks warb? Wurde ihnen auch nichts anderes beigebracht, als zu glauben, nur die dünne Frau taugte in dieser Gesellschaft etwas? Bekamen sie auch die Gratisangebote der Krankenkassen für Fitness und Ernährung ins Haus? Waren es Männer, die ihnen vermittelten, dass sie nur schlank liebenswert waren? Waren es die Frauen selbst, die sich gegenseitig das Leben schwer machten, indem sie Gewichtsverlustswettbewerbe veranstalteten und sich schräg ansahen, wenn sie sich jenseits der Kleidergröße 38 befanden? Wer zum Teufel vermittelte Frauen ein solches Normbild? Es gab Länder, in denen galt es als chic und vorteilhaft, wenn Frauen weibliche Figuren hatten. Sie galten damit als fruchtbar und gesund. In unseren Breiten wurde man ausgelacht, man bekam Säcke in den Geschäften, damit der Frau bewusst wurde, dass sie sich nicht modern und attraktiv zu kleiden hatte, wenn sie zu viel auf den Rippen hatte. Nachdenklich nagte ich an meiner Unterlippe und bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, wie mich die feiertaghassende Mutter neugierig musterte. Ich war hin- und hergerissen. Ich fühlte mich wie eine introvertierte, weltfremde Mutti, sah mich plötzlich mit einer kitschigen, blumigen Kittelschürze aus Dederon (wie sie meine Großmutter früher trug) am Herd stehen. Die Schürze brachte mein mütterliches Aussehen glanzlos zur Geltung und die Aufgabe am Herd füllte mich ganz und gar aus. Die anderen Mütter tanzten dabei attraktiv, fit und sexy um mich herum. Ich sah ihnen verzweifelt zu, wand mich ab und kochte das Lieblingsessen meiner Männer weiter. Sie sahen auf mich herab, belächelten mich mitleidig und lachten laut.

Eine der Sportfrauen riss mich plötzlich aus meiner grässlichen Vorstellung. »Sag mal, Silke, du quälst dich wohl nicht so, oder?« (Weil: Du bist ja fett …). Ihr Mund verzog sich süßlich und ich konnte den Spott in ihrem sorgfältig geschminkten Gesicht sehen. Der Kleister machte sie nicht gerade schöner, aber das bemerkten die wenigsten Frauen. Immerhin: Sie trug eine Markensportjacke, knallenge Röhrenjeans und hohe Stiefel und wirkte wie wie frisch einem Modeheft (für die moderne, selbständige, gesunde, glückliche – seelenlose – Frau) entsprungen. »Nö«, meinte ich (scheinbar) ungerührt. »Ich lebe doch nur einmal und Hunger macht böse!« Wie man an euch sehen konnte!

Kam das etwa aus meinem Mund? Wenn die gewusst hätten, welche grässlichen Vorstellungen mich verfolgten, wie schrecklich die letzten Tage für mich waren, wie sehr ich litt! Die Sportfrau sah mich mitleidig an. Die anderen schwiegen betreten. Ich musste dringend auf die Toilette (hoffentlich fing ich dort nicht an, die Armaturen zu putzen) und eine Zigarette rauchen. Ich beruhigte mich und konzentrierte mich auf meinen Sohn. Er kam aus der Kabine, vor der die Sportmütter immer noch schnatterten und mich wieder höflich mitleidig anlächelten. (Ihr könnt mich mal!)

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