Читать книгу Moppelchens Chaosbande ...Ehe, man! - Sylvia Koppermann - Страница 10
Was für Mutter gut ist, kann nur gut für Vater sein
ОглавлениеÜber die letzten Jahre hatte das Sehvermögen meines Schwiegervaters gelitten und endlich sprach meine Schwiegermutter ein Machtwort. Er sollte nun einen Termin beim Augenarzt machen. Nur, dort war er einige Jährchen nicht mehr gewesen. Sein früherer Augenarzt längst im Ruhestand, übernahmen wir die Planung. Nicht ganz ohne Hintergedanken.
Einerseits wollten wir kein Risiko eingehen, unseren nicht gut sehenden Pulsbeschleuniger mit dem Bus in die Kreisstadt fahren zu lassen, ohne zu wissen, wo er am Ende tatsächlich landen würde, weil er weder Fahrplan, Notizzettel oder gar die Busbeschriftung entziffern konnte. Andererseits, zwinkerte ich meiner Schwiegermutter zu, war der Termin eine gute Gelegenheit, mit Joes Mutter in einem Café zu schlemmen, während die Männer bei Arzt saßen.
Besorgnis vortäuschend, freuten wir Frauen uns also eher auf den kulinarischen Teil des Nachmittags und endlich war es dann soweit.
Warum wir so breit grinsten, fragte Vadder während der Fahrt – ach, das konnte er also sehen!?
„Na, wir freuen uns, dass Du bald eine neue Brille kriegst und wieder besser gucken kannst!“ konterte Schwiegermutter schlagfertig.
Wir suchten uns ein nettes Café, nah der Augenarztpraxis, versicherten Joe und seinem Vater, wir kämen zurecht, auch wenn wir sie jetzt schon vermissten und mit gestreicheltem Ego, zogen sie von dannen.
Über zwei Stunden saßen wir nun also da, vertrieben uns die Zeit damit, verschiedene Spezialitäten von der Karte zu probieren und kauten gerade an frisch gebackenen Waffeln, in der Form eines Tannenbaum, als mein Mann mit seinem Vater zurück kam.
Pulsbeschleuniger entrüstet, Joe der Verzweiflung nah.
Vorsichtig fragte ich nach, erntete einen Gift sprühenden Blick meines Göttergatten, dafür antwortete Vadder, wie begeistert über diesen Augenarzt sei, all seinen hoch modernen Geräten und dass der sich wirklich viel Zeit genommen habe, um zu klären, warum das Augenlicht meines Schwiegervaters sich so drastisch verschlechtert hatte.
Joe grunzte abfällig, schürzte die Lippen, setzte zum Sprechen an, verwarf den Plan aber wieder und zischte lediglich in meine Richtung: „Später!“
Auch auf der Rückfahrt war mein Mann sehr wortkarg. Erst zu Hause, als wir allein waren, platzte es aus ihm heraus und ich spürte deutlich, es war höchste Zeit, denn innerlich drohte er bereits am Schweigen zu ersticken.
So schimpfte er erst einmal vor sich hin. Mit seinem Vater habe man es aber auch nicht leicht und manchmal erinnere er ihn an ein kleines Kind. Peinlich sei es. Und ganz sicher ließe Joe sich nie wieder auf so ein Abenteuer ein, ohne vorbereitet zu sein.
Ich verstand nichts und sah ihn fragend an.
„Das ist wie damals gewesen, Maus.“ wetterte er „Da, wo Vadder so krank wurde, weißt Du noch? Als meine Mutter anrief und dachte, er stirbt?“
Oh ja, ich erinnerte mich!
Mein Pulsbeschleuniger hatte sich eine Erkältung eingefangen, dazu noch einen Harnwegsinfekt, doch als Joe sich besorgt erkundigte, ob er nicht lieber mit ihm zum Arzt fahren sollten, winkte Vadder nur ab. Er sei bereits versorgt und müsse sich nur ein paar Tage ausruhen.
Zwei Tage später, klingelte unser Telefon. Meine Schwiegermutter war dran, völlig aufgelöst und uns versichernd, wenn nicht schnell Hilfe käme, wäre Joe spätestens morgen Halbwaise. Es ginge Vadder so schlecht, dass er nicht mehr aufstehen könne. Zudem behielt er nichts bei sich und stöhne nur noch.
Alarmiert rief Joe Ivo an. Mein Mann ist ein Bär, aber seinen kräftigen Vater allein stemmen, traute er sich nicht zu.
Stunden später kamen sie zurück. Niedergeschlagen und besorgt. Vadder sei jetzt im Krankenhaus. Morgen müsse man das Gespräch mit einem Arzt suchen. Heute wäre noch zu früh für Prognosen, da erst noch zahlreiche Untersuchungen liefen.
Am nächsten Tag standen wir vor einem teilweise ratlosem Stationsarzt. Die Diagnose habe eine verschleppte Erkältung und eben den Harnwegsinfekt bestätigt, aber warum der Allgemeinzustand meines Schwiegervaters so besorgniserregend war, konnte man nicht näher definieren.
Merkwürdigerweise ginge es ihm heute tatsächlich schlagartig besser. Darüber freuten sich alle, aber eine Erklärung suchte man dennoch vergeblich.
Die gab uns dann aber unser Pulsbeschleuniger selbst, als wir ins Zimmer kamen. Er begrüßte uns fröhlich schimpfend, dass er, sobald er wieder nach Hause käme, als erstes den Hausarzt aufzusuchen gedenke, um ihm tüchtig die Meinung zu sagen, was für einen Dreck er verordne.
Entsetzt schauten Joe und ich uns an. Vadder war doch gar nicht beim Arzt gewesen. Phantasierte er etwa?
So setzte ich vorsichtig an, fragte, wie er denn darauf käme und er schimpfte noch lauter, dass meine Schwiegermutter nie wieder zu diesem Kurpfuscher gehe. Basta.
Was hatte nun wieder Joes Mutter damit zu tun? Sie war dort in guten Händen und der Arzt hatte sie immer bestens mit passenden Medikamenten unterstützt, um ihre körperlichen Gebrechen und die langsam beginnende Demenz für sie erträglicher zu machen.
Aber um genau diese Medikamente ginge es doch, keifte der Pulsbeschleuniger schließlich. Am eigenen Leibe habe er ja nun erfahren müssen, mit was für einem Gift die Gesundheit seine geliebte Frau gefährdet würde.
Und dann dämmerte es uns: Schwiegervater meinte, als der Infekt anrückte, was seiner Frau gut täte, dürfte auch für ihn nicht schlecht sein. Was das alles für Medikamente waren, schien ihm egal. Es half meiner Schwiegermutter. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Und so schluckte er einfach tagelang wild einen Mix ihrer Tabletten. Ob die nun für das Herz, gegen Wassereinlagerungen oder Blutverdünner waren, interessierte ihn doch nicht. Medikamente hätten gesund zu machen. Ihn hatte der Cocktail nieder gestreckt.
Ab dem Tag hatte der Pulsbeschleuniger Verbot, sich den Tabletten seiner Frau zu nähern, es sei denn, er würde ihr behilflich sein, vorher genau eingeteilte Dosierungen einzunehmen.
Was das nun aber mit dem Augenarzttermin zu tun hatte, verstand ich nicht. So sah ich Joe umso fragender an.
„Naja, Vadder hatte schon Recht, dass der Arzt heute alle Geschütze auffuhr. Musste er ja auch.“ und dann kam die ganze Geschichte heraus.
Mit Brille, so stellte auch der Augenarzt fest, konnte Schwiegervater nichts mehr richtig erkennen. Ohne auch nicht und so vermaß der Arzt die Augen, tropfte, sah durch moderne Geräte ins Innere der Augen, verglich immer wieder, nahm mehrfach die Brille in die Hände und schüttelte den Kopf.
Er könne sich das auch nicht erklären, aber hier stimmte ja gar nichts überein. Entschuldigend legte er fest, im Grunde nur so tun zu können, als säße mein Schwiegervater zum ersten Mal beim Augenarzt. Alles wurde neu berechnet und ausprobiert, dann bekam er ein Rezept für eine neue Brille und während der Pulsbeschleuniger noch vor sich in schimpfte, dass er eigentlich wenig Lust hätte, schon wieder eine teure Brille kaufen zu müssen, nahm der Arzt meinen Mann zur Seite, vorsichtshalber einen Termin in wenigen Monaten zu machen, um die unerklärlichen Veränderungen an den Augen seines Vaters, gewissenhaft kontrollieren zu lassen.
Auch Joe war beunruhigt und begleitete seinen Vater hinaus, während er ihn milde zu stimmen versuchte, dass dieser ja vorerst nicht das teuerste Brillengestell nehmen müsste, wenn er sich um die Kosten sorgte. Aber in ihm brannte auch die Frage, wann er denn die letzte Brille gekauft habe, wenn er nun von „schon wieder so einer teuren Brille“ sprach.
„Des weeß iche doch net mer!“ moserte der Pulsbeschleuniger, beim Einsteigen in den Fahrstuhl „Ds is bolle fuffzen Johr her. Abr ds wor echt hoppich, ws ds gekust hot!“
Während Joe dies schmunzelnd sacken ließ, fuhr sein Vater fort. Mit seiner Frau müsste er nun also auch zum Augenarzt. Wie er darauf käme, fragte mein Mann, noch nachdenklich, da doch von seiner Mutter, dem Arzt gegenüber keine Rede war.
„Na, wenn iche all net mer sehn konn, donn de Mudder ach net. Ws gleebstn Du, walche Brill ich da hob? Meene is doch all zehn Johr kabudd. Deshalle hob ich doch de gonze Zeet die alde Brill vonner Mudder getrogn.“
Und dann verstand Joe endlich.
Es war wie mit den Medikamenten damals: Was für die Mutter gut war, konnte auch nur gut für den Vater sein!