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3. Kapitel

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In den nächsten Tagen versuchte ich, mich in den Alltag auf Darkhaven einzufügen. Ich glaube, es gelang mir ganz gut.

Die Schar der Bediensteten war klein, sodass ich schnell alle kennenlernte.

Mr Brown, der Stallmeister, ein netter älterer Herr, nahm mich mit zu den Stallungen. Es gab nicht viele Pferde dort, aber die wenigen waren ausgezeichnete Exemplare.

„Lord Cunningham ist da sehr eigen“, klärte er mich auf. „Er hat nur die besten Zuchthengste hier.“ Dabei schwang Stolz in seiner Stimme. Und Anerkennung für seine Lordschaft.

Ich hatte in York schon früh das Reiten gelernt, wenn ich mich auch nicht als eine erfahrene Reiterin bezeichnen würde. Aber es hatte mir immer Spaß gemacht, und die Stürze waren zum Glück belanglos gewesen.

Während ich einem jungen Braunen über die Nüstern streichelte und überlegte, wie lange ich nicht mehr auf dem Rücken eines Pferdes gesessen hatte, ging mir plötzlich etwas auf.

„Moment mal, Mr Brown, Sie können die Pferde hier auf der Insel doch gar nicht ausführen!“

Zwar war ich noch nicht aus der Burg hinausgekommen, aber ich wusste ja, dass die Insel nur sehr klein war. Wo hier Pferde auslaufen sollten, war mir völlig schleierhaft.

Mr Brown lachte. „Da haben Sie recht. Aber Lord Cunningham hat auch noch einen Stall drüben in Readingsworth. Allerdings können wir mit unseren Pferden nur bei Ebbe rüberreiten, damit sie sich dort richtig austoben. Aber wir gewöhnen sie schon von klein auf daran, über den Damm zu gehen, sodass es kein Problem für sie ist. Drüben werden sie dann eingesetzt, um Botengänge zu erledigen, Besuche zu machen oder um einfach nur auszureiten. Das macht Lord Cunningham für sein Leben gern. Er reitet wie der Teufel. Und drüben fühlen sich die Pferde auch wohl.“

„Ach, dann ist hier nur die Zucht?“

Mr Brown nickte und verließ mich dann.

Ich musste daran denken, wie er über seine Lordschaft gesprochen hatte. Voller Verehrung und Respekt.

Zum ersten Mal machte ich mir Gedanken, wie er wohl sein würde.

Bisher musste ich so viele neue Eindrücke verarbeiten, dass ich gar nicht groß darüber nachdenken konnte, wie ich mich mit seiner Lordschaft verstehen würde.

Ich nahm mir vor, mich in der Küche mal umzuhören.

Einer der Stalljungen kam zu mir: „Mr Brown hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, dass seine Lordschaft angeordnet hat, Sie könnten jederzeit bei Ebbe ausreiten, Miss.“

Ich brachte nur ein kurzes erstauntes „Danke“ hervor. Damit hatte ich nicht gerechnet, ebenso wenig wie mit meinem herrschaftlichen Zimmer.

Seiner Lordschaft schien wirklich etwas daran gelegen zu sein, mich hier zu halten.

Der Unterricht für Viola begann.

Am Tag zuvor hatte mich Mrs Dunners zu sich gebeten, um mir mitzuteilen, wie der Unterricht für Viola zu gestalten sei.

Offenbar hatte sie genaue Instruktionen von seiner Lordschaft erhalten.

Sie teilte mir also mit, dass Viola nach dem für ihr Alter üblichen Lehrstoff unterrichtet werden solle. Und der Lord wünsche keinerlei Sonderbehandlung oder Nachsicht. Viola habe sich dem Unterricht anzupassen. Alles Weitere wolle er dann mit mir persönlich besprechen.

Während sie mir das in ihrer kalten, beherrschten Art, die ich fürchtete, mitteilte, sah ich mich ein wenig in ihrem Arbeitszimmer um.

Im Kamin brannte kein Feuer, sie schien nicht zu frösteln, was mich ehrlich gesagt nicht verwunderte.

Auf ihrem Schreibtisch lagen einige Papiere, an denen sie wohl gerade arbeitete.

In der Küche hatte ich erfahren, dass es noch einen Butler auf Darkhaven gab, einen älteren Herrn namens Mr McNeal, der mit seiner Lordschaft unterwegs war. Während seiner Abwesenheit musste Mrs Dunners alles erledigen. „Und das bestimmt perfekt“, dachte ich eingeschüchtert.

Sonst gab es in dem Raum nicht viel Beachtenswertes. Ein großes Kreuz hing an der Wand, was mich in meinem ersten Eindruck von ihr bestärkte, dass sie äußerst religiös war.

Nicht eine Pflanze oder ein paar Blumen gab es. An den Wänden hingen langweilige, nichtssagende Gemälde.

Sie fixierte mich mit ihren kalten grauen Augen: „Miss Viola leidet immer noch unter dem Verlust ihrer Mutter und braucht eine starke Hand, die sie führt.“

Der Unterton in ihrer Stimme gab mir deutlich zu verstehen, dass sie mir diese Autorität nicht zutraute.

Komisch, ich hatte mich immer für selbstbewusst gehalten.

Mein Vater hatte mir von Kindheit an beigebracht, dass alle Menschen gleich sind und ich mich vor niemandem fürchten muss. Zum ersten Mal saß ich jetzt einem Menschen gegenüber, der mich einschüchterte, ohne dass er viel dazu tat, und mich wie ein kleines Mädchen fühlen ließ, das fortwährend getadelt wird.

„Sie muss essen“, sagte ich und räusperte mich.

„Selbstverständlich. Wenn Sie es nicht schaffen, muss ich das eben weiter übernehmen.“

Entsetzt sah ich sie an. Jetzt wurde mir klar, wohin sie Viola immer mitnahm, wenn sie sie aus dem Kinderzimmer oder dem Unterrichtszimmer abholte. Ich hatte mich schon gefragt, welchem Zweck diese Unternehmung diente.

Mrs Dunners gab mir noch ein paar Anweisungen für den Umgang mit dem Personal, und dann wurde ich mit einem nur angedeuteten Kopfnicken entlassen.

Ich ging aus dem Raum wie eine Schülerin, die gerade einen Tadel von der Direktorin bekommen hatte. Meine Hände waren feucht, und ich atmete kaum noch.

Das Verhältnis zwischen Viola und mir war seltsam. Sie schien mich zwar zu akzeptieren und war willig, aber ich konnte nicht zu ihr durchdringen.

In der ersten Zeit sah ich sie nur zum Unterricht. Dieser fand in einem sehr schönen, hellen Zimmer unter dem Dach statt. Die ersten Male verlief ich mich immer, wenn ich hinaufging. Aber bald hatte ich es raus. Es gab dort alles, was sich ein Kind für das Entdecken und Lernen nur wünschen konnte. Auch standen dort sehr viele Bücher, die aber größtenteils nicht für Mädchen in Violas Alter geeignet waren.

Wir sahen uns dort am Vormittag bis zum Lunch und dann noch einmal am Nachmittag. Ich hatte mir vorgenommen, sie nicht zu bedrängen. Also war ich so höflich zu ihr, wie sie es zu mir war. Ich bemerkte jedoch, dass sie mich beobachtete.

Anfangs fragte ich sie jeden Tag, ob sie mit zum Lunch in die Küche gehen wolle. Sie verneinte es jedes Mal. Dann gab ich es auf. Deshalb erschien zwangsläufig Mrs Dunners und nahm sie mit.

„Arme Kleine“, dachte ich nur.

Einmal konnte ich mir die Frage nicht verkneifen: „Magst du Mrs Dunners?“

Sie sah mich kurz an und nickte dann nur.

Was das zu bedeuten hatte, war mir sehr klar. Gab es wohl irgendjemanden, der Mrs Dunners mochte? Von den Bediensteten wurde sie gefürchtet, das hatte ich schnell bemerkt.

Manchmal dachte ich an Lord Cunningham. Ich erfuhr, dass sich seine Rückkehr verzögerte.

In meiner freien Zeit erkundete ich die Umgebung der Burg, soweit mir das möglich war.

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen entdeckte ich gleich hinter der Burg einen relativ großen Garten, der bis an die Steilküste führte, unterhalb der das Meer tobte.

Er war fast ein kleiner Park mit Laub- und Obstbäumen, Rosenstauden, Blumenbeeten und einem größeren Stück guten englischen Rasens.

Ich war entzückt und konnte nicht genug davon bekommen. Jede freie Minute verbrachte ich hier. In einigen lauschigen Ecken standen Holz- oder Steinbänke, auf denen ich mich sonnte oder die Schönheit des Parks bewunderte.

Schon im Pfarrhaus hatte ich mit Begeisterung den Küchengarten gehegt und gepflegt. Dort gab es im Sommer immer irgendwas zu tun, und Mrs Stevens brachte mir ihr gesamtes Wissen über Gartenarbeit bei – und das war nicht wenig.

Schon am ersten Tag, als ich den Garten fand, lernte ich den Gärtner Mr Osborn kennen. Er war schon sehr alt und schien mit seinem Garten richtiggehend zusammengewachsen zu sein. Meistens sah ich ihn gar nicht und entdeckte ihn erst nach einigem Suchen. Er liebte seine Pflanzen wohl mehr als Menschen.

Wir ließen uns also gegenseitig in Ruhe, und ich glaube, er merkte schnell, dass ich nicht die Absicht hatte, ihn zu stören.

Beim Essen in der Küche hatte ich ihn ab und zu gesehen, aber Mrs Pimrose hatte mir schon gesagt, dass er oft im Garten aß. Dabei hatte sie ihre Augen gerollt, so also würde sie ihn für sehr eigen halten, und ich musste lachen.

Eines Tages saß ich an einem warmen, angenehmen Nachmittag auf meiner Lieblingsbank, von der aus ich auch die Fassade der Burg betrachten konnte. Mr Osborn war nirgends zu sehen.

Ich fühlte mich wie im Paradies. Grillen zirpten, und die Vögel sangen in den Bäumen um die Wette. Neben mir stand ein großer Rosenstrauch in voller Blüte und schickte mir seinen betörenden Duft.

Gerade als ich den Gedanken zuzulassen begann, dass ich diesen traumhaften Moment gern mit einem Mann an meiner Seite geteilt hätte, schaute ich zur Burg hoch und sah an einem der Fenster schemenhaft eine Gestalt, die mich offenkundig beobachtete. Als sie bemerkte, dass ich sie entdeckt hatte, verschwand sie.

Mit einem Mal war der Zauber dieses Moments verflogen. Vielleicht hätte ich es damals als Warnung auffassen sollen.

Das Geheimnis des alten Tagebuchs

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