Читать книгу M.A.G.I.K. (2). Das Chaos trägt Krone - tanja Voosen - Страница 9
Kapitel 5
ОглавлениеAuf dem Heimweg schob Nele ihr Rad das letzte Stück. Sie hatte ihr Handy herausgeholt, um etwas in den Gruppenchat vom Fußball zu schreiben. Ihr ließ ihr kleiner Meckerausbruch in der Umkleide einfach keine Ruhe, aber zum Glück hatten die anderen es längst abgehakt. Neles Nachricht brachte sogar erneut das Theaterthema ins Rollen – und plötzlich ging’s rund. Auch im Klassenchat wurde wild hin und her diskutiert und gerätselt über das Theaterstück.
Irgendwie wurmte sie das. Es ging um eine Schulaufführung und nicht die Weltpremiere eines Hollywoodfilms! Was hatten alle denn bloß damit?
Genervt trat sie gegen eine leere Limonadendose.
»Nele Marie Wolf, hast du da gerade Müll in mein Beet geworfen?«
Sie hob den Kopf und sah Frau Wu, eine Nachbarin, die Nele echt auf dem Kieker hatte. Frau Wu hatte gerade ihre Post aus dem Briefkasten geholt.
»Die Dose gehört mir nicht mal«, murmelte sie kleinlaut. Sie stellte ihr Rad ab und trat hinter den Gartenzaun, um die Dose aus dem Beet zu fischen. Dabei schnitt sie sich in den Finger. Nele sog scharf die Luft ein, weil die kleine Wunde sofort zu brennen begann.
»Komm mal her«, sagte Frau Wu versöhnlich. Sie griff in die Gartenschürze, die sie so gut wie immer trug, und fischte ein Pflaster hervor – ein glitzrig pinkes mit Krönchen. Nele guckte nicht schlecht, trat aber näher. »Meine kleine Nichte kommt manchmal zu Besuch und die ist genauso tollpatschig wie du. Deshalb habe ich immer ein Pflaster in der Tasche.«
Nele hätte fast mit den Augen gerollt. Tollpatschig. Na super.
Gleichzeitig breitete sich ein warmes Gefühl in ihrer Brust aus. Frau Wu erzählte Nele sonst nie etwas über sich und es war nett, auch mal über etwas Normales mit ihr zu reden, statt das übliche schrullige Gemecker der Nachbarin abzubekommen.
Frau Wu klebte ihr das Pflaster auf und Nele bedankte sich.
»Was beschäftigt dich denn, dass du so schlechte Laune hast?«, fragte Frau Wu.
»Ähm«, machte Nele. »Nur die Schule und so.«
»Aha«, machte Frau Wu skeptisch. »Wenn einen etwas beschäftigt, sollte man darüber sprechen. Niemand kann Gedanken lesen. Nicht mal deine Cousine.«
Nele runzelte die Stirn. Was für ein seltsamer Kommentar.
»Na, gib die Dose schon her. Ich werfe sie weg«, sagte Frau Wu.
»Ich … also … danke noch mal und schönen Tag noch«, murmelte Nele.
Sie wandte sich ab. Seufzend steckte Nele ihr Handy weg und schob ihr Rad weiter. Vorm Lilienweg Nummer dreizehn kramte sie ihren Schlüssel aus dem Rucksack, nachdem sie ihr Rad am Zaun abgestellt hatte.
Schon beim Aufschließen waren laute Stimmen zu hören.
Nele schloss die Tür hinter sich, warf ihr Zeug neben die Garderobe und zog hastig die Schuhe aus, um ins Wohnzimmer zu gehen, woher die Stimmen kamen.
»Willst du etwa, dass ich todunglücklich bin, Onkel?«, jammerte Romy.
»Natürlich nicht. Du musst verstehen –«
»Ich will das aber nicht verstehen!«, sagte Romy sauer. »Jedes normale Mädchen darf hingehen, wenn es mag, und ich soll doch normaler als normal sein!«
»Du sollst vor allem eines sein: sicher, Romina«, schoss Neles Papa zurück.
Nele war in der Tür stehen geblieben und wusste zuerst gar nicht, ob sie sich einmischen sollte. Romy stand mit roten Wangen und verschränkten Armen vor der Brust da, während ihr Papa diesen strengen Keine-Diskussion-Blick hatte.
»Hallo«, sagte Nele zaghaft. »Was ist denn hier los?«
Romy fuhr zu ihr herum. Sie hatte Tränen in den Augen. »Ich geh in unser Zimmer.« Schniefend zischte sie an Nele vorbei und murmelte dabei: »Blöder Onkel.«
Nele musterte ihren Papa besorgt. »Wieso habt ihr gestritten?«
Er massierte sich den Nasenrücken, als hätte er Kopfweh. »Wir haben nicht gestritten. Wir waren uns nur leider nicht ganz einig wegen des Schulcastings.«
Plötzlich zählte Nele eins und eins zusammen.
»Verbietest du Romy etwa hinzugehen?«, fragte sie überrascht. Sie wusste ja, wie sehr Romy sich darauf gefreut hatte … hoffentlich irrte Nele sich.
»Es ist so«, sagte er ruhig. »Das Casting an sich ist nicht das Hauptproblem, vielmehr das Theaterstück, das darauf folgt. Da werden jede Menge Leute mit Kameras sein, die Dutzende Fotos schießen. Romina soll unter dem Radar fliegen und nicht das Gesicht der Prinzessin von Marabel auf einer Bühne präsentieren.«
»Romys Gesicht kennt in der Schule eh jeder«, meinte Nele. »Sie ist voll beliebt.«
»Das ist etwas anderes. Sicher wird es immer das ein oder andere Foto von Romina geben, aber M.A.G.I.K. hat besondere Vorsichtsmaßnahmen für solche Fälle getroffen – deshalb konnten sie damals auch das Video so schnell unschädlich machen. Aber es ist ein Unterschied, ob so etwas aus Versehen passiert oder ich bewusst zulasse, dass Romina dieses Risiko eingeht.«
»Aber«, versuchte Nele es erneut, »M.A.G.I.K. kann doch sicher –«
»M.A.G.I.K. kann mehr, als du dir vorstellen kannst«, unterbrach ihr Papa sie. »Aber die Entscheidungen hier in Kumpferberg treffe ich. Und ich möchte nicht, dass Romy nach der Sache mit den Finster-Geschwistern erneut im Fokus steht.«
»Mensch, Papa!«, brach es aus Nele raus. »Schön, Romy hat das total verbockt, als sie uns nichts gesagt hat, aber doch nicht mit Absicht. Sie wollte uns beschützen. Und das kann doch nicht ewig so weitergehen mit den ganzen Regeln.« Nun war es an Nele, die Arme zu verschränken. »Das nervt echt mega!«
Perplex blickte ihr Papa sie an. »Was?«
»Für mich ist das auch nicht einfach. Ich hab ständig das Gefühl, überwacht zu werden. Und Romy gibt sich echt viel Mühe.«
»Natürlich sehe ich, dass Romy sich bemüht.« Eine kleine Pause trat ein, dann seufzte ihr Papa schwermütig. »Und dass du das so empfindest, tut mir leid … wir kriegen das schon irgendwie hin. Ich möchte natürlich, dass du dich wohlfühlst.«
Nele nickte. Die beiden gingen in die Küche und ihr Papa schenkte ihnen Saft ein, nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatten, um weiterzureden.
»Na, erzähl mal. Wie war denn dein Tag so? Wie lief’s beim Fußball?«, fragte er.
»Ganz gut«, handelte Nele das Thema schnell ab. Eigentlich waren ein paar Patzer passiert, aber nach ihrem Grummelgewitter in der Umkleide kein Wunder.
Nele hatte aber wenig Lust auf Gequatsche über Fußball.
Es musste doch einen Weg geben, Romy zu helfen …
Dann fiel ihr blitzartig was ein. In der Umkleide hatte Chloe doch gesagt, eine der Rollen beim Stück wäre die einer Prinzessin … und die spielte man nicht in Jeans und Shirt. Man musste sich verkleiden!
»Du, Papa … noch mal wegen dem Casting. Ich hab da eine Idee: ein Kostüm und eine Perücke!«
»Um mehr Tore zu schießen?«, stellte ihr Papa sich dumm.
Nele verdrehte die Augen. »Für das Casting, Papa.«
»Eine Verkleidung«, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Nele.
»Ja, genau. Beim Schulstück wird es doch eh so sein, dass sich alle verkleiden, um in ihre Rollen zu passen. Und Romy kann sich so beim Casting schon mal dran gewöhnen. Und für später könnte M.A.G.I.K. doch was richtig Gutes maßschneidern zur besseren Tarnung«, sprudelte es aus Nele heraus. »Viele Eltern spenden doch Dinge für das Schulstück, das würde nicht auffallen. Dann noch viel Schminke, die Perücke … Romy wäre am Ende besser getarnt als Ariella.«
Ihr Papa sah sie lange an. »Das ist dir wirklich wichtig, was?«
»Es ist Romy wichtig«, sagte Nele. »Und deshalb auch mir.«
Sie konnte in seinem Gesicht sehen, dass er darüber nachdachte.
»Und du hast selbst gesagt, Romy muss sich bei uns wohlfühlen, damit sie sicher ist«, schob Nele nach. »Wer weiß, ob sie todtraurig auf einem magischen Teppich davonfliegt. Oder sonst was mit ihren Kräften passiert, wenn sie leidet.«
Ihr Papa zeigte auf einen Fotomagnet am Kühlschrank, auf dem Nele als Cowboy kostümiert war. Da hing lauter so peinliches Zeug. Jedes Mal, wenn Nele die Sachen abhängte, sobald ihr Papa mal länger unterwegs war, fanden sie wie auf magische Weise ihren Weg dorthin zurück, sobald er wieder zu Hause war. Laut ihrem Papa waren verschlüsselte Nachrichten an sie zwischen all dem Kram bestens versteckt, aber Nele kannte den wahren Grund: Ihr Papa war voll sentimental und sah die Fotos gerne. »Du warst so klein und so ein niedliches Cowgirl.«
»Zum Glück pass ich da nicht mehr rein und Romy auch nicht«, murmelte Nele peinlich berührt von dem Geschwafel ihres Papas. »Wobei Romy sich da sogar reinquetschen würde, wenn sie dann zum Casting könnte.«
»Auf dem Dachboden sind bestimmt noch so einige Kostüme«, sagte er. »Deine Mutter hat damals ständig welche in allen möglichen Größen auf Flohmärkten gekauft, weil sie dachte, irgendwann würde sie damit schon was anfangen können.«
Neles Finger fuhren über ihr Armband, aber irgendwie half es nichts. Die Vorstellung, wie ihre Mama oben auf dem Dachboden allerhand alte Schätze zusammengetragen hatte, nur um all das hier mit Nele und ihrem Papa zurückzulassen, stimmte sie wieder mal traurig.
»Ja, so war Mama«, murmelte Nele nachdenklich. »Das ist aber eine gute Idee, ich werde mal mit Romy oben nachsehen.«
Ihr Papa lächelte. »Wir haben wohl beide viele gute Ideen.«
»Wir sind ja auch ein Team«, meinte Nele.
»Ja, das sind wir«, bekräftigte er.