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EIN DEUTSCHER PROFESSOR

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Das Haus ›Am Hirschsprung‹ in Dahlem unterscheidet sich kaum von den anderen älteren, kleinen Villen dieses Teils von Berlin. Aber schon die Treppen, hinauf zum Studierzimmer des greisen Historikers, sind begleitet von Bücherregalen. In seinem kleinen Studio mit großem Arbeitstisch und Sofa sind alle Wände mit Büchern verstellt, und unter einer schweren Gesamtausgabe Jacob Burckhardts hat sich im Laufe der Jahrzehnte das schwere Eichenbrett durchgebogen. Friedrich Meinecke stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert; er erlebte schon den Krieg 70/71 bewußt mit; 1914 war er bereits über die Fünfzig hinaus; als Hitler die Macht ergriff, stand Meinecke im biblischen Alter. Zwanzig weitere Jahre Geschichte, deutsche Leidensgeschichte, durfte oder mußte der Historiker noch mitansehen, ehe er nun – vor wenigen Tagen – endgültig aus ihrem Bereich entlassen wurde.

Ich saß nach dem Kriege noch einige Male in seinem Oberseminar. Er hörte kaum noch und sah sehr schlecht. Aber das wenige, was er seinen Studenten noch mitgeben konnte, das blieb haften. Meinecke war eine ehrwürdige Erscheinung nicht nur wegen seines hohen Alters, wegen seines Rufes als Wissenschaftler – er war es besonders und in einer Weise, die uns heute kaum noch begegnet – als Mensch. Güte und Weisheit gingen aus von der kleinen, gebeugten Gestalt, so unmittelbar, daß niemand sich ihm anders nahen konnte als aufblickend.

Er trug immer eine feine, altmodische, graue Tuchweste und war trotz seiner Gebrechen von einer Höflichkeit, die es nicht mehr gibt. Auch dem jüngsten Gast gegenüber deutete er den Versuch, sich zu erheben, an und erkundigte sich teilnehmend nach Woher und Wohin des Besuchers, ehe er von seiner Wissenschaft oder von sich zu sprechen bereit war.

In dem großen Biedermeierzimmer im Erdgeschoß seines Hauses, an einem hellen, runden Tisch, mit Ausblick in den kleinen Garten und unter alten Bildern an den Wänden ringsum, vermittelte er, treulich geleitet von Frau und Tochter, noch in seinem neunten Lebensjahrzehnt jungen deutschen Studenten einen Eindruck davon, was einmal ein deutscher Professor war, jener deutsche Professor des neunzehnten Jahrhunderts, dem die Welt epochemachende Erkenntnisse der Geistes- wie der Naturwissenschaften verdankt. Ein bescheidener, ja karger Zuschnitt des materiellen Lebens kennzeichnet diese Gestalt, eine betrachtende eher als eine handelnde Haltung, und Demut vor den großen Rätseln von Natur und Geist.

Zwischen Grunewald und Brandenburger Tor

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