Читать книгу Zersplittert - Teri Terry, Teri Terry - Страница 9

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»Kyla? Du hast Besuch«, ruft Mum die Treppe hoch.

Besuch? Ich gehe runter und da steht Cam, blickt verlegen drein und hält einen Teller in den Händen. Sein blondes Haar ist fast ordentlich gekämmt, er trägt ein Poloshirt mit Kragen und hat eindeutig Aftershave aufgetragen.

»Hi.«

»Äh, hi.«

»Ich wollte mich nur entschuldigen«, beginnt er und hält mir den Teller hin. Schokokuchen? In Gedanken versuche ich, ihm zu vermitteln, dass er jetzt bitte nichts sagen soll, aber es funktioniert nicht. »Dass du diese Strafe aufgebrummt bekommen hast, war allein meine Schuld.«

»Strafe?«, fragt Mum.

Ich funkle Cam an.

»Oh, sorry! Du wolltest nicht, dass sie davon erfährt, oder?«

Danke, dass du das Offensichtliche aussprichst. Ich seufze.

»Kyla?«, fragt Mum.

»Ja, ich musste über die Mittagspause nachsitzen und ja, es war Cams Schuld. Zufrieden?«

Mum lacht. »Ich sehe schon, wenn Cam hier wohnt, kannst du keine Geheimnisse mehr haben.«

»Tut mir wirklich leid«, sagt er wieder und sieht noch erbärmlicher aus.

»Schon gut. Ehrlich. Danke für den Kuchen«, erwidere ich, nehme den Teller und hoffe, dass er den Wink versteht und geht.

»Komm doch rein«, bittet ihn Mum. »Ich mache uns einen Tee.«

Wieder kein Glück.

Das Wort »Kuchen« lockt Amy vom Fernseher weg und zu uns herüber.

»Der ist richtig gut«, sage ich, während ich mir das erste Stück auf der Zunge zergehen lasse. Und tatsächlich. Der Kuchen ist aus köstlicher dunkler Schokolade und hat genau die richtige Menge an Zucker. »Hast du den selbst gemacht?«

»Glaub mir, wenn ich den gemacht hätte, würdest du ihn nicht probieren wollen. Mein Onkel hat gebacken.«

»Warum wohnst du jetzt bei deinem Onkel und deiner Tante? Bleibst du länger hier?«, fragt Amy.

»Amy!«, tadelt Mum.

Cam lacht und bekommt dabei auf jeder Wange ein Grübchen. »Schon gut. Ich weiß nicht, wie lange meine Mutter auf einer Bohrinsel in der Nordsee forschen wird. Hängt wohl davon ab, wann sie dort was Interessantes finden.«

»Und was ist mit deinem Dad?«, erkundigt sich Amy.

»Er hat sich letztes Jahr von meiner Mum getrennt«, antwortet Cam ohne weitere Erklärungen, wirft Amy dabei aber einen Blick zu, der andeutet, dass sie sich auf gefährliches Terrain vorgewagt hat. Mum wechselt schnell das Thema und erkundigt sich nach seiner Tante und seinem Onkel.

Als Cam mich fragt, was wir bisher in Bio durchgenommen haben, verlassen Mum und Amy die Küche. Als ob ich aufgepasst hätte. Dennoch hole ich meine Mitschriften.

»Tut mir leid, da bin ich wohl keine große Hilfe.« Ich gebe ihm mein Heft, und Cam blättert es durch, merkt aber schnell, dass viel davon nicht zu verwenden ist. »In Bio kann ich mich immer schlecht konzentrieren«, gebe ich zu.

»Du hast heute Morgen auch geträumt«, sagt er. »Ich hab dir den Zettel nur geschrieben, damit du nicht die ganze Zeit über diesen gottgleichen Lehrer anstarrst.«

»Das ist lächerlich«, widerspreche ich und werde nervös, weil ich mich frage, wie viel er gemerkt hat und wie auffällig ich mich verhalten habe.

»Ach, komm schon. Du und jedes andere Mädchen, ihr seid völlig hin und weg von diesem angeberischen Schönling. So was fällt mir auf. Aber irgendwie ist Hatten ganz schön unheimlich, finde ich.«

»Wieso?«

Er zieht ein Stück Papier aus der Tasche und zeigt mir einen Comic, den er gemalt hat. Darüber steht: Survival of the fittest.

Zuerst sieht man ein süßes, kleines Häschen, dann einen Fuchs, der das Häschen jagt. Auf dem nächsten verfolgt ein Löwe den Fuchs. Dann rennt ein Dinosaurier – ein T-Rex? – dem Löwen hinterher, der schließlich von Nico gejagt wird. Wie ein Höhlenmensch in Felle gekleidet, hält Nico eine Keule umklammert und hat einen eindeutig bösen, beinahe wahnsinnigen Ausdruck im Gesicht.

Ich lache. »So siehst du ihn also?«

»O ja. Er ist ein totales Tier. Wie hat der nur seine Zulassung als Lehrer bekommen? Ich rechne jeden Augenblick damit, dass er uns in ein Kühlhaus sperrt und aus uns Hackfleisch macht.«

Wie hatte er tatsächlich seine Zulassung als Lehrer bekommen? Obwohl er mehr über Bio weiß als ich, bin ich mir sicher, dass er keinen Abschluss hat. Vielleicht gab es einen echten Mr Hatten, einen Biolehrer, der nun nicht mehr existiert.

Abwesend beginne ich, Schüler in der Schuluniform von Lord Williams zu zeichnen: Hackfleischbällchen, die in einer Reihe marschieren.

»Wow, du kannst ja richtig gut zeichnen.«

»Danke. Deine Sachen sind auch nicht schlecht.«

»Ne, ich male ja nur Comics. Dummes Zeug.«

»Nein, das meine ich ernst, das ist gut. Aber ein bisschen Hilfe kannst du noch gebrauchen.«

»Aha?«

»Also zum einen ist das hier«, sage ich und tippe auf seinen Comic, »nicht survival of the fittest. Das ist eher eine Nahrungskette. «

»Und?«

»Dinosaurier kommen nicht mehr in der Nahrungskette vor.«

Cam bleibt bestimmt eine Stunde und erzählt mir belangloses Zeug. Er zeichnet noch mehr Cartoons von anderen Lehrern. Wie er wohl Mrs Ali darstellen würde?

»Es ist so schön, dich wieder lächeln zu sehen, Kyla«, sagt Mum, als ich abends nach oben gehe.

Ich überlege, ob es nicht schön wäre, einfach dieses Mädchen zu bleiben, das Witze über Lehrer reißt und nur Schule und Jungs im Kopf hat, die ihr Kuchen bringen. Cam ist nett, lustig, unkompliziert und albern. Überhaupt nicht wie Ben.

Ben. Wie vom Donner gerührt, frage ich mich, was er wohl von Cam halten würde. Wahrscheinlich würde er denken, dass Cam einfach nur nett ist. Und vielleicht hätte Ben damit sogar recht.

Was geht da nur in mir vor? Auf einmal verblasst der Abend, der Gedanke an ein anderes Leben, das ich führen könnte. Schuld und Schmerz bäumen sich in mir auf. Ich habe überhaupt nicht mehr an Ben gedacht. Mum meinte, dass es schön sei, mich lächeln zu sehen. Aber wie kann ich Cam anlächeln, wo Ben doch … ja, was ist er eigentlich?

Neulich Abend war Bens Mutter überhaupt nicht zum Lächeln zumute. Sie wirkte völlig verzweifelt und Mum konnte ihr auch nicht helfen.

Aber vielleicht kann ja ich ihr helfen. Indem ich ihr eine sinnvolle Aufgabe gebe: Ben bei MIA als vermisst zu melden. Vielleicht gibt ihr das etwas Hoffnung, damit sie weitermachen kann.

Vielleicht hasst sie mich dann nicht, sollte sie jemals die Wahrheit erfahren.

Ich renne.

Im Sand rutsche ich immer wieder weg. Die salzige Seeluft kratzt mir im Hals und ich ringe nach Atem. Los, schneller.

Trotz aller Angst höre ich immer noch die Möwen schreien und sehe die Sterne auf dem Wasser glitzern. Das Boot liegt dort hinten am Strand.

Schneller!

Ich bin so müde, dass ich die Füße beim Laufen nicht richtig hebe und stürze. Ich fliege durch die Luft und schlage hart auf. Aus meiner malträtierten Lunge wird auch noch der letzte Atem gepresst. Alles dreht sich …

… und verändert sich. Die Nacht ist sanfter. Ferner. Ich kann mein panisches Keuchen oder meine trommelnden Herzschläge nicht mehr spüren, aber die Angst ist nah, so allumfassend.

»Vergiss nie, wer du bist!«, ruft eine Stimme und verstummt dann. Bricht ab.

Steine türmen sich in einer Mauer um mich herum auf und ich höre ein scharrendes Geräusch. Wie eine Schaufel im Sand.

Um mich ist nur Dunkelheit.

Stille.

Schwer und undurchdringlich.

Zersplittert

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