Читать книгу Das Geheimnis des alten Tagebuchs - Sylvia Weill - Страница 9

5. Kapitel

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Die nächsten Tage wurden sehr kalt und stürmisch. Man konnte einfach keinen Fuß vor die Tür setzen, ohne sofort bis auf die Haut durchnässt zu werden.

Mir war es nur recht, denn so konnte ich mich noch mehr mit Viola befassen, die immer zutraulicher wurde. Sie schien mich jedoch weiterhin zu beobachten, so als würde sie mir noch nicht vollständig trauen. Aber ich war mir sicher, dass ich auch diese Hürde bei ihr nehmen würde.

Sie war ein erstaunlich intelligentes Kind, und so kamen wir im Unterricht sehr gut voran. Es machte ihr Spaß zu lernen, was man ja durchaus nicht von jedem Kind behaupten kann.

Mrs Dunners schien diese Entwicklung mit Wohlwollen zu beobachten, jedenfalls glaubte ich das.

Inzwischen ging Viola sogar mit mir in die Küche, um dort mit uns allen zusammen zu essen. Das rief zuerst ein großes Erstaunen hervor, da sie sehr lange nicht mehr in der Küche gewesen war, doch die Aufregung legte sich schnell, und man nahm sie einfach als jüngstes Mitglied in die Gemeinschaft auf. Bald schon war es selbstverständlich, dass sie mit uns aß.

Natürlich hatte ich Mrs Dunners vorher um Erlaubnis gebeten, die sie mir sofort gewährte, aber ohne eine Gefühlsregung. Leise hatte ich den Verdacht, dass sie froh darüber war, Viola nicht mehr füttern zu müssen.

Mrs Pimrose freute sich ganz besonders und wurde nicht müde, Viola jede leckere kleine Süßigkeit zu backen, die man sich vorstellen kann. Das Mädchen wurde also richtig verwöhnt und schien dabei aufzublühen.

Manchmal fragte ich mich, ob ihr Vater, wenn er auf der Burg zurück sein würde, ihr diese Freizügigkeit weiterhin zugestehen würde. Ich nahm mir vor, für sie zu kämpfen.

Da jetzt so schlechtes Wetter war, konnte ich auch wieder meine Teebesuche am Nachmittag, wenn Viola schlief, bei Mrs Pimrose aufnehmen. Durch meine Aufenthalte im Garten war ich dazu nicht mehr gekommen.

Es ergab sich, dass wir an einem dieser Tage allein in der Küche saßen. Zuerst unterhielten wir uns über dies und das, so wie wir es uns angewöhnt hatten. Sie freute sich, dass wir wieder einmal Tee zusammen tranken und schien sich sehr wohlzufühlen. Also packte ich die Chance am Schlafittchen. Mit wem sollte ich denn sonst über ihn reden?

„Kommt Lord Archibald eigentlich oft zu Besuch?“

Sofort ging eine deutliche Veränderung mit ihr vor.

„Pff“, schnaubte sie und nahm energisch ihre Tasse in die Hand. Ihr großer Busen wogte aufgebracht.

Vollkommen entgeistert sah ich sie an.

„Klar ist der oft hier“, spuckte sie aus. „Er wohnt ja nicht weit entfernt von Readingsworth. Und wenn seine Lordschaft nicht hier ist, kommt er noch öfter. Als würde er es riechen. Dann stecken er und sie immer die Köpfe zusammen.“

Dabei drehte sie sich halb zur Tür, um sich zu vergewissern, dass niemand kam.

„Wie vertragen sich denn sein Bruder und er?“ Es hatte mich große Überwindung gekostet, diese Frage zu stellen.

Wieder kam ein „Pff“.

„Bei seiner Lordschaft kann er sich nichts rausnehmen. Der bändigt ihn. Und mit seinem Süßholzgeraspel kann er seiner Lordschaft schon gar nicht kommen.“

Nun war ich sprachlos. Sie mochte Lord Archibald ganz offensichtlich nicht. Wie konnte das sein? Ich hatte gedacht, dass jeder ihn mochte, ausnahmslos.

Jetzt hatte Mrs Pimrose sich ein wenig in Rage geredet.

„Mit Lady Cunningham hat er auch dauernd zusammengesteckt. Pff. So was gehört sich nicht. Hinter jedem Rock ist der her, dieser Tunichtgut.“ So wütend hatte ich sie noch nie erlebt.

Plötzlich tauchte sie aus ihrer Verärgerung auf und sah mich durchdringend an. Sie schien in diesem Moment zu realisieren, dass ich auch ein potenzielles Opfer von Lord Archibald sein könnte.

„Um Himmels willen, Kindchen! Sie sind viel zu gut für den. Nehmen Sie sich vor dem in acht. Ich habe Sie gewarnt. Keine ist vor dem sicher. Oh Gott, oh Gott. Hoffentlich kommt seine Lordschaft bald zurück.“ Sie schien Sodom und Gomorrha auf sich zukommen zu sehen.

Dann stand sie auf und gab mir damit deutlich zu verstehen, dass die Audienz bei ihr nun beendet war.

Völlig verstört ging ich in mein Zimmer und setzte mich in den Erker. Der Sturm passte zu meiner Gemütslage. Mrs Pimrose hatte mich völlig verunsichert.

An den beiden nächsten Tagen sah ich nicht viel von Lord Archibald.

Es regnete weiter, und ich versuchte, mich auf Viola zu konzentrieren. Trotzdem schweiften meine Gedanken immer wieder ab und beschäftigten sich mit ihm. Ich verstand Mrs Pimrose einfach nicht. Es konnte sich nur um ein Missverständnis handeln. Andererseits wusste ich, dass sie eine gute Menschenkenntnis hatte.

Meine Gedanken schossen also hin und her. Ich wusste gar nicht mehr, was ich noch denken und glauben sollte. Und in meinen nächtlichen Träumen stand er immer vor mir und lachte sein jungenhaft unbeschwertes Lachen.

Endlich hatte es aufgehört zu regnen, und die Sonne kam sogar schon am Morgen und vertrieb alle Wolken, sodass es ein wunderschöner Sommertag zu werden versprach.

Viola fühlte sich nicht wohl und klagte über Bauchschmerzen. Mrs Pimrose hatte ihr deshalb zum Lunch einen Haferschleim gemacht, den Viola aber kaum anrührte.

Da ich es für besser gehalten hatte, Mrs Dunners zu informieren, schlug sie vor, Viola für den Rest des Tages ins Bett zu packen und Mary und Daisy abwechselnd bei ihr zu lassen. Dem stimmte ich zu und versprach Viola, abends noch einmal nach ihr zu schauen.

Ich wollte mich gerade auf den Weg in den Garten machen, als mich von hinten jemand ansprach: „Miss Burton, ist das nicht endlich wieder ein wunderschöner Tag?“

In meinem Bauch begannen sofort alle Schmetterlinge zu flattern. Ich drehte mich zu Lord Archibald um: „Ja, endlich. Ich bin wirklich froh.“

Er grinste mich an, so als würden wir uns schon sehr lange kennen.

„Ich muss rüber nach Readingsworth reiten. Haben Sie nicht Lust mitzukommen? Wie ich hörte, haben Sie den Rest des Tages frei.“ Dabei ließen seine Augen mich nicht los.

Und ich konnte mich vor Freude nicht halten: „Sehr gern. Ich will schon so lange mal wieder ausreiten, aber Mr Brown will es mir nur in Begleitung gestatten.“

Als ich es sagte, tadelte ich mich schon als vorlautes Ding. Schließlich war ich hier die Gouvernante, und mit der machte der Bruder des Hausherrn eigentlich keine Ausritte. Wirklich verboten war es aber auch nicht. Und so überwog schnell wieder meine Vorfreude. Dann fiel mir jedoch ein: Ich hatte kein Reitkleid mit.

Meine Miene verfinsterte sich und Lord Archibald sah mich fragend an.

„Ich habe kein Reitkleid“, sagte ich seufzend. In Gedanken sah ich mich schon im Garten sitzen in Trauer um den verpassten Ausritt.

Erstaunt sah er mich an, als wüsste er nicht, wovon ich redete. Dann lachte er. „Oh, ich verstehe. Aber das ist kein Problem. Mr Brown hat für solche Fälle immer ein paar Sachen da, für Männer und für Frauen.“

Also gingen wir zu den Ställen, und ich fragte Mr Brown nach einem Reitkleid. Er kratzte sich stumm hinter dem rechten Ohr und überlegte: „Ja, Miss. Da müsste, glaube ich, was in Ihrer Größe dabei sein.“

Wir gingen zu einer abgelegenen Kammer, in der einige Truhen standen.

Er deutete auf eine der Truhen. „Da sind Kleider für Frauen drin. Wenn Sie eins finden, nehmen Sie es nur. Geben Sie es dann hinterher einfach einem der Küchenmädchen für die Wäsche.“

In der Truhe befanden sich tatsächlich drei Reitkleider in unterschiedlichen Größen. Eines davon würde mir wohl halbwegs passen.

Also verabredete ich mich mit Lord Archibald in einer halben Stunde bei den Pferden und rannte in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Auf dem Weg begegnete ich Mrs Dunners, die erstaunt auf das Kleid sah.

Ich keuchte nur: „Ich reite mit Lord Archibald nach Readingsworth.“

Sie nickte, und wenn mich nicht alles täuschte, sah ich in ihren Mundwinkeln ein leichtes Grinsen. Aber da ich Mrs Dunners noch nie grinsen oder lachen gesehen hatte, führte ich es auf meine Einbildung zurück.

Das Kleid passte mir tatsächlich einigermaßen gut. Für den Ausritt würde es seinen Zweck erfüllen. Ob ich Lord Archibald darin gefiel? Ich schalt mich eine dumme Gans und lief zurück zu den Stallungen.

Mit einer schlanken, gutartigen braunen Stute namens Lizzy hatte ich bereits ein wenig Freundschaft geschlossen, denn ich ging immer wieder einmal zu den Ställen, wenn ich aus dem Garten kam. Sie war mir wegen ihrer treuen Augen sofort aufgefallen und sie freute sich jedes Mal, wenn ich kam und ihr ein Zuckerstück mitbrachte.

Mr Brown stimmte sofort zu, als ich ihn fragte, ob ich sie nehmen könne.

„Sie neigt aber manchmal zu Gefühlsausbrüchen, wenn es ihr zu gut geht“, warnte er mich lächelnd.

„Na, dann lasse ich es ihr einfach nicht zu gut gehen“, scherzte ich.

Und so saß ich dann schnell im Sattel und freute mich unsagbar. Wie lange war es her, dass ich geritten war? Lange vor dem Tod meines Vaters.

Ganz langsam ging es den Weg hinunter und durch das Burgtor hinaus. Dann in einer weiten Schleife zur Bootsanlegestelle.

Und hier sah ich zum ersten Mal den Damm hinüber zum Festland.

Ich konnte gleich erkennen, dass er für einen Reiter breit genug war. Zwei Reiter konnten jedoch nicht nebeneinander reiten. Aber für das kurze Stück musste das ja auch nicht sein. Es schien mir fast, als würden wir die See durchqueren.

Und in diesem Moment merkte ich, wie froh ich war, dass ich die Burg für eine kurze Zeit verlassen durfte. Wir lebten dort wie in einer eigenen Welt. Aber außerhalb gab es eben auch noch eine andere, viel größere Welt.

Als wir am Strand ankamen, wandte sich Lord Archibald zu mir um. „Ich muss nur kurz etwas erledigen, dann können wir ausreiten. Wollen wir uns in einer Stunde wieder hier treffen?“

Ich stimmte zu. An der dafür vorgesehenen Stelle band ich Lizzy fest. Sie war es gewohnt und wusste, dass man schnell wiederkommen würde. Außerdem war sie hier in Gesellschaft von anderen Pferden.

Ich ging etwas unentschlossen durch die Hauptstraße und sah mich um. Ich kannte Readingsworth ja nicht. Aber es gab auch nichts Besonderes zu sehen. Ein hübscher, lauschiger Küstenort wie so viele an der Küste von Devon.

Mir fiel ein, dass ich kurz bei Mrs Pandergast reinschauen könnte, wenn ich schon hier war.

Sie freute sich sehr, mich zu sehen, und erkundigte sich, wie es mir auf Darkhaven ergangen sei. Leider konnte ich nicht lange mit ihr reden, denn sie hatte alle Zimmer voll mit Pensionsgästen und kümmerte sich gerade um die Wäsche. Also verabschiedete ich mich wieder und schlenderte langsam zu Lizzy zurück, da die ausgemachte Stunde schon fast um war.

Gerade stand ich vor der mit einem Vordach geschützten Auslage eines Modeladens, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung vor einem der benachbarten Häuser wahrnahm. Da ich im Schatten stand, konnte man mich sicherlich nicht gut sehen.

Lord Archibald war aus einem der Häuser getreten und drehte sich noch einmal um. Zunächst konnte ich nicht erkennen, zu wem. Doch dann sah ich für einen kurzen Augenblick eine wunderschöne Frau dort stehen, mit der er sehr vertraut sprach. Sie wirkte nervös und sah immer wieder nach links und rechts. Dann schloss sie die Tür, und Lord Archibald kam die Treppe herunter auf die Straße.

Etwas kopflos stürzte ich in den Laden, damit er mich nicht sehen konnte. Warum ich das tat, weiß ich nicht. Aber eins ist sicher: Wenn Mrs Pimrose nicht so abfällig über ihn geredet hätte, dann wäre mir das nie in den Sinn gekommen.

So betrachtet ich Hüte, die mir übrigens alle nicht gefielen, und fragte mich, wer diese Dame wohl war, bei der er etwas zu erledigen gehabt hatte. Aber vielleicht würde er es mir ja von sich aus erzählen.

Schließlich verabschiedete ich mich knapp von der Besitzerin des Modeladens und ging hinüber zu Lizzy, wo Lord Archibald schon auf mich wartete.

„So, meine Amazonenkönigin, ich habe alles erledigt. Jetzt können wir unseren Ausflug machen.“

Als er mich wieder so gewinnend anlachte, fielen alle Bedenken schlagartig von mir ab. Er half mir aufs Pferd und schlug vor, in die Umgebung zu reiten. Und für das Dinner kenne er einen sehr gemütlichen Gasthof.

Ich freute mich sehr, fragte mich aber insgeheim, ob er wusste, wann die Flut kommen würde, denn dann konnten wir ja nicht mehr nach Darkhaven zurückreiten. Aber da er diese Tour sicherlich schon sehr oft geritten war, machte ich mir auch darüber keine Gedanken mehr.

Schon bald hinter Readingsworth erschloss sich die wunderschöne Landschaft von Devon, die so bekannt ist. Und schnell konnte ich mich nicht mehr halten und gab Lizzy die Sporen. Sie schoss los, so als habe sie nur darauf gewartet. Wer weiß, wann sie das letzte Mal richtig bewegt worden war? Ich war glücklich, als ich merkte, dass ich das Reiten nicht verlernt hatte. Und ich entschied, dass meine Pause viel zu lang gewesen war, und nahm mir fest vor, auch mit Viola auszureiten.

Ich flog also mit Lizzy über die Felder, Lord Archibald immer neben oder hinter mir. Er lachte und schien sich sehr zu amüsieren.

Erst nach einer ganzen Weile gab er mir ein Zeichen, dass es Zeit sei für eine Rast. Also stoppte ich Lizzy langsam. Als ich neben Lord Archibald abstieg, merkte ich erst, dass sie völlig außer Atem war und fast schon ein wenig dampfte.

In der Nähe floss ein Bach, zu dem sie sofort hintrottete, um zu trinken. Lord Archibalds Pferd folgte ihr.

Wir ließen uns fast gleichzeitig ins Gras sinken. Neben uns plätscherte der Bach und die Zweige eines Apfelbaums gaben Schatten.

„Sie sind ja eine richtige Draufgängerin“, sagte er und lachte. „Endlich mal eine Frau, mit der man vernünftig ausreiten kann.“

„Ach, ich bin so lange nicht mehr geritten. Erst jetzt habe ich gemerkt, wie sehr mir das gefehlt hat.“

Er sah mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Mir war es aber in diesem Moment egal. Endlich nicht mehr in der Burg und um mich herum nur die weite Parklandschaft von Devon. Und neben mir der zuvorkommendste Mann, den ich je kennengelernt hatte, setzte ich im Geiste noch hinzu.

Um mich herum tanzte ein Mückenschwarm, den ich beobachtete, so wie ich es schon als Kind getan hatte. Die geordnete Formation faszinierte mich. Früher hatte ich meinen Vater oft gefragt, warum sie nicht zusammenstießen.

„Sie sind wirklich eine bemerkenswerte Frau“, flüsterte Lord Archibald und streichelte mir scherzhaft mit einem Grashalm über den Arm.

„Danke. Ich fühle mich heute endlich mal wieder richtig wohl. Die Burg ist oft sehr düster. Ich bin es nicht gewohnt, so eingesperrt zu leben, müssen Sie wissen.“

Er lachte wieder sein jungenhaftes mitreißendes Lachen, und ich wünschte mir, dass dieser Moment nie vergehen sollte.

„Erzählen Sie mir von sich.“

Ich sah ihn zweifelnd an. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Noch nie hatte sich wirklich jemand für mich interessiert.

„Oh doch“, grinste er. „Woher kommen Sie, und wie ist mein Bruder auf Sie gekommen?“

Und ehe ich michs versah, erzählte ich ihm vom Tod meines Vaters und dass Lord Cunninghams Brief genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen war und ich sonst zu Tante Etheldreda gemusst hätte.

Ich hielt inne und sah ihn an. Natürlich konnte er sich nur langweilen bei solch banalen Geschichten. Aber seine Augen hingen an meinen Lippen, und er schien jedes Wort von mir fast aufzusaugen. Das irritierte mich.

„Vivi braucht eine Gouvernante wie Sie. Da hat Rollo ja ausnahmsweise mal ein gutes Händchen bewiesen, was …“ Er verstummte plötzlich.

Ich musste lachen. „… das Personal betrifft?“

Einen Moment lang sah er mich an, dann prustete er los. „Genau das wollte ich sagen. Woher wissen Sie das?“

„Ich kann Gedanken lesen.“

„Oh, dann muss man sich vor Ihnen in acht nehmen.“

„Das hoffe ich. Und was ist mit Ihnen?“

„Was wollen Sie wissen?“

Fast hätte ich entgegnet: „Alles.“ Aber ich konnte mich noch rechtzeitig bremsen.

„Wo leben Sie?“

„Hier ganz in der Nähe. Unsere Familie besitzt dort ein großes Gut, das ich bewirtschafte. Äh, also, eigentlich gehört es Rollo, aber er hat es mir überlassen. Es ist nichts Besonderes. Aber die Arbeit macht mir Spaß. Ansonsten bin ich oft in London. Und natürlich auf Darkhaven“, setzte er noch hinzu.

„Ja.“ Ich musste lachen. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er der erste Mensch auf Darkhaven sei, den ich wirklich gern hatte. Außer Viola, aber sie war ein Kind.

Ich hielt mein Gesicht in die Sonne, die inzwischen unter die Zweige des Apfelbaums gekrochen war. Ein paar Grillen zirpten, und ich merkte, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder glücklich war. Und wenn ich es mir ehrlich eingestand, dann lag das an Lord Archibald.

So saßen wir noch eine Zeit lang und hingen unseren Gedanken nach. Etwas abseits grasten die Pferde friedlich.

„Wollen wir dann wieder aufbrechen?“, fragte er mit sanfter Stimme, wie ich sie noch nie bei einem Mann gehört hatte. „Zum Goldenen Ochsen ist es noch ein Stück, und wir haben ja auch noch den Heimweg. Die Flut wartet nicht auf uns.“ Jetzt lachte er wieder, und ich stimmte ein.

Der Goldene Ochse war ein Landgasthof unter sehr alten Bäumen, und ich mochte ihn gleich. Wir bekamen einen Tisch am Rande. Der Wirt schien Lord Archibald zu kennen, beachtete uns aber nicht weiter.

Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich nach diesem Nachmittag war. Wir ließen es uns schmecken und tranken dazu von dem köstlichen Apfelmost dieser Gegend.

Die Zeit verging wie im Fluge. Als die Sonne viel zu schnell schon fast hinter dem Horizont verschwunden war, mussten wir aufbrechen. Am liebsten wäre ich mit ihm noch dort geblieben, aber wir mussten ja die Ebbe erwischen.

Die Pferde waren inzwischen ausgeruht und hatten Hafer bekommen. Also ritten wir so schnell zurück, wie wir nur konnten. Lizzy schien wohl zu merken, dass sie so einen Ausritt sobald nicht mehr bekommen würde, und jagte pfeilschnell dahin. Lord Archibalds Pferd war jedoch schneller und wendiger. Aber es machte mir nichts, dass ich zumeist hinter ihm her ritt.

In Readingsworth lag der Damm zum Glück noch frei, obwohl die ersten Wellen ihn hier und da schon überfluteten. Er war aber noch so gut zu erkennen, dass es kein Problem war, nach Darkhaven hinüberzureiten.

Als wir im Burghof ankamen, wurde es schon dunkel.

Wir lachten und scherzten, als Mr Brown auf uns zukam und die Zügel der Pferde in die Hand nahm.

„Lord Cunningham ist zurück“, sagte er gedämpft.

Schlagartig fiel der Zauber dieses Nachmittags von mir ab.

Das Geheimnis des alten Tagebuchs

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