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Wettstreit um die meisten Wortbildungen

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1 Bilden Sie in drei Minuten so viele Wortbildungsprodukte wie möglich mit dem lexikalischen Kern Kraft.

2 Versuchen Sie die gebildeten Wörter nach der WortartWortart des Wortbildungsprodukts zu systematisieren:NomenAdjektiveVerben

3 Versuchen Sie die gebildeten Wörter nach dem Wortbildungstyp zu systematisieren:KompositionKompositionVerbindung frei vorkommender WörterDerivationDerivationVerbindung eines freivorkommenden Wortes mit einem WortbildungsaffixKonversionKonversionWortartwechsel ohne hinzukommendes Wortbildungselement

Bei der DerivationDerivation ließe sich noch weiter differenzieren nach Präfigierung vs. Suffigierung und bei der KompositionKomposition danach, ob Kraft das Erst- oder das Zweitelement ist.

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Die deutsche Sprache verfügt über ein reichhaltiges Wortbildungsrepertoire. Zu den wichtigsten Wortbildungstypen zählen die KompositionKomposition, bei der mindestens zwei Wörter verbunden werden (Haustür, Bleiberecht, schneeweiß, rutschfest), die DerivationDerivation, bei der ein SuffixSuffix (goldig, essbar, Lehrer, Lesung) oder ein PräfixPräfix (verfolgen, behalten, unwissend, erkranken) an den StammStamm tritt oder (eher selten vorkommend) ein Zirkumfix (Ge-red-e, be-schön-igen) den Stamm umschließt und die KonversionKonversion, bei der ohne Hinzufügen eines Wortbildungsmorphems ein Wortartwechsel stattfindet (V treff- → N Treff, N Fisch → V fisch-).

Siehe Tab. 3.1 für einen Überblick und eine Auswahl an häufig vorkommenden Bildungsmustern mit Angabe der involvierten Wortarten ((N)omen, (V)erb, (A)djektiv). Das jeweils rechts stehende Element bestimmt die WortartWortart des Wortbildungsprodukts. Für die Affixe (abgekürzt mit hochgestelltem aff) bedeutet dies, dass Suffixe die Wortart festlegen, Präfixe hingegen nicht. Affixe verbinden sich nicht mit jedweder Basis, es gelten (mehr oder weniger strikte) Beschränkungen für ihre Kombinatorik. Beispielsweise verbindet sich das SuffixSuffix -bar mit Verben, die ein Akkusativobjekt verlangen (mit sog. transitiven Verben) und es entsteht daraus ein Adjektiv.

Bezeichnung und Kurzbeschreibung typische Muster mit Beispielen
KompositionKomposition Verbindung frei vorkommender Wörter N + N → N A + N → N Haus+tür, FußFuß+ball Hoch+haus, Rot+wein
DerivationDerivation Verbindung eines frei vorkommenden Wortes mit einem Wortbildungsaffix (Präfix,Präfix SuffixSuffix oder Zirkumfix) Präfigierung Vaff + V → V Aaff + A → A Suffigierung V + Naff → N A + Naff → N N + Naff → N V + Aaff → A ver+lauf(en), ent+lass(en) un+gut, un+wissend Les+ung, Les+er, Bohr+er Wahr+heit, Heiter+keit Kind+chen, Lehrer+in ess+bar, lös+bar
KonversionKonversion Wortartwechsel - morphologische KonversionKonversion 1 das Wortbildungsprodukt besteht nur aus dem StammStamm N → V A → V V → N A → N filter(n), fisch(en) glätt(en), kürz(en) der Lauf, der Treff, der Fall das Rot, das Hoch
- syntaktische KonversionKonversion das „Wortbildungsprodukt“ weist ein Flexionselement des zugrundeliegenden Wortes auf A → N A (aus Part. I) → N A (aus Part. II) → N V (Infinitiv) → N das/der/die Alt e der/die Studierend e der/die Abgeordnet e das Lauf en , das Bedauer n

Tab. 3.1:

Die wichtigsten Wortbildungstypen im Deutschen

Ein spezieller Fall, der sich weder dem Wortbildungstyp der KompositionKomposition noch dem der DerivationDerivation zuordnen lässt, aber im Deutschen als ausgesprochen produktiv gilt, ist die sogenannte PartikelverbbildungPartikelverbbildung (z. B. auf-/an-/zu-/ab-machen). Der besondere Status ergibt sich aus der Trennbarkeit in bestimmten morphologischen und syntaktischen Kontexten, vgl. (1)-(4). Im Kontrast dazu handelt es sich bei Komposita und bei durch Derivation gebildeten PräfixverbenPräfixverben um feste Einheiten.

(1) Er will nachher seine Tochter von der Schule abholen.
(2) Er ist gerade los, um seine Tochter von der Schule abzuholen.
(3) Er holt gerade seine Tochter von der Schule ab.
(4) Er hat seine Tochter von der Schule abgeholt.

Es ist daher also berechtigt, PartikelverbenPartikelverben einen besonderen Status zuzubilligen. Es handelt sich bei diesen um ein Phänomen zwischen Wortbildung und Syntax (siehe grammis2). Um Lernende auf die Besonderheiten von Partikelverben aufmerksam werden zu lassen, könnten die Partikeln fett markiert werden, vgl. (1)-(4). Diese Hervorhebung lässt sich auch dadurch rechtfertigen, dass Verbpartikeln (z. B. ab, auf, zu, an, ein, …) im Unterschied zu Verbpräfixen (z. B. be-, er-, ent-, ver-) den Akzent tragen, vgl. abfragen, anfragen vs. befragen, erfragen.

Um die Lernenden an die morpho-syntaktischen Eigenarten von PartikelverbenPartikelverben heranzuführen und ihnen eine Mustererkennung der Verwendungsweisen zu ermöglichen, ist es ratsam, zunächst eine Auswahl an nur wenigen, frequent gebrauchten Partikelverben zu treffen. Wählt man hierbei einen semantisch unspezifischen Verbstamm, wird der Fokus automatisch auf die Partikel gelenkt, da sie die zentrale Bedeutung enthält (z. B. aufmachen, zumachen, anmachen). Bei einer solchen wohl überlegten Auswahl an Partikelverben gelingt es dem Lernenden leichter als bei einem Überangebot an verschiedenen Partikeln und Verbstämmen (wie häufig in Lehrbüchern zu finden) das zugrundeliegende System der Verwendungsmuster zu durchschauen und zu verinnerlichen. Hierauf aufbauend lässt sich dann systematisch der Verbwortschatz erweitern und die Produktivität einzelner Partikelverbmuster erfahren, vgl. (5) und (6).

(5) Wie, auf welche Art und Weise kann man etwas aufmachen? aufdrehen, aufschrauben, aufziehen, aufdrücken, aufbrechen, aufstoßen, …
(6) Wie, auf welche Art und Weise kann man ins Klassenzimmer reinkommen? rein rennen, rein schlendern, rein schleichen, rein schlurfen, rein poltern, rein stolpern, …

Mit der PartikelverbbildungPartikelverbbildung haben wir nun also neben der KompositionKomposition, DerivationDerivation und KonversionKonversion, vgl. Tab. 3.1, einen weiteren, wenn auch aufgrund seiner morpho-syntaktischen Eigenarten speziellen, im Deutschen aber sehr präsenten Wortbildungstyp identifiziert. Die Schwierigkeiten, die Lernende mit PartikelverbenPartikelverben haben, können auf ihre Trennbarkeit und Distanzstellung zurückgeführt werden. Dies gilt insbesondere für SprachanfängerInnen und wird in den Kapiteln 5 und 12 zur Wortstellung noch einmal thematisiert. Bei fortgeschrittenen Deutschlernenden geht es vor allem darum zu durchschauen, welche Bildungen produktiv sind, vgl. (5), und somit auch für eigene Wortschöpfungen zur Verfügung stehen, und welche lexikalisiert sind (z. B. aufräumen, auffinden).

Wenden wir uns im Folgenden noch einmal den anderen Wortbildungstypen zu. Besonders „berüchtigt“ ist die deutsche Sprache für ihre starke Neigung zur KompositionKomposition (Roelcke 2011: 56). Auf eindrückliche Weise zeigt sich vor allem bei diesem Wortbildungstyp ein Hang zu komplexen Wortkonstruktionen. Man vergleiche hierfür nur einmal die Konstruktion Unabhängigkeitserklärung mit der englischen Entsprechung Declaration of Independence. Die meisten Lernenden zeigen sich überrascht, was das Deutsche für „Bandwurmwörter“ hervorbringen kann, und wissen nicht recht, wie sie damit umzugehen haben.

Ausgehend von einfachen, häufig gebrauchten Komposita (weinrot, Rotwein, Haustür), lassen sich zunächst die Grundregeln der KompositionKomposition vermitteln. So bestimmt das rechtsstehende Element nicht nur die WortartWortart sondern auch die Flexionsklasse. Daher lassen sich Übungen mit N+N-Komposita auch gut verbinden mit Übungen zum grammatischen Geschlecht: das Haus + die Tür die Haustür (zur Genuskategorie siehe auch 4.2.1).

Die Bedeutung eines Kompositums aus seinen Bestandteilen zu ermitteln, ist oft gar nicht so leicht. So lässt sich bei dem Kompositum „Lernwiese“ ohne Kontext nicht entscheiden, ob dies eine Wiese ist, auf der man lernt oder aber eine Wiese, an der man etwas lernt oder ob möglicherweise eine uns im Moment noch gar nicht in den Sinn kommende Lesart die zutreffende ist (Fandrych & Thurmair 1994: 37). Heißt das dann aber, dass wir den Deutschlernenden für die Interpretation eines Kompositums der Form AB lediglich eine ganz allgemeine Erschließungsregel wie etwa „B hat irgendetwas mit A zu tun“ (ebd. 36) mit auf den Weg geben können? Mit den Aufgaben 3 und 4 (am Ende dieses Kapitels) soll dieser Frage nachgegangen werden.

Ab einer Dreigliedrigkeit ist bei der Interpretation zudem zu überlegen, welche der Teile sich wohl zuerst verknüpft haben und damit in engerer morphologischer sowie semantischer Verbindung stehen. Nicht immer liegt der Fall so klar wie bei Haustürrahmen oder Haustürschlüssel, vgl. Abb. 3.1. Handelt es sich beispielsweise bei Frauenfilmfestival um ein Festival, auf dem Frauenfilme gezeigt werden oder ist es ein Filmfestival, das sich speziell an Frauen richtet?

Abb. 3.1:

Binäre Struktur für das dreiteilige Kompositum Haustürschlüssel

Für viele der in Tab. 3.1 aufgeführten Derivations- und Konversionsmuster bieten sich in der Unterrichtsinteraktion durch eine spezifische Inputgestaltung vielfältige Möglichkeiten, die Lernenden auch implizit an Wortbildungsmuster heranzuführen, wie die zwei Redeauszüge in (7) und (8) illustrieren sollen. Der erste Auszug ist geeignet für SprachanfängerInnen im Kontext handlungsbegleitenden Sprechens und der zweite für fortgeschrittene Lernende.

(7) Jetzt müssen wir an jeder Seite noch ein Loch reinmachen. Wir müssen das Papier an jeder Seite lochen. Und dafür nehmen wir den Locher. (Bischoff & Bryant 2020: 326)
(8) Wir wollen heute mal versuchen, eine ganz besonders schwierige Aufgabe zu lösen . Sie ist schwierig, aber lösbar . Das heißt man kann es schaffen, sie zu lösen . (…) Ok, jetzt haben wir die Lösung gefunden – wir haben die schwierige Aufgabe gelöst . Ich schreibe die Lösung oder am besten gleich den ganzen Lösungsweg nun noch mal an die Tafel. Nächste Woche bringe ich uns wieder eine schwierige, aber lösbare Aufgabe mit.

Der Auszug in (8) enthält mit lösbar, Lösung, Lösungsweg drei Wortbildungsprodukte zum Verb lösen und sensibilisiert zunächst einmal für Wortverwandtschaften. Die Lernenden nehmen den gleichen StammStamm in verschiedenen Kontexten war. Auf ähnliche Weise würde man in anderen Situationen weitere Instanzen der -bar und -ung-Derivationen verwenden, um beim Lernenden erst einmal mehrere Vertreter eines Wortbildungsmusters mental zu verankern und möglicherweise erste Wiedererkennungseffekte zu stimulieren.

Die (vermutlich) noch als unanalysierte ganze Einheiten (als Chunks) wahrgenommenen Wortbildungsprodukte können dann zu gegebener Zeit zusammen mit weiteren nach dem jeweiligen Muster gebildeten Beispielen wieder aufgegriffen werden, um nun gezielt den Analyseprozess anzustoßen bzw. voranzubringen. Durch das Präsentieren mehrerer Vertreter eines Wortbildungsmusters wird der/dem Lernenden die Struktur des komplexen Wortes bewusst und spezifische Regularitäten können erkannt werden, wie etwa die WortartWortart der Basis und die Wortart des Derivats. Sprachspiele, die sich überdies sehr leicht mit Wortschatzarbeit verbinden lassen, eignen sich hervorragend, um das jeweils zugrundeliegende Bildungsmuster zu durchschauen und zu verinnerlichen, vgl. Tab. 3.2. Anschließend könnte man gemeinsam eine Wortbildungsregel formulieren und die Funktion und Bedeutung des Suffixes -bar reflektieren.

Fragen nach dem Muster: Antworten nach dem Muster:
Was kann man essen? / Was ist essbar? X kann man essen. / X ist essbar.
mit (oder ohne) Vorgabe von einzusetzenden Objekten
weitere Verben: trinken – waschen – abschließen – genießen – lesen – …

Tab. 3.2:

Übungsvorschlag zur DerivationDerivation mit -bar

Bei einer Wiederholung des Sprachspiels könnte man Objekte vorgeben, die unterschiedliche Ansichten evozieren und zu Diskussionen anregen, bei denen die Zielstrukturen dann in authentischen Kontexten Anwendung finden (z. B. nicht genießbar, weil …; genießbar nur, wenn ...).

Sind die Lernenden einigermaßen vertraut mit besonders häufig vorkommenden Wortbildungsmustern, geht man zu komplexeren Wörtern über, die das Produkt mehrerer verschiedener Wortbildungsprozesse sind. Da es deutschen MuttersprachlerInnen oft gar nicht bewusst ist, wie viele und welche Wortbildungsoperationen in einem rezipierten oder selbst produzierten Wort stecken, soll der nächste Absatz einmal beispielhaft für die morphologische Komplexität sensibilisieren, mit der wir täglich umgehen und an die auch die Deutschlernenden sukzessive heranzuführen sind, damit sie sich selbstständig komplexe Wörter in Zeitungen oder Lehrbüchern erschließen können. Als Beispiel sei das bereits am Anfang erwähnte Wort Unabhängigkeitserklärung gewählt. Tab. 3.3 schlüsselt auf, welche Prozesse hier involviert sind.

KompositionKomposition N + N → N Unabhängigkeit + Erklärung
DerivationDerivation A + Naff → N unabhängig + -keit
DerivationDerivation Aaff + A → A un- + abhängig
DerivationDerivation V + Aaff → A abhäng- + -ig
PartikelverbbildungPartikelverbbildung Part + V → V ab- + häng-
DerivationDerivation V + Naff → N erklär- + -ung
DerivationDerivation Vaff + V → V er- + klär-

Tab. 3.3:

Wortbildungsprozesse im Wort Unabhängigkeitserklärung3

Ein Vorschlag, sich derart komplexen Wörtern zu nähern und Deutschlernende (der Sekundarstufe) zu befähigen, diese in ihrer Struktur „aufzuknacken“, wäre der Einsatz des (nach Bedarf zu vereinfachenden) linguistischen Strukturdiagramms. Man spricht auch von einer Baumstruktur, wobei der Baum auf dem Kopf steht und nach unten hin verzweigt. Diese Darstellungsweise kann man den Lernenden leicht mit Wörtern, die nur zwei Wortbildungsprozesse enthalten, nahebringen, vgl. Abb. 3.2. Zunächst lässt man das Wort in seine Bestandteile (Morpheme) sequenzieren (a), um dann im nächsten Schritt erst einmal die Wortstämme zu identifizieren und nach Wortarten zu kategorisieren (b). Bei der Kategorisierung der Präfixe (c) sollte die Lehrkraft mit unterstützenden Fragen helfen (z. B. Was wird aus dem Verb? Welche WortartWortart entsteht, wenn man -ung mit dem Verbstamm verbindet?). Im letzten Schritt (d) wird gemeinsam überlegt, welche Bestandteile sich in welcher Abfolge verbinden und welche Zwischenergebnisse dabei entstehen. Der (umgedrehte) Baum wird von unten nach oben in binären Strukturen entwickelt. Eine Ausnahme hierzu bildet die KonversionKonversion, bei der sich ohne Hinzufügen eines Elements die Wortart verändert – auch dies lässt sich anschaulich mit dem Modell darstellen, vgl. Abb. 3.3.

Abb. 3.2:

Morphologische Analyse des Wortes Lösungsweg in Teilschritten

Abb. 3.3:

Morphologische Analyse des Wortes Langlauf

Mit fortgeschrittenen Lernenden hin und wieder gemeinsam auch mal ein besonders langes Wort in seine Bestandteile zu zerlegen, die einzelnen Wortbildungsschritte zu identifizieren und die Teilbedeutungen sowie die Gesamtbedeutung zu erschließen, vgl. Abb. 3.4, schafft ein tieferes Verstehen für morphologische Zusammenhänge im Deutschen und vermittelt den Lernenden Strategien zum eigenständigen Aufschlüsseln langer okkasioneller Wortbildungen4, wie man ihnen oft in bürokratischen und juristischen Kontexten, aber auch in Zeitungen und in fachsprachlichen Texten (z. B. Jahresarbeitsentgeltgrenze, Nikotinersatzpflasterverträglichkeit, Löslichkeitsgleichgewicht) begegnet.

Abb. 3.4:

Baumstruktur des komplexen Wortes Unabhängigkeitserklärung

Aufgaben

 1.* Nennen Sie die wichtigsten Wortbildungstypen des Deutschen und geben Sie jeweils drei Beispiele.

 2.** Erklären Sie (imaginären) Deutschlernenden, warum es das Brot, aber die Brotscheibe und der Brotkorb heißt.

 3.** Fandrych & Thurmair (1994) entwickeln basierend auf linguistischen Wortbildungsanalysen ein für didaktische Zwecke funktionales Interpretationsmodell für Nominalkomposita. Zum Aufbau der Wortbildungskompetenz benötigen die Lernenden Wissen über die Möglichkeiten kontextfreier Interpretation sowie Strategien der Bedeutungserschließung im Textkontext. Ausgangspunkt für die Interpretation ist immer das Zweitglied. In Tab. 3.4 befinden sich Fälle mit semantisch „ergänzungsbedürftigem“ Zweitglied – das Erstglied besetzt sozusagen eine semantische Leerstelle. Andere Komposita lassen sich mit Hilfe von Grundrelationen erschließen, dargestellt in Tab. 3.5. Ergänzen Sie in der rechten Spalte beider Tabellen die Lücken für Beispielkomposita.

Beschreibung der semantischen Leerstellen Beispielkomposita
Das Zweitglied ist aus einem Verb abgeleitet: z.B. Trinker, Herstellung, Pflege; Das Erstglied ist Komplement dieses Verbs: __ trinken, __ herstellen, __ pflegen ___________, ___________, Altenpflege
Das Zweitglied ist ein relationales Nomen: z.B. Fan von __, Hälfte von __, Rest von ___ ___________, Pizzahälfte, ___________
Das Zweitglied kann auch mit präpositionalem Komplement auftreten z.B. Angst vor ___, Sehnsucht nach ___, Liebe zu ___ Prüfungsangst, Freiheitssehnsucht, Naturliebe
Das Zweitglied steht in einer stereotypen Relation zum Erstglied z.B. eine Fabrik, in der ___ hergestellt wird, ein Markt, in/auf dem ___ verkauft werden Kosmetikfabrik, ___________, Antiquitätenmarkt, ___________

Tab. 3.4:

Über semantische Leerstellen interpretierbare Komposita (nach Fandrych & Thurmair 1994: 38-39)

Grundrelationen mögliche Umschreibungen Beispielkomposita
SITUATION Das Zweitglied steht in lokaler oder temporaler Relation zum Erstglied Das Zweitglied: - ist in … - führt zu … - stammt von … - ist zum Zeitpunkt / im Zeitraum … Stadtautobahn, _________ Gartentür, Mondrakete Kalbsfilet, Fabriknagel Mittagessen, Nachtkonzert, ________
KONSTITUTION Das Zweitglied hat das Erstglied als wesentliche Eigenschaft bzw. wesentlichen Bestandteil. Das Zweitglied: - besteht vollständig aus … - hat … - hat die Art von … - hat die Form / Farbe von … Goldring, Holztisch, _________ Erdbeertorte, Rahmenbrille Vogel-Strauß-Politik Würfelzucker, ________, _________
ZWECK / FUNKTION Das Zweitglied wird durch das Erstglied hinsichtlich seines Anwendungs-/Funktionsbereiches bestimmt. Das Zweitglied: - dient zu … - schützt vor … Schlafzimmer, Arbeitstisch, Nähmaschine, _________ Schmerztablette, Hustensaft, Regenjacke, _________
INSTRUMENT Das Zweitglied wird in seiner FUNKTIONSWEISE durch das Erstglied charakterisiert. Das Zweitglied: - funktioniert durch / mit Hilfe von … Benzinmotor, Ölheizung, Windmühle, Wasserstoffauto, Handbremse, Pferdepflug, _________

Tab. 3.5:

Über Grundrelationen interpretierbare Komposita (nach Fandrych & Thurmair 1994: 39-40)

 4.*** Um das lokale Verstehen von Nominalkomposita zu fördern, schlagen Fandrych & Thurmair (1994) Übungen vor, die rezeptiv und produktiv auf die oben skizzierten Relationen abzielen. Ein konkreter Vorschlag bezieht sich auf die Arbeit mit vorstrukturierten Assoziogrammen. Entwicklen Sie nach den gegebenen Vorlagen (ebd. 43) eine Übung mit eigenen Beispielen.

 5.*** Auch Wortbildungsprozesse unterliegen Sprachwandelerscheinungen und können ihren reihenbildenden Status zugunsten neuerer Muster verlieren. Informieren Sie sich in Fuhrhop & Werner (2016), welche substantivischen Ableitungen (ebd. 131-138) und welche adjektivischen Ableitungen ( ebd. 138-141) im Gegenwartsdeutschen als produktiv (im Sinne von reihenbildend) anzusehen sind und damit auch im DaZ-/DaF-Unterricht einen entsprechenden Stellenwert einnehmen sollten.Wählen Sie einen der produktiven Wortbildungstypen aus und gestalten Sie hierzu eine Übung für Deutschlernende. Überlegen Sie sich vorab das Sprachniveau und nehmen Sie eventuell Bezug auf eine thematische Einheit eines ausgewählten Lehrbuchs.

Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit

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