Читать книгу Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman - Tessa Hofreiter - Страница 34
ОглавлениеDer Kosmetiksalon Simone im Hotel Sonnenblick, auf einem Hang oberhalb von Bergmoosbach gelegen, war bei den Einheimischen und Urlaubern gleichermaßen beliebt. Schon der Empfangstresen aus honigfarbenem Holz, die hellen Fußbodendielen und die schönen Pflanzen wirkten beruhigend auf die Besucher, und erst recht der großzügige Raum mit den vier bequemen Liegen für die kosmetische Behandlung, die getrennt durch helle spanische Wände vor der bodentiefen Fensterfront standen und einen weiten Blick über das Tal boten.
»Mei, ganz zart, wie bei einem jungen Madl.« Traudel Bruckner betastete ihr Gesicht und schaute in den Vergrößerungsspiegel, den sie in der Hand hielt. Hin und wieder gönnte sich Traudel, die sich um den Haushalt der Landarztpraxis Seefeld kümmerte, einen Besuch im Kosmetiksalon und ließ sich dort verwöhnen.
»Ich habe Ihrer natürlichen Schönheit nur ein wenig nachgeholfen. Meine Kräutermaske ist eine wohltuende Auffrischung für die Haut, aber den Alterungsprozess aufhalten, das geht nur von innen«, entgegnete Mona Wagner, die Kosmetikerin, die Traudel gerade behandelt hatte.
»Vorsicht, Herzl, du verdirbst uns noch das Geschäft«, mischte sich Simone Windfang ein, die hinter einer spanischen Wand hervorkam und sich zu ihnen gesellte. Simone, die Inhaberin des Salons, hatte Mona erst vor kurzem zu ihrer Verstärkung eingestellt, aber ihre Kräutermasken waren bei den Bergmoosbacherinnen bereits so beliebt, dass einige inzwischen jede Woche vorbeikamen. Die eine oder andere hatte sich sogar zum ersten Mal in ihrem Leben in einen Schönheitssalon gewagt und neben Monas Kräutermaske noch andere Behandlungen ausprobiert. Das Geschäft blühte, und Simone befürchtete ganz und gar nicht, dass Mona es verdarb. »Obwohl, so gesund wie du, Traudel, ernähren sich die meisten Leute ja nicht, da muss schon öfter von außen nachgeholfen werden«, fügte sie dann auch mit einem Augenzwinkern hinzu.
»Das ist wohl wahr«, stimmte Traudel ihr zu, während sie auf der bequemen Liege saß, deren Kopfteil Mona aufgestellt hatte, nachdem sie die Gesichtsmaske wieder abgewaschen hatte.
»Was ist?«, fragte Simone, als Traudel sie nachdenklich musterte.
»Mein Neun-Kräuter-Trank ist zurzeit sehr beliebt«, sagte Traudel.
»Hilft bei was?«
»Er ist gut für die Linie.«
Simone war eine füllige Blondine mit rundem Gesicht und Pausbacken. Offensichtlich hatte sie in den letzten Monaten noch ein wenig mehr zugelegt und hatte sicher große Mühe gehabt, sich in das beige ärmellose Sommerkleid zu pressen, das sie an diesem Vormittag trug und das ziemlich viele Falten über ihren breiten Hüften warf. Neben der schlanken dunkelhaarigen Mona in dem sonnengelben Kleid mit der schmalen Taille und dem weitschwingenden Rock fiel Simones Gewichtszunahme noch mehr ins Auge.
»Den trinkst du selbst aber nicht sehr oft«, konterte Simone und betrachtete die rundliche ältere Frau mit den hellen kurzen Locken.
»Doch, das tue ich, damit ich das Gewicht halte, was leider im Alter immer schwieriger wird«, seufzte Traudel und lächelte Simone von unten herauf an.
»O ja, es wird tatsächlich schwieriger«, gab Simone zu und zupfte an ihrem Kleid. »Was ist denn so drin in deinem Trank?«
»Ein bissel von dem und ein bissel von dem.«
»Eine geheime Mischung, verstehe. Mona wollte zuerst auch ein Geheimnis um ihre Kräuterbehandlungen veranstalten, aber das konnte ich nicht zulassen. Schließlich muss ich wissen, womit wir unsere Kundinnen behandeln. Ich bin ohnehin ein bissel skeptisch, was dieses Naturzeug betrifft. Wer sich nicht wirklich auskennt, langt auch schnell mal daneben, das hat dann vielleicht böse Folgen.«
»Wer sich nicht auskennt, sollte auch keine Kräuter sammeln.«
»Freilich nicht, aber was sagen denn deine beiden Doktoren zu deinem Trank?«, wollte Simone von Traudel wissen.
»Benedikt trinkt zweimal die Woche ein Glas davon.«
»Aber nur zur Vorbeugung, nehme ich an. Seefeld senior ist ja noch eine äußerst sportliche Erscheinung und ungemein attraktiv. Vielleicht, wenn ich mich wieder ein bissel in Form bringe …«
»Hast du nichts zu tun?«, fragte Traudel und dabei schaute sie Simone biestig an, so wie sie es immer tat, wenn eine Frau in ihrer Gegenwart von Benedikt Seefeld schwärmte.
»Schon gut, war nicht so gemeint«, entschuldigte sich Simone, die wie alle im Dorf wusste, dass Traudel in Benedikt Seefeld verliebt war, auch wenn sie es nie aussprach. »Vielleicht komme ich demnächst mal vorbei und hole mir etwas von deinem Trank. Ich hab so ein schönes Dirndl, das ich zum Trachtenumzug anziehen möcht, das aber leider recht spannt.«
»Der Umzug ist schon in der nächsten Woche, da hast du nicht mehr lange.«
»Ich weiß, ich werde mich wohl mächtig anstrengen müssen«, seufzte Simone und verschwand wieder hinter der spanischen Wand.
»Wenn Sie sich so gut mit Kräutern auskennen, Frau Bruckner, dann können Sie mir vielleicht weiterhelfen«, wandte sich Mona an die Haushälterin der Seefelds, während sie eine Feuchtigkeitscreme auf ihr Gesicht auftrug.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Wagner?«, erkundigte sich Traudel.
»Bitte, Frau Bruckner, sagen Sie Mona zu mir.«
»Das mache ich, Kindchen«, antwortete Traudel.
»Was die Kräuter betrifft, bisher habe ich die für meine Maske von einem Biohof in der Nähe von Augsburg bezogen, weil ich dort in der Nähe in einem Kosmetikstudio gearbeitet habe. Mir wäre es aber lieber, ich könnte sie hier vor Ort bekommen.«
»Was brauchen Sie denn?«
»Fenchel, Wacholderbeeren, Nessel, Farn und noch einige andere Pflanzen.«
»Ehrlich gesagt, ich sammle meine Kräuter auch nicht alle selbst. Die mir fehlen, die hole ich vom Biohof Kastner.«
»Wo genau finde ich den Hof?«
»Sie fahren am Sternwolkensee vorbei in Richtung Norden, nach dem Tannenwäldchen rechts den Feldweg entlang, der führt direkt zum Hof.«
»Danke, Frau Bruckner, ich denke, ich werde mir den Hof gleich heute einmal ansehen.«
»Dann grüßen Sie Jonas recht schön von mir, ihm gehört der Hof.«
»Das will ich gern tun.«
»Die riecht aber gut, was ist das?«, fragte Traudel, als ihr der Duft der Gesichtscreme in die Nase zog.
»Olive und Aprikose«, antwortete Mona.
»Auch selbst hergestellt?«
»Im Gegensatz zu Simone vertraue ich gern auf das, was die Natur uns anbietet.«
»Bleiben Sie dabei«, bestärkte Traudel die junge Frau. »Darf ich Sie fragen, warum es Sie ausgerechnet nach Bergmoosbach verschlagen hat?«
»Meine Großeltern wohnen im Nachbartal, und seitdem meine Eltern vor drei Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen sind, haben sie nur noch mich. Sie haben sich gewünscht, dass ich näher bei ihnen wohne, deshalb habe ich mich gleich hier beworben, als ich Simones Anzeige las. Einen Freund, auf den ich Rücksicht nehmen muss, habe ich zurzeit ja nicht.«
»Lange wird so ein hübsches Madl nicht allein bleiben, schon gar nicht bei uns. In Bergmoosbach herrscht ein günstiges Klima für die Liebe«, erklärte Traudel mit einem geheimnisvollen Lächeln.
»Ich habe es nicht so eilig mit der Liebe, aber wenn sie anklopft, dann nehme ich sie an. Kann ich noch etwas für Sie tun, Frau Bruckner?«, fragte Mona, nachdem sie mit der Gesichtspflege für Traudel fertig war.
»Mei, ich fühle mich gerade so entspannt, ich möchte schon gern noch ein bissel bleiben. Vielleicht eine Maniküre?«
»Sehr gern«, antwortete Mona mit einem freundlichen Lächeln.
*
Mona fuhr gleich nach Feierabend mit dem Fahrrad zum Kastnerhof. Als sie die Kleewiese erreichte, auf der die braun gefleckten Kühe weideten, stieg sie von ihrem Rad und schob es den letzten Teil des Weges. Das Herz wurde ihr ganz weit, als sie die Kälbchen sah, die behütet von ihren Müttern auf der Wiese lagen. Es war ihr auch eine Freude, das große Gehege mit der Sandkuhle, den Wassertümpeln und dem offenen Stall zu sehen, auf dem die Schweine des Biohofes zusammen mit den Hühnern lebten und sich offensichtlich wohlfühlten.
Das Haus mit den angebauten Stallungen lag inmitten eines großflächigen Blumen- und Kräutergarten. Unten weiß verputzt, der erste Stock und das Dachgeschoss mit dunklem Holz verkleidet und die Balkons mit bunt bepflanzten Blumenkästen geschmückt. Ein junger Mann, groß, mit hellblondem Haar, in Jeans und Gummistiefeln, kam gerade aus der Tür, als Mona ihr Fahrrad neben einem Blumenbeet im Hof abstellte.
»Hallo, zu wem möchten Sie?«, fragte er.
»Ich suche Jonas Kastner. Traudel Bruckner meinte, er könnte mir helfen.«
»Bei was denn?«
»Es geht um Kräuter.« Sie zuckte zusammen, als der Mann näherkam und sie mit seinen grünen Augen anschaute.
»Jonas Kastner«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand. »Und Sie sind?«, fragte er, als sie ihn nur anschaute und nichts sagte, weil sie plötzlich kein Wort mehr herausbrachte.
»Mona Wagner«, antwortete sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte.
»Welche Kräuter brauchen Sie?«, erkundigte sich Jonas und ließ ihre Hand wieder los.
»Ich habe sie aufgeschrieben.« Sie holte den Zettel aus ihrer Umhängetasche, auf dem sie notiert hatte, wieviel sie von jedem Kraut im Laufe eines Monats brauchte.
»Interessante Mischung, was haben Sie denn damit vor?«, fragte Jonas erstaunt, nachdem er den Zettel überflogen hatte.
»Ich arbeite im Kosmetiksalon Simone. Ich stelle meine eigenen Gesichtsmasken, Peelings und Cremes her.«
»Das ist sicher mächtig viel Arbeit.«
»Ich habe inzwischen Routine im Mixen und Anrühren.«
»Alles klar, wie möchten Sie die Kräuter haben? Schon zerkleinert oder im Bund?«
»Je kleiner, desto besser.«
»Das sind meine Preise«, sagte Jonas und notierte neben jeden einzelnen Posten auf ihrem Zettel, wie viel ein Kilo des jeweiligen Krautes kostete.
»Einverstanden.« Die Preise entsprachen ungefähr denen, die sie bisher bezahlt hatte. »Wäre es möglich, dass ich die erste Lieferung schon morgen bekomme? 300 Gramm von jedem Posten.«
»Kein Problem, ich könnte Ihnen die Bestellung morgen Abend bringen.«
»Das wäre großartig. Ich wohne zurzeit im Appartementhaus des Hotels Sonnenblick.«
»Mixen Sie dort Ihre Kosmetik?«
»Nein, dafür gibt es eine Küche im Kosmetiksalon«, antwortete sie lächelnd. »Ich soll Sie übrigens von Traudel Bruckner grüßen. Sie hat mich zu Ihnen geschickt.«
»Haben Sie sie mit Ihren Fähigkeiten überzeugt?«
»Wenn Sie von mir wissen wollen, ob sie sich von mir behandeln lässt, dann kann ich nicht darauf antworten. Als Kosmetikerin muss ich verschwiegen sein. Keine Frau möchte, dass das Geheimnis Ihrer Schönheit ans Tageslicht kommt.«
»Natürlich«, antwortete Jonas.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie, als er sie mit einem verträumten Lächeln betrachtete.
»Könnte es sein, dass wir uns schon einmal begegnet sind?«
»Ich glaube nicht. Gibt es hier auch einen Hofladen?«, fragte Mona, weil sie seinem Blick nicht länger standhalten konnte.
»Dienstags und freitags bauen wir im Hof unsere Stände mit Eiern, Käse, Obst und Gemüse auf. Kommen Sie doch einfach mal vorbei, dann können Sie sehen, was es bei uns alles gibt. Jetzt muss ich leider auf die Weide.«
»Das heißt, der Hof gehört Ihnen und Ihrer Frau.«
»Meiner Frau?«
»Sie sagten doch, was es bei uns alles gibt.«
»Damit meinte ich meine Schwester, ich bin nicht verheiratet.«
»Wird Ihre Schwester meine Kräuter zusammenstellen?«
»Nein, das mache ich selbst. Eleonore kümmert sich um die Aufzucht und die Ernte, ich um die Weiterverarbeitung. Sie leidet seit einiger Zeit an einer Sehschwäche und traut sich die Auslese nicht mehr allein zu. Wenn ich morgen Abend gegen sieben Uhr bei Ihnen bin, ist das für Sie in Ordnung?«
»Sieben Uhr ist eine gute Zeit.«
»Dann bis morgen«, verabschiedete sich Jonas und gab ihr wieder die Hand.
»Bis morgen«, sagte sie und schaute ihm noch eine Weile nach, bevor sie auf ihr Rad stieg.
»Wer ist das?«, murmelte Eleonore, die in der gemütlichen Bauernküche vor der Anrichte stand und eine Salatgurke raspelte. Die Brille mit den dicken Gläsern hing an einer Kette um den Hals der hageren Frau. Dass diese Brille eine Spezialanfertigung war, die ihre Sehschwäche nur vortäuschte, wusste niemand, deshalb durfte diese Brille auch niemand außer ihr in die Finger bekommen. Die Sehschwäche hatte Eleonore sich zugelegt, als es im letzten Jahr so aussah, als hätte Jonas sich ernsthaft verliebt. Sie brauchte eine Versicherung, dass er sie nicht aus dem Haus schickte, weil er mit seiner Frau allein sein wollte, was ihm durchaus möglich war, da die Eltern ihm das Haus allein vererbt hatten. Aber dann hatte Jonas selbst einen Rückzieher gemacht. Die Ehe sei noch nichts für ihn, hatte er gesagt. »Sie kommen und gehen«, murmelte Eleonore und raspelte weiter die Gurke für das Abendessen.
*
»Hallo, Mona, warst du schon auf dem Kastnerhof?!«, rief Traudel, die im Steingarten vor dem Haus der Seefelds die Blumen goss, als Mona auf dem Weg zum Hotel Sonnenblick am Haus des Landarztes vorbeikam.
»Ich habe gerade mit Jonas Kastner gesprochen. Danke für den Tipp, wir sind uns schon einig.« Mona hatte an der Treppe angehalten, die durch den Steingarten hinauf zur Terrasse des Hauses mit den hellgrünen Fensterläden führte. »Wer bist du denn?«, fragte sie lachend, als ein junger Hund mit grauweißem buschigem Fell die Treppe heruntergesaust kam und sie neugierig beschnupperte.
»Das ist unser Nolan.« Traudel rief den Hund nicht gleich zurück, weil Mona sich offensichtlich über diese Begegnung freute, sich zu ihm hinunterbeugte und ihn streichelte.
»Du bist also ein kleiner Kämpfer«, sagte Mona.
»Wow, Sie kennen die Bedeutung seines Namens«, stellte das Mädchen fest, das mit einer Leine in der Hand über die Wiese neben dem Steingarten zur Straße hinunterlief.
»Ich habe in meiner Schulzeit einmal ein Referat über die Bedeutung der Namen gehalten. Einige habe ich behalten. Mona Wagner«, stellte sie sich dem hübschen Mädchen mit dem kastanienfarbenen langen Haar und den hellgrauen Augen vor.
»Emilia Seefeld«, antwortete das Mädchen. »Traudel hat mir von Ihrer fantastischen Kräutermaske erzählt.«
»Die du aber nicht brauchst«, entgegnete Mona lächelnd.
»Ich habe Glück, einige Mädchen in meiner Klasse geben eine Menge Geld aus, um ihre unreine Haut zu bekämpfen.«
»Sie sollten es mit einer Honig-Tomaten-Maske versuchen.«
»Klebriger Honig und zermatschte Tomaten, das klingt nicht besonders lecker.«
»Aber es hilft.«
»Sie werden es nicht mögen.«
»Sie sollten es ausprobieren. Honig und Tomaten wirken antibakteriell, das ist der erste Weg, um die lästigen Hautunreinheiten loszuwerden«, sagte Sebastian Seefeld, der die Treppe durch den Steingarten herunterkam.
»Also gut, Papa, ich werde meinen Freundinnen diese Gesichtsmaske vorschlagen. Wenn eine davon noch mehr Pickel bekommt, dann schicke ich sie zu dir«, wandte Emilia sich an ihren Vater.
»Geh, Spatzl, Mona wird dir schon nichts empfehlen, was jemandem schaden könnte, und dein Vater tut das auch nicht«, mischte sich Traudel ein.
»Aber wenn jemand allergisch ist.«
»Äußerlich angewendet ist das Risiko in diesem Fall gering«, versicherte Sebastian seiner Tochter.
»Okay, überzeugt«, verkündete Emilia.
»Ich nehme an, Sie sind die junge Dame, von der Traudel heute beim Mittagessen geschwärmt hat.«
»Geschwärmt? Von mir?«, fragte Mona erstaunt.
»Freilich, wenn jemand sich so einfühlsam auf seine Kundschaft einlässt und noch dazu auf das Natürliche steht, da kommt eine Kräuterliebhaberin wie ich schon ins Schwärmen«, erklärte Traudel.
»Dann werde ich mir Mühe geben, Sie auch in Zukunft nicht zu enttäuschen«, antwortete Mona ein wenig verlegen über Traudels Lob.
»Mona Wagner, Sebastian Seefeld«, stellte Traudel die beiden einander vor.
Das ist also Sebastian Seefeld, dachte Mona und betrachtete den gut aussehenden Mann, dessen graue Augen in einem wundervollen Kontrast zu seinem dunklen Haar standen. Obwohl sie erst seit kurzem in Bergmoosbach war, wusste sie bereits, dass der junge Arzt zu den begehrtesten Männern im ganzen Tal gehörte. Und jetzt, da sie ihm zum ersten Mal begegnete, wusste sie auch warum. Es war nicht nur sein Aussehen, es war seine Stimme, die Art wie er sich bewegte, sein Lächeln. Obwohl, da war jemand, der durchaus mit ihm mithalten konnte, dachte sie, und in diesem Moment sah sie wieder Jonas vor sich.
»Papa, wir können dann«, sagte Emilia, die Nolan die Leine angelegt hatte.
»In welche Richtung?«, fragte Sebastian, der mit seiner Tochter und dem Familienhund noch einen Spaziergang unternehmen wollte.
»Zum See.«
»Also dann zum See«, stimmte Sebastian Emilia zu und verabschiedete sich von Mona.
»Und wie verbringen Sie den Feierabend?«, fragte Traudel, als Mona wieder auf ihr Fahrrad stieg.
»Ich werde erst mit meinen Großeltern telefonieren und danach ein bisschen lesen. Simone hat mich heute übrigens damit beauftragt, dass ich in diesem Jahr die Schönheitsparty der Landfrauen übernehmen soll, die sie ein paar Tage vor dem Trachtenumzug veranstalten. Sie meinte, die Damen hätten es sich so gewünscht, weil sie alle meine Kräutermaske ausprobieren wollen.«
»Da werden Sie viel zu tun haben. Sie werden dort vor allem auf die älteren Semester treffen, die darauf hoffen, ein bissel jünger auszusehen. Es werden sicher einige kommen.«
»Kein Problem, ich bereite alles so vor, dass sich jede ihre Maske selbst auflegen kann. Den größten Spaß haben doch alle, wenn sie gleichzeitig wie die kleinen Gespenster in ihren Liegestühlen liegen.«
»O ja, das wird sicher ein Spaß, vor allen Dingen das Geschnatter, wenn alle gleichzeitig ihre neuesten Dorfgeschichten zum Besten geben wollen. Also dann, noch einen schönen Abend, mein Kind«, sagte Traudel.
»Den wünsche ich Ihnen auch«, entgegnete Mona.
Eine halbe Stunde später saß sie auf ihrem Balkon, der zu ihrem Appartement im Dachgeschoss des Hauses gehörte. Sie hatte ihn sich hübsch hergerichtete, mit einer Hollywoodschaukel, einem Tischchen und zwei Margeritenbäumchen, das eine mit gelben Blüten, das andere mit weißen, farblich passend zu der weiß gelben Markise, die jeden Balkon des Appartementhauses und des Hotels vor Sonne schützte.
Sie hatte ein paar Minuten mit ihrer Großmutter telefoniert und es sich danach mit dem Roman über eine Kräuterfrau im 12. Jahrhundert in der Hollywoodschaukel gemütlich gemacht. Aber das Buch konnte sie an diesem Abend nicht fesseln, ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, genau wie ihr Blick.
Das Appartementhaus, in dem auch einige Angestellte des Hotels wohnten, lag durch eine Reihe Tannen getrennt auf gleicher Höhe mit dem Hotel und bot einen weiten Blick ins Tal. War das nicht der Kastnerhof, dieses Haus inmitten der Wiesen und Weiden am anderen Ende des Dorfes? Mona schaute durch das Fernglas, das abends immer griffbereit neben ihr auf dem Tisch lag, weil sie es liebte, die Sterne zu betrachten. Auch wenn sie nicht ganz sicher war, dass es wirklich der Kastnerhof war, weil es da draußen noch andere einsam gelegene Höfe gab, spürte sie ein Kribbeln in der Magengrube, während sie durch das Fernglas schaute. Jonas ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte sogar ihrer Großmutter von der Begegnung mit ihm erzählt.
»Hast du dich verliebt, Kleines?«, hatte sie gefragt, und sie hatte darauf nur ausweichend geantwortet.
»Habe ich mich denn verliebt?«, flüsterte sie und setzte das Fernglas ab. Morgen, wenn ich ihn wiedersehe, dann werde ich es wissen, dachte sie und schaute mit einem verträumten Lächeln an den Himmel.
*
Mona war froh, dass am nächsten Tag viele Kundinnen in Simones Kosmetiksalon kamen und sie kaum Zeit zum Nachdenken fand. Im Hotel war eine Reisegruppe eingetroffen, und einige Damen wollten sich ein bisschen verwöhnen lassen. Als sie kurz nach sechs den Salon schlossen, eilte sie in ihre Wohnung, stellte sich kurz unter die Dusche, zog danach das weiße Kleid mit dem hellblauen Blütenmuster an und erneuerte Wimperntusche und Lidstrich. Du meine Güte, er bringt mir doch nur ein paar Kräuter und wird danach wieder gehen, dachte sie, als sie sich in dem Zimmer umschaute, das ihr als Küche, Wohn- und Schlafraum diente. Die Küchenzeile aus hellem Kiefernholz an der Längsseite gleich neben der Tür zur Diele, in der Mitte des Raumes ein Esstisch mit vier Stühlen, und vor dem Fenster das rote Ecksofa mit Bettkasten, das sich zu einer bequemen Liege ausklappen ließ. Alles war aufgeräumt, und es sprach nichts dagegen, Jonas hereinzubitten, worauf er aber vielleicht gar nicht eingehen würde.
»Ja, bitte«, meldete sie sich zaghaft, als es wenig später klingelte und sie den Hörer der Türsprechanlage abnahm.
»Jonas Kastner, ich bringe die Kräuter. In welchem Stockwerk wohnen Sie?«, wollte er wissen.
»Dachgeschoss«, antwortete sie, hängte den Hörer wieder ein und öffnete die Wohnungstür. Mit klopfendem Herzen schaute sie auf die Stockwerksanzeige des Lifts, gleich würde er da sein. Als sich die Tür des Aufzugs öffnete, erging es ihr wie am Tag zuvor, als sie Jonas das erste Mal gesehen hatte, sie fühlte sich verunsichert und wusste nicht, wo sie hinschauen sollte. Wieder spürte sie dieses aufregende Kribbeln, als sie den jungen Mann betrachtete, der das hellblaue Hemd locker über der Jeans trug. Ja, er gefällt mir, dachte sie, als er den Korb mit den Kräutern anhob, den er im Lift abgestellt hatte, und ihm eine Strähne seines blonden Haares in die Stirn fiel.
»Hallo, Frau Wagner, wohin mit dem Korb?«, fragte er, und sie zuckte erneut zusammen, als sein Blick über sie hinwegglitt, ganz kurz und ohne auch nur die Spur eines unangenehmen Gefühls zu hinterlassen.
»Hier herein, bitte.« Sie trat zur Seite, damit er in die Wohnung konnte. »Wenn Sie den Korb vor der Küchenanrichte abstellen, dann nehme ich die Kräuter schnell heraus.«
»Ich helfe Ihnen«, entgegnete er und nahm auch gleich zwei der 300 g schweren Leinensäckchen, in die er die Kräuter gepackt hatte, aus dem Korb. »Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.«
»Es ist alles da«, sagte Mona und schaute auf die zwölf beschrifteten Leinensäckchen. »Soll ich bar bezahlen oder das Geld überweisen?«, fragte sie, als er die Rechnung dazulegte.
»Überweisen ist in Ordnung, also dann, bis zum nächsten Mal«, sagte er, rührte sich dabei aber nicht von der Stelle, so als suchte er nach einem Grund, noch bleiben zu können.
Ich werde ihm jetzt einfach etwas zu trinken anbieten, dachte Mona, weil auch sie diese zweite Begegnung zwischen ihnen noch ein wenig verlängern wollte.
»Entschuldigen Sie mich kurz«, bat er sie, als sein Handy läutete, das in der Brusttasche seines Hemdes steckte. Er zog es heraus, schaute auf das Display und nahm den Anruf sofort an. »Elo, was gibt es?«, fragte er. »Alles klar, ich bin gleich da.«.
»Ist etwas passiert?«, erkundigte sich Mona.
»Eine unserer Milchkühe hat sich wohl gerade entschlossen, ihr Kälbchen zu bekommen. Normalerweise schaffen sie das auch sehr gut allein, aber für unsere Zenzi ist es das erste Mal, da könnte es sein, dass sie ein wenig Zuspruch braucht.«
»Dann müssen Sie sicher gleich los.«
»Ja, das sollte ich tun.«
Schade, dann werde ich wohl heute nicht mehr viel über dich erfahren, dachte Mona enttäuscht. »Möchten Sie zuvor noch ein Glas Orangensaft?«, fragte sie, um den Abschied hinauszuzögern.
»Gern«, antwortete er und hielt ihren Blick fest.
Hoffentlich fällt mir nichts aus der Hand, dachte Mona, weil sie ein bisschen zitterte, als sie die Flasche mit dem Orangensaft aus dem Kühlschrank nahm und zwei Gläser füllte.
»Möchten Sie mitkommen?«, fragte er.
»Zu ihrer Zenzi?«
»Tut mir leid, das war wohl keine gute Idee«, entschuldigte er sich und schüttelte über sich selbst den Kopf.
»Doch, es war eine gute Idee, ich würde sehr gern mitkommen«, sagte sie und dieses Mal sah sie ihn direkt an. Danke, dass du mich gefragt hast, dachte sie.
»Wirklich?«, vergewisserte er sich noch einmal.
»Ja, unbedingt«, versicherte sie ihm und versank in seinen grünen Augen.
»Wollen wir los?«, fragte er, nachdem sie den Saft im Stehen getrunken hatten, dabei kaum ein Wort gewechselt hatten und sich nur anschauten.
»Ja, gehen wir«, sagte Mona, räumte die Gläser in die Spülmaschine und ging in die Diele, um ihre Gummistiefel aus dem Garderobenschrank zu holen. »Interessantes Auto«, stellte sie fest, als Jonas ihr die Beifahrertür des weißen Geländewagens mit der offenen Ladefläche aufhielt.
»Ich habe ihn erst seit Kurzem. Sebastian Seefeld hat mich von den Vorzügen dieser Wagen überzeugt. Er hat lange in Kanada gelebt, dort sind sie ziemlich verbreitet, und für meine Lieferungen an die Geschäfte im Umkreis hat er sich als wirklich praktisch erwiesen.«
»Ich habe gehört, dass Doktor Seefelds Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist«, sagte sie, während sie die Straße ins Dorf hinunterfuhren.
»Wegen ihr ist er damals dort geblieben. Sie stammte aus Quebec. Ich glaube nicht, dass er zurückgekommen wäre, wenn das nicht passiert wäre. Zumal es auch für Emilia nicht leicht war, aber ich denke, die Bergmoosbacher tun ihr Bestes, damit sie sich zu Hause fühlen.«
»Davon bin ich überzeugt«, stimmte Mona ihm zu. Auch ihr waren die Einheimischen bisher immer freundlich und hilfsbereit begegnete, und das, obwohl sie keinerlei Bezug zu ihrem Dorf hatte.
*
»Das ist unsere Zenzi«, stellte ihr Jonas die weißbraun gefleckte Kuh vor, die allein in einer Ecke auf dem strohbedeckten Boden des Stalls lag und sich immer wieder eine andere Stellung suchte, um sich den Fortgang der Geburt zu erleichtern. »Du machst das sehr gut, Zenzi, du schaffst das«, sprach er mit beruhigender Stimme auf Zenzi ein, die ihn mit ihren großen dunklen Augen voller Vertrauen anschaute. »Es geht los«, sagte er, als Zenzi plötzlich aufstand.
»Die Beinchen sind schon zu sehen«, flüsterte Mona gleich darauf.
»Kommen Sie, halten wir ein bisschen Abstand, damit sie sich nicht gestresst fühlt«, sagte Jonas leise und setzte sich auf den sauberen Strohhaufen, der in der Mitte des Stalls aufgehäuft war. »Doch Angst vor der Natur?«, fragte er, als Mona zögerte, seinem Beispiel zu folgen.
»Püppchen in feinen Kleidchen setzen sich nicht ins Stroh«, erklärte Eleonore, die in den Stall hereinmarschierte, in dunkelgrünen Gummistiefeln, bunter Kittelschürze, mit Kopftuch und der dicken Brille auf der Nase.
»Ich bin auf dem Land aufgewachsen, mir macht das mit dem Stroh nichts aus«, antwortete Mona höflich, obwohl die hagere Frau sie voller Missachtung betrachtete.
»So, auf dem Land, aha«, entgegnete Eleonore.
»Meine Schwester Eleonore, Mona Wagner«, machte Jonas die beiden miteinander bekannt.
»Hallo, Frau Kastner«, sagte Mona und wollte Eleonore die Hand geben, aber Eleonore übersah diese Geste, zog ein Paar rosa Gummihandschuhe aus der Tasche ihrer Kittelschürze und stülpte sie sich über.
»Warte noch, Elo, gib ihr ein wenig Zeit«, bat Jonas.
»Ich weiß, was ich zu tun hab, ich hab schon den Kälbchen auf die Welt geholfen, da warst du noch im Kindergarten«, erwiderte sie und setzte eine beleidigte Miene auf.
»Es geht weiter.« Mona hatte sich neben Jonas auf das Stroh gesetzt und schaute fasziniert zu, wie sich das Kälbchen nach und nach ins Leben schob.
»Ich hol Wasser«, brummte Eleonore, stapfte zu dem Waschbecken neben der Stalltür und stellte die kleine Wanne, die dort an der Wand lehnte, unter den Hahn.
»Jetzt ist es gleich soweit.« Jonas erhob sich und reichte Mona die Hand, um ihr aufzuhelfen.
Vorsichtig näherten sie sich Zenzi, die nun alle Kraft aufbot, um ihrem Kalb auf die Welt zu helfen.
»Jonas, die Wanne ist zu schwer, komm, hilf mir!«, rief Eleonore.
»Behalte die Geburt im Auge, Mona, Verzeihung, Frau Wagner«, entschuldigte sich Jonas.
»Mona ist schon in Ordnung«, sagte sie und wandte sich wieder Zenzi zu, während er zu seiner Schwester ging. »Ich glaube, ein wenig Hilfe könnte sie jetzt doch gut gebrauchen«, erklärte sie, als Jonas die Wanne mit dem Wasser in der Nähe von Zenzis Lager abstellte.
»Schau an, die junge Dame vom Land will sich auskennen, aber mit dem Zupacken wär’s dann sicher nichts, nehme ich an.«
»Eleonore, bitte, was soll das denn?«, wandte sich Jonas seiner Schwester kopfschüttelnd zu.
»Es ist doch wahr, da stehen sie in ihren feinen Klamotten im Stall und tun so, als wüssten sie, worum es geht. Das hatten wir doch schon zur Genüge.«
»Keine Sorge, ich weiß, worum es geht.« Und das werde ich dir auch beweisen, dachte Mona.
»Hallo, langsam, was soll das?!«, rief Eleonore, als Mona sich Zenzi näherte.
»Warte«, bat Jonas und hielt Eleonore am Arm fest, als sie Mona folgen wollte.
»Du hast es gleich geschafft, meine Gute, gib dir noch einmal richtig Mühe«, forderte Mona die Kuh auf, die ihren Kopf hob und sie anschaute.
Mona hatte auf dem Hof ihrer Großeltern viele Kälbchen auf die Welt kommen sehen und auch oft mit angepackt, wenn Hilfe gebraucht wurde. Diese Handgriffe waren keine große Herausforderung für sie. Beherzt fasste sie auch dieses Mal im richtigen Moment zu und erleichterte Zenzi die Geburt des Kälbchens.
»Noch immer Zweifel daran, dass sie es kann?«, wandte sich Jonas seiner Schwester zu.
»Glück hat sie gehabt«, murmelte Eleonore, während sie sich über das Kalb beugte, sein Gesicht mit Wasser reinigte und nachschaute, dass es auch richtig Luft bekam.
»Ich hoffe, ich konnte Sie überzeugen, dass ich nicht nur eine feine Dame bin«, sagte Mona, die sich neben Eleonore hockte und das Kalb mit Stroh trockenrieb.
»Sie müssen mich von gar nichts überzeugen. Sie sind nur eine Kundin, die bei uns einkauft, mehr haben wir nicht miteinander zu tun.« Eleonore sprach so leise, dass Jonas, der Zenzi nach dieser Anstrengung mit Wasser und ein paar Möhren versorgte, es nicht hörte.
»Wir sollten die beiden nun allein lassen«, sagte Jonas.
»Sollten wir«, stimmte Eleonore ihm zu und bedeutete Mona, sich zu entfernen.
Mona fragte sich, warum diese Frau so biestig zu ihr war, während sie sich die Hände über dem Waschbecken wusch. Sie hatte ihr doch gar nichts getan.
»Da du dem Kleinen auf die Welt geholfen hast, könntest du ihm auch einen Namen geben«, schlug Jonas Mona vor.
»Da es ein Mädchen ist, wie wäre es mit Aurelia, die Schöne?«
»Eine Aurelia hatten wir bisher noch nicht. Was meinst du, Eleonore?«
»Ein Name ist so gut wie der andere.«
»Gut, dann heißt Zenzis Tochter Aurelia, und darauf stoßen wir jetzt zusammen an«, verkündete Jonas.
»Wo und mit was willst du anstoßen?«, fragte Eleonore.
»Wir setzen uns auf die Terrasse und trinken ein Glas von unserem Brombeerwein. Vorher brauchst du aber etwas anderes zum Anziehen«, stellte Jonas mit einem Blick auf Monas Kleid fest, das bei ihrer Geburtshilfe ein wenig gelitten hatte.
»Von mir passt ihr nichts«, erklärte Eleonore.
»Wir finden schon etwas, bis gleich, Elo«, sagte Jonas.
»Nein, Herzl, so leicht geht das hier nicht, einfach mit Volldampf an mir vorbei und ihn beeindrucken wollen. Dich werd ich schon ausbremsen, darauf kannst du dich verlassen«, schimpfte Eleonore, nachdem Mona und Jonas gegangen waren.
»Das ist ein hübsches Kleid«, sagte Mona und schaute auf das blauweiß gestreifte Hemd, das Jonas ihr gegeben hatte.
Es reichte ihr fast bis zu den Knien und würde seinen Dienst tun, bis sie ihr Kleid wieder anziehen konnte, das Jonas in die Waschmaschine gesteckt hatte und das danach in den Trockner wandern würde.
»Dann musst du mich aber noch eine Weile beherbergen«, hatte sie gesagt, als er sich nicht davon abbringen ließ, ihr Kleid zu reinigen.
»Das empfinde ich nicht als Strafe«, hatte er geantwortet, und der Blick, mit dem er sie dabei angesehen hatte, jagte ihr einen heißen Schauer über den Rücken.
Jonas holte eine Flasche von dem Brombeerwein aus dem Keller, füllte etwas Honiggebäck in eine Glasschale, und sie setzten sich in die bequemen Korbstühle draußen auf der Terrasse.
»Wenn ich nicht wüsste, dass dort irgendwo noch ein Dorf ist, dann könnte ich glatt glauben, dass dieses Haus weit und breit das einzige ist.« So weit sie sehen konnte, gab es nur Weizenfelder, Wiesen und Bäume.
»Die meisten Leute fühlen sich hier auch nach kürzester Zeit wie abgeschnitten von der Welt«, antwortete Jonas nachdenklich.
»Ich finde es schön hier draußen, es beruhigt die Seele.«
»So empfinde ich das auch«, stimmte Jonas ihr zu. »Ich fand es vorhin übrigens beeindruckend, wie entschlossen du Zenzi geholfen hast.«
»Für mich war es etwas ganz Normales«, sagte sie und erzählte ihm von dem Bauernhof ihrer Großeltern. »Die beiden hatten gehofft, dass ich den Hof irgendwann einmal übernehme, aber als kleine Bauern konnten sie dem Preiskampf mit den großen Konkurrenten auf Dauer nicht standhalten. Sie haben ihre Äcker verkauft und nur den Garten behalten, mit dem sie sich selbst versorgen können. Zusammen mit ihrer Rente kommen sie ganz gut zurecht und müssen sich nicht mehr so plagen.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Meine Eltern haben als Hoteltester für ein Reiseunternehmen gearbeitet. Sie sind vor drei Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen.«
»Das tut mir leid.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
»Ein Autounfall vor fünf Jahren, aber wir wollten doch auf ein neues Leben anstoßen«, sagte Jonas und füllte die drei Gläser, die auf dem Tisch standen, mit Brombeerwein.
»Stoßen wir also an.« Eleonore kam in einer sauberen Kittelschürze und ohne Kopftuch zu ihnen auf die Terrasse und musterte Mona aufmerksam.
»Auf Aurelia«, sagte Jonas und stieß zuerst mit Mona und erst danach mit Eleonore an.
»Sie arbeiten in Simones Kosmetiksalon, wie ich hörte«, sprach Eleonore Mona auf ihre Arbeit an, nachdem sie sich in den Korbstuhl neben ihren Bruder gesetzt hatte, während Mona ihm gegenüber saß.
»Gehören Sie zu Simones Kundinnen?«
»Für diesen Unsinn habe ich keine Zeit. Ich habe noch nie verstanden, warum sich jemand diese Chemiecocktails ins Gesicht schmiert, die mehr schaden als nützen.«
»Mona bevorzugt natürliche Mittel, die sie aus den Kräutern herstellt, die wir ihr liefern, wie du weißt«, entgegnete Jonas seiner Schwester.
»Aus einem Aschenbrödel wird so oder so aber keine Prinzessin, auch wenn manch eine das glauben will«, erklärte Eleonore trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Sich ein wenig verwöhnen zu lassen, das tut auch der Seele gut. Kommen Sie doch einfach mal zu uns und probieren Sie es aus«, forderte Mona Eleonore freundlich auf.
»Wie gesagt, dafür ist mir meine Zeit zu schade«, antwortete Eleonore, wandte sich wieder ihrem Bruder zu und verwickelte ihn in ein Gespräch über die bevorstehende Apfelernte. Sie tat ganz wichtig und ließ es nicht zu, dass er Mona in die Unterhaltung miteinbezog.
»Ich nehme mein Kleid selbst heraus, wenn ich darf«, sagte Mona, als der Trockner, der in der Küche stand, piepte und das Ende des Trockenvorgangs ankündete.
»Nur zu«, forderte Eleonore sie auf.
»Du könntest ruhig ein bisschen freundlicher zu ihr sein«, raunte Jonas seiner Schwester zu, nachdem Mona in die Küche gegangen war.
»Soll ich ihr auch das Du anbieten? Oder soll ich mich mit ihr über ihre unsinnige Arbeit unterhalten? Was erwartest du?«
»Offensichtlich zu viel.«
»Wo muss ich anrufen, wenn ich um diese Zeit ein Taxi brauche?«, fragte Mona. Sie trug wieder ihr Kleid und kam auf die Terrasse, um sich zu verabschieden, was Eleonore sicher freuen würde. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihr Jonas‘ Einladung missfallen hatte.
»Ein Taxi zu bekommen, ist hier draußen immer ein Geduldsspiel, erst recht um diese Zeit. Außerdem brauchst du keines, ich fahre dich«, sagte Jonas.
»Du meine Güte, zu Fuß dauert es keine halbe Stunde bis ins Dorf«, mischte sich Eleonore ein.
»Erstens ist es bereits stockfinster, zweitens sind hier bekanntlich überall Moore, die Mona nicht kennt, und drittens ist der Weg weitaus länger, weil sie noch hinauf zum Hotel muss. Komm, Mona, wir gehen.« Jonas wollte sich Eleonores Genörgel nicht länger anhören.
»So weit ist es also schon, wir halten Händchen«, murmelte sie eifersüchtig, als Jonas Mona an die Hand nahm, mit ihr die Terrasse verließ und sie im Hof in seinen Wagen stiegen.
»Ich glaube, auf deine Schwester habe ich keinen guten Eindruck gemacht«, stellte Mona fest, als sie den Feldweg entlang durch die Dunkelheit zum Dorf fuhren.
»Sie braucht immer ein bisschen länger, bis sie mit einem anderen vertraut wird, aber wenn ihr euch erst besser kennt, dann wird sich ihr Ton ändern.«
»Du meinst, ich muss erst einige Bestellungen bei euch aufgeben, bevor sie mich mit einem Lächeln begrüßt?«
»Nein, daran dachte ich nicht.«
»Was ist?«, fragte Mona erschrocken, als er den Wagen abbremste, mitten auf dem Feldweg stehenblieb und die Innenbeleuchtung einschaltete.
»Ich möchte dich gern wiedersehen, Mona. Ich meine, nicht wegen unserer Kräuter, sondern weil ich dich näher kennen lernen möchte«, sagte er und sah sie abwartend an.
»Ich würde dich auch gern näher kennen lernen«, antwortete sie, weil sie doch auf ein Wiedersehen mit ihm gehofft hatte.
»Ich wollte morgen Abend zu unserer Obstwiese fahren. Es wäre schön, wenn du mich begleiten würdest.«
»Sehr gern.«
»Dann sind wir verabredet?«
»Ja, das sind wir.«
»Ich bin dann gegen sieben Uhr bei dir. Lass das Abendessen ausfallen, ich bringe etwas für uns mit«, sagte Jonas und betrachtete sie mit einem liebevollen Blick, bevor er das Licht löschte und das Auto wieder in Bewegung setzte.
Als Mona sich dann vor ihrer Haustür von ihm verabschiedete, erschien er ihr bereits so vertraut, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, ihm erst vor zwei Tagen das erste Mal begegnet zu sein. Oben in ihrer Wohnung stand sie noch eine Weile am Fenster und schaute ins Tal hinunter. Auf einmal erinnerte sie sich daran, was ihre Mutter zu ihr gesagt hatte, als sie wissen wollte, woran sie erkennen konnte, ob sie sich in den richtigen Mann verliebt hatte.
»Es wird sein, als hättest du schon immer auf ihn gewartet, als sei er der vertrauteste Mensch für dich, du wirst dir wünschen, jede Minute mit ihm verbringen zu können, und wenn er nicht bei dir ist, dann wird die Sehnsucht so groß sein, dass es wehtut.«
Genauso empfinde ich gerade, dachte Mona und sie fragte sich, ob es ihm wohl auch so erging.
*
Monas erste Kundin am nächsten Morgen war Anna Bergmann. Die junge Hebamme, die sich vor einigen Jahren im Dorf niedergelassen hatte, war überhaupt ihre erste Kundin in Simones Kosmetiksalon gewesen. Sie hatten sich von Anfang an gut verstanden.
»Was darf ich heute für dich tun?«, fragte Mona, als Anna es sich auf der Liege mit dem leicht angestellten Rückenteil bequem machte.
Anna hatte langes braunes Haar, grüne Augen und eine wundervolle Haut, die eigentlich jede Kosmetik überflüssig machte, trotzdem kam sie regelmäßig in den Salon, weil sie dort so wundervoll entspannen konnte, wie sie Mona versicherte.
»Eine Kräutermaske könntest du mir auflegen, und während sie einwirkt, wäre eine Pediküre schön«, sagte Anna, was sie sich wünschte.
»Sehr gern.« Mona holte ein Gläschen, in das gerade so viel von der goldgelben Paste hineinpasste, wie sie für eine Maske brauchte.
»Du siehst verändert aus«, stellte Anna fest, als Mona sich feine weiße Handschuhe überstreifte, bevor sie ihr Gesicht zur Vorbereitung auf die Maske mit einem duftenden Gesichtswasser reinigte.
»Was meinst du mit verändert?«
»Ja, was meine ich damit?« Anna gab sich nachdenklich und betrachtete Mona, die in weißer Jeans und blauem kurzärmeligen Pullover auf einem Drehstuhl saß und die Flasche mit dem Gesichtswasser in der Hand hielt. »Ich denke, es ist das Leuchten in deinen Augen. Ich frage mich, wer wohl dafür verantwortlich ist.«
»Wer?« Mona gab sich unwissend, stellte das Gesichtswasser in das Rollkörbchen, das neben ihr stand, und nahm das Glas mit der Maske in die Hand.
»Mona, bitte, sag schon, wer ist es?«
»Guten Morgen, zusammen!«
»Emilia, was machst du denn hier?«, fragte Anna, als das Mädchen mit einer grünen Glasflasche im Arm hereinkam.
Da sie und Mona an diesem Morgen noch allein waren, waren die spanischen Wände zwischen den Stühlen noch nicht aufgeklappt und sie konnten den ganzen Raum überblicken.
»Keine Sorge, ich habe erst zur zweiten Stunde Unterricht, ich bin noch gut in der Zeit. Markus wartet draußen, wir fahren heute mit seinem Moped zur Schule.«
»Mit Helm, hoffe ich.«
»Ja klar, Papa hat ihn mir selbst in die Hand gedrückt, als Markus mich abgeholt hat«, antwortete Emilia mit einem verschmitzten Lächeln. »Traudel meinte, ich soll das hier abgeben«, sagte sie und stellte die Flasche auf dem Sideboard ab.
»Was ist das?«, fragte Mona und schaute auf die mit einem Korken verschlossene Flasche.
»Traudels Neun-Kräuter-Trank für Simone.«
»Danke, dass du den Trank vorbeigebracht hast.«
»Kein Problem. Traudel hat erzählt, dass Sie jetzt auch bei Jonas Kastner Ihre Kräuter einkaufen.«
»Stimmt, das mache ich.«
»Haben Sie die bittere Eleonore schon kennengelernt?«
»Ich hatte gestern das Vergnügen.«
»Vergnügen? Das ist wohl eher eine Strafe. Okay, ich muss weiter, bis dann.« Emilia warf ihr Haar zurück, stopfte die rote Bluse in ihre Jeans und eilte wieder davon.
»Ich wusste gar nicht, dass du Emilia kennst«, wunderte sich Anna, nachdem das Mädchen gegangen war.
»Als ich vorgestern vor dem Haus der Seefelds ein paar Worte mit Traudel Bruckner sprach, kamen sie und ihr Vater zufällig dazu. Sebastian Seefeld ist wirklich beeindruckend.«
»Ich weiß«, seufzte Anna.
»Und du hast ganz offensichtlich ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu seiner Tochter, sonst hätte sie auf deine Frage nach dem Helm sicher mit einer pampigen Teenagerantwort reagiert«, stellte Mona fest.
»Wir kommen gut miteinander aus.« Anna richtete sich ein wenig auf, um dem Moped nachzuschauen, das über den Parkplatz des Hotels auf die Straße rollte. Emilia saß auf dem Sozius und trug genau wie der groß gewachsene schmale Junge, der das Moped steuerte, einen knallroten Helm.
»Und du sorgst dich um sie.«
»Tue ich das?«
»Ja, das tust du«, antwortete Mona lachend.
»Ich denke, ich weiß jetzt, wer für deine Veränderung verantwortlich ist. Es ist Jonas«, sagte Anna und lehnte sich wieder zurück.
»Jonas?«
»Mona, gib es zu.«
»Also gut, ich treffe mich heute Abend mit ihm.«
»Dann wünsche ich dir einen wunderschönen Abend.«
»Ich begleite ihn zu seiner Obstwiese.«
»Das klingt romantisch.«
»Findest du?«
»Wenn du erst einmal dort bist, wirst du das auch so sehen. Wo ist eigentlich Simone, sie ist doch sonst immer schon vor dir da?«, fragte Anna.
»Sie hat einen Termin bei ihrer Schneiderin, sie ist ganz verrückt mit diesem Trachtenumzug und lässt sich extra ein neues Dirndl anfertigen.«
»Da ist sie sicher nicht die einzige.«
»Gehen denn alle an diesem Tag im Dirndl?«
»Die meisten, schon wegen der Wahl zur Dirndlkönigin.«
»Simone hat mir erklärt, dass die amtierende Dirndlkönigin und ihre Vorgängerinnen, die noch in Bergmoosbach leben, die nächste Königin ernennen. Simone meint, sie hätte in diesem Jahr gute Chancen. Ich glaube, sie nimmt diesen Wettbewerb sehr wichtig, weil dieser Titel eine Elfe der Schönheit, wie sie sich so gern nennt, noch aufwertet.«
»Da Miriam Holzer die amtierende Königin ist und Simone und sie befreundet sind, hat sie natürlich Chancen.«
»Wenn Miriam hier ist, wird ihr jeder Wunsch von den Augen abgelesen, es gibt Champagner, edles Konfekt, und nur die teuersten Produkte kommen mit ihrer Haut in Berührung.«
»So richtig sympathisch scheint dir Miriam nicht zu sein.«
»Stimmt«, antwortete Mona.
»Miri spielt sich gern in den Mittelpunkt, aber das bin ich gewohnt. Ich sehe es ihr nach. So hat Ines, Miriams Cousine, sie immer verteidigt, wenn Miriam sich daneben benommen hat.«
»Die Ines, die jetzt mit dem Galeristen von Sebastian Seefelds verstorbener Frau in Kanada lebt?«
»Die beiden sind gerade an den Niagara-Fällen, und Ines findet es wundervoll dort, obwohl sie sich vor tiefen Gewässern immer gefürchtet hat.«
»Die Liebe ist eben eine ganz besondere Medizin.«
»Ich weiß«, sagte Anna und schaute auf das Haus, das unterhalb des Hotels am Ortsrand stand, das Haus, in dem Sebastian wohnte.
»Schließe die Augen«, bat Mona, als sie die Kräutermaske auf Annas Gesicht auftrug. »Träume ein bisschen«, fügte sie leise hinzu, weil sie wusste, an wen Anna gerade gedacht hatte.
*
Kurz vor sieben Uhr verließ Mona ihre Wohnung. Sie wollte unten vor dem Haus auf Jonas warten, damit sie sich gleich auf den Weg machen konnten. Für den Ausflug zur Obstwiese trug sie Jeans, eine langärmelige weiße Bluse und bequeme Halbschuhe. Als sie aus dem Haus kam, lief Jonas gerade die Steintreppe zum Eingang hinauf. Auch er trug Jeans und dazu einen langärmeligen Pullover, sie war also für ihre gemeinsame Unternehmung passend gekleidet.
»Ich freue mich, dass du es dir nicht anders überlegt hast«, sagte er, nachdem er sie mit einer kurzen Umarmung begrüßt hatte.
»Warum sollte ich das denn tun?«, fragte sie erstaunt, während sie zu seinem Wagen gingen.
»Weil ich so etwas schon häufiger erlebt habe. Die meisten Frauen interessieren sich nicht wirklich für Obstwiesen. Obwohl, sie interessieren sich auch nicht für die Geburt eines Kälbchens und helfend eingreifen könnten sie schon gar nicht.« Er war noch immer beeindruckt von dem, was sie am Abend zuvor getan hatte. Selbst Eleonore konnte nicht so gnadenlos gegen sie wettern, wie sie es sonst immer tat, wenn sie glaubte, er interessiere sich für eine Frau. Ihr Standardspruch – Sie taugt nicht für einen Hof, also lass es lieber gleich sein – funktionierte nicht für Mona.
»Wie gesagt, ich war immer gern auf dem Hof meiner Großeltern. Das Leben auf einem Hof weckt meine schönsten Kindheitserinnerungen.«
»Dann sollten wir uns anstrengen, dass du diesen Erinnerungen aus der Kindheit schöne Erlebnisse aus der Gegenwart hinzufügen kannst.«
»Es wäre mir sehr angenehm«, erwiderte sie lächelnd, während er ihr die Beifahrertür seines Wagens aufhielt.
Ein paar Minuten später waren sie wieder unten im Dorf, fuhren auf der Hauptstraße bis zum Ortsausgang und bogen hinter dem Sägewerk in einen Waldweg ein. Als der Wald sich wieder öffnete, schauten sie auf wogende Weizenfelder, die kein Ende zu nehmen schienen. Obstwiesen konnte Mona noch nirgendwo sehen, vermutlich lagen sie zwischen den Feldern und würden gleich auftauchen.
»Es dauert noch ein bisschen, bis wir dort sind«, sagte Jonas.
»Dann sind die Wiesen aber ziemlich weit vom Hof entfernt.«
»Sie gehörten ursprünglich einem anderen Zweig unserer Familie. Als es dort keine Nachkommen mehr gab, fielen sie an uns. Ich würde sie allein wegen ihrer Lage nie hergeben.«
Jetzt verstehe ich, was Anna gemeint hat, als sie sagte, dass mich ein romantischer Ort erwartet, dachte Mona, nachdem sie am Ende der Felder einen Hügel hinaufgefahren waren.
Der Bach, der oben in den Bergen entsprang, wand sich in sanften Bögen durch die Obstwiese und nutzte die Wölbungen im Hang als Kaskaden, über die das Wasser seinen Weg ins Tal suchte. Jonas parkte den Wagen oberhalb der Wiese neben der Holzhütte, die als Unterschlupf bei Regen und Unwettern diente.
»Es ist wunderschön hier«, sagte Mona, als Jonas sie wenig später durch die weiten Reihen mit den prächtigen Apfelbäumen links und rechts des Baches führte.
»Du müsstest die Wiese erst einmal zur Kirschbaumblüte sehen«, entgegnete er und schaute auf die in diesem Jahr bereits abgeernteten Bäume, die sich zwischen den Apfelbäumen erhoben.
»Ich könnte im nächsten Frühjahr herkommen und es erleben.«
»Ja, das könntest du tun«, antwortete er lächelnd. »Möchtest du probieren?« Er pflückte einen roten Apfel und teilte ihn mit einem Taschenmesser in zwei Hälften.
»Danke«, sagte sie, als er ihr die eine Hälfte reichte. »Er schmeckt köstlich, süß und saftig«, lobte sie die Frucht, nachdem sie sie gekostet hatte.
»Ich werde dir nach der Ernte eine Kiste von den roten bringen, wenn du möchtest.«
»Ja, unbedingt, und ich lade dich dann zu Apfelküchle mit Vanillesoße ein. Vorausgesetzt, du magst Apfelküchle.«
»Sehr gern sogar. Jetzt muss ich dich aber erst einmal von meinem Abendessen überzeugen.«
»Das klappt schon«, antwortete sie lachend, als sie zu der Bank hinaufgingen, die vor der Schutzhütte zwischen zwei Apfelbäumen stand.
»Mit Selbstgemachtem kann ich dich heute aber leider nicht beeindrucken. Ich habe es nur bis zur Feinkosttheke in unserem Lebensmittelladen und zum Bäcker geschafft«, sagte Jonas, nachdem er den Weidenkorb mit dem Abendessen aus dem Auto geholt hatte und ein weißes Tuch zwischen ihnen auf der Bank ausbreitete.
»Ich finde, du hast sehr gut eingekauft.« Mona schaute auf die Schälchen mit verschiedenen Salaten, die er neben kleinen Buletten und dunklem Brot aus dem Korb nahm.
»Das nächste Mal koche ich etwas für uns.«
»Nach meinen Apfelküchle oder noch vorher?«
»Wir könnten es verbinden, die Apfelküchle gibt es zum Nachtisch.«
»Das klingt verlockend.«
»Sogar sehr verlockend«, sagte er und fing ihren Blick auf.
»Ich werde von den Salaten versuchen«, erklärte Mona, weil sie das Gefühl hatte, in seinen Augen zu versinken und gleich nur noch ihn wahrnehmen würde.
»Kartoffelsalat, Eiersalat, Krautsalat und Nudelsalat, lass es dir schmecken«, sagte Jonas und nahm die Deckel von den Schälchen herunter. »Was möchtest du trinken? Apfelsaft, Birnensaft oder Wasser?«
»Apfelsaft mit Wasser.«
»Gute Wahl.«
»Kommst du auch manchmal einfach nur so hierher? Ich meine, wenn eigentlich gar nichts zu tun ist?«, wollte Mona wissen.
»Ja, das tue ich, weil die Wiese der richtige Ort ist, um eine Weile loszulassen. Aber jetzt erzähle mir etwas über dich, von mir weißt du inzwischen ja schon einiges. Du sagtest, du warst oft bei deinen Großeltern, das heißt, du hast nicht bei ihnen gewohnt?«
»Ich bin in Augsburg aufgewachsen«, sagte sie und erzählte ihm von ihrer glücklichen Kindheit in einer behüteten Familie, ihrer Ausbildung zur Arzthelferin und der Zeit in der Praxis eines Hautarztes, die sie dazu brachte, ihren Beruf zu wechseln. »Als mir eines Tages klar wurde, dass mein Chef weniger an der Medizin interessiert war, dafür umso mehr an vollkommen sinnlosen Schönheitsoperationen, die ihm aber eine Menge Geld einbrachten, entwickelte ich so eine Art Trotzhaltung. Ich dachte, ich muss etwas tun, um Frauen klar zu machen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, sich schön zu fühlen. Schönheitsoperationen sind ein Segen, wenn jemand wirklich unter seinem Aussehen leidet, durch eine Krankheit oder einen Unfall darauf angewiesen ist. Alle anderen, die nur einem Schönheitsideal hinterherhetzen, setzen sich unnötig einem Operationsrisiko aus.«
»Meine Schwester hatte auch schon die Idee, sich unters Messer zu legen, weil der Mann, in den sie sich verliebt hatte, sie dazu überredete. Ich habe ihr damals gesagt, dass es mit der Liebe nicht weit her sein kann, wenn er das von ihr verlangt.«
»Hat sie auf dich gehört?«
»Ich konnte sie überzeugen, der Mann ist gegangen. Seitdem glaubt sie nicht mehr an die Liebe.«
»Das tut mir leid.« Zumindest war das eine Erklärung dafür, dass Eleonore so verbittert in die Welt schaute. »Ich wünsche ihr von Herzen, dass irgendwann der Richtige kommt, der sie wirklich gern hat. Obwohl …«
»Was?«, fragte Jonas, als Mona innehielt.
»Sie könnte auch ohne Operation viel hübscher aussehen. Sie müsste sich nur ein bisschen Mühe geben und ein paar Ratschläge annehmen.«
»Ich glaube, sie will niemandem mehr gefallen. Deshalb trägt sie auch dieses Ungetüm von Brille und tut so, als sei sie ohne diese Brille beinahe blind. Dabei ist es nur Fensterglas, das habe ich längst herausgefunden, aber ich will sie nicht bloßstellen, deshalb behalte ich es für mich.«
»Ich werde dich nicht verraten«, versicherte ihm Mona, während sie ihm half, die Reste ihres Picknicks wieder in den Korb zu räumen.
»Das ist ja noch nicht alles, da sind auch ihre ständigen Arztbesuche. Jede Woche ist es etwas anderes. Morgen früh lässt sie sich mal wieder Blut abnehmen, so wie alle drei Monate, obwohl Sebastian ihr jedes Mal versichert, dass mit ihr alles in Ordnung ist.«
»Es soll einige im Dorf geben, die öfter als notwendig seine Sprechstunden besuchen.«
»Dieses Phänomen ist mir bekannt«, antwortete Jonas lachend, »aber ich denke, Eleonore geht nicht zu ihm, weil sie ihn anhimmelt. Ich glaube, sie will damit kundtun, wie sehr sie sich für unseren Hof aufopfert, dass sie alles gibt, bis zur totalen Erschöpfung. Manchmal habe ich schon den Eindruck, als seien wir ein altes Ehepaar, das gemeinsam auf seinem Hof lebt und sich gegenseitig das Leben schwer macht.«
»Muss deine Schwester denn so hart arbeiten?«
»Nein, das muss sie nicht. Wir haben gute Leute, die in Bergmoosbach zu Hause sind und während der Ernte für uns arbeiten. Ich könnte auch jemanden zu Elos Unterstützung im Haus und im Garten einstellen, aber sie will keine Fremden auf dem Hof haben.« Jonas hielt inne und schaute an den Horizont.
Mona folgte seinem Blick und war wie immer gebannt von dem beeindruckenden Schauspiel des späten Abends, wie die Sonne allmählich hinter den Bergen verschwand, die Gipfel in orangerotes Licht tauchte, bis schließlich die Nacht heraufzog.
»Es tut mir leid«, sagte Jonas, als er sich Mona nach einer Weile wieder zuwandte.
»Was tut dir leid?«, fragte sie überrascht.
»Dass ich dich mit meinen Sorgen überfallen habe. Ich habe noch nie jemandem erzählt, dass mich Elos Verhalten belastet. Ich habe keine Ahnung, warum mir das eben passiert ist.«
»Es muss dir nicht leid tun.«
»Vorhin habe ich aber gesagt, dass ich hierher komme, um alle Sorgen loszulassen, stattdessen krame ich sie heute hervor.«
»Manchmal muss man sich jemandem anvertrauen. Wenn wir unsere Sorgen aussprechen, dann wiegen sie nicht mehr so schwer, weil der andere sie in diesem Moment mitträgt. Das gibt uns die Möglichkeit, wieder klarer zu denken.«
»Das klingt, als hättest du viel Erfahrung mit dem Zuhören.«
»Oh, ja, die habe ich, meine Kundinnen sind während ihrer Behandlungen meistens sehr entspannt, viele geraten dann ins Plaudern. Aber sag, gehört der Hof eigentlich dir und deiner Schwester zu gleichen Teilen?«
»Nein, unsere Eltern waren da noch ganz traditionell, der Sohn erbt den Hof, die Schwester erhält ein lebenslanges Wohnrecht, für den Fall, dass sie nicht auf einen anderen Hof einheiratet.«
»Das ist allerdings traditionell.«
»Ich weiß, und ich erwarte auch nicht, dass Elo sich nach einem reichen Bauern als Heiratskandidaten umsieht. Sie könnte auch einen armen Schlucker heiraten, wenn sie ihn liebt, und mit ihm auf dem Hof leben.«
»Und wie sieht es bei dir aus? Denkst du denn ans Heiraten?«, fragte Mona, und ihr Herz klopfte schneller, weil sie sich ein wenig vor seiner Antwort fürchtete.
»Ich habe im Moment keine Hochzeitspläne.«
»Du hast noch nicht die Richtige getroffen?«
»Keine Ahnung, woran erkennt man die Richtige?«
»Es wird sein, als hättest du schon immer auf sie gewartet, als sei sie der vertrauteste Mensch für dich, du wirst dir wünschen, jede Minute mit ihr verbringen zu können, und wenn sie nicht bei dir ist, dann wird die Sehnsucht so groß sein, dass sie wehtut, so hat es meine Mutter mir erklärt, als ich ihr vor vielen Jahren diese Frage stellte. Nur mit dem Unterschied, dass es dabei nicht um die Richtige, sondern um den Richtigen ging.«
»Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als du zu uns auf den Hof kamst, von deinem Fahrrad stiegst und mich anschautest, da habe ich genauso empfunden. Es war, als hätte ich schon immer auf dich gewartet, und nun warst du endlich da. Du warst mir so vertraut, deshalb dachte ich auch, wir wären uns schon einmal begegnet.«
»Du warst mir auch gleich vertraut«, gab sie leise zu.
»Was fangen wir beide jetzt mit diesen Geständnissen an?«, fragte Jonas und betrachtete sie zärtlich.
»Vielleicht sollten wir uns erst einmal kennenlernen.«
»Das sollten wir tun, und damit du mich bis morgen nicht vergisst, möchte ich dir noch etwas schenken«, sagte Jonas und lief ein Stück die Wiese hinunter.
Da es inzwischen dunkel war und der Mond sich hinter einer Wolke versteckte, konnte sie ihn nur als Schatten zwischen den Bäumen erkennen. Ihn auf diese Weise zu beobachten, seine Bewegungen zu erahnen, das war ein aufregendes Gefühl.
»Das ist der schönste Apfel, den ich finden konnte«, sagte er, als er zurückkam. Er setzte sich wieder neben sie und legte ihr den Apfel behutsam in die Hand. »Denke an mich, wenn du ihn isst.«
»Das werde ich tun«, entgegnete sie, und als die Wolke weiterzog, den Mond freigab und sein Licht auf die Wiese fiel, war dieses Licht so hell, dass es sich in Jonas‘ Augen wiederspiegelte.
»Vielleicht werde ich heute Nacht von dir träumen«, sagte er.
»Wenn ich eine Fee wäre, würde ich dafür sorgen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.«
»Ich glaube, du kannst es möglich machen.« Behutsam legte er seinen Arm um sie und streichelte über ihren Nacken.
»Wollten wir uns nicht erst kennenlernen?«
»Möchtest du, dass ich dich wieder loslasse?«
»Nein, das möchte ich nicht«, sagte sie, weil es sich wundervoll anfühlte, von ihm berührt zu werden. Ihr Atem wurde schwerer, als er sie zärtlich an sich zog und sie das Verlangen in seinen Augen sah. Ein Kuss, und es würde um sie vollends geschehen sein. Als ihre Lippen sich dann zu diesem ersten Kuss fanden, fühlte sie sich wie von einer Wolke des Glücks umhüllt und wünschte sich, dieses Gefühl würde ewig andauern.
Bald aber zog ein kühler Wind von den Bergen herüber, und da es schon recht spät war und sie beide am Morgen früh aufstehen mussten, wurde es Zeit aufzubrechen. Als sie sich schließlich vor Monas Haustür voneinander verabschiedeten, versprachen sie sich, dass sie sich gleich am nächsten Tag wiedersehen würden. So lange musste ihre Sehnsucht warten.
*
»O nein!«, rief Mona erschrocken, als sie am Morgen aufwachte und auf den Wecker schaute, der auf dem Tisch neben dem Schlafsofa stand.
Sie hätte vor einer halben Stunde aufstehen müssen. Offensichtlich hatte sie den Wecker im Halbschlaf ausgeschaltet, als er zuvor geklingelt hatte. Sie sprang aus dem Bett, eilte unter die Dusche, schlüpfte in ihre weiße Jeans und das gelbweiß gestreifte T-Shirt mit den kurzen Ärmeln und dem runden Ausschnitt. Lidstrich, ein bisschen Wimperntusche, noch schnell die Haar gebürstet, zu mehr reichte die Zeit nicht mehr. Den Apfel aber, den Jonas ihr am Abend geschenkt hatte, den aß sie auf ihrem Weg zum Hotel, und in diesem Moment war ihr Jonas wieder ganz nah.
»Was ist denn los?«, fragte sie verwundert, als sie den Kosmetiksalon im Hotel Sonnenblick betrat und Simone völlig aufgelöst hinter dem Empfangstresen stand.
»So etwas ist mir noch nie passiert«, jammerte Simone und zupfte aufgeregt an dem obersten Knopf der Knopfleiste ihres roten Kleides. Das hochgesteckte blonde Haar hatte sich zum Teil aus der Spange gelöst und hing ihr wirr im Gesicht.
»Was ist dir denn passiert?«, wollte Mona wissen.
»Ich habe gerade eine Kundin mit unserem Gesichtswasser behandelt, nun ist ihre Haut mit roten Flecken übersät.«
»Eine Allergie?«
»Ich denke schon, ich muss Doktor Seefeld anrufen und ihn fragen, was ich tun soll.«
»Wäre es nicht besser, die Dame zu ihm zu schicken?«
»Schon, aber sie weigert sich, so auf die Straße zu gehen.«
»Allerdings weigere ich mich«, sagte die Frau in dem hellen Kostüm, die aus dem Behandlungsraum kam und sich ein weißes Frotteehandtuch so vor das Gesicht hielt, dass nur ihre Augen zu sehen waren.
»Es tut mir wirklich sehr leid, Frau Winter«, entschuldigte sich Simone erneut, »aber ich konnte nicht ahnen, dass Sie auf das Gesichtswasser allergisch reagieren.«
»Und ich konnte nicht ahnen, dass Sie hier derart aggressive Mittel verwenden. Ich gehe regelmäßig zu meiner Kosmetikerin in München, so etwas ist da noch nie vorgekommen. Mein Mann und ich wollten heute Abend unseren fünfundzwanzigsten Hochzeitstag feiern, und nun das«, stöhnte sie und sah Simone mit blitzenden Augen an.
»Ich habe eine Idee.« Mona öffnete den Schrank, in dem sie die Hüte aufbewahrten, die sich modebewusste Damen hin und wieder bei Simone ausliehen. Einer davon, ein weißer Strohhut mit einem roten Band, hatte einen weißen Gazeschleier, hinter dem Frau Winter ihr Gesicht verbergen konnte. »Wenn Sie den aufsetzen, wird niemand etwas bemerken«, sagte sie und zeigte Frau Winter den Hut.
»Wer sind Sie?«, fragte Frau Winter, nachdem sie den Hut begutachtet hatte.
»Das ist meine Kollegin Frau Wagner«, stellte Simone Mona vor.
»Und Sie würden mich zu diesem Arzt fahren?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Nimm meinen Wagen«, sagte Simone und gab Mona ihren Autoschlüssel.
»Nun gut, dann machen wir es so«, erklärte sich Frau Winter einverstanden und legte das Handtuch auf den Tresen.
»Ich helfe Ihnen«, sagte Mona, setzte ihr den Hut vorsichtig auf die kurzen dunklen Locken und zog ihr den Schleier vor das Gesicht. Das sieht wirklich schlimm aus, dachte sie, als sie die vielen roten Flecken sah, die Frau Winters Haut entstellten. Hier konnte nur noch ein Wunder helfen.
»Freilich schaut der Herr Doktor sich das an. Nehmen Sie im Wartezimmer Platz«, bat Gerti Fechner, Sebastians Sprechstundenhilfe, nachdem Frau Winter den Schleier ihres Hutes ein wenig gelüftet hatte. »Da wird sich schon etwas finden, das ein bissel Erleichterung bringt«, versicherte sie der Unglücklichen.
Gerti, die schon seit über dreißig Jahren in der Praxis Seefeld angestellt war, stand hinter ihrem Tresen und nickte Frau Winter aufmunternd zu, dabei versprühte die kleine rundliche Frau in dem strahlend weißen Kittel so viel Zuversicht, dass es Frau Winter gleich ein wenig besser ging.
»Einen schönen guten Morgen wünsch ich.«
»Guten Morgen, Eleonore«, begrüßte Gerti Jonas’ Schwester, die im Sturmschritt hereinkam. Sie hatte ihr blondes strähniges Haar mit einem Stück Kordel zusammengebunden und trug Gummistiefeln zu ihrer bunten Kittelschürze.
»Was ist Ihnen denn passiert?«, fragte Eleonore, die noch einen Blick auf Frau Winters Gesicht hatte werfen können, bevor sie es wieder hinter dem Schleier verbarg.
»Aggressives Gesichtswasser«, antwortete Frau Winter.
»Da schau an, die Frau Wagner, war das Ihr Werk?«, wandte sich Eleonore mit frohlockendem Blick Mona zu.
»Guten Morgen, Frau Kastner, nein, das war nicht mein Werk«, antwortete Mona höflich, während Frau Winter ins Wartezimmer ging.
»Wie auch immer, geht’s dann gleich los, Gerti? Ich muss so schnell wie möglich wieder zurück zum Hof«, erklärte Eleonore der Sprechstundenhilfe.
»Nur Blut abnehmen, oder willst du auch zum Doktor?«
»Zum Doktor müsst ich auch, das Kreuz, weißt, es schmerzt halt alleweil recht stark.« Eleonore stöhnte und fasste sich an das Steißbein.
»Wenn du zum Doktor willst, dann musst dich aber nachher noch ein bissel gedulden. Zur Blutabnahme da entlang, ich komme gleich«, sagte Gerti und deutete auf die Tür in der Mitte des Ganges, die zu einem Behandlungsraum führte.
»Diese arme Frau hat es ja böse erwischt. Ich denke, ich werde es mit Traudel halten und mich auf Ihre Kräutermasken und die Naturkosmetik verlassen, Frau Wagner«, sagte Gerti.
»Auch Kräuter können Allergien auslösen, deshalb muss ich mich absolut auf meinen Lieferanten verlassen, dass er nicht aus Versehen irgendein Unkraut unter meine Bestellung mischt.«
»Wo holen Sie Ihre Kräuter denn?«
»Auf dem Kastnerhof.«
»Dann müssen Sie sich darum keine Sorgen machen, auf die Kastners ist Verlass.«
»Ich weiß«, antwortete Mona mit einem verträumten Blick.
»Jonas kann eine junge Frau recht beeindrucken, nicht wahr?« Gerti streichelte Mona lächelnd über den Arm.
»Stimmt, das kann er«, gab Mona unumwunden zu. »Würden Sie Frau Winter bitte ausrichten, dass ich draußen auf sie warte?«
»Das mache ich, und ich werde Doktor Seefeld Bescheid sagen, dass er sie bald aufruft und sie ein bisschen beruhigt.« Gerti hatte beschlossen, Frau Winter als Notfall zu behandeln; je schneller sie Hilfe bekam, umso schneller würde sich ihr Ärger legen.
»Danke, Frau Fechner«, sagte Mona und ging hinaus in den Hof.
»Ich könnte mir vorstellen, dass das Madl seinerseits unseren Jonas durchaus auch beeindrucken könnte«, sagte Gerti leise, während sie Mona nachschaute.
»Das mit dem Beeindrucken wird hoffentlich bald wieder vorbei sein«, murmelte Eleonore, die auf einer Liege saß und ihren rechten Arm freigemacht hatte. Sie hatte die Unterhaltung zwischen Mona und Gerti verfolgt, und es hatte sich für sie nichts verändert. Es gefiel ihr nicht, dass diese Frau sich derart von Jonas angezogen fühlte und ihm den Kopf verdrehte.
»Ich glaube, ich könnte mich in Mona verlieben«, hatte er ihr heute beim Frühstück gestanden, und das hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. So etwas hatte er schon lange nicht mehr gesagt oder vielleicht hatte er es sogar noch nie gesagt. Auf jeden Fall nahm diese Sache keine gute Entwicklung, und sie musste wachsam sein. Eine Frau, die mehr Einfluss auf Jonas hatte als sie selbst, das würde ihren Stand auf dem Hof gefährden, und am Ende musste sie ihn dann noch verlassen. Eleonore lief es bei dieser Vorstellung eiskalt den Rücken herunter.
»Brütest du eine Gemeinheit aus?«, erkundigte sich Gerti, als sie in das Zimmer kam und Eleonore mit zusammengekniffenen Augen vor sich her starrte.
»Ich? Was sollt ich denn ausbrüten? Ich hab überhaupt keine Zeit, was auszubrüten.«
»Wenn du dir ein bissel mehr Zeit für dich selbst nehmen würdest, dann ging es dir gleich viel besser, und du müsstest nicht so oft zu uns kommen.«
»Bin ich dem Herrn Doktor etwa lästig?«, fragte Eleonore entrüstet.
»Niemand ist lästig. Wer hierher kommt, hat auch einen Grund«, sagte Gerti und legte die Spritze zurecht, mit der sie Eleonore Blut abnehmen wollte. Und wenn es die Sehnsucht nach einer Krankheit ist, die jemand hertreibt, dann ist das auch eine Krankheit, die aber leider schwer zu heilen ist, dachte sie und streifte Eleonore mit einem mitleidigen Blick.
Mona setzte sich auf die Bank unter der alten Ulme, die im Hof vor der Praxis stand. Sie schaute auf die Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln und dachte darüber nach, wie sie es anstellen konnte, sich mit Jonas‘ Schwester anzufreunden. Wenn sie sich von nun an öfter sehen würden, dann blieb es nicht aus, dass sie auch ab und zu auf Eleonore traf. Trotzdem war sie froh, dass Frau Winter schließlich zuerst aus der Praxis kam und sie Eleonore für heute erst einmal aus dem Weg gehen konnte.
»Ein feiner Mensch, der Herr Doktor Seefeld«, sagte Frau Winter, als sie und Mona wieder in das kleine rote Auto stiegen, das Simone gehörte.
»Konnte er Ihnen helfen?«, fragte Mona freundlich.
»Er hat mir eine Salbe gegeben, und er meinte, bis heute Abend sollte die Rötung so weit zurückgegangen sein, dass sie unter einem guten Make-up nicht mehr zu erkennen sei. Er war so freundlich und hat mir aufgeschrieben, welche Zusatzstoffe ich meiden soll«, sagte Frau Winter und zeigte Mona den Zettel.
»Wir werden ein Make-up auf Naturbasis benutzen, darin sind diese Stoffe nicht enthalten. Wussten Sie denn von Ihrer Allergie?«, erkundigte sich Mona vorsichtig, weil sie ihre Kundinnen vor einer Behandlung immer nach Unverträglichkeiten fragte und sie wusste, dass Simone das auch tat.
»Wie gesagt, meine Kosmetikerin zu Hause benutzt dieses aggressive Zeug nicht, deshalb hatte ich keine Ahnung, wie ich darauf reagieren würde. Allerdings meinte Doktor Seefeld, dass Allergien auch ganz plötzlich auftreten können«, fügte sie ein wenig kleinlauter hinzu.
»Bedauerlicherweise ist das so.«
»Wegen des Make-ups verlasse ich mich auf Sie. Ich möchte nicht noch einmal Gefahr laufen, einen Arzt aufsuchen zu müssen.«
»Ich versichere Ihnen, dass bisher noch keine meiner Kundinnen einen Arzt aufsuchen musste«, sagte Mona und vereinbarte für den Nachmittag einen Termin mit Frau Winter.
»Eine Schande ist das«, seufzte Eleonore, die auf dem Stuhl gegenüber Sebastians Schreibtisch saß und auf die schöne alte Vitrine schaute, in der die alten Medizinbücher standen, die Sebastians Vater auf Flohmärkten entdeckt hatte und sorgfältig aufbewahrte.
»Was meinen Sie, Frau Kastner?« Sebastian sah Eleonore aufmerksam an. Auch heute hatte er ihr nur versichern können, dass ihr nichts fehlte, und er fragte sich, warum sie offensichtlich darauf hoffte, dass er ihr endlich eine Krankheit verkündete, an der sie litt.
»Ich spreche davon, dass sich irgendwelche Laien erdreisten, anderen zu versprechen, dass sie durch ihre Behandlungen von einem hässlichen Entlein zum schönen Schwan werden und dabei so stümperhaft vorgehen, dass ihre gutgläubigen Kundinnen zu Schaden kommen.«
»Ehrlich gesagt, so große Versprechungen machen nur die wenigsten. Die meisten bieten ihren Kundinnen nur ein Wohlfühlprogramm an. Vielleicht sollten Sie es einmal ausprobieren.«
»Danke, nein, für solch einen Unsinn gebe ich sicher kein Geld aus. Ich wundere mich doch sehr, dass Sie mir so etwas empfehlen, nachdem sie gerade ein Opfer dieses Geschäftszweiges behandeln mussten«, entgegnete Eleonore und sah den jungen Arzt in dem weißen Poloshirt verblüfft an.
»Wenn Sie so wenig Vertrauen in diese Dinge haben, dann sollten Sie sie wirklich besser meiden. Also dann, bis zum nächsten Mal, Frau Kastner, passen Sie auf sich auf.« Sebastian erhob sich, ging zur Tür des Sprechzimmers und zog sie auf. Er bemühte sich immer, jedem Patienten genügend Aufmerksamkeit zu schenken, aber Eleonore hatte sie inzwischen ausgereizt, und er wollte sich ihre ungerechtfertigte Hetze gegen den Kosmetiksalon auch ungern länger anhören.
»Ich frage mich, warum diese Frau gar so verbiestert ist und sich derart hausbacken und ältlich gibt. Sie ist doch nur fünf Jahre älter als ihr Bruder«, stellte Gerti fest, die Sebastian einen Kaffee brachte, nachdem Eleonore gegangen war.
»Vielleicht versucht sie, trotz des geringen Altersunterschied Jonas die Mutter zu ersetzen.«
»Ich glaube kaum, dass Jonas das von ihr erwartet.«
»Nein, sicher nicht, aber sie wünscht sich, dass es so ist, weil sie keine eigene Familie hat. Sie will sich um ihn kümmern, und er soll sich um sie kümmern.«
»Deshalb die ständigen Anläufe, krank zu werden, damit er sich ihr verpflichtet fühlt?«
»Du bist eine gute Psychologin, Gerti«, lobte Sebastian seine Sprechstundenhilfe.
»Was, glaubst du, wird passieren, wenn Jonas sich irgendwann ernsthaft verliebt?«
»Dann wird eine harte Zeit auf ihn zukommen. Wenn es ihm nicht gelingt, Eleonore zu überzeugen, dass die Frau, die er liebt, ihr nichts Böses will, dann weiß ich nicht, was sie unternehmen wird. Muss er sich bereits mit diesem Problem auseinandersetzen?«, fragte Sebastian, als Gerti die Stirn runzelte.
»Möglicherweise.«
»Wer ist sie?«
»Mona Wagner.«
»Das wird nicht leicht werden, Eleonore kann Kosmetikerinnen ganz offensichtlich nicht leiden.«
»Nein, kann sie nicht.«
»Vertrauen wir mal darauf, dass Jonas es hinbekommt, und jetzt lass uns weiter machen«, sagte Sebastian und gab ihr die leere Kaffeetasse zurück.
»Ja, Chef«, antwortete Gerti lächelnd und verließ das Sprechzimmer.
*
Frau Winter war mit dem Make-up, das Mona ihr aufgelegt hatte, sehr zufrieden, und wie Sebastian gesagt hatte, ließ sich damit die Rötung der Haut gut abdecken. Simone gab Mona für den nächsten Tag frei als Dank für ihre Vermittlung und ihre Hilfe. Als Jonas Mona am Abend zu einem Spaziergang abholte, ließ er sich von ihr noch einmal Simones Missgeschick erzählen, das seine Schwester ihm bereits angedeutet hatte.
»Dann hast du also den guten Ruf des Kosmetiksalons wieder hergestellt«, erklärte Jonas, nachdem er alles gehört hatte.
»Ich hoffe es, zumindest hat Frau Winter sich wieder beruhigt.«
»Mehr kann man in diesem Fall nicht verlangen.«
Sie liefen durch den Park, der zum Hotel Sonnenblick gehörte, und setzten sich nach einer Weile auf den Rand des Springbrunnens, der umringt von Rosenbüschen auf einem weißen Kiesplatz stand.
»Deine Schwester hat sich heute Morgen nicht besonders gefreut, mich zu sehen«, sagte Mona, als Jonas sie zärtlich in den Arm nahm.
»Was meine Schwester betrifft, habe ich eine Idee. Wie wäre es, wenn du morgen am Nachmittag zu uns kommst? Wir kochen zusammen und machen auch deine Apfelküchle. Eleonore besucht morgen ihre Patentante in der Kreisstadt. Wir könnten sie mit einem Abendessen überraschen.«
»Du denkst, das würde ihr gefallen?«
»Viele Freundschaften wurden schon während eines gemeinsamen Essens geschlossen.«
»Also gut, wir können es ja versuchen«, stimmte Mona ihm zu, obwohl es ihr viel lieber gewesen wäre, in ihrer Wohnung mit ihm zusammen etwas zu kochen.
»Gut, ich werde mich um die Zutaten für das Essen kümmern. Und was machen wir jetzt? Gehen wir in der Hotelbar etwas trinken oder fahren wir in den Biergarten?«
»Ich bevorzuge den Biergarten, ich war noch nie dort. Ich möchte endlich einmal das Honigbier frisch aus dem Fass versuchen, von dem alle immer so schwärmen.«
»Also dann, fahren wir«, sagte Jonas, dem es im Biergarten ohnehin besser gefiel als in der Hotelbar.
In der Brauerei Schwartz herrschte wie jeden Abend um diese Zeit Hochbetrieb. Die Tische im Hof des roten Backsteingebäudes waren alle belegt. Die alten Laternen, die schon seit hundert Jahren das Grundstück beleuchteten, verbreiteten ein warmes gemütliches Licht.
»Kommt, setzt euch zu uns!«, rief Anna, die mit Sebastian an einem der kleinen Tische direkt neben dem Bachufer saß.
»Wir wollen euch aber nicht stören«, sagte Jonas, weil er wusste, dass die beiden sich hin und wieder im Biergarten trafen, um berufliche Dinge zu besprechen.
»Wir haben die medizinische Sprechstunde gerade beendet«, erklärte Anna lächelnd.
»Was darf es sein?«, fragte die freundliche ältere Bedienung in dem dunkelroten Dirndl, die mit den Armen voller leerer Maßkrüge an ihrem Tisch vorbeikam, nachdem Jonas und Mona dort Platz genommen hatten.
»Zwei Honigbier, Irmi«, bat Jonas.
»Sie sind doch Mona, die junge Dame, die zur Schönheitsparty ins Dorfgemeindehaus kommt«, stellte Irmi fest. »Ich hab sie in Simones Salon gesehen, als ich neulich eine Creme dort geholt hab.«
»Kommen Sie auch zur Party?«, fragte Mona.
»Aber sicher doch«, antwortete Irmi lachend und marschierte mit ihren Maßkrügen zum Bierausschank ins Brauereigebäude.
»Ich hoffe, deinem Vater geht es gut, ich habe ihn schon eine ganze Weile nicht gesehen«, wandte sich Jonas an Sebastian.
»Er ist zu einem Freund in die Toskana gefahren und nimmt dort an einem Golfturnier teil. Wie es aussieht, wird er einen der vorderen Plätze belegen.«
»Das klingt nach einer neuen Karriere.«
»Ich glaube kaum, dass er sich ganz von der Medizin abwenden wird, dazu liebt er seinen Beruf viel zu sehr.«
»Und die Bergmoosbacher lieben ihn, obwohl inzwischen sogar die Alten davon überzeugt sind, dass der Bub vom Benedikt seine Sache recht gut macht«, zitierte Jonas die ältere Generation im Dorf, die am Anfang ihre Zweifel hatte, ob Sebastian in der Lage sein würde, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.
»Der eine oder andere traut mir aber noch nicht ganz über den Weg. Einige warten stets darauf, dass mein Vater mal wieder die Sprechstunde übernimmt, und lassen sich dann meine Diagnose von ihm bestätigen«, erzählte Sebastian amüsiert.
»Aber es scheint Sie nicht zu verärgern«, stellte Mona fest und versuchte von dem Bier, das Irmi inzwischen an ihren Tisch gebracht hatte.
»Aber nein, die Leute vermissen eben ihren vertrauten Arzt. Und was die Diagnosen betrifft, die bespreche ich ohnehin mit meinem Vater, wenn ich nur den geringsten Zweifel habe. Er kennt die Menschen hier einfach besser, und die meisten Beschwerden, die uns unsere Patienten schildern, lassen sich mit einem Gespräch heilen. Sie suchen einfach nur nach Aufmerksamkeit.«
»Was auch für Elo zutrifft, nicht wahr?«, fragte Jonas, als Sebastian ihn anschaute.
»Du weißt, dass ich dir dazu eigentlich nichts sagen darf.«
»Ich bin ihr Bruder, Sebastian.«
»Deshalb weißt du auch, was sie braucht.«
»Alles klar, danke.« Offensichtlich war seine Vermutung richtig, Eleonore wollte mehr Beachtung. Dieses Essen, das er und Mona für den kommenden Abend geplant hatten, war ein erster Schritt in diese Richtung.
»Wie ist das eigentlich mit dem Make-up für das große Abendessen zum Hochzeitstag ausgegangen?«, erkundigte sich Sebastian bei Mona.
»Die Dame war zufrieden und hat sich auf das Essen mit ihrem Mann gefreut. Sie hat sich sogar freundlich von Simone verabschiedet. Was allerdings auch Ihr Verdienst ist, sie war schon versöhnlich gestimmt, als sie aus Ihrer Praxis kam, und sie hatte leuchtende Augen, als sie von Ihnen sprach.«
»Das nennt man inzwischen im Dorf das Seefeldleuchten«, erzählte Anna lächelnd.
»Mei, eine richtige Epidemie ist das geworden«, erklärte Irmi, die an ihren Tisch kam.
»Bist du auch infiziert?«, erkundigte sich Anna.
»Freilich, es ist doch eine Epidemie, die glücklich macht«, antwortete Irmi und zwinkerte Sebastian zu.
»Wollt ihr mich verlegen machen?«
»Geh, Bub, so leicht bist du doch nicht aus der Fassung zu bringen«, entgegnete Irmi lachend. »Wollt ihr noch was?«, fragte sie in die Runde.
»Für mich nur noch ein Wasser, ich bin mit dem Auto unterwegs«, sagte Jonas.
»Wir nicht«, sagten Anna und Sebastian gleichzeitig, und genau wie Mona bestellten sie sich noch ein Honigbier.
Zwei Stunden später waren Sebastian und Mona beim Du angelangt. Er und Anna nahmen Mona, die sich durch ihre Arbeit in einer hautärztlichen Praxis qualifiziert hatte, in den Bergmoosbacher Zirkel für medizinisches Fachwissen auf, den sie an diesem Abend gut gelaunt gründeten.
»Sollten die erlauchten Herrschaften einmal eine landwirtschaftliche Beratung brauchen, dann stehe ich zur Verfügung«, erklärte Jonas, als sie sich gegen Mitternacht voneinander verabschiedeten.
»Auf dieses Angebot kommen wir sicher zurück«, antwortete Anna.
»Das tun wir«, stimmte Sebastian ihr zu und wünschte den beiden viel Glück für ihr gemeinsames Abendessen mit Eleonore, von dem sie ihm und Anna erzählt hatten.
»Irmi hatte vorhin übrigens recht«, sagte Anna, als sie und Sebastian kurz nach Mona und Jonas den Biergarten verließen.
»Womit hatte sie recht?«, fragte er und blieb unter der Straßenlaterne neben dem Eingang des Biergartens stehen.
»Dass es schwer fallen dürfte, dich verlegen zu machen«, entgegnete sie und fing seinen Blick auf.
»Du scheinst es aber gerade herauszufordern. Ich meine, wenn du mich noch länger so ansiehst.«
»Wie sehe ich dich denn an?« Sie hatte Mühe, ihre eigene Verlegenheit zu verbergen, als sie in diese hellen grauen Augen schaute, die sie stets aufs Neue faszinierten.
»Du siehst mich an, als wolltest du meine tiefsten Geheimnisse erforschen«, erwiderte er und legte seinen Arm um ihre Schultern, als sie weitergingen.
»Was du aber niemals zulassen würdest.«
»Vielleicht möchte ich nicht alle auf einmal preisgeben, aber eines nach dem anderen schon«, raunte er ihr zu, hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und zog seinen Arm wieder zurück.
Sebastian, ich werde nicht schlau aus dir, dachte sie. Da waren immer wieder diese vertrauten Momente, in denen sie sich so nah waren wie gerade eben, aber genauso schnell zog Sebastian sich auch wieder zurück. Sie wusste, dass er noch keine neue Beziehung eingehen wollte, er hatte es ihr ganz offen gesagt, aber in diesen Momenten der Nähe spürte sie, dass er sich ebenso nach ihr sehnte wie sie sich nach ihm.
*
Mona hatte den Vormittag ihres freien Tages im Schwimmbad des Hotels verbracht und sich auch einen Saunagang gegönnt, danach setzte sie sich auf den Balkon und döste ein bisschen in der Sonne. Am Nachmittag zog sie ihr Lieblingskleid an, das rosafarbene mit dem weißen Muster, das an feinblättrige Farne erinnerte, es war knielang und hatte dreiviertellange Ärmel. Sie steckte ihr Haar mit einer weißen Spange am Hinterkopf fest, zupfte ein paar Strähnchen heraus, die ihren Nacken umspielten, tuschte die Wimpern und legte einen zartrosa Lippenstift auf. Als sie sich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Kastnerhof machte, war sie noch immer nicht ganz davon überzeugt, dass Eleonore sich darüber freuen würde, sie bei ihrer Rückkehr aus der Stadt in ihrer Küche anzutreffen. Andererseits kannte Jonas seine Schwester besser als jeder andere. Wenn er das Ganze für eine gute Idee hielt, dann sollte sie ihre Zweifel vergessen.
Jonas hatte schon mit den Vorbereitungen für ihr Essen begonnen, als sie auf dem Hof eintraf.
»Es gibt Spinatspätzleauflauf«, sagte er, nachdem er sie an der Tür begrüßt hatte und sie in die große Küche mit den Kiefernholzmöbeln führte.
Neben dem modernen Einbauherd stand dort auch ein alter Backofen, der mit Holz befeuert wurde, aber nur noch selten benutzt wurde, wie Jonas ihr erzählte. Auf dem großen Kiefernholztisch, der vor der rustikalen Eckbank stand, lagen Champignons, Zwiebeln, Spinat, Kopfsalat, Eier, Äpfel und goldgelber Käse, davor ein großes Holzbrett und mehrere Messer.
»Alle Zutaten stammen vom Kastnerhof, nehme ich an.«
»So ist es«, antwortete Jonas, der das hellgraue Hemd mit den kurzen Ärmeln locker über seiner Jeans trug. »Möchtest du eine Schürze?«
»Danke, ich habe mir vorsichtshalber meine eigene mitgebracht. Ich wusste ja nicht, wie viele ihr habt.«
»Auf einem Bauernhof gibt es davon immer einen reichlichen Vorrat.«
»Ja, an Kittelschürzen, die ziehe ich aber nicht an.«
»Warum nicht?«
»Weil sie grauselig aussehen.«
»Elo findet sie praktisch.«
»Möchtest du, dass ich so ein Ding anziehe?«
»Nein, auf keinen Fall«, entgegnete Jonas lachend, nahm sie in seine Arme und küsste sie.
»Womit fangen wir an?«, fragte sie ihn, als sie sich gleich darauf ihre weiße Baumwollschürze umband.
»Mit dem Spätzleteig«, schlug er vor.
»Gut, dann mach du den Teig, ich hacke den Spinat, die Zwiebeln und die Champignons.«
»Alles klar, so machen wir es«, sagte Jonas und nahm eine große Schüssel aus dem Hängeschrank neben dem Herd.
Nachdem er den Teig für die Spätzle gerührt hatte, stellte er ihn für eine Weile in den Kühlschrank, setzte sich an den Tisch und übernahm das Schneiden, damit Mona den Teig für die Apfelküchle vorbereiten konnte. Sie arbeiteten Hand in Hand, so als hätten sie schon viele Male zusammen gekocht, und sie hatten beide viel Spaß dabei. Jonas stellte sich so geschickt an, dass Mona ihn irgendwann fragte, ob er das Kochen gelernt hatte.
»Als ich noch zur Schule ging, habe ich meine Hausaufgaben am liebsten in der Küche erledigt und meiner Mutter beim Kochen zugesehen. Irgendwann wusste ich, wie all diese Gerichte zubereitet wurden, die mir immer so gut schmeckten«, sagte er und erzählte ihr, wie sehr er diese Stunden mit seiner Mutter genossen hatte, besonders in der Weihnachtszeit, wenn sie Plätzchen backte und er der erste war, der sie probieren durfte.
Als Eleonore anrief, um Jonas mitzuteilen, dass sie in einer Viertelstunde da sein würde, waren die Apfelküchle bereits fertig. Sie würden sie zum Warmhalten in den Backofen stellen, sobald sie den Auflauf herausgenommen hatten.
»Vielleicht hättest du deiner Schwester sagen sollen, was sie erwartet. Sie könnte verärgert sein, weil sie nicht auf Besuch eingerichtet ist«, sagte Mona, als sie zusammen den Tisch deckten.
»Wir überraschen sie mit ihrem Lieblingsessen, das ist kein Grund, um verärgert zu sein«, beruhigte Jonas sie, als sie verunsichert auf den Hof hinausschaute.
Trotzdem wurde Mona mulmig zumute, als sie Eleonore bald darauf auf ihrem Fahrrad, das sie am Morgen am Bahnhof abgestellt hatte, in den Hof fahren sah. Warum trägt sie so etwas?, dachte sie und schaute auf das groß geblümte Sommerkleid, das wie ein Sack an Eleonore hing.
»Was hat das zu bedeuten?«, hörte Mona sie erstaunt fragen, als Jonas ihr gleich darauf die Haustür öffnete. »Es macht gerad den Eindruck, als hättest du mich sehnsüchtig erwartet.«
»Wir haben dich erwartet, Elo.«
»Wer wir?«
»Mona und ich. Wir haben für dich gekocht, es gibt Spinatspätzle und Apfelküchle. Wir können dann auch gleich essen.«
»Ich habe aber keinen Hunger.«
»Elo, was soll das? Komm mit in die Küche«, bat Jonas.
Es geht so aus, wie ich es befürchtet habe, dachte Mona, aber ganz so einfach wollte sie es Eleonore nicht machen. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und ging zu den beiden in die Diele. »Guten Abend, Frau Kastner, es ist schön, Sie wiederzusehen. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Sie mit meinem Besuch überrascht habe, aber machen Sie uns doch die Freude und essen mit uns.«
»Wie gesagt, ich habe eigentlich keinen Hunger«, wiederholte Eleonore, doch dann fiel ihr Blick in den Spiegel, der neben der alten Eichenholzkommode in der schmalen Diele hing, und darin sah sie Mona neben ihrem eigenen Spiegelbild. Das hässliche Entlein neben dem schönen Schwan, der sich bereits in ihrem Haus eingenistet hatte, sich sogar schon in ihrer Küche breitmachte, und das hieß, Mona hatte damit begonnen, sie zu verdrängen. Wenn du einen Feind bekämpfen willst, musst du wissen, wo du ihn packen kannst, dachte sie, und das bedeutete, sie würde sich wohl oder übel mit dieser Person beschäftigen müssen, die sie bedrohte. »Also gut, die Spinatspätzle sollte ich mir wohl doch nicht entgehen lassen«, stimmte sie der Einladung schließlich zu und setzte ein freundliches Lächeln auf. »Ich geh mir geschwind die Hände waschen, dann komm ich«, sagte sie und huschte in das Badezimmer am Ende der Diele.
»Siehst du, kein Grund zur Sorge, sie braucht nur ein wenig länger, um zuzugeben, dass sie sich über etwas freut«, sagte Jonas, und Mona war in diesem Moment bereit, ihm zu glauben.
»Da habt ihr euch aber wirklich Mühe gegeben«, lobte Eleonore die beiden während des Essens.
Da sie sich hin und wieder zu einem Lächeln hinreißen ließ und Mona auch das Du anbot, ging Mona davon aus, dass Jonas seine Schwester richtig eingeschätzt hatte und sie ihr mit ihrer Überraschung tatsächlich eine Freude gemacht hatten.
Nach dem Essen begleitete Mona Jonas zur Weide. Er musste die Kühe melken und er wollte nach Zenzi und ihrer kleinen Aurelia sehen. Die beiden standen ein wenig abseits von der Herde und waren sich selbst genug. Zenzi kümmerte sich rührend um ihren Nachwuchs, putzte und liebkoste das Kälbchen.
»Wie lange darf das Kleine bei seiner Mutter bleiben?«, wollte Mona wissen, während sie hinter dem halbhohen Zaun standen, der die Weide einfasste, und die beiden beobachteten.
»Die Beziehung der Mutter zu ihrem Kalb ist sehr intensiv, beide würden unter einer frühen Trennung leiden. Die ersten zwei Wochen nach der Geburt bleiben sie Tag und Nacht zusammen, danach trennen wir sie zweimal am Tag für ein paar Minuten, wenn Zenzi gemolken wird.«
»Aber es bleibt noch genug Milch für Aurelia übrig.«
»Aber ja, die heutigen Milchkühe geben viel mehr Milch, als ein Kalb trinken kann.«
»Ich glaube, eure Kühe haben ein gutes Leben. Sie können zwischen Stall und Weide pendeln. Und dass der Melkwagen hier draußen steht und sie nicht in eine von diesen Melkmaschinen steigen müssen, ist für die Tiere sicher auch angenehmer«, stellte Mona fest, als sie Jonas zu dem Melkwagen folgte, in den immer fünf Kühe gleichzeitig hineinpassten und die ersten sich auch gleich wo einfanden, als er das Gatter öffnete und die Weide betrat.
»Ich könnte dir helfen«, schlug sie vor, als Jonas der ersten Kuh das Melkgeschirr anlegte.
»Du hast das schon gemacht?«
»Tausendmal«, versicherte sie ihm.
»Gut, dann komm. Hört zu, Mädls, das ist Mona, sie wird uns ein bisschen helfen«, sagte er und legte den Arm um Mona, als die Kühe plötzlich alle aufschauten. »Jetzt wissen sie, dass du mir willkommen bist. Kühe sind nämlich weitaus intelligenter, als wir Menschen glauben, und Fremden gegenüber äußerst skeptisch.«
»Dann bin ich jetzt nicht mehr fremd?«
»Nein, jetzt gehörst du zur Familie«, sagte er und küsste sie zärtlich auf die Wange.
»Zur Familie«, schnaubte Eleonore, die hinter dem mit Efeu bewachsenen Zaun, der die Weide vom Kräutergarten trennte, mit einer Gießkanne zwischen den Beeten umherlief und die Pflanzen goss.
Sie ging ein wenig gebückt, damit sie auf der anderen Seite des Zauns nicht gleich bemerkt wurde, hatte sie sich doch diese Arbeit extra vorgenommen, um Jonas und Mona zu belauschen. Entrüstet stellte sie nun die Gießkanne ab, hockte sich vor das Beet mit dem Bärlauch und machte sich schimpfend über das Unkraut her, das schon wieder hochgeschossen war, obwohl sie es doch erst vor ein paar Tagen entfernt hatte. Als sie sich wieder erhob, lugte sie vorsichtig über den Zaun. Sie spürte einen Stich in der Magengrube, als sie sah, wie geschickt Mona sich mit der Technik des Melkwagens anstellte.
Erst erobert sie ihn, dann den Stall, danach die Küche und jetzt den ganzen Hof, dachte sie, und der Zorn auf diese fremde Frau kochte erneut in ihr hoch.
»Vor der großen Schönheitsparty nächste Woche brauche ich noch eine Lieferung Kräuter«, hörte sie Mona sagen, nachdem die letzte Kuh der Herde den Melkwagen wieder verlassen hatte und Jonas ihn für diesen Abend zusperrte.
»Wann genau?«, fragte Jonas.
»Ich fahre morgen Abend zu meinen Großeltern und werde das ganze Wochenende bleiben. Sie brauchen ein bisschen Hilfe in ihrem Garten, und ich werde von dort auch noch ein paar spezielle Kräuter mitnehmen, die ich für meine Maske brauche.«
»Das heißt, wir werden uns die nächsten Tage nicht sehen?«
»Nein, leider nicht, aber am Montag bin ich wieder da, und wenn ich dann die Kräuter holen könnte, dann würde ich mit der Zeit hinkommen.«
»Die gleiche Menge wie beim letzten Mal?«
»Ja, bitte.«
»Und was sind die speziellen? Oder ist das ein Geheimnis?«
»Ja, ein großes Geheimnis«, sagte Mona lächelnd. Es waren die Wurzeln des Baldrians, aus denen sie das Gesichtswasser gewann, das sie in kleinen Mengen ihrer Kräutermaske hinzufügte.
»Wenn du möchtest, dann bringe ich dir die Kräuter, die du brauchst, am Montagabend.«
»Sehr gern.«
»Sehr gern, natürlich, dann hast du ihn gleich wieder in deinen Klauen«, murmelte Eleonore. »Klauen«, wiederholte sie leise und schaute auf den Riesenbärenklau, eine Ansammlung hoch gewachsener Pflanzen mit weißen Blütendolden, die ein ganzes Stück hinter dem Zaun, der den Kräutergarten von einem Waldstück trennte, am Wegesrand wuchsen. Die Pflanze war dafür bekannt, heftige Hautreaktionen auszulösen, und auf einmal reifte ein bitterböser Plan in ihr heran.
Als Mona und Jonas wenig später die Weide verließen, dämmerte es bereits, und Mona beschloss, sich auf den Heimweg zu machen, damit sie nicht in der Dunkelheit mit dem Fahrrad durch die Felder fahren musste.
»Also dann, gute Heimfahrt«, sagte Eleonore, die aus dem Kräutergarten kam und vor der Haustür aus ihren Gummistiefeln schlüpfte. »Ich mach uns dann noch einen Ingwerzitronentee, und wir setzen uns ein bisschen auf die Terrasse«, wandte sie sich an ihren Bruder.
»Gute Idee, und ich denke, wir sollten Mona auch eine Tasse anbieten.«
»Gern, aber sie muss los, wenn sie nicht in die Dunkelheit geraten will.«
»Kein Problem, ich fahre sie nach Hause. Das Fahrrad passt locker auf die Ladefläche meines Wagens. Was hältst du davon, Mona?«
»Mir wäre es schon recht, aber vielleicht hat Eleonore auch etwas mit dir zu besprechen, wobei ich nur stören würde.« Mona hatte nicht den Eindruck, dass Eleonore sie zum Tee hatte einladen wollen.
»Wir wohnen zusammen in einem Haus, wir können uns jederzeit unterhalten, und Elos Ingwerzitronentee ist wirklich köstlich. Den solltest du dir nicht entgehen lassen«, zerstreute Jonas ihre Bedenken.
»Du kannst ruhig auf einen Tee bleiben, ich habe überhaupt nichts dagegen«, sagte Eleonore und huschte ins Haus. »Am besten übernachtest du gleich hier, dann können wir auch noch zusammen frühstücken«, flüsterte sie und schaute grimmig in den Spiegel. Als sie gleich darauf den Tee zubereitete, wurde sie ruhiger, und es gelang ihr erneut, sich freundlich zu geben.
»Er ist köstlich, fruchtig und ein bisschen herb zugleich«, lobte Mona den Tee, nachdem sie ihn probiert hatte.
»So soll er sein, danke«, sagte Eleonore und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich kenne mich eben mehr mit den Kräutern aus, die für das Wohlbefinden von innen sorgen.«
»Wenn du irgendwann einmal herausfinden möchtest, was sie in meinem Bereich erreichen können, dann bist du jederzeit willkommen.« Mona war davon überzeugt, dass Eleonore einiges aus sich machen könnte. Eine andere Frisur, ein wenig Make-up und vor allen Dingen eine andere Garderobe.
»Ist diese Art der Kosmetik denn auch sicher?«, erkundigte sich Eleonore auf einmal höchst interessiert.
»Was meinst du mit sicher?«
»Sicher in Bezug auf die Hygiene. Ich meine, in einem Labor wird darauf größten Wert gelegt. Die Leute dort tragen Kittel, Handschuhe und Mundschutz.«
»Keine Sorge, das ist bei uns nicht anders, auch wenn wir nur in einer Küche statt in einem Labor arbeiten.«
»Du trägst also auch Mundschutz, Handschuhe und einen langärmeligen Kittel?«, hakte Eleonore noch einmal nach.
»Ja, das tue ich, darauf darfst du vertrauen.«
»Gut, ich vertraue darauf, das heißt aber noch nicht, dass ich mich jetzt für diese Dinge begeistern werde. Und nun entschuldigt mich, ich bin müde, gute Nacht.« Eleonore hatte das Ende ihrer Geduld war erreicht, noch ein paar Sekunden länger in Monas Nähe und sie würde laut aussprechen, was sie wirklich von diesem Püppchen hielt, das sein Geld mit falschen Versprechungen verdiente. Keine Creme und keine Maske der Welt machten aus einem hässlichen Entlein einen schönen Schwan, und sie würde nicht erlauben, dass so eine Person sich an ihrem Bruder und ihrem Eigentum vergriff.
»Ich denke, für mich wird es auch Zeit. Bringst du mich nach Hause?«, wandte sich Mona an Jonas.
»Sicher, wenn du das möchtest.«
Sehr gute Idee, dachte Eleonore und beschloss, die paar Minuten, bis Jonas wieder zurückkam, noch aufzubleiben, um ihn zu fragen, wie ernst es ihm mit dieser Mona wirklich war. Als er aber nach einer Stunde noch nicht wieder da war, schaltete sie das Licht im Haus aus und ging bitter enttäuscht zu Bett. Diese Frau hatte eindeutig schon viel zu viel Macht über Jonas.
Mona und Jonas hatten es nicht fertiggebracht, sich vor Monas Haustür zu trennen. Es war eine so herrliche Nacht, mild und mit einem Himmel voller Sterne. Als Mona vorschlug, auf ihrem Balkon noch ein Glas Wein zu trinken, hatte Jonas sofort eingewilligt und sie in ihre Wohnung begleitet.
»Denkst du, Eleonore und ich könnten irgendwann Freundinnen werden?«, fragte sie ihn, nachdem sie schon eine ganze Weile in der Hollywoodschaukel auf ihrem Balkon saßen und den Rotwein tranken, den sie von dem italienischen Händler gekauft hatte, der das Hotel belieferte.
»Ich hoffe es, der Abend heute war ein guter Anfang, aber ich möchte jetzt nicht über Elo sprechen.«
»Sondern? Was möchtest du tun?«
»Ich möchte, dass diese Nacht uns beiden gehört«, sagte er und zog sie zärtlich an sich.
»Eine Nacht, die wir nie vergessen werden?«
»Ja, so eine Nacht«, erwiderte er mit sanfter Stimme und küsste sie.
Eleonore war sicher, dass sie den Plan, den sie in ihrem Kräutergarten gefasst hatte, in die Tat umsetzen würde, als Jonas erst bei Sonnenaufgang wieder von Mona zurückkam. Diese Frau musste aufgehalten werden, ehe sie den Kastnerhof und seine Bewohner ins Unglück stürzte.
*
Als Jonas am Montagabend die geschnittenen und verpackten Kräuter zu Mona brachte, hatte er keine Ahnung, dass Eleonore sich kurz zuvor daran zu schaffen gemacht hatte. Nach einer innigen Begrüßung führte Mona ihm das Dirndl vor, das ihre Großmutter ihr überlassen hatte und das sie am Tag des Trachtenumzugs tragen wollte.
»Du siehst wundervoll darin aus«, sagte Jonas.
Das weiße seidige Oberteil war mit einer olivfarbenen Bordüre gekettelt, hatte ein zart oranges Blütenmuster und eine Schnürung aus einem rot-olivfarbenen Seidenband, das rechts und links durch jeweils vier silberfarbene Knöpfe gezogen wurde. Die rote Seidenschürze mit den zarten orangen und olivfarbenen Streifen wurde mit breiten goldfarbenen Bändern gebunden und reichte Mona genau wie der dunkelbraune Rock bis zu den Knöcheln.
»Es hat meiner Mutter gehört, sie hat es nur einmal getragen, zu ihrer Verlobung, hat meine Großmutter mir erzählt, als sie es vom Dachboden holte. Sie hatte es in einer schönen Kiste eingepackt in Seidenpapier aufgehoben und wollte es mir eigentlich erst geben, wenn ich mich einmal verlobe. Als ich aber von dem Trachtenumzug erzählte, dass alle Damen in Bergmoosbach in ihren schönsten Dirndln daran teilnehmen werden, fand sie, dass das auch ein guter Grund sei, das Dirndl aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken.
»Das war eine gute Entscheidung«, sagte Jonas, der seinen Blick nicht von Mona abwenden konnte.
»Bleibst du zum Abendessen?«, fragte sie ihn, als sich ihre Blicke trafen.
»Ja, ich bleibe«, antwortete er, und dann nahm er sie in seine Arme, weil er sich so sehr nach ihrer Nähe sehnte.
Als sie sich in dieser Nacht trennten, war Mona sicher, dass sie und Jonas füreinander bestimmt waren. Auch wenn sie sich erst seit Kurzem kannten, zweifelte sie nicht daran, dass sie zusammengehörten. Sie hatten ausgemacht, dass sie sich erst am Abend nach der Schönheitsparty wieder sehen würden, da Mona am nächsten Tag ihre berühmte Schönheitsmaske für die Teilnehmerinnen der Party vorbereiten musste und Jonas einige Kunden in der Gegend besuchen wollte und erst am Abend zurück sein würde.
*
Am Tag der Party stellte Simone Mona wieder ihr Auto zur Verfügung und gab ihr den Vormittag frei, damit sie sich in Ruhe vorbereiten konnte. Sie zog sich in die Küche zurück, die zu Simones Salon gehörte und in der sie ihre Naturkosmetik herstellte. Sie legte einen Mundschutz an, nahm ein Paar Handschuhe aus der Box mit den Einmalhandschuhen, die auf dem Regal über der Arbeitsplatte stand, und streifte sie über. Danach füllte sie die Creme, die sie am Tag zuvor aus den vorgeschnittenen Kräutern, die Jonas ihr gebracht hatte, angerührt hatte, in kleine Gläser, damit jede Teilnehmerin sich ihre Maske selbst oder mit Hilfe einer Freundin auftragen konnte.
Das Dorfgemeindehaus, ein renoviertes Fachwerkhaus, lag gleich hinter dem Rathaus. Als Mona am Nachmittag dort eintraf, wartete Therese Kornhuber, die Vorsitzende des Landfrauenvereins, bereits auf sie. Die staatliche Frau, die ihr graues Haar zu einem Knoten gebunden hatte, trug ein hellblaues Dirndl und war bester Laune. Sie führte Mona gleich auf die Wiese hinter dem Haus. Sie war von einer dichtgewachsenen Haselnusshecke umgeben, die nur zum Wald hin einige Lücken aufwies, sonst aber vor neugierigen Blicken schützte. Auf der Wiese standen die Liegestühle, die die Partyteilnehmerinnen schon am Morgen aufgestellt hatten, und in denen sie es sich später gemütlich machen wollten. Auf dem Tisch unter der alten Linde stand die Pfirsichbowle, die Therese traditionell für diesen Tag zubereitete, und die beiden Marmorkuchen, die Elvira gebacken hatte. In der Mitte der Wiese war ein mit einer weißen Decke geschmückter Tapeziertisch aufgestellt, auf dem Mona die Gläschen und Fläschchen aufbauen konnte, die sie in einer mit Seidenpapier ausgeschlagenen Kiste mitgebracht hatte. Bisher zählte Mona zwanzig Liegestühle.
»Sie werden doch mit dem Ansturm fertigwerden, Kindchen?«, erkundigte sich Therese besorgt.
»Ich bin darauf vorbereitet«, versicherte ihr Mona, die an diesem Tag das brombeerfarbene Leinenkleid mit den kurzen Ärmeln und den tiefen Taschen trug, in denen sie Tücher und andere Kleinigkeiten verstauen konnte, wenn sie später von Liegestuhl zu Liegestuhl ging, um die Damen in Schönheitsfragen zu beraten.
Mit dem Ansturm ging es dann auch gleich los. Eine Stunde früher als geplant, trafen die Bergmoosbacherinnen ein, die sich unter Monas Anleitung etwas Gutes tun wollten. Auch Elvira Draxler, die zweite Vorsitzende des Landfrauenvereins, war dabei, Irmi, die Kellnerin aus dem Biergarten, und Carola Holzer, die Frau des Sägewerkbesitzers.
»Meine Damen, lasst uns auf einen fröhlichen Nachmittag anstoßen!«, rief Therese, die die ersten Gläser mit der Pfirsichbowle verteilte.
Während alle um den Tisch herumstanden, ihre Bowle tranken und von dem Marmorkuchen aßen, ließen sie sich von Mona in Kosmetikfragen beraten, und alle versicherten ihr, dass sie demnächst in Simones Salon kommen wollten, um sich einmal mit einer Gesichts- und Handmassage verwöhnen zu lassen, die dort angeboten wurde. Nach einer Weile schlug Mona vor, mit ihrem Programm zu beginnen, das sie für den Nachmittag geplant hatte. Sie bat die Damen, sich in ihre Liegestühle zu legen, damit sie ihre Gesichter mit einer reinigenden Lotion für die Maske vorbereiten konnte. Nach einer Dreiviertelstunde hatte Mona ihre Runde geschafft und verteilte die Gläschen mit der Maske und Einweghandschuhe, damit sich niemand nach dem Auftragen gleich die Hände waschen musste und sich alle entspannt zurücklehnen konnten. Die Damen hatten gerade damit begonnen, ihre Masken aufzutragen, als zu Monas Überraschung Eleonore in ihrem groß geblümten Ausgehkleid mit einem Liegestuhl unter dem Arm den Garten des Dorfgemeindehauses betrat.
»Hallo, Eleonore, ich freue mich, dass du hier bist.« Mona konnte es kaum glauben, dass sie sich dazu durchgerungen hatte, an dieser Party teilzunehmen.
»Aber ich bin zu spät«, stellte Eleonore fest. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sah, dass bereits alle die Maske aufgetragen hatten, die sie mit dem Riesenbärenklau verseucht hatte. Sie hatte doch vorgehabt, die Gläser mit einer vorgetäuschten Ungeschicklichkeit zu zerstören, weil sie in letzter Minute das schlechte Gewissen gepackt hatte und sie ihre Tat bereute.
»Wir haben ein wenig früher angefangen, aber keine Sorge, für dich ist sicher noch etwas übrig«, erklärte Therese mit einem spöttischen Lächeln.
»Ich bin bereit«, erklärte Eleonore, nachdem sie ihren Stuhl aufgeklappt hatte und sich zurücklehnte. Sie wusste, was alle hier dachten, dass bei ihr ohnehin keine Schönheitspflege half, dass sie einfach viel zu hässlich war. Sollten sie also auf ein schöneres Aussehen hoffen, sie würde die Sache nun nicht mehr aufhalten, und damit kein Verdacht auf sie fiel, musste sie nun an diesem gemeinschaftlichen Leiden teilnehmen.
»Entspanne dich«, bat Mona, die sich auch gleich um Eleonore kümmerte und ihr selbst die Maske auflegte. Dass Eleonore gekommen war, hielt sie für das Signal, dass sie beide in Zukunft besser miteinander auskommen würden.
»Für das hässliche Entlein vom Kastnerhof müsste es schon eine Wundermaske sein«, raunte Elvira Therese zu, die zu Eleonore hinüberschielte.
»Manchen bleibt eben nur die Hoffnung, zerstören wir sie ihr nicht«, entgegnete Therese mit gütiger Miene.
Nachdem Mona Eleonore die Maske aufgetragen hatte, schnitt sie eine Salatgurke in dünne Scheiben und bedeckte damit die Augen der Damen, weil es ein wundervolles Mittel zur Auffrischung dieser Gesichtspartie war. Damit sich nun auch alle eine Weile ausruhten, schaltete sie die CD mit der Entspannungsmusik ein, die in dem CD-Player steckte, den Therese auf dem Tapeziertisch platziert hatte. Danach schaute Mona auf die Uhr des Rathausturmes, der in der gleißenden Nachmittagssonne stand. Nach spätestens einer Viertelstunde würde sie wieder mit ihrem Rundgang beginnen und den Damen mit Reinigungslotion getränkte Tücher reichen, damit sie sich im Waschraum des Dorfgemeindehauses die Reste der Kräutermaske entfernen konnten.
Während die Damen des Landfrauenvereins darauf hofften, ein wenig verjüngt wieder die Augen aufzuschlagen, wurden sie von den Mädchen des Bergmoosbacher Fußballvereins entdeckt, die in kurzen Hosen, T-Shirts und Joggingschuhen, zusammen mit Anna Bergmann, ihrer Trainerin, im Dauerlauf einmal das Dorf umrundeten und den Waldweg hinter dem Garten des Dorfgemeindehauses entlangkamen.
»Leute, seht euch das an, die Wiese der lebenden Masken«, flüsterte das ganz in Schwarz gekleidete Mädchen mit den kurzen blonden Haaren, das zuerst an der Hecke hinter dem Garten vorbeikam.
»So ein bisschen Farbe könnte dir auch nicht schaden, Doro-Punk«, entgegnete ein zierliches rothaariges Mädchen in rosa Shorts.
»Prinzessin Rosenrot, halt die Klappe«, zischte Doro.
»Du machst dich aber über meine Oma Therese lustig.«
»Ich mache mich nicht lustig, Rosi, ich beobachte«, erklärte Doro, die sich genau wie die anderen Mädchen hinter die Hecke hockte, um sich einen besseren Überblick von den Vorgängen auf der Wiese zu verschaffen.
»Was beobachtest du?«, fragte Emilia, die zusammen mit Anna das Schlusslicht der Gruppe bildete und zuletzt die Hecke erreichte.
»Das kann ich dir nicht beschreiben, das musst du selbst sehen«, sagte Doro und wich ein Stück zur Seite, damit Emilia sich neben sie hocken konnte.
»Eine schöne Prinzessin unter Gurkenmonstern«, flüsterte Emilia und gluckste vor Lachen, womit sie ihre Mannschaftskameradinnen sofort ansteckte.
»Mädchen, bitte, was soll das? Das ist nicht sehr nett von euch, die Damen heimlich zu beobachten. Kommt, wir gehen weiter«, bat Anna, die eine knielange weiße Leggins und ein pinkfarbenes T-Shirt trug und ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.
»Gönne uns doch ein wenig Spaß«, wandte sich Emilia zu Anna um.
»Was ist denn mit der los?« Doro stupste Emilia an, die sich sofort wieder umdrehte.
»Das sieht nicht gut aus«, stellte Emilia fest, als Eleonore sich mit beiden Händen ins Gesicht fasste und aus ihrem Stuhl aufsprang.
»Hilfe, ich verbrenne!«, schrie sie und rannte ins Haus.
»Was ist mit dir?!«, rief Mona und eilte ihr nach.
»Um Himmels willen, mein Gesicht glüht!«, rief Carola Holzer und sprang auf.
Gleich darauf schrien auch die anderen Damen auf und stürmten in einem wilden Durcheinander in Richtung Waschraum davon.
»Wir sollten Mona fragen, ob sie Hilfe braucht«, schlug Emilia vor.
»Ja, unbedingt, kommt«, forderte Anna die Mädchen auf, und schon rannten sie um die Wiese herum zum Eingang des Dorfgemeindehauses.
Mona stand völlig aufgelöst vor dem Waschraum, der gleich neben dem Ausgang zur Straße war. Die Tür zum Waschraum stand offen, und sie konnten sehen, wie die Teilnehmerinnen der Schönheitsparty sich vor den Waschbecken drängten und in aller Eile ihre Kräutermasken abwuschen.
»Was ist passiert?«, fragte Anna und berührte Mona, die völlig geschockt schien, an den Schultern.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte sie leise und schaute auf Eleonore, die mit gerötetem Gesicht in den Gang kam.
»Mädels, ich glaube, ihr habt zu lange in der Sonne gelegen«, stellte Doro fest, stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete die anderen Frauen, die nach und nach aus dem Waschraum herauskamen und die gleiche Hautfarbe hatten wie Eleonore.
»Oma, was ist mit dir passiert?«, fragte Rosi Kornhuber besorgt, als Therese sich stöhnend ins Gesicht griff.
»Was passiert ist?«, wiederholte Therese und richtete sich kerzengerade auf. Für einen Augenblick war es ganz still, alle schauten sie an, schließlich zeigte sie mit dem Finger auf Mona: »Fragt die, was passiert ist. Die hat uns das angetan«, sagte sie.
»Geh mir bloß aus den Augen, du unzuverlässiges Ding, du, sonst vergesse ich mich«, schimpfte Carola.
»So wird uns das schönste Dirndl nichts nutzen, uns wird keiner mehr anschauen«, erklärte Elvira mit bitterer Miene.
»Madl, was hast du denn nur getan?«, fragte Irmi, die sich ein mit kaltem Wasser getränktes Taschentuch ins Gesicht hielt.
»Gar nichts habe ich getan. Ich verstehe das nicht.« Mona schüttelte fassungslos den Kopf.
»Verschwinde!«, rief Therese aufgebracht und machte einen Schritt auf Mona zu, die sofort in den Garten flüchtete, um die Landfrauen nicht noch mehr aufzuregen.
»Ich denke, ehe ihr weiter auf Mona losgeht, solltet ihr erst einmal meinen Vater um Rat fragen«, schlug Emilia vor.
»Unbedingt«, stimmte Anna ihr zu.
»Da wollte ich ohnehin jetzt hin«, erklärte Therese. »Begleitest du mich, Herz?«, wandte sie sich an ihre Enkelin.
»Freilich, Oma«, antwortete Rosi und hakte sich bei Therese ein.
»Hört zu, Mädchen, ihr bringt die Damen jetzt zu Doktor Seefeld«, erklärte Anna, als sie sah, dass alle ständig die Augen zukniffen und sich zusehends unwohl fühlten.
»Ich laufe schon mal voraus und sage Papa Bescheid, was auf ihn zukommt«, verkündete Emilia und stürmte auch schon los.
Anna wartete, bis alle das Dorfgemeindehaus verlassen hatten, und ging dann zu Mona in den Garten.
»Sind sie fort?«, fragte Mona, die in aller Eile ihre Sachen zusammenpackte.
»Sie sind auf dem Weg zu Sebastian.«
»Ich begreife einfach nicht, wie das sein kann. Möglicherweise reagiert mal eine Frau allergisch auf eines der Kräuter, aber alle gleichzeitig? Das kann einfach nicht sein.« Mona fühlte sich elend und kämpfte mit den Tränen. Die Frauen hatten sie eingeladen, um sich hübsch zu machen, stattdessen hatte sie ihnen Schmerzen zugefügt und vielleicht ihre Haut auf Dauer geschädigt.
»Hast du noch Reste von allem, was du benutzt hast?«
»Ich habe noch ein paar verschlossene Gläser von der Gesichtsmaske und der Reinigungslotion.«
»Gut, dann fahren wir jetzt zu Traudel und zeige ihr alles.«
»Traudel? Warum nicht Sebastian?«
»Traudel kennt sich mit Kräutern weitaus besser aus als er. Vielleicht ist etwas in die Mischung geraten, was dort nicht hineingehört. Sie kann dir helfen, es herauszufinden.«
»Danke, dass du mir beistehst.« Mona war froh, dass Anna die Sache in die Hand nahm und sie aus ihrer Lähmung befreite. Natürlich mussten sie schnell herausfinden, was diese Hautrötung verursacht hatte.
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»Wohin, Schatz?!«, rief Gerti, als Emilia in die Praxis stürmte und an ihr vorbei zum Sprechzimmer eilte.
»Ich muss dringend mit Papa sprechen!«, rief Emilia.
»Aber wir haben Sprechstunde, Kind.«
»Ich weiß, und die wird heute auch noch lange dauern«, sagte Emilie und öffnete die Tür zum Sprechzimmer.
»Emilia, ist etwas passiert?«, fragte Sebastian, der hinter seinem Schreibtisch saß und gerade den nächsten Patienten aufrufen wollte.
»Das kann man wohl sagen, die Schönheitsparty im Dorfgemeindehaus ist nicht gut ausgegangen.« Emilia ließ sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen.
»Was heißt das?«, fragte Gerti, die Emilia gefolgt war und nach einem kurzen Anklopfen das Sprechzimmer betreten hatte.
»Das heißt Folgendes«, sagte das Mädchen und erzählte den beiden, was es im Dorfgemeindehaus gesehen hatte.
»Alle haben die gleiche Hautrötung?«, hakte Sebastian nach.
»Alle.«
»Okay, findest du bitte für mich heraus, was in dieser Maske alles drin ist«, bat Sebastian seine Tochter, als er Mona aus dem roten Auto aussteigen sah, das in diesem Moment vor der Praxis anhielt.
»Geht klar, Papa«, erwiderte Emilia und lief in den Hof.
»Ich versteh’s nicht, wie kann dem Madl nur so ein Fehler unterlaufen«, sagte Gerti und schaute zu, wie Mona eine Kiste aus dem Kofferraum holte. »Sebastian?«, fragte sie leise und betrachtete den jungen Arzt von der Seite.
Er hatte das Fenster geöffnet und schaute gedankenverloren in den Hof, nachdem er Anna bemerkt hatte, die zuerst mit Emilia sprach, dann um das Haus herum zur Terrasse lief und Mona ein Zeichen gab, ihr zu folgen.
»Hier ist eine Liste mit den Kräutern, die in der Maske sind, und das ist das Gesichtswasser. Die Inhaltsstoffe stehen auf der Flasche«, sagte Emilia und reichte ihrem Vater einen handgeschriebenen Zettel durchs Fenster.
»Das ist Annas Schrift«, stellte Sebastian fest, als er auf das Blatt schaute.
»Stimmt, Mona hat ihr alles auf der Fahrt hierher diktiert. Sie wollen jetzt zusammen mit Traudel nachschauen, was für die Rötungen verantwortlich sein könnte. Ich sage dir Bescheid, wenn sie etwas finden.«
»Ist gut, Spatz«, sagte Sebastian und setzte sich wieder hinter den Schreibtisch.
»Es wird schon alles werden«, murmelte Gerti und streichelte Sebastian über den Arm, bevor sie ihn wieder allein ließ. Wie alle im Haus Seefeld wusste sie, dass er für Anna mehr als nur Freundschaft empfand.
Ja, vielleicht wird es irgendwann, dachte Sebastian und schaute auf das Foto seiner Frau, das auf seinem Schreibtisch stand.
»Nein, bitte nicht, das darf nicht sein.« Monas Herz setzte einen Schlag lang aus, als Traudel sie mit sorgenvoller Miene anschaute.
»Es besteht aber kein Zweifel«, sagte Traudel.
Sie hatte ein noch volles Gläschen mit der Kräutermaske geöffnet und den Inhalt auf ein Holzbrett geleert, das auf dem Terrassentisch lag, an dem sie, Anna, Mona und Emilia saßen. Es dauerte nur zwei Minuten, bis sie den Übeltäter entdeckt hatte.
»Ich sage es Papa, dann kann er sie gleich richtig behandeln«, sagte Emilia und sauste davon, als die Landfrauen gemeinsam mit der Bergmoosbacher Mädchenfußballmannschaft den Weg von der Straße zur Praxis heraufkamen.
»Sie werden mich hassen«, sagte Mona, und dann liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
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»Riesenbärenklau? Das ist nicht Ihr Ernst?« Therese Kornhuber schüttelte fassungslos den Kopf.
»Dieses Kraut hätte sie doch bemerken müssen«, zeigte sich Elvira Draxler ebenso verblüfft.
»Mei, vielleicht war sie abgelenkt«, mutmaßte Eleonore, die es am schlimmsten von allen erwischt hatte, was ihr sehr gelegen kam. Niemand würde auf die Idee kommen, dass sie sich diese Schmerzen wissentlich selbst zugefügt hatte.
»Wenn sie sich so leicht ablenken lässt, dann taugt sie nicht für diese Arbeit, dann ist sie eine Gefahr für Leib und Leben anderer«, erklärte Carola Holzer. Die hellblonde Frau mit ihrer empfindlichen Haut hatte es auch hart getroffen.
»Ein Kontakt mit dieser Pflanze ist tatsächlich sehr gefährlich. Die Symptome ähneln Brandverletzungen, und es können auch schwerwiegende allergische Reaktionen auftreten. Ich verschreibe Ihnen Salben und Tabletten, um einer möglichen Allergie vorzubeugen. Setzen Sie sich in den nächsten Tagen auf keinem Fall dem direkten Sonnenlicht aus, das verstärkt die unangenehme Wirkung des Krautes, wenn es einmal mit der Haut in Berührung gekommen ist.« Sebastian hatte die Damen gleichzeitig in sein Sprechzimmer gebeten und mit einer Salbe behandelt, nachdem er von Emilia gehört hatte, auf was Traudel gestoßen war. Er saß auf der Kante seines Schreibtisches und die Landfrauen standen im Halbkreis vor ihm.
»Dieser Bärenklau ist ein Teufelszeug«, schimpfte Eleonore, »solange das Kraut nicht vollkommen getrocknet ist, treibt es sein Unwesen. Wer mit frischen Kräutern arbeitet, der sollte das wissen.«
»Weißt du es denn?«, fragte Irmi und schaute Eleonore skeptisch an.
»Freilich weiß ich das. In unserem Garten wächst das Zeug nicht, falls du darauf anspielst.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein, bei deiner Sehschwäche«, entgegnete Irmi.
»Willst du mir gerade etwas unterstellen? Wenn ja, dann sag’s gleich. Aber vielleicht ziehst du erst einmal in Betracht, ob die liebe Mona nicht noch andere Kräuter benutzt. Ich meine solche, die sie nicht bei uns gekauft hat. Darf ich mal sehen?« Ehe Sebastian reagieren konnte, krallte sich Eleonore den Zettel von seinem Schreibtisch, den Anna für ihn geschrieben hatte. »Aha, Baldrian, der ist nicht von uns. Wer weiß, wo sie den gesammelt hat, und ein Doldengewächs wie der Bärenklau ist er auch. Wenn eine verträumt ist, kann sie schon mal das falsche Kraut erwischen.«
»Geh, Eleonore, das hätte sie gemerkt, wenn sie das Zeug angefasst hätte«, widersprach Irmi.
»Und wenn sie Handschuhe trägt, um die zarten Händchen nicht zu verletzen? Ich sage ja nicht, dass sie es büschelweise ausgerissen hat, es reichen ja ein paar Blüten und schon haben wir die Bescherung.«
»Ich bitte Sie, meine Damen, niemand sollte irgendjemandem etwas unterstellen, bevor wir nicht genau wissen, wie das passiert ist.«
»Geh, Doktor Seefeld, was gibt es denn da zu überlegen? Eleonore hat recht, Mona hat geschlampt, und wir müssen das ausbaden «, sagte Therese, und alle bis auf Irmi nickten zustimmend. »Und jetzt werden wir der Apotheke einen Besuch abstatten«, erklärte sie und schaute auf Gerti, die die Rezepte ausgedruckt hatte und Sebastian zum Abzeichnen vorlegte.
»Wenn es schlimmer wird oder noch andere Beschwerden hinzukommen, dann melden Sie sich«, bat er, nachdem er die Rezepte verteilt hatte.
»Wenn es noch schlimmer wird, dann werde ich Anzeige gegen Mona Wagner erstatten, wegen Körperverletzung«, entgegnete Elvira.
»Das sollten wir auf jeden Fall tun«, sagte Therese.
»Unbedingt, ich werde gleich mit unserem Anwalt sprechen. Wir könnten auch an eine Sammelklage denken«, schlug Carola Holzer vor.
»Das klingt gut.« Therese ging sofort auf Carolas Vorschlag ein.
»Wir sollten vielleicht erst noch einmal abwarten«, versuchte Irmi, die beiden zu bremsen.
»Nichts da, die Sache ist klar«, widersprach ihr Therese sofort. »Also dann, meine Damen, auf geht’s, danke, Doktor Seefeld, für die schnelle Hilfe, auf bald«, verabschiedete sie sich von Sebastian und die anderen schlossen sich ihr an.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Mona dieses Zeug unbemerkt gepflückt haben soll«, sagte Gerti, nachdem die Landfrauen gegangen waren. »Die Sache muss sich schnell aufklären, sonst werden einige Bergmoosbacherinnen dafür sorgen, dass es für Mona hier ziemlich ungemütlich wird.«
»Eleonore scheint nicht gut auf sie zu sprechen zu sein.«
»Ist sie doch auf keine, die ihrem Bruder zu nahe kommt. Denkst du, dass sie etwas damit zu tun hat?«
»So weit will ich erst einmal nicht gehen, schließlich hat es sie von allen am schlimmsten erwischt.«
»Mag sein, und vor allen Dingen gibt es eine großartige Schlagzeile für das Bergmoosbacher Tagblatt: Kräuterexpertin von bösem Kraut niedergestreckt oder so ähnlich.«
»Gut, dass du es erwähnst.«
»Was hast du vor?«, fragte Gerti, als Sebastian zum Telefon griff.
»Ich werde unsere Zeitung daran erinnern, dass ein guter Reporter eine Geschichte nicht auf ein Gerücht hin verbreitet. Guten Tag, Sebastian Seefeld, ich möchte Tobias Meier sprechen«, bat er, als sich die Redaktion des Tagblattes meldete.
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»Einfach so?«, fragte Mona und sah Simone fassungslos an. Nach ihrem Besuch bei Traudel war sie gleich zum Hotel gefahren, um Simone von dem Vorfall zu erzählen.
Simone wusste schon Bescheid, aber statt Mona ihre Hilfe anzubieten, erklärte sie ihr, dass sie ihr fristlos kündigen würde. Sie stand hinter dem Empfangstresen des Kosmetiksalons und trat von einem Fuß auf den anderen, weil ihr dieses Gespräch sichtlich unangenehm war. »Es tut mir ehrlich leid, aber irgendjemand hat seinen Einfluss auf die Hotelleitung geltend gemacht, und man hat mir mitgeteilt, dass ich dich nicht länger beschäftigen darf, schon in meinem eigenen Interesse, da jemand wie du die Kundschaft abschreckt. Die Landfrauen wollen Anzeige gegen dich erstatten, heißt es.« Sie gab sich die größte Mühe, Mona zu versichern, dass die Sache mit der Entlassung nicht ihre Idee war. »Oder hast du inzwischen eine Erklärung für den Vorfall, die dich entlastet?«
»Nein, die habe ich nicht, und vermutlich wird sich die auch nicht finden. Ich habe die Maske angerührt und letztendlich bin ich verantwortlich, das weiß ich. Ich packe dann meine Sachen.«
»Wie gesagt, es tut mir wirklich leid.«
»Vor ein paar Tagen ist dir etwas Ähnliches passiert, ich habe dich nicht damit hängen lassen«, erinnerte sie Simone an den Vorfall mit Frau Winter.
»Entschuldige, aber das war nicht wirklich meine Schuld. Ich habe ein übliches Präparat angewandt. Woher hätte ich wissen sollen, dass Frau Winter darauf allergisch reagiert.«
»Schon gut, Simone, ich habe es verstanden.« Jedes weitere Wort war überflüssig. Sie war ihre Stelle los, daran ließ sich offenbar nichts mehr ändern. Alle schienen davon auszugehen, dass sie einen groben Fehler begangen hatte, aber so war es nicht. Der Riesenbärenklau musste auf dem Kastnerhof in die Kräuter geraten sein. Sobald sie sich ein bisschen beruhigt hatte, würde sie dort hinfahren und Jonas bitten, die Sache aufzuklären.
»Grüß Gott, Frau Talhuber«, wandte sich Simone der Frau in dem hellen Trachtenrock und der eleganten Spitzenbluse zu, die gefolgt von den Lohmeier-Zwillingen Hedwig und Heidi, beide in hellgrünen Dirndl und grauen Lodenhütchen auf den kurzen dunkelblonden Haaren, zur Tür hereinkam.
»Ich glaub, wir gehn wieder, diejenige, die unsere gute Therese und die anderen Madl verunstaltet hat, ist immer noch hier«, stellte Helga Talhuber, die Frau des Bürgermeisters fest.
»Sie arbeitet nicht mehr für mich, sie packt nur noch ihre Sachen«, beruhigte Simone die drei Damen, die Mona mit einem abfälligen Blick streiften, aber sie nicht direkt ansprachen.
»Das heißt, die Sache mit diesem Naturzeug hat sich erledigt?«, hakte Helga Talhuber nach.
»Darauf können Sie sich verlassen«, versicherte ihr Simone.
Mona fühlte sich gedemütigt und kämpfte gegen ihre Tränen. Die drei taten, als sei sie gar nicht mehr da. Es war Zeit für sie zu gehen. Sie eilte in die Küche, um ihre Kräuter, ihre Cremes und ihre persönlichen Dinge einzupacken.
»War sie nicht mit dem Jonas vom Kastnerhof zusammen?«, hörte sie Helga Talhuber fragen. Sie und die Lohmeier-Zwillinge hatten sich inzwischen auf drei nebeneinander stehenden Liegen eingerichtet, und Simone legte ihnen nacheinander eine Reinigungsmaske auf.
»Sie ist noch mit ihm zusammen«, antwortete Simone.
»Aber sicher nicht mehr lange, er war doch noch nie länger als ein paar Wochen mit einer zusammen. Er ist noch nicht bereit für was Festes, er probiert sich noch aus, heißt es«, erzählte Helga.
»Erst neulich in der Drogerie hab ich gehört, wie sich einige junge Madl über ihn unterhalten haben, dass ihm wohl keine wirklich recht ist. Er hält nach eine Prinzessin Ausschau, die es gar nicht gibt, haben sie gesagt«, erzählte Hedwig Lohmeier, die drei Minuten älter als ihre Schwester war.
»Er ist halt ein fescher Bursche, er hat die Wahl, das nutzt er aus«, beteiligte sich auch Heidi Lohmeier an der Unterhaltung.
»Ich bin auch sicher, dass Jonas keine ernsten Absichten hat«, sagte Simone.
»Warum hast du sie dann nicht gewarnt?«, wollte Helga wissen.
»Jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen, außerdem hätte sie mir bestimmt nicht geglaubt.«
»Dann hätte das hässliche Entlein ihr etwas sagen sollen.«
»Mei, die Eleonore, das arme Ding, auf die hört doch niemand.«
»Und einen Bräutigam findet sie sicher auch nie, dazu ist sie einfach zu fad«, entgegnete Helga.
»Im Gegensatz zu ihrem Bruder. Ich kann mich noch an die kleine Brünette erinnern, die drei Wochen lang Jonas‘ Favoritin war. Sie hat sich schon als die zukünftige Bäuerin auf dem Hof gesehen«, sagte Hedwig.
»Bis die zierliche Blonde aus der Nachbargemeinde kam und er die andere abserviert hat«, erinnerte Heidi die beiden an die Nachfolgerin der kleinen Brünetten.
»Wenn er eine nimmt, dann muss sie schon was mitbringen, einen zweiten Hof und ein ordentliches Geld. Und diese Mona besitzt außer einem hübschen Gesicht nicht sehr viel«, erklärte Helga.
»Genauso ist es«, stimmte Simone ihr zu.
Falsche Schlange, dachte Mona, als sie ihre ehemalige Chefin so reden hörte. Auf Simones Hilfe bei der Aufklärung dieser üblen Angelegenheit konnte sie nicht hoffen. Als sie kurz darauf aus der Küche kam, wurde sie von niemanden beachtet, und so ging sie grußlos davon. Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken, was die drei gerade über Jonas erzählt hatten, sie würde jetzt ihre Sachen in ihr Appartement bringen und dann zum Kastnerhof fahren. Jonas würde sicher bald von seiner Tour zurückkommen, und vielleicht hatte ja inzwischen Eleonore eine Erklärung dafür gefunden, wie diese gefährliche Pflanze in die Kräuter geraten konnte.
*
Die Abendsonne tauchte den Kastnerhof in ein goldfarbenes Licht, als Mona dort eintraf. Die Äste der beiden Eichen, die im Hof standen, bewegten sich im Wind und warfen lange Schatten auf das graue Pflaster. Mona stellte ihr Fahrrad ab und ging auf Eleonore zu, die mit einem Korb voller Kräuter aus dem Garten kam.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sie sich mitfühlend und schaute auf ihr Gesicht, das sie mit der Salbe, die Sebastian Seefeld ihr verschrieben hatte, dick eingecremt hatte.
»Wie schon? Ich habe Schmerzen, genau wie anderen«, antwortete Eleonore und sah Mona mit blitzenden Augen an.
»Das tut mir ehrlich leid, aber wie konnte dieses Zeug in die Kräuter geraten, die ihr mir geliefert habt?«
»Auf unserem Hof gibt es keinen Riesenbärenklau«, entgegnete Eleonore entrüstet.
»Womit sie recht hat«, sagte Jonas, der in dunkler Hose und weißem Hemd aus dem Haus kam.
»Hallo, Jonas, ich wusste nicht, dass du schon zurück bist.«
»Ich bin auch erst vor ein paar Minuten angekommen. Elo hat mich angerufen und mir erzählt, was passiert ist. Wie konnte dir dieser Fehler unterlaufen?«, fragte er und streifte Eleonore mit einem mitleidigen Blick.
»Wieso mir? Du hast mir doch die Kräuter gebracht.«
»Wie Elo gerade sagte, auf unserem Hof wächst kein Riesenbärenklau. Außerdem hätte ich das Zeug bemerkt und es vor dem Zerkleinern der Kräuter aussortiert.«
»Tatsache ist, dass es in der Mischung war. Ich dachte, ich könnte mich darauf verlassen, dass die Kräuter in Ordnung sind.« Mona rang um Fassung, sie war fest davon ausgegangen, dass Jonas zugeben würde, dass ihnen möglicherweise ein Fehler unterlaufen war. Stattdessen schien er, genau wie alle anderen, keinen Zweifel daran zu hegen, dass der Fehler nur bei ihr liegen konnte.
»Du fügst noch deine eigenen Kräuter hinzu.«
»Ich verwechsele Baldrian nicht mit dem Riesenbärenklau.«
»Es sind beides Doldenpflanzen, wer weiß«, sagte Eleonore und zuckte die Achseln.
»Nein, ich habe die Pflanzen nicht verwechselt«, erklärte Mona und sah Jonas direkt an.
»Ich auch nicht. Oder denkst du, ich wollte dir schaden?«
»Das habe ich doch nicht behauptet. Ich spreche von einer Verwechslung.«
»Nein, Mona, das ist ausgeschlossen. Wenn du einen Schuldigen suchen willst, dann wirst du ihn bei uns nicht finden.« Jonas schüttelte den Kopf, und als er Mona anschaute, wusste sie, dass er fest davon ausging, dass sie für diese Sache verantwortlich war.
»Hast du etwas damit zu tun, Eleonore?«, wandte sich Mona in ihrer Verzweiflung an seine Schwester.
»Mona, bitte, lass es gut sein. Glaubst du wirklich, dass Eleonore sich wissentlich derart verletzen würde?«
Das kommt darauf an, was sie damit erreichen will, dachte Mona, aber das sprach sie nicht aus. »Dann wird sich die Sache wohl nicht klären lassen«, sagte sie stattdessen.
»So jedenfalls nicht. Ich muss mich umziehen, ich muss auf die Weide«, entgegnete Jonas und ging ins Haus.
Das war es also, er unterstellt mir, ich wäre zu feige, einen Fehler einzugestehen, und lässt mich stehen, dachte Mona, und das tat furchtbar weh.
»Ich bereue, dass ich mich auf diesen Unsinn eingelassen habe, wer auch immer diesen Ausgang zu verantworten hat«, sagte Eleonore, als Jonas außer Hörweite war.
»Du bist also nicht mehr der Meinung, dass es meine Schuld ist?«, fragte Mona erstaunt.
»Das hab ich nicht gesagt, aber vielleicht …«
»Vielleicht was?«, hakte Mona sofort nach, als Eleonore innehielt.
»Nun, es wäre möglich, dass Jonas doch etwas Unüberlegtes getan hat.«
»Du meinst mit Absicht?«, fragte Mona verblüfft.
»Er kennt sich mit den Kräutern ebenso gut aus wie ich. Einen Riesenbärenklau erkennt er sofort.«
»Was genau willst du mir sagen?« Mona spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
»Ich denke, dass Jonas das mit dir zu eng geworden ist, dass er dir mit dieser Sache eben doch schaden wollte, damit du Bergmoosbach verlässt.«
»Warum sollte er so etwas tun? Wenn er mich loswerden will, dann kann er mir das einfach sagen.«
»Mei, mit dem Reden, das ist so eine Sache, die Madl wollen es einfach nicht wahrhaben, wenn er ihnen den Laufpass gibt.«
»Du willst mir einreden, dass er das getan hat, um mir zu schaden, und dabei in Kauf nimmt, dass du und die anderen möglicherweise für immer durch diese Verbrennungen entstellt sind?«
»Erstens war offensichtlich nur ganz wenig von dem Zeug in den Kräutern und ernsthafte Schäden sind nicht zu erwarten. Dass ich dabei sein werde, dass wusste er nicht. Ich habe es ihm nicht gesagt, weil ich ihn damit überraschen wollte, dass ich mich dir anvertraue. Ich weiß, dass er mit dieser Sache weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Es wird ihm sicher schon leid tun. Aber seine Angst vor einer engen Bindung ist offensichtlich so groß, dass er sich nicht mehr anders zu helfen wusste.«
»Wirst du das auch den anderen sagen?«
»Damit sie dann ihn verklagen und unser Hof in Verruf gerät?«
»So gerate ich in Verruf.«
»Aber du kannst von hier fortgehen, wir nicht.«
»Die anderen werden mich trotzdem verklagen.«
»Ich will versuchen, es ihnen auszureden, vorausgesetzt, du verschwindest von hier. Geh nach München oder in eine andere Großstadt, da kannst du ganz von vorn anfangen. Hier hast du ohnehin keine Chance mehr. Oder was meinst du, was würden die Leute sagen, wenn du Jonas beschuldigst? Denkst du, sie würden dir glauben? Einem Madl, das gerade mal ein paar Wochen im Dorf lebt?«
»Danke für die Belehrung, ich habe es verstanden.« Mona machte auf dem Absatz kehrt und stieg auf ihr Fahrrad.
Eleonore hatte recht, niemand würde ihr glauben. Sie war eine Fremde in Bergmoosbach, und Jonas, zu dem sie sich so sehr hingezogen fühlte, war ihr auf einmal auch fremd. Alles, was Eleonore über Jonas gesagt hatte, klang überzeugend. Es passte zu dem, was sie in Simones Salon über ihn gehört hatte, dass er es nie lange mit derselben Frau aushielt. Wieder in ihrem Appartement angekommen, schloss sie die Vorhänge, machte ihr Bett und verkroch sich unter der Decke. Sie wollte die Welt aussperren, nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nur noch weinen.
*
Jonas war wütend auf sich selbst, als er von der Weide zurückkam. Er machte sich die größten Vorwürfe, weil er Mona einfach so hatte stehen lassen. Was auch immer passiert war, sie hatte es nicht absichtlich getan, und er hätte ihr helfen müssen, die Sache aufzuklären. Aber ihre feste Überzeugung, dass er dieses Kraut untergemischt hatte, hatte ihn verärgert. Er überlegte, ob er sie anrufen oder am besten gleich zu ihr fahren sollte, aber noch war sein Ärger nicht ganz verflogen, und er fürchtete, dass ein falsches Wort alles noch schlimmer machen würde. Er beschloss, zum Tennisplatz zu fahren, um sich ein bisschen auszutoben, und wollte dann erst einmal eine Nacht über alles schlafen. Am nächsten Morgen würde er sich bestimmt so weit beruhigt haben, dass er mit Mona ohne Argwohn reden konnte.
»Grüß Gott, Eleonore Kastner, spreche ich mit dem Salon Weiß?«, fragte Eleonore, die sich kaum, dass Jonas gegangen war, mit dem Telefon an den Küchentisch gesetzt hatte und auf die Liste mit den Telefonnummern aller Kosmetiksalons im Umkreis von 50 km starrte. »Hören Sie, ich muss Sie warnen, sollte sich eine Mona Wagner bei Ihnen um eine Stelle bewerben …«
Der Tennisplatz lag von einem efeubewachsenen hohen Zaun umgeben am Waldrand hinter dem Fußballplatz. Es gab dort vier Plätze, ein kleines Vereinshaus mit Garderoben und Duschen und ein Café, das in einem verglasten runden Pavillon mit vorgebauter Terrasse untergebracht war und im Sommer bis zehn Uhr abends geöffnet hatte. Jonas hoffte, dass er dort jemand finden würde, der genau wie er nach einem Mitspieler Ausschau hielt.
»Hallo, Sebastian«, begrüßte er den jungen Arzt, der in weißer Hose und weißem Poloshirt allein an einem Tisch auf der Terrasse des Cafés saß.
»Hallo, Jonas, bist du verabredet?«, fragte Sebastian.
»Nein, ich bin auf der Suche nach einem Partner.«
»Du hast einen gefunden. Ich war mit Anna verabredet, sie hat vor ein paar Minuten abgesagt. Sie muss zu einer Geburt.«
»Lust auf ein Doppel?«, fragte die gutaussehende Blondine, die in einem kurzen weißen Kleidchen aus dem Café kam und geradewegs auf Sebastian zusteuerte.
»Danke, Miriam, aber wir bleiben heute unter uns«, antwortete Sebastian, nachdem er Jonas angesehen hatte und er ein Kopfschütteln andeutete.
»Das ist aber schade, Matilda hat sich schon auf ein gemischtes Doppel gefreut.«
»Grüezi miteinand«, flötete die dunkelhaarige Schönheit, die ihr folgte und ein ebenso kurzes weißes Kleid trug.
»Darf ich vorstellen, meine Freundin Matilda aus der Schweiz. Wir haben uns vor zwei Jahren in St. Moritz getroffen.«
»Wir sind auf einer Abfahrt ineinander gefahren, das war zuerst gar nicht lustig, aber da uns nichts geschehen war, konnten wir dann doch darüber lachen«, erzählte Matilda.
»Apropos Unfall, was sich diese Mona heute geleistet hat, das ist einfach grauenvoll. Meine bedauernswerte Mutter liegt seit dem Nachmittag im Bett und traut sich nicht mehr auf die Straße. Wie geht es denn deiner armen Schwester?«, erkundigte sich Miriam und sah Jonas mit ihren großen blauen Augen mitfühlend an.
»Es wird schon wieder werden, und inwieweit Mona dafür verantwortlich ist, das muss sich noch herausstellen. Und nun entschuldigt uns«, sagte Jonas.
»Schönen Abend noch«, verabschiedete sich auch Sebastian von den beiden.
»Jetzt stehen wir blöd da. Deine Annahme, er sucht nach einer, die ihn über diese Mona hinwegtröstet, war wohl falsch«, sagte Matilda.
»Einen Versuch war es wert.«
»Ja, gut, das schon«, stimmte Matilda ihr zu und schaute Jonas mit einem anerkennenden Blick nach. »Vielleicht sollte ich es stattdessen einmal bei dem Herrn Doktor versuchen.«
»Untersteh dich«, fauchte Miriam.
»Schon gut, war nur Spaß«, antwortete Matilda lachend.
»Hast du heute schon mit Mona gesprochen?«, fragte Sebastian, der schon auf den Platz gegangen war, während Jonas sich in der Garderobe umzog und nun in weißen Shorts und weißem Poloshirt zurückkam.
»Sie war vorhin bei uns auf dem Hof, aber lass uns später darüber reden«, bat Jonas.
»Alles klar«, sagte Sebastian und klopfte dem Freund auf die Schulter. Schon nach einer Stunde hatte er die Partie für sich entschieden, was ungewöhnlich war, da Jonas sich sonst nicht so schnell schlagen ließ und ihre Duelle meistens sogar gewann. Aber an diesem Abend war er ganz offensichtlich nicht wirklich bei der Sache.
»Setzen wir uns noch ins Café?«, fragte Jonas, nachdem sie sich in der Garderobe ein bisschen frisch gemacht hatten und er seine Shorts wieder gegen eine Jeans getauscht hatte.
»Sonst bevorzugst du doch nach einem Match den Biergarten.«
»Heute nicht, ich habe keine Lust auf weitere Diskussionen über Mona.« Jonas steuerte auf den einzigen freien Tisch auf der Terrasse des Cafés zu. Er war froh, dass die anderen Tische von Leuten aus den Nachbargemeinden besetzt waren, die mangels eigener Anlagen nach Bergmoosbach zum Tennisspielen kamen, sich aber wohl kaum für die verkorkste Schönheitsparty im Dorfgemeindehaus interessieren dürften. »Wird die Sache bleibende Schäden bei den Betroffenen hinterlassen?«, erkundigte sich Jonas bei Sebastian, nachdem sie zwei große Wasser und zwei Espresso bestellt hatten.
»Du weißt, dass ich eigentlich nicht darüber reden darf, was sich in meinem Sprechzimmer abspielt, aber dieser Fall ist ja wohl eher eine öffentliche Angelegenheit. Nein, ich denke, die Damen haben Glück gehabt, es waren nur leichte Verbrennungen.«
»Mona behauptet, dass dieses Zeug von unserem Hof stammt und ich für dieses Chaos verantwortlich sei.«
»Und was meinst du?«
»Ich weiß, dass ich es nicht war, demzufolge muss es ihr passiert sein, als sie im Garten ihrer Großeltern den Baldrian geerntet hat, was sie aber für ausgeschlossen hält.«
»Und nun traut ihr euch beide nicht mehr über den Weg.«
»Sie hätte wenigstens in Erwägung ziehen können, dass sie dafür verantwortlich ist.«
»Genau wie du.«
»Elo pflückt die Kräuter ohne Handschuhe, und ich nehme sie ohne Handschuhe aus dem Korb. Wir hätten es mit Sicherheit inzwischen bemerkt, wenn wir mit Riesenbärenklau in Berührung gekommen wären. Mona dagegen arbeitet nur mit Handschuhen, auch beim Waschen der Kräuter vor der Verarbeitung.«
»Das heißt?«
»Sie kann eine derartige Verunreinigung nicht spüren, nur sehen. Und da offensichtlich nur wenig von dem Zeug in den Kräutern war, hat sie es übersehen. Sie könnte es einfach zugeben. Ich würde ihr doch helfen, die Sache durchzustehen.«
»Ja, sicher, das würdest du tun, aber vorher solltest du dir überlegen, wer das größte Interesse daran hat, dass Mona Ärger bekommt.«
»Simone, weil sie ihre Konkurrenz fürchtet.«
»Durch Mona hat sie neue Kundinnen gewonnen, das sollte sie nicht fürchten. Ich denke, da fürchtet sich jemand vor etwas ganz anderem.«
»Nein, soweit würde Elo nicht gehen«, sagte Jonas, als Sebastian ihn anschaute und er gleich wusste, dass er Eleonore in Verdacht hatte.
»Bisher hat ihr noch keine Frau gepasst, für die du dich interessiert hast, zumindest erzählt man sich das im Dorf.«
»Bisher musste ihr noch keine passen, es war mir ja nie richtig ernst.«
»Aber jetzt ist es dir ernst, richtig?«
»Ich habe mich noch nie zu einer Frau so stark hingezogen gefühlt wie zu Mona. Ich dachte, dieses Mal wird alles anders, aber wie soll ich mir die Zukunft mit einer Frau vorstellen, die, statt zu ihren Fehlern zu stehen, andere dafür verantwortlich macht?«
»Sprich mit Eleonore.«
»Elo hatte Mona doch schon längst akzeptiert, und das wollte sie ihr auch beweisen. Deshalb hat sie an dieser Party teilgenommen.«
»Du willst es nicht sehen, Jonas.«
»Was? Dass Elo alles tut, um mir zu schaden? Genau das würde sie mit so einer Aktion erreichen. Sie würde meine Liebe zerstören, und sie würde unserem Hof schaden, weil der eine oder andere sicher den Verdacht schüren würde, das Kraut stammt doch von uns. Und schließlich würde sie auch noch riskieren, dass ich mich von ihr abwende, wenn die Sache auffliegt. Warum also sollte sie das tun?«
»Das musst du sie fragen.«
»Du bist also wirklich der Meinung, dass sie es war.«
»Ich habe nur gesagt, dass du diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen sollst.«
»Ich weiß.« So sehr er sich auch gegen diesen Gedanken wehrte, dass Eleonore Mona schaden wollte, ahnte er doch längst, dass Sebastians Verdacht richtig war.
»Lass es nicht so enden«, sagte Sebastian, als sie sich später am Abend voneinander trennten, und Jonas versicherte ihm, dass er Mona nicht einfach so fallen lassen würde.
*
Am nächsten Morgen überprüfte Mona ihre Telefone, ob sie vielleicht einen Anruf von Jonas verpasst hatte, aber er hatte sich nicht gemeldet, weder auf dem Festnetz noch auf dem Handy. Offensichtlich hatte er bereits mit ihr abgeschlossen. Sie musste zusehen, dass sie so schnell wie möglich Bergmoosbach verlassen konnte. Zuerst würde sie sich nach einer Stelle umsehen, irgendwo in der Nähe ihrer Großeltern, damit sie ihr Versprechen halten konnte, für sie da zu sein.
Sie kochte sich einen Kaffee, durchforstete das Internet nach freien Stellen und fand auch gleich einige Kosmetiksalons, die eine ausgebildete Kosmetikerin suchten. Sie war zuversichtlich, dass sie noch an diesem Vormittag mehrere Vorstellungstermine aushandeln würde. Zwei Stunden später war sie am Boden zerstört. Niemand wollte sie sehen, nachdem sie ihren Namen genannt hatte. Im Gegenteil, sie musste sich anhören, dass sie eine Schande für ihren Beruf sei.
»Ich hoffe, Sie werden ordentlich zur Kasse gebeten, um den Schaden wieder gutzumachen«, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung, nachdem sie den letzten Salon auf ihrer Liste angerufen hatte.
Mit Tränen in den Augen warf sie das Telefon aufs Sofa und wollte sich wieder in ihrem Bett verkriechen, als es an der Haustür läutete. Zuerst wollte sie nicht öffnen, aber dann dachte sie daran, dass es vielleicht Jonas sein könnte, und sie ging zur Tür.
»Mona, hier ist Anna«, hörte sie die junge Hebamme sagen, als sie den Hörer der Sprechanlage abnahm.
»Komm rauf«, sagte sie und drückte auf den Türöffner. Anna war die einzige richtige Freundin, die sie bisher in Bergmoosbach gewonnen hatte. Sie wollte sie auf keinen Fall vor den Kopf stoßen.
»Habe ich dich geweckt?«, fragte Anna, als sie kurz darauf das Appartement betrat und sah, dass die Vorhänge noch zugezogen waren.
»Nein, du hast mich nicht geweckt«, sagte Mona und erzählte ihr, was sie an diesem Vormittag erlebt hatte. »Ich frage mich, woher die das alle schon wissen. Stand denn etwas darüber in der Zeitung?«
»Nein, Sebastian hat gestern mit Tobias Meier gesprochen und ihn gebeten, zuerst mit allen Beteiligten zu sprechen, bevor er die Geschichte bringt. Aber was hat Jonas überhaupt dazu gesagt? Du hast doch sicher mit ihm gesprochen. Hat er eine Erklärung dafür, wie dieses Zeug in die Kräuter geraten ist?«
»Ja, die hat er, es ist meine Schuld. Eleonore dagegen behauptet, er habe den Riesenbärenklau untergemischt.«
»Wie bitte? Warum denn das?«, fragte Anna verblüfft.
»Um mich loszuwerden«, sagte Mona und erzählte Anna, was Eleonore ihr eröffnet hatte.
»Das ist doch Unsinn, so etwas würde Jonas niemals tun.«
»Wer weiß, ich hätte auch nicht gedacht, dass er mich einfach so abkanzelt, wie er es gestern getan hat.«
»Verkrieche dich nicht, sonst haben sie dich genau da, wo sich dich haben wollen. Gib nicht auf«, bat Anna, als Monas Telefon läutete und sie nicht darauf reagierte.
»Du hast recht, ich habe nichts getan, wofür ich mich schämen müsste. Mona Wagner«, meldete sie sich entschlossen.
»Tobias Meier, Bergmoosbacher Tagblatt. Es geht um den Vorfall gestern im Dorfgemeindehaus. Würden Sie mir ein Interview in dieser Sache geben?«
»Am Samstagmorgen um elf Uhr am Brunnen auf dem Marktplatz.«
»Sie beweisen Mut, mitten drin im Geschehen, während des Trachtenumzugs, Respekt.« Tobias Meier, der für die lokalen Nachrichten des Tagblattes zuständig war, schien sichtlich beeindruckt.
»Bis dann«, sagte Mona und legte auf.
»Das war eine gute Entscheidung«, lobte Anna die Freundin.
»Ich soll mich nicht verkriechen, also gehe ich in die Öffentlichkeit. Sollen ruhig alle zuhören, was ich zu sagen habe«, entgegnete sie und öffnete die Vorhänge.
»Gut so, und jetzt machst du dich hübsch. Ich bin heute in der glücklichen Lage, mir freinehmen zu können. Ich dachte, wir beide fahren in die Stadt und machen einen Einkaufsbummel.«
»Ich habe noch keine Schuhe, die zu dem Dirndl passen, das ich zum Trachtenumzug anziehen möchte. Obwohl, die brauche ich gar nicht mehr. Es sieht doch so aus, dass mich niemand mehr in Bergmoosbach sehen will.«
»Nicht alle sind gegen dich eingenommen.«
»Aber Jonas ist es, und das tut so weh.«
»Wer weiß, vielleicht klärt sich die Sache ja noch bis zum Wochenende auf.«
»Und wenn nicht, dann verabschiede ich mich mit einem großen Auftritt?«
»Auf jeden Fall«, antwortete Anna lächelnd. Sebastian hatte sie am Abend zuvor nach seinem Treffen mit Jonas angerufen und ihr erzählt, dass er seinen Verdacht gegen Eleonore ihm gegenüber geäußert hatte. Aber noch wollte sie Mona in dieser Hinsicht keine Hoffnung machen. Noch hatte Eleonore ihre Tat nicht zugegeben.
»Also gut, ich ziehe mich an«, sagte Mona und verschwand mit einem langen weißen Leinenrock und einer dunkelblauen Bluse mit niedlichen Puffärmeln im Bad.
Als sie wenig später zusammen mit Anna das Appartement verließ, wollte sie ihr Handy einstecken, aber sie hatte vergessen, es aufzuladen. Da der Akku leer war, ließ sie es zu Hause liegen.
*
»Elo, würdest du dir bitte endlich ein paar Minuten Zeit nehmen.« Jonas wurde allmählich ungeduldig. Als er am Abend zuvor nach Hause gekommen war, schlief sie schon, und nun hatte er das Gefühl, das sie ihm aus dem Weg ging.
Zuerst musste sie dringend in den Kräutergarten, dann in den Stall, danach auf die Weide und schließlich war sie ins Dorf gefahren, um einige Besorgungen zu erledigen. Als sie mit dem Fahrrad aus dem Dorf zurückkam, sprang er von seinem Traktor herunter, mit dem er gerade zu seinen Feldern fahren wollte, und baute sich vor ihr auf.
»Was willst du von mir?«, fragte Eleonore und vermied es, ihn direkt anzusehen.
»Du weißt, wie gefährlich dieser Riesenbärenklau ist?«
»Allerdings«, antwortete sie und zog den Strohhut tiefer ins Gesicht.
»Warum hast du ihn dann unter die Kräuter gemischt, die für Mona bestimmt waren?« Jonas hatte sich dafür entschieden, ohne Umschweife auszusprechen, wovon auch er inzwischen überzeugt war. Sebastian hatte recht. Eleonore war schon immer eifersüchtig auf seine Freudinnen gewesen. Es hatte ihn bisher nur nie gestört, deshalb hatte er es nicht ernst genommen.
»Was unterstellst du mir denn da?«, entrüstete sich Eleonore und schaute zu Boden.
»Hör auf mit der Komödie.«
»Komödie? Das ist doch wohl eher ein Drama, dass du diese Frau hier angeschleppt hast. Hast du nicht bemerkt, wie schnell sie alles eingenommen hat? Kaum war sie hier, spielt sie sich als Geburtshelferin im Stall auf, erobert meine Küche und läuft über den Hof, als sei sie bereits hier zu Hause.« Eleonore packte die beiden Einkaufstaschen, die an der Lenkstange ihres Fahrrades hingen, und wollte an Jonas vorbei ins Haus.
»Du hast es getan, um Mona loszuwerden, gib es zu, Elo.« Er hielt sie am Arm fest und sah sie mit blitzenden Augen an.
»Beweis es«, erwiderte sie, schüttelte seine Hand ab und marschierte ins Haus.
Wie konnte ich nur auf diesen Unsinn hereinfallen?, dachte Jonas. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wollte Mona anrufen. Aber sie meldete sich nicht, weder auf ihrem Handy noch auf dem Festnetz. Nachdem er es einige Male versucht hatte, fuhr er zu ihr, aber da sie ihm nicht öffnete, ging er davon aus, dass sie nicht da war. Er wollte am Abend erneut zu ihr fahren, sollte er sie telefonisch nicht erreichen.
*
Mona stand noch eine Weile vor dem Appartementhaus, nachdem Anna sie abgesetzt hatte, und schaute auf das Dorf hinunter, in dem sie so gern heimisch geworden wäre. Wehmütig dachte sie an den schönen Nachmittag, den sie mit Anna in der Kreisstadt verbracht hatte. Sie waren durch die Fußgängerzone geschlendert, hatten Schaufenster betrachtet und ein paar Kleinigkeiten eingekauft. Auch ein Paar Schuhe passend zu ihrem Dirndl hatten sie entdeckt und schließlich auch gekauft. Anna hatte alles getan, um sie für eine Weile von ihrem Kummer abzulenken, und das war ihr auch gelungen. Aber als sie den Blick in Richtung Kastnerhof wandte, fragte sie sich, ob sie wirklich den Mut aufbringen würde, sich während des Trachtenumzugs noch einmal im Dorf sehen zu lassen. Das Verhältnis zwischen ihr und Jonas war doch gar nicht mehr zu kitten. Sie misstrauten einander, das war der Dolchstoß für jede Liebe. Nein, da war nichts mehr zu machen, sie musste sich damit abfinden, dass sie nicht hier bleiben konnte. Sie musste Abschied von Bergmoosbach nehmen, und sie musste ihren Großeltern erklären, dass sie wieder in die Stadt zurückging, weil sie in dieser Gegend keine Arbeit mehr finden würden.
»Geh nach München oder in eine andere Großstadt, da kannst du ganz von vorn anfangen. Hier hast du ohnehin keine Chance mehr.« Das hatte Eleonore zu ihr gesagt. Wie es aussah, hatte sie damit recht.
Sie wollte schon die Haustür aufschließen, als sie plötzlich an den Abend mit Jonas auf der Obstwiese denken musste, diesen ersten zärtlichen Kuss, der so viel versprach. In zwei Stunden wurde es dunkel, mit dem Fahrrad war es etwa eine halbe Stunde bis zur Wiese. Genug Zeit, um von diesem Ort, an dem sie so glücklich war, Abschied zu nehmen. Sie nahm ihr Fahrrad aus dem Fahrradständer vor dem Haus, löste das Schloss und machte sich auf den Weg.
*
Gleich nachdem Jonas an diesem Abend den Melkwagen auf der Weide geschlossen hatte, eilte er nach Hause, stellte sich unter die Dusche und zog danach seine helle Jeans und den hellgrünen Pullover an, der so gut zu seinen Augen passte.
»Wohin willst du?«, fragte Eleonore, die in der Küche am gedeckten Abendbrottisch saß und davon ausging, dass Jonas sich inzwischen beruhigt hatte.
»Denk darüber nach, ob du mir nicht doch die Wahrheit sagen willst«, sagte Jonas und ließ die Haustür hinter sich zufallen.
»Dieses Weibsstück hat ihm offensichtlich völlig den Verstand verdreht«, murmelte Eleonore und starrte auf den leeren Platz auf der Eckbank, wo sonst jeden Abend Jonas saß.
»Wo bist du?«, flüsterte Jonas, als er wenig später wieder vergeblich an Monas Tür läutete.
Den ganzen Tag hatte er versucht, sie anzurufen. Da sie sich nicht meldete, hatte er gehofft, sie wenigstens jetzt zu Hause anzutreffen. Um herauszufinden, was mit ihr los war, rief er Anna an. Sie erzählte ihm von ihrem Ausflug mit Mona in die Kreisstadt.
»Vielleicht macht sie noch einen Spaziergang«, sagte sie.
»Ja, vielleicht, danke, Anna.« Vielleicht wollte Mona ihm aber auch einfach nicht aufmachen, weil sie längst mit ihm abgeschlossen hatte, was nach seinem Verhalten ihr gegenüber auch kein Wunder wäre.
Statt sie in den Arm zu nehmen und sie zu trösten, als sie ihn brauchte, hatte er sie noch mehr verletzt. Wie sollte sie ihm das verzeihen?
»Mona, ich habe dich wohl nicht verdient«, flüsterte er und stieg wieder in sein Auto. Er wollte zu dem Ort fahren, an dem ihm bereits klar war, dass sie die Richtige für ihn war. Er hätte dieses Glück einfach nur festhalten müssen.
Mona lief durch die Reihen der Apfelbäume, wie sie es mit Jonas zusammen getan hatte. Die Äpfel dufteten verführerisch, und sie konnte kaum widerstehen, einen davon zu pflücken. Aber es waren nicht ihre Bäume, und sie war nur gekommen, um sich an einen wundervollen Moment in ihrem Leben zu erinnern. Sie lief wieder ein Stück die Wiese hinauf, wandte sich um und blinzelte gegen die tiefstehende Sonne, als sie über Bergmoosbach hinweg auf die vereisten Gipfel der Alpen schaute. Sie wünschte sich, dort oben in der Einsamkeit sein zu können, wenigstens für eine Weile, um in der eisigen Natur ihren Kummer zu vergessen.
»Vielleicht wäre es das Paradies für mich«, flüsterte sie.
»Hätte ich in diesem Paradies einen Platz?«, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme fragen.
»Jonas.« Sie fuhr herum und sah ihn erstaunt an.
»Wir suchen wohl an demselben Ort nach Trost«, sagte er.
»Wieso solltest du Trost brauchen? Dein Plan war erfolgreich. Du willst doch gar keinen Platz neben mir, auch nicht in einem Paradies.«
»Von welchem Plan sprichst du?«, fragte Jonas.
»Den, mich loszuwerden«, sagte sie und erzählte ihm, was Eleonore ihr erklärt hatte.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein.« Jonas schüttelte fassungslos den Kopf, nachdem er alles gehört hatte.
»Dann stimmt es also nicht, dass du es bisher nie lange bei einer Frau ausgehalten hast?«
»Doch, das stimmt, aber das liegt daran, dass keine von ihnen die Richtige war. Aber du bist die Richtige, Mona. Verzeih mir, dass ich mich gestern so daneben benommen habe. Ich wollte es dir schon längst sagen, aber ich konnte dich nicht erreichen. Wie ich inzwischen weiß, warst du mit Anna unterwegs und vermutlich hast du meine Anrufe einfach ignoriert.«
»Nein, habe ich nicht, mein Telefon liegt zu Hause. Ehrlich gesagt, ich habe so sehr darauf gehofft, dass du dich meldest, dass du mir eine Erklärung für dein Verhalten anbietest, irgendetwas, dass mich dazu bringt, dir zu verzeihen.«
»Mona, ich liebe dich, und es tut mir leid, dass ich es dir nicht schon gestern gesagt habe. Ich wünsche mir, dass du bei mir bleibst, und ich hoffe, dass meine Liebe zu dir es wert ist, dass du mir verzeihst. Kannst du es?«, fragte er und betrachtete sie zärtlich.
»Ich möchte es, aber wir misstrauen einander, Jonas, das kann nicht funktionieren.«
»Es wird funktionieren, weil so etwas nie wieder vorkommen wird.«
»Eleonore und den anderen, die ich verletzt habe, wird es nicht gefallen, wenn ich hier bleibe, sie würden es dich spüren lassen.«
»Die anderen sind mir egal, du bist mir wichtig. Bitte, Mona, gib uns noch eine Chance«, bat er, legte seine Arme um sie und zog sie sanft an sich.
»Dann halte mich fest«, entgegnete sie und schmiegte sich an ihn. Sie wollte doch gar nicht gehen.
»So lange du es willst, mein Liebling«, versicherte er ihr und küsste sie.
In dieser Nacht blieben sie an dem Ort, an dem alles begann, richteten sich in der kleinen Hütte ein und gestanden sich immer wieder aufs Neue ihre Liebe. Am nächsten Morgen wusste Jonas, was er zu tun hatte, um Monas Ansehen in Bergmoosbach zu retten, und er bat sie, ihn zu seinem Hof zu begleiten.
*
Eleonore mistete den Stall aus, als die beiden am frühen Morgen auf dem Kastnerhof eintrafen. Sie gab sich beschäftigt und schaute nicht einmal auf, als Jonas den Stall betrat.
»Wo warst du?«, fragte sie und schob die Mistgabel unter das Heu, auf dem in der Nacht Zenzi und ihr Kälbchen gelegen hatten.
»Es geht dich nichts an, wo ich meine Nächte verbringen.«
»Du vernachlässigst deine Arbeit und überlässt sie mir.«
»Rede keinen Unsinn, dem Stall ist es egal, ob er eine halbe Stunde früher oder später ausgemistet wird.«
»Verstehe, du warst bei ihr«, zischte Eleonore, als sie einen Schatten an der Stalltür bemerkte, kurz aufsah und Mona entdeckte, die im Hof wartete. »Hat sie dich wieder eingewickelt, die kleine Schlange?«
»Schluss damit, Eleonore.« Jonas schaute seine Schwester drohend an, nahm ihr die Mistgabel aus der Hand und packte sie am Arm. »Du wirst dich jetzt bei Mona entschuldigen, für all das, was du ihr angetan hast, und für den Unsinn, den du ihr über mich erzählt hast. Und selbstverständlich wirst du für das Leid der Landfrauen, für das du verantwortlich bist, gerade stehen.«
»Wie kommst du darauf, dass ich verantwortlich bin?«, fragte Eleonore erbost und befreite sich aus dem Griff ihres Bruders.
»Du willst also, dass alle glauben, ich hätte das getan, um Mona loszuwerden? Tolle Idee, was denkst du, wie viele Kunden uns bleiben werden, wenn jeder annimmt, ich sei zu so einer Tat fähig?«
»Gar nichts wird passieren, sie muss nur fortgehen«, sagte Eleonore und warf Mona einen bitterbösen Blick zu.
»Sie wird nicht fortgehen, Mona wird zu uns auf den Hof ziehen, und zwar schon in den nächsten Tagen. Wenn dir das nicht passt, dann suche dir eine andere Bleibe.«
»Du wirfst mich vom Hof?« Eleonore schaute Jonas entsetzt an. Das, was sie am meisten fürchtete und unbedingt verhindern wollte, war eingetroffen.
»Du hast dein Wohnrecht durch diese Tat verwirkt.«
»Ich habe es immer gewusst, sobald du eine Frau auf den Hof holst, muss ich gehen«, jammerte Eleonore.
»Falsch, du musst gehen, weil ich dir nicht mehr traue. Wie soll ich unter diesen Umständen mit dir unter einem Dach wohnen? Ich hätte keine ruhige Minute mehr, weil ich ständig befürchten müsste, dass du meine zukünftige Frau und irgendwann meine Kinder drangsalieren könntest.«
»Deine zukünftige Frau?«, wiederholte Eleonore und starrte Mona an, die nähergekommen war und nun in der Stalltür stand.
»Ja, Elo, Mona wird schon bald meine Frau werden. Ich weiß, dass sie die Richtige ist, und ich werde nicht zulassen, dass du noch einmal einen Keil zwischen uns treibst.«
»Das heißt, ich bin jetzt allein.« Eleonore senkte den Kopf, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht. »Ich wollte doch nie fort von hier. Wo soll ich denn nur hin? Ich, das hässliche Entlein vom Kastnerhof, wie sie mich im Dorf hinter vorgehaltener Hand alle nennen.«
»Du musst kein hässliches Entlein sein, wenn du es nicht willst«, sagte Mona, die sich daran erinnerte, wie die Lohmeier-Zwillinge und Simone über Eleonore hergezogen waren.
»Wenn eine so hübsch ist wie du, dann hat sie gut reden«, seufzte Eleonore.
»Warum gibst du uns beiden nicht eine Chance, Eleonore? Ich meine, dir und mir. Weißt du, ich liebe Jonas, und ich möchte bei ihm sein, und das Beste für uns alle wäre, wenn wir beide Freundinnen würden.«
»Du bietest mir deine Freundschaft an?«, fragte Eleonore verblüfft.
»Ja, das tue ich, aber zu einer Freundschaft gehört auch, dass man sich gegenseitig vertrauen kann.«
»Ich weiß.«
»Du weißt es, gut, aber welchen Schluss ziehst du daraus?«, fragte Jonas.
»Es tut mir leid, ich hatte solche Angst, dass ich eines Tages überflüssig auf dem Hof sein würde. Ja, es stimmt, ich habe den Riesenbärenklau in die Kräuter getan, und ich war auf der Party, weil ich dachte, ich könnte die Sache noch verhindern, aber als ich kam, war es schon zu spät, und dann hat mich der Mut verlassen, und damit kein Verdacht auf mich fällt, habe ich mich auch zum Opfer gemacht«, gestand Eleonore unter Schluchzen ihre Missetat ein.
»Du meine Güte, Elo, was hast du dir nur dabei gedacht?« Jonas war fassungslos über das, was seine Schwester angerichtet hatte.
»Ich bereue es doch schon längst, und ja, ich werde zu allem stehen, was ich getan habe.«
»Ich denke, du solltest Monas Interviewtermin mit Tobias Meier übernehmen«, sagte Jonas.
»Interviewtermin?«
»So ist es. Wir drei gehen jetzt in die Küche, frühstücken zusammen und dabei werden wir alles besprechen. Auch, wie es in Zukunft auf dem Hof weitergeht.«
»Heißt das, ich darf bleiben?«, fragte Eleonore.
»Wenn du deine Intrigen einstellst und einen Gesprächstherapeuten aufsuchst, den du auf jeden Fall brauchst, dann würde ich mich darauf einlassen.«
»Alles, was du willst«, versicherte ihm Eleonore. »Es tut mir sehr leid.« Sie ging auf Mona zu und streckte ihr die Hand entgegen.
»Versuchen wir es miteinander«, sagte Mona und gab ihr die Hand.
*
Bergmoosbach lag im strahlenden Sonnenschein, als sich am Tag des Trachtenumzuges Teilnehmer und Zuschauer auf dem Marktplatz trafen. Alle hatten sich schön gemacht und wollten das Ereignis nicht verpassen.
»Wer ist das?«, fragte Therese Kornhuber, die mit Elvira und den anderen Landfrauen auf den Start des Umzuges wartete. Verwundert schaute sie auf die schlanke junge Frau in dem aprikosenfarbenen Dirndl, die am Brunnen stand und mit Tobias Meier vom Bergmoosbacher Tagblatt sprach. Das helle Haar war in ihrem Nacken zu einem lockeren Knoten geflochten und um den zarten Hals trug sie ein dunkelblaues Samtband mit Enzianstickerei.
»Das ist Eleonore«, flüsterte Elvira verblüfft, als sie genauer hinschaute.
»Das hässliche Entlein?«, hakte Therese überrascht nach. »Komm, das müssen wir uns aus der Nähe anschauen«, sagte sie.
»Sie haben also dieses Teufelszeug unter die Kräuter gemischt, Frau Kastner?«, fragte Tobias, ein blonder sportlicher junger Mann.
»Ja, das habe ich getan, und es tut mir entsetzlich leid.«
»Eleonore? Ich glaube es nicht«, flüsterte Therese und starrte die hübsche junge Frau an, die offensichtlich auch keine Brille mehr brauchte.
»Glaube es nur. Das habe ich Mona zu verdanken«, sagte Eleonore.
»Doch eine Wundermaske.« Elvira betastete ihr Gesicht, das genau wie bei allen anderen nur noch leicht gerötet war, was aber durch das Make-up und das Puder, das alle aufgetragen hatten, nicht mehr auffiel.
»Ja, es ist ein Wunder, aber ich habe es mir teuer erkauft, indem ich euch alle in Gefahr gebracht habe«, sagte Eleonore, und dann gestand sie, umringt von den Landfrauen und all den anderen Bergmoosbachern und ihren Gästen, die auf dem Marktplatz versammelt waren, ihre Tat.
»Eleonore, ich bin entsetzt«, sagte Therese.
»Was ist denn nun los?«, fragte Mona, als es plötzlich ganz still auf dem Marktplatz wurde. Sie und Jonas standen ein wenig abseits des Brunnens und schauten zu, was dort vor sich ging.
»Alle warten darauf, wie Therese auf dieses Geständnis reagiert, und die meisten werden sich ihrem Urteil anschließen.«
»Sie hat wohl ziemlich viel Einfluss in Bergmoosbach.«
»Deshalb ist sie die Vorsitzende des Landfrauenvereins.«
»In Anbetracht der Tatsache, dass wir alle wieder auf dem Weg der Besserung sind, du deine Tat bereust und neben allen Widrigkeiten aus einem hässlichen Entlein ein hübsches Madl wurde, das sich hoffentlich nicht mehr auf solche Gemeinheiten einlassen wird, verzeihe ich dir«, erklärte Therese und reichte Eleonore die Hand.
»Danke«, antwortete Eleonore unter Tränen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie, wie es sich anfühlte, hübsch zu sein und mit bewundernden Blicken betrachtet zu werden.
»Ehrlich gesagt, ich bin froh, dass es so ausgegangen ist«, sagte Anna, die sich durch die Menge gekämpft hatte, um zu Mona und Jonas zu gelangen. »Und was Eleonore betrifft, da hast du ein wirkliches Wunder vollbracht, Mona.«
»Sie war eine traurige verbitterte Seele.«
»Aber das ist nun vorbei. Du bist nicht nur mein Glück, du hast auch Elo das Glück gebracht«, sagte Jonas und nahm Mona in seine Arme.
Wenig später hielt der mit roten Rosen geschmückte Wagen mit Miriam Holzer, der amtierenden Dirndlkönigin, vor dem Rathaus. Mit ihr auf dem Wagen fuhren alle ehemaligen Gewinnerinnen dieses Titels, zu denen auch Traudel gehörte, und genau wie Miriam trugen sie prächtige goldfarbene Dirndl. Die Frauen, die Miriams Nachfolge antreten wollten, stellten sich hinter dem Wagen auf und wurden auch gleich von ihr und ihren Mitstreiterinnen begutachtet. Auch Anna, die sich dieser Tradition als Hebamme im Dorf nicht entziehen wollte, trug ein Dirndl, rosafarben mit weißem Schürzchen, und schloss sich zusammen mit Mona den Thronanwärterinnen an. Nach den Dirndlprinzessinnen, wie sie genannt wurden, marschierten die einzelnen Trachtenvereine aus Bergmoosbach und Umgebung im Takt der Blaskappelle, die das Schlusslicht des Umzuges bildete, durch die Straßen.
Als Jonas Sebastian entdeckte, der zusammen mit Emilia am Straßenrand in der Nähe des Rathauses stand und genau wie er einen hellen Trachtenanzug trug, ging er zu ihm.
»Hast du gesehen, was mit Elo passiert ist?«, fragte er ihn.
»Allerdings, und ich bin in diesem Fall geneigt, an ein Wunder zu glauben«, antwortete Sebastian lächelnd und schaute der jungen Frau in dem aprikosenfarbenen Dirndl nach, die sich dem Trachtenumzug angeschlossen hatte.
»Das Wunder heißt aber nicht Eleonore, sondern Mona«, sagte Jonas und richtete seinen Blick auf die Frau, die er liebte und die ein olivfarbenes Dirndl mit zartem Blütenmuster trug.
»Ich gratuliere dir zu diesem Wunder«, sagte Sebastian und klopfte Jonas anerkennend auf die Schulter.
»Anna sieht auch wunderschön aus, nicht wahr, Papa?« Emilia, die sich noch nicht dazu hatte entschließen können, ein Dirndl anzuziehen, trug ein gelbes Sommerkleid und weiße Turnschuhe.
»Ja, Spatz, sie sieht wunderschön aus«, stimmte Sebastian seiner Tochter zu.
»Hallo, Traudel!«, rief Emilia, als Traudel ihnen vom Wagen der Dirndlkönigin aus zuwinkte. »Und sie ist die Königin in unserem Haus«, erklärte das Mädchen lächelnd.
»Ja, das ist sie«, schloss sich Sebastian erneut seiner Tochter an.
Es dauerte eine Weile, bis der Umzug durch die von Menschen gesäumten Straßen den Festplatz erreichte. Der Wagen mit der Dirndlkönigin hielt dann und wann an, und Miriam und ihre Begleiterinnen warfen Parfum- und Kosmetikproben für die Damen und Süßigkeiten für die Kinder in die Menge. Bei dem letzten Halt des Wagens vor dem Festplatz bat Therese Miriam, zusteigen zu dürfen, weil sie ihr und ihren Begleiterinnen etwas Wichtiges mitzuteilen hatte.
»Wenn es so wichtig ist, dann komm«, zeigte sich Miriam gnädig und ließ sie einsteigen.
Auf dem Festplatz fand dann schließlich das alljährliche Ritual statt. Nachdem alle Teilnehmer und Gäste in dem großen Zelt, dessen Seitenwände wegen des schönen Wetters offenstanden, Platz genommen hatten, stellte sich die Blaskappelle neben der Bühne auf und blies einen Tusch, danach kam Miriam auf die Bühne, um den Namen ihrer Nachfolgerin zu verkünden. Nach einer herzlichen Begrüßung der Einheimischen und ihrer Gäste legte sie eine kurze Pause ein und schaute sich im Zelt um, so als würde sie erst jetzt darüber nachdenken, wer ihren Titel erben sollte.
»Sie macht es ganz schön spannend«, flüsterte Emilia, die mit ihrem Vater, Anna und Traudel an einem Tisch mit Mona, Jonas und Eleonore saß.
»Aber das Ergebnis wird euch gefallen«, erklärte Traudel lächelnd.
»Ich darf nun den Namen der diesjährigen Dirndlkönigin verkünden«, sagte Miriam, nachdem sie sich kurz geräuspert hatte. »Ich bitte Mona Wagner auf die Bühne.«
»Ich?« Mona sah Traudel ungläubig an.
»Du hast dir diesen Titel redlich verdient, das meinte auch Therese, und nun geh und nimm ihn entgegen«, forderte Traudel sie auf.
»Ab mit dir auf die Bühne«, sagte Jonas und küsste sie zärtlich auf die Wange, während der Applaus für sie im Zelt einsetzte.
»Nimmst du die Wahl an?«, fragte Miriam, als Mona gleich darauf vor ihr stand.
»Ja, ich nehme sie gern an«, sagte Mona und ließ sich von Miriam die kleine goldene Krone aufsetzen.
»Mona trägt nicht nur ein wunderschönes Dirndl, das diese Auszeichnung rechtfertigt, sie ist auch eine große Bereicherung für unser Dorf, und das wollen wir ihr damit zeigen.«
Alle im Zelt kannten inzwischen die Geschichte von der verunglückten Schönheitsparty und wussten, dass die Bergmoosbacherinnen Mona auf diese Weise um Verzeihung baten.
»Ich werde wohl noch einiges dafür tun müssen, bis die Leute mir im Dorf wieder vertrauen«, sagte Eleonore und schaute schuldbewusst zu Boden.
»Je früher du damit anfängst, umso schneller wirst du dieses Ziel erreichen«, versicherte ihr Jonas.
»Willkommen an unserem Tisch, Hoheit«, sagte Emilia, als Mona mit dem Krönchen auf ihrem Haar und einem Blumenstrauß im Arm wieder zu ihnen an den Tisch kam.
»Mona, meine Liebe, meinen herzlichen Glückwunsch.« Simone, die ein weißes Dirndl mit Brokatstickerei trug, versuchte, sich ihre Enttäuschung darüber, dass nicht sie gewonnen hatte, nicht anmerken zu lassen. Immerhin hatte sie durch Traudels Neun-Kräuter-Trank zwei Kilo abgenommen. »Du bist selbstverständlich wieder eingestellt«, sagte sie, da Monas Ruf nun wieder hergestellt war.
»Danke, Simone, aber ich denke, wir passen nicht wirklich gut zusammen«, lehnte Mona das Angebot ab.
»Auf unserem Hof ist Platz genug, du kannst dort dein eigenes Studio eröffnen, wenn du möchtest«, schlug Eleonore vor.
»Ist das dein Ernst?«, fragte Mona erstaunt.
»Ja, das ist mein Ernst, und ich denke, wenn wir dort ein Foto von mir vor meiner Verwandlung durch dich und eines von danach aufhängen, dann werden wir jede Kundin von deinen Qualitäten überzeugen.«
»Wir? Du willst mir helfen?«
»Ja, Mona, das will ich.«
»Elo, du bist auf einem guten Weg«, sagte Jonas und nahm seine Schwester liebevoll in den Arm.
»Darf ich bitten?«
»Mich?«, fragte Eleonore und sah den jungen Mann im Trachtenanzug verblüfft an, der an ihren Tisch gekommen war und sich vor ihr verbeugte.
»Magst nicht tanzen?«
»Doch, ich mag«, sagte sie und stand verunsichert, aber mit einem strahlenden Lächeln auf und ließ sich von dem Fremden an die Hand nehmen.
»Und jetzt möchte ich mit meiner Königin tanzen«, erklärte Jonas, als die Blaskappelle zum nächsten Tanz aufspielte.
»Sehr gern«, antwortete Mona, legte ihren Blumenstrauß auf den Tisch und folgte ihm zur Tanzfläche in der Mitte des Zeltes.
»Das ist nicht dein Ernst, zu dieser Musik?«, fragte Emilia erstaunt, als Markus, der mit seiner Familie an einem anderen Tisch saß, plötzlich vor ihr stand und sie zum Tanz aufforderte.
»Doch, das ist mein Ernst«, entgegnete der groß gewachsene Junge mit den hellblonden Haaren und reichte ihr die Hand.
»Also gut«, seufzte Emilia und ging mit ihm.
»Hallo, ihr Lieben, ich dachte mir schon, dass ich euch hier finde, nachdem ich Nolan allein im Haus angetroffen habe.«
»Benedikt, schön, dass du wieder da bist«, freute sich Traudel und sah den sportlichen Mann mit dem silberfarbenen Haar und den dunklen Augen an. »Wie ist das Golfturnier ausgegangen?«, fragte sie.
»Ich habe gewonnen«, antwortete Benedikt Seefeld und setzte sich neben sie.
»Gratuliere, Vater«, sagte Sebastian.
»Ich gratuliere auch«, schloss sich Anna an.
»Danke, aber nun sagt, was gibt es Neues in Bergmoosbach? Ist irgendetwas passiert, während ich fort war?«, fragte er und winkte Emilia, die ihm von der Tanzfläche aus einen Handkuss zuwarf.
»Nun, es gab da so eine Art Massenereignis, das sogar Auswirkungen auf unsere Praxis hatte.« Traudel lächelte in sich hinein und tat geheimnisvoll.
»Bitte, meine Liebe, mach es nicht so spannend«, bat Benedikt.
»Wir lassen euch dann mal allein«, sagte Sebastian.
»Wohin gehen wir?«, fragte Anna.
»Tanzen«, antwortete Sebastian lächelnd, küsste sie auf die Wange und nahm sie an die Hand.
»Ich sehe sie gern so zusammen«, flüsterte Traudel und schaute den beiden nach.
»Ich weiß, mir geht es genauso«, stimmte Benedikt ihr zu. »Aber jetzt erzähle, was ist hier los gewesen.«
»Also dann, hör zu«, sagte Traudel und betrachtete Benedikt mit einem liebevollen Blick.
– E N D E –