Читать книгу Zersplittert - Teri Terry, Teri Terry - Страница 12

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»Das war dumm von dir, Rain.« Nico hievt Tori auf den Rücksitz seines Autos. »Was soll ich mit ihr machen?«

Ich gebe keine Antwort, weil ich nicht daran denken will, was er vorschlagen könnte. Ich steige vorn neben ihm ein, ziemlich erschöpft, weil ich die halb bewusstlose Tori im Dunkeln den Fußweg hinaufschleppen und ihr ständig gut zureden musste, um sie bis zur ersten Kreuzung mit einem Feldweg zu bringen, dem hastig arrangierten Treffpunkt mit Nico.

»Danke«, sage ich zu ihm und meine es mit jeder Faser meines Körpers. Ich war so erleichtert, ihn zu sehen, dass ich mich ihm am liebsten in die Arme geworfen hätte. Aber er war nicht in Kuschelstimmung.

Schnurrend nimmt der Wagen den Berg, auch wenn er nicht danach aussieht, hat er einen starken Motor. Nico hält Augen und Ohren offen, als wir auf die Hauptstraße abbiegen. Welche Erklärung könnten wir für die mittlerweile bewusstlose Tori auf dem Rücksitz haben? Wir müssten die Flucht ergreifen.

»Du riechst nach Rauch.«

»Wirklich? Wie spät ist es?«

»Fast fünf.«

»Ich muss bald daheim sein, sonst fliege ich auf. Mum ist immer früh wach.«

»So wie du riechst, kannst du nicht nach Hause.«

Nico fährt jetzt schnell. Tori wimmert und ist dann wieder still. Wir erreichen ein dunkles Haus auf einem Hügel mit einer seitlichen Auffahrt, die hinter das Gebäude führt. Nachbarn gibt es keine.

Nico legt sich Tori über die Schulter und trägt sie ins Haus. Ich folge ihm. Die Räume sind klein, modern und sauber. Nicht das übliche Free-UK-Versteck.

»Hier wohnst du also?«, frage ich überrascht.

Er funkelt mich an. »Wir hatten schließlich keine Zeit, sie irgendwo anders hinzubringen.«

Er legt Tori auf die Couch und zieht die schweren Vorhänge vor den Fenstern zu, ehe er das Licht einschaltet.

Erst jetzt sehe ich, in was für einem Zustand sie wirklich ist. Dünne, bunte Kleider hängen in Fetzen an ihr herunter, als wollte sie zu einer Party gehen, anstatt so weit durch die Kälte zu laufen. Ihre Haut ist voller Kratzer und blauer Flecken. Ein Knöchel ist geschwollen – ein Wunder, dass sie überhaupt noch gehen konnte.

Sie bewegt sich. Ihre Augenlider flattern und öffnen sich ein wenig – und dann ganz, als sie Nico entdeckt. Mit panischem Gesichtsausdruck setzt sie sich auf.

Ich nehme ihre Hand.

»Tori, alles in Ordnung. Das ist …« Und ich unterbreche mich, weil ich nicht weiß, welchen Namen er benutzen will. »Ein Freund. Er kümmert sich um dich.«

Nico kommt herüber und lächelt. »Hi, Tori. Ich bin John Hatten. Ich muss dir ein paar Fragen stellen.«

»Kann das nicht warten?«, frage ich leise.

»Ich fürchte nein. Tut mir leid, Tori. Aber du verstehst, welches Risiko ich für dich eingehe. Ich muss etwas mehr über dich wissen, um zu entscheiden, was ich mit dir machen soll.«

Mein Blut rauscht. Ein falsches Wort und seine Entscheidung könnte endgültig sein.

»Nun, Tori?«, drängt er sie sanft.

Sie sieht auf ihre Hände, dreht und wendet sie, als gehörten sie nicht zu ihr. »Ich habe ihn umgebracht«, sagt sie mit leiser Stimme. »Mit einem Messer.«

»Wen?«

»Einen Lorder. Ich habe ihn umgebracht und bin weggerannt.«

Sie schließt die Augen.

»Hier bist du in Sicherheit. Ruh dich aus, Tori«, sagt er. Sie dreht den Kopf zur Seite und ist gleich wieder eingeschlafen.

Mit hochgezogener Augenbraue sieht Nico mich an. Besser hätte sie nicht antworten können, wenn wir es vorher abgesprochen hätten. Wahrscheinlich fragt er sich jetzt gerade, ob wir das haben.

»Geh duschen. Ich kümmere mich um sie. Aber du bist mir was schuldig, Rain. Und zwar einiges. Tori ist ein unglaubliches Risiko, eine unnötige Komplikation, die unsere Pläne durchkreuzen könnte. Los, Abmarsch.«

Ich gehe ins Bad, schnappe mir ein Handtuch, ein unauffälliges schwarzes T-Shirt und Shorts, die Nico mir zuwirft. Unsere Pläne? Meint er die von Free UK, die mich irgendwie miteinschließen? Im Eiltempo wasche und trockne ich meine Haare, dabei fallen mir ein paar Dinge an Nico auf. Ich war nie zuvor bei ihm zu Hause. Anscheinend hat er ein Faible für teures Duschgel und Seife; sein Duft umgibt mich und ich kann nicht umhin, ich atme ihn tief in mich ein. Hat er einen Föhn? Seine Haare sehen immer so perfekt aus … Ich verkneife mir ein Grinsen, doch plötzlich bekomme ich Angst, dass Nico Tori möglicherweise schmerzlos ins Jenseits befördert, während ich hier sein Designerbad bewundere.

Aber als ich zurückkomme, hat er sie in eine Decke gewickelt, die sich mit jedem ihrer Atemzüge hebt und senkt. Sie schläft tief und fest.

»Los, komm«, sagt er. »Ich bringe dich zurück.«

»Und wenn sie aufwacht, solange wir weg sind?«

»Das wird sie nicht.«

Wir sind schon auf der Straße, ehe ich mich zu fragen traue: »Woher willst du wissen, dass sie nicht aufwacht?«

»Ich habe ihr eine Spritze gegeben. Sie wird nicht aufwachen.«

»Eine Spritze?«

»Schau nicht so panisch. Es war nur ein Beruhigungs- und Schmerzmittel, das wird ihr guttun.« Er flucht leise. »Wenn das in die Hosen geht, hältst du den Kopf dafür hin, Rain.«

»Tut mir leid«, erwidere ich. Mir stockt der Atem, ich bin nicht gerne die Ursache für Nicos Verstimmung, zumal sie mir Angst einflößt.

»Übrigens dachte ich, du hättest gesagt, dass sie auch geslated wurde.«

»Wurde sie auch.«

»Aber sie trägt kein Levo.«

Ich schaue ihn überrascht an und denke dann nach. Unterwegs habe ich ihre Hand gehalten, aber mir ist nichts aufgefallen. Ich hatte andere Sachen im Kopf. Und da ich so daran gewöhnt bin, mein eigenes Level zu ignorieren, habe ich überhaupt nicht an ihres gedacht. Doch bei allem, was sie heute Nacht und davor durchgemacht hat, hätte sie das Levo auf der Stelle ausgeknockt.

»Was wohl damit passiert ist?«, frage ich.

»Eine der vielen Fragen, die sie uns bald beantworten wird. Außerdem habe ich ein paar Dinge mit dir zu bereden. Aber jetzt erzählst du mir erst mal von dem Feuer.«

Ich blinzle die Tränen weg, die mir plötzlich in die Augen steigen. »Bens Haus, also das Haus seiner Eltern, es ist abgebrannt. Tori hat zugesehen. Sie hat erzählt, dass Bens Eltern drin waren und geschrien haben, aber die Lorder haben alle davon abgehalten zu helfen.«

Er schüttelt den Kopf. »Denk mal nach, Rain, welchen Tag haben wir heute?«

»Den 5. November.«

»Der 5. November. Guy Fawkes«, sagt er bitter. »Das war nicht der einzige Brand heute Nacht. Als du angerufen hast, kamen gerade Meldungen rein. Die Lorder haben diesen Tag an sich gerissen. Er hat uns gehört. Erinner dich, Rain! Denk an diesen Tag.«

Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf. Feuerwerk. Razzien. Lagerfeuer! Vor über 400 Jahren gab es eine Verschwörung von Guy Fawkes, der das Parlament in die Luft jagen wollte. Wir haben diesen Tag gewählt, um den Lordern zu demonstrieren, dass ihre Macht nicht allumfassend ist. Um den Leuten zu zeigen, dass auch sie eine Stimme haben.

Jetzt nutzen die Lorder diesen Tag, um uns daran zu erinnern, dass Guy Fawkes für sein Vorhaben gehängt wurde.

»Dass sie so offen gegen die Menschen vorgehen, die sie beschützen sollten! Es wird immer schlimmer, Kyla. Die Lorder gewinnen an Macht. Bald traut sich niemand mehr, sich mit uns zu verbünden und sich gegen sie zu stellen. Doch der Tag der Abrechnung ist nah.« Unterhalb unserer Straße hält er an. »Du musst das große Ganze im Blick behalten, Rain. Wir sprechen morgen nach der Schule weiter über alles. Geh jetzt.«

Ich steige aus dem Auto und laufe vorsichtig im Schatten der Häuser entlang. Es ist zwar immer noch dunkel, aber bereits kurz vor sechs, sodass vielleicht schon jemand wach sein könnte. Es würde definitiv Aufmerksamkeit erregen, sollte mich jemand in diesem Aufzug herumschleichen sehen. Aber ich kann niemanden entdecken. Als ich unseren Garten erreiche, nehme ich drüben auf der anderen Straßenseite eine Bewegung wahr. Ich drücke mich an die Hauswand und sehe mich um – vergeblich. Trotzdem bin ich mir sicher, dass da etwas war.

Ich zwänge mich durch den Seiteneingang und schleiche leise die Treppen in mein Zimmer hoch – endlich in Sicherheit.

Vorerst.

Sebastian liegt zusammengerollt und mit offenen Augen auf meinem Bett. Nachdem ich Nicos Klamotten aus- und meinen Schlafanzug angezogen habe, stopfe ich seine Sachen in meine Schultasche, um sie später loszuwerden.

Mir bleibt gerade noch eine Stunde, um zu schlafen. Schlaf, den ich jetzt dringend brauchte, doch daran ist nicht zu denken. Nicht mit den Flammen, die vor meinen Augen tanzen.

Mein Kopf schwirrt vor lauter Fragen. Wie ist Tori den Lordern entkommen? Sie ist zurückgeschickt worden, das hat Ben von ihrer Mutter erfahren. Warum, haben wir nie erfahren. An einem Tag war sie noch da, am nächsten verschwunden. Vermisst. Und was ist mit ihrem Levo geschehen?

Was mit Bens Eltern passiert ist, ist dagegen klar: Sie haben zu viele nervige Fragen gestellt. Die Lorder – die sind ihnen passiert. Und ausgerechnet, nachdem uns Bens Mutter am Vorabend noch um Hilfe gebeten hat. Mir stockt das Blut in den Adern, als mir wieder einfällt, was Mum zu ihr gesagt hat: »Sie hätten nicht herkommen sollen.« Hat Mum die Lorder informiert? Ihr Vater war schließlich der Premierminister, der die Lorder überhaupt erst ins Leben gerufen hat.

Ich bekomme den Anblick ihres zerstörten Hauses nicht aus meinem Kopf. Ihr Haus wurde zu ihrem Grab. Werden sie die Leichen bergen? Eingeäschert sind sie ja schon.

Laut Nico hat sich an anderen Orten Ähnliches zugetragen. Mit anderen Opfern.

Ich will um Bens Eltern weinen, aber das kann ich nicht. In mir ist nur Kälte und blinde Wut. Sie verdrängen all meinen Schmerz.

Und diese Wut will raus.

Zersplittert

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