Читать книгу Höllenfrost - Ein Fall für Julia Wagner: Band 3 - Tanja Noy - Страница 8

4. KAPITEL

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Was jetzt kommt, wird heftig werden

Schwarzwald

Nachdem sie die Apotheke wieder verlassen hatte, blieb Eva einen Moment stehen und benutzte ihren Inhalator, dann setzte sie sich erneut in Bewegung. Dicke Schneeflocken fingen sich in ihren hellroten Locken. Irgendwo bellte ein Hund, ansonsten war die Straße menschenleer.

Endlich wieder bei ihrem Wagen angekommen, durchsuchte sie den Inhalt ihrer Handtasche nach den Autoschlüsseln, fand sie, schloss auf und hatte sich gerade hineingesetzt und die Tür zugeschlagen, als sie von außen wieder aufgerissen wurde. Im Türrahmen erschienen die Umrisse eines Mannes. „Raus aus dem Wagen! Sofort!“

Starr vor Schreck, bewegte Eva sich überhaupt nicht.

Bereits in der nächsten Sekunde griff eine Hand in den Wagen, die sie herausziehen wollte. Sie wich zurück, drückte sich so tief in den Sitz, dass der Mann sich zu ihr hineinbeugen musste, um sie mit einer Hand am Mantel zu packen. Mit der anderen Hand drückte er ihr etwas an den Kopf. „Komm raus oder ich knall dich gleich hier ab!“

Eva spürte eine Waffe an der Stirn und immer mehr Eiseskälte in der Magengrube. „Wollen Sie Geld?“, fragte sie zitternd. „Ich habe etwa vierzig Euro …“

„Kein Geld. Raus aus dem Wagen! Sofort!“

Mit zittrigen Beinen stieg Eva aus. Ihr Herz hämmerte nur so gegen ihre Brust.

„Du gehst jetzt mit mir zu dem Kastenwagen dort drüben“, sagte er. „Und zwar ohne einen Mucks. Ein Trick von dir und ich knall dich ab. Kapiert?“

Eva bewegte sich trotzdem nicht. Denn wenn sie erst einmal in dem Kastenwagen war – das wusste sie instinktiv –, dann gab es keine Rettung mehr für sie.

„Soll ich dich gleich hier umbringen?“, schrie er sie an. „Willst du das, ja?“ Er drückte den Lauf der Waffe genau zwischen ihre Augen. „Macht mir nichts aus! Macht mir gar nichts aus! Ich knall dich gleich jetzt und hier ab, du dämliche …“

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden.

Obwohl sich das Folgende binnen weniger Sekunden abspielte, schien sich die Zeit mit einem Mal zu verlangsamen und dann fast zum Stillstand zu kommen: Etwas zischte an Eva vorbei, sie spürte es mehr, als dass sie es hörte, und der Mann schrie auf, was ein seltsames, krächzendes Geräusch war, das ihm in der Kehle stecken blieb. In der nächsten Sekunde – oder war es noch dieselbe? – blickte er mit ungläubigem Gesicht auf seine rechte Schulter und stellte fest, dass er blutete. Dann ließ er die Waffe fallen und kippte nach vorne. Noch im Fallen griff er nach Evas Mantel. Sie verlor den Halt und ging ebenfalls zu Boden. Sofort versuchte sie, wieder aufzustehen, rutschte aber mit den Schuhen im Schnee weg und kam erneut hart auf. Im nächsten Moment griff jemand unter ihre Schulter und zog sie mit Kraft nach oben. Eine Stimme zischte: „Wir müssen hier weg. Beeil dich. Komm.“

Eva wandte den Kopf und erkannte eine Gestalt in dunkler Daunenjacke und mit dunkler Strickmütze auf dem Kopf. Immer noch im Nebel ihres eigenen Kopfes gefangen, stellte sie fest, dass die Gestalt Julia unglaublich ähnlich sah. Vielleicht mit ein paar Fältchen mehr um die Augen als noch bei ihrem letzten Zusammentreffen, aber sonst … Eine Doppelgängerin, dachte Eva, und schloss für einen kurzen Moment die Augen, was es hinter ihren Lidern heftig aufblitzen ließ. Schnell öffnete sie die Augen wieder, und in dem Moment realisierte sie, dass es tatsächlich Julia war.

Eva öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Mann am Boden hatte, von Schmerzen und Krämpfen geschüttelt, inzwischen mit der linken Hand seine Waffe wieder erreicht. Mit einem Würgen in der Kehle hob er sie an und richtete sie genau auf Julias Brust. Leise fluchend hob sie ihre eigene Waffe noch einmal an und drückte ein zweites Mal ab. Dann packte sie Eva bei der Hand und zog sie mit sich.

„Langsamer!“ Evas Herz raste. Schmerzhafte Adrenalinstöße rauschten nur so durch ihren Körper. Doch Julia hielt sie weiter fest an der Hand gepackt und zog sie unnachgiebig hinter sich her.

„Julia …“

„Noch nicht.“

„Langsamer, ich …“

„Noch nicht.“

Sie bogen in einen Feldweg ein, der an einem gefrorenen Bach entlanglief, dann rannten sie auf Julias dunklen Volvo zu, der am Ende zwischen zwei Bäumen geparkt stand.

Eva keuchte, rang nach Atem. „Wir müssen die Polizei …“

„Nein.“ Julia stieg ein und öffnete die Beifahrertür. „Komm.“

Doch Eva bewegte sich nicht. „Der Typ wollte mich gerade entführen, und du hast auf ihn geschossen! Wir müssen doch …“

„Eva, bitte!“ Flehend sah Julia sie an. „Vertrau mir und steig ein. Bitte!“

Endlich bewegte Eva sich. Sie saß noch nicht richtig im Wagen, als er auch schon gestartet wurde. Julia legte den ersten Gang ein und fuhr los.

„Wohin fahren wir?“

„Den Berg hinauf. Zu der Hütte, die du gemietet hast.“

Eva sah auf. „Woher weißt du von der Hütte?“

Keine Antwort.

Links und rechts standen die Bäume viel zu dicht an der schmalen Straße. Der Motor hörte sich an, als fräße er sich Meter für Meter durch Schnee und Kälte. Sie gab mehr Gas, die Reifen verwandelten den Schnee zu Matsch, der gegen den Boden der Karosserie peitschte. Die Frontscheibe beschlug immer mehr, sodass sie das Fenster öffnen musste, was zur Folge hatte, dass Eva von Kopf bis Fuß zu zittern anfing. Den Mantel fest um den Leib geschlungen, schob sie Nase und Mund in den hochgeschlagenen Kragen und konzentrierte sich darauf, gleichmäßig zu atmen.

Meter für Meter, Schneeflocke für Schneeflocke arbeitete sich der alte Volvo den Berg hinauf. Julia wischte mit dem Ärmel ihrer Jacke über die Frontscheibe, was lediglich einen besseren Ausblick auf das dichte Schneetreiben ermöglichte.

Eva bemühte sich, etwas jenseits der Motorhaube zu erkennen, und ertappte sich dabei, wie sie in jeder einzelnen der folgenden Haarnadelkurven den Atem anhielt. Vor lauter Anspannung begannen schon die Muskeln in ihrem Nacken zu brennen. Ebenso wie ihr der Schweiß unter der dicken Kleidung aus allen Poren drang.

Und dann geschah es. Um weiter hinaufzukommen, musste Julia mehr Gas geben, gleichzeitig musste sie rechts einschlagen, um die nächste Haarnadelkurve zu nehmen. Die Vorderräder folgten auch tatsächlich dem Befehl des Lenkrades, nur der Wagen nicht. Das Heck brach aus.

Der Wagen gab den Gesetzen der Physik nach und schlitterte zuerst seitlich den Berg hinunter, dann machte er eine weitere halbe Drehung und rutschte endgültig von der Straße.

Groß und bedrohlich kamen die Bäume auf die Windschutzscheibe zu, Eva nahm es nur verschwommen wahr, die Konturen liefen förmlich ineinander. Dafür waren die Geräusche umso klarer: das Zerplatzen der Windschutzscheibe; das Knacken von Ästen und das Reißen von Metall. Es war alles klar und deutlich zu hören, in dem Moment, in dem der Wagen frontal gegen einen Baum krachte.

Wenn es für die Stille der nächsten Sekunden überhaupt eine Metapher gab, dann nur die, dass sie wie eine Mauer war, die sie beide vollkommen umschloss.

Fünf, zehn, fünfzehn Sekunden, dann beugte Julia sich zu Eva hinüber, nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und fragte: „Alles okay?“

Eva war benommen, aber sie hatte die Augen geöffnet und atmete. Und nirgendwo war Blut zu sehen. Immerhin.

„Alles okay?“, fragte Julia noch einmal. „Eva! Rede mit mir!“

„Ja, ich … glaube schon.“

Erleichtert atmete Julia auf, stieg aus dem Wagen und eilte einmal um ihn herum. „Shit! Shitshitshit!“ Mit Wucht trat sie gegen den linken Vorderreifen, der platt war wie eine Flunder, kam dann zur Fahrertür zurück, beugte sich in den Wagen und holte einen Rucksack vom Rücksitz. „Wir müssen laufen.“

„Was?“

„Wir müssen den Rest der Strecke laufen.“

„Nein.“ In Evas Magen rumorte es. Sie glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen. „Ich denk ja nicht dran. Julia, du hast gerade einen Menschen …“

„Wir haben keine Zeit zu diskutieren, okay? Der Typ war ein Killer. Er hätte dich ohne mit der Wimper zu zucken umgebracht. Und ich glaube nicht, dass er alleine war. Also bitte, Eva, komm jetzt. Komm!“

Einen Moment starrten sie sich in die Augen, dann endlich bewegte sich Eva aus dem Wagen. Sie machte ein paar unsichere Schritte auf dem vereisten Boden, blinzelte und blieb gleich wieder stehen. „Meine Tasche.“ So schnell sie konnte eilte sie zum Wagen zurück, öffnete die Beifahrertür und beugte sich hinein. Ein paar Sekunden suchte sie nach ihrer Handtasche, ehe sie sie erleichtert unter dem Beifahrersitz hervorzog.

„Bist du jetzt endlich so weit?“, fragte Julia ungeduldig.

Eva nickte und kam zu ihr zurück.

„Prima. Dann lass meine Hand jetzt nicht los. Was jetzt kommt, wird heftig werden.“

Höllenfrost - Ein Fall für Julia Wagner: Band 3

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