Читать книгу Raumfahrt - wohin und wozu - Thomas Ahrendt - Страница 14
Planetoiden
ОглавлениеWas die Energiemenge, also das Delta-V angeht, sind ENAs im Vergleich zum Mond leicht erreichbar, da ihre Anziehungskraft gering ist; die Fallbeschleunigung liegt in der Größenordnung von einigen cm/s²; die Entfernung ist im Gegensatz zum Delta-V in der Raumfahrt allgemein zweitrangig. Zu ENAs zu reisen ist einfacher als zum Mond zu fliegen, die entsprechenden Raketentechnologien gibt es schon und eine solche Reise wäre kürzer als die bis zum Mars; überhaupt liegt der Schwierigkeitsgrad einer solchen ENA-Mission zwischen dem einer Mars- und dem einer Mondmission. So würde eine Hinreise zum ENA "Nereus" 10 Monate, der Rückflug nur 3 Wochen dauern und der Aufenthalt 30 Tage. Sollten Menschen zum Mars fliegen, wären ENAs eine günstige und geeignete Trainingsgrundlage.
Um einen Megaimpakt zu verhindern, sollten wir zu diesen Kleinwelten reisen und ihre Bahnen mit großen Raketentriebwerken oder elektrodynamischen Massenschleudern ändern, oder man stattet sie mit großen Reflektoren aus und bringt sie mithilfe des Sonnenlichts oder starker irdischer Laser auf einen anderen Kurs. Gelingt es, Planetoiden in eine Erdumlaufbahn zu bringen, liefern diese Welten Mineralien und Edelmetalle sowie Ressourcen für den schwerelosen Aufbau einer Weltrauminfrastruktur.
Mit verbesserten Raumfahrzeugen und dem Weltraumlift werden Starts von der Erde leicht und erschwinglich; befindet man sich erst mal im Raum, steht der gesamte Planetoidengürtel zur Verfügung, mit dessen Rohstoffen die materiellen Bedürfnisse einer Bevölkerung gedeckt werden können, die millionenfach größer ist, als die Erde fassen kann.
Der Planetoidengürtel verfügt über abnorm hohe Rohstoffvorkommen, riesige Mengen an Sonnenenergie und sehr viel Bewegungsfreiheit; ein wunderbarer Ort, wo viele Menschen leben und dessen Ressourcen dazu verwenden könnten, um die Erde von einigen Milliarden Menschen zu entlasten und den Mars bewohnbar zu machen. Wenn unsere Nachfahren den Planetoidengürtel und die trojanische Region in Jupiternähe erschließen, werden sie Rohstoffe und Energie haben, um eine Gesellschaft zu gründen, die einige Zehnbilliarden Menschen umfasst. Und die Sonne liefert die Energie, die diese riesige Zivilisation benötigt - solange, bis sie ausbrennt. Doch bis dahin könnten unsere Nachfahren gelernt haben, das Sternenfeuer neu zu entfachen...
Vielleicht können wir schon im 22. Jahrhundert kleine Welten im Sonnensystem mittels Kernexplosionen (theoretisch gibt es keine Obergrenze für die Sprengkraft von Kernwaffen) oder Kernfusionsmaschinen bewegen und kleine Metallplanetoiden in Erdumlaufbahnen bringen und schrittweise eine Verteidigungstechnologie entwickeln, mit der sich große Erdbahnkreuzer ablenken lassen. Parallel dazu müssen wir darauf achten, dass die Technologien nicht missbraucht werden. Mit Sicherheit haben wir mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte Zeit, um Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen und politische Institutionen umzustrukturieren - dann können der Fortschritt auf der Erde und im Weltraum Hand in Hand gehen; sowieso sind beide eng verbunden.
Da uns die potenzielle Bedrohung durch ENAs und allgemein durch Erdbahnkreuzer zum Handeln zwingt, müssen wir letztlich überall im inneren Sonnensystem Menschen stationieren, denn umso bedeutsame Aufgaben zu bewältigen, können uns Roboter zwar unterstützen, aber sie reichen nicht dazu aus, das heißt bloß mit unbemannter Raumfahrt ist es nicht getan. Stattdessen müssen wir unsere Weltpolitik und das internationale System verändern. Auch wenn viel von unserer Zukunft noch im Dunkeln liegt, ist es doch relativ naheliegend und unabhängig von den Launen unserer Institutionen, dass einige von uns die Erde verlassen müssen, um das Überleben von uns allen zu garantieren. Dazu brauchen wir Stützpunkte und eine Infrastruktur. In mittelbarer Zukunft werden hoffentlich einige von uns auf fremden Welten in künstlichen Umwelten leben. Bis Mitte oder Ende des 21. Jahrhunderts erscheinen die Schaffung von Lebensraum auf oder unter den Oberflächen des Mondes und den Planetoiden möglich; viele Ressourcen ließen sich auf den Welten selbst beschaffen. Da deren Schwerkraft mit einigen Prozent bis Promille der Erdschwerkraft gering ist, könnten Menschen mit geringen Hilfsmitteln dort fliegen.
Wenn unsere Nachfahren sie bevölkern wollen, müssen sie entweder diese kleinen Welten entsprechend umgestalten oder sich an sie anpassen. Im ersten Fall lassen sich gewaltige durchsichtige Kuppeln vorstellen, die einen bestimmten Lebensraum umhüllen, auch sind Kolonien im Planetoideninneren denkbar. Weil sie klein sind und ihre Schwerkraft deshalb winzig ist, lassen sich auch Tiefbauarbeiten ziemlich leicht durchführen. Im Inneren eines geeigneten Kohlenstoff-Planetoiden kann es Materialien zur Herstellung und Bearbeitung von Stein, Metall und Plastik sowie reichlich Wasser geben; damit hat man alles, was man braucht, um ein geschlossenes Ökosystem zu errichten. Möglicherweise werden viele von uns in 100 oder 200 Jahren auf oder in einem Planetoiden leben, mit einer Energiequelle, die sie nicht nur am Leben hält, sondern auch ihre Welt antreibt.
Sollte sich eine zukünftige Erdbevölkerung - das müssen nicht ausschließlich Menschen sein - dazu entschließen, in den Weltraum zu expandieren, steht genügend asteroidales Eisen zur Verfügung, um eine 920 km große Eisenkugel zu bauen. Ausgehöhlt und wie eine gigantische Stadt mit Räumen und Eisenwänden versehen, ergäbe sich eine über 2000 km große Sphäre, in der genug Platz für mehr als 1016 Menschen wäre - dem millionenfachen dessen, was auf der Erde leben könnte, also Raum und Rohstoffe für 106 Erden! Wenn im Sonnensystem Hunderte von Billiarden Menschen leben, könnte der Bevölkerungsdruck im inneren Sonnensystem im Jahr 2600 Realität werden. Falls sich die Bevölkerung bei ca. 10 Billiarden einpendelt, und 1% pro Generation emigrieren, ergibt sich im 30 Jahre-Intervall eine Abreise von 100 Billionen Menschen pro Jahr. Das Sonnensystem, dessen Bevölkerungszahl durch die Notwendigkeit des Recyclings und ihrer Abhängigkeit von der Sonnenenergie eine Grenze gesetzt ist, kann die 10 Billiarden-Grenze nur dann überschreiten, wenn neue Ressourcen außerhalb des Planetoidengürtels wie zum Beispiel trojanische Planetoiden, die Monde der großen Planeten oder der Kuipergürtel und die Oortsche Wolke erschlossen werden. Da ein ENA fast keine Anziehungskraft hat, muss man, um ihn zu erreichen, nur auf die gleiche Geschwindigkeit abbremsen oder beschleunigen, außerdem sind einige ENAs nur einige km/s langsamer oder schneller als die Erde. Weiterhin haben Planetoiden und Kometen nicht nur die gleichen Materialien wie der Mond, sondern sogar noch mehr, vor allem Wasser - und das macht sie als Rohstoffquellen für zukünftige Weltraumaktivitäten hochinteressant. Vielleicht ist die Rückkehr zum Mond ein Fehler und man sollte besser zu den ENAs aufbrechen, denn ENAs mit geringer Bahnneigung und Exzentrizität sind leichter als der Mond zu erreichen. Übrigens müssen Planetoiden nicht trocken sein, vielmehr scheint es einen fließenden Übergang zu geben, manche Planetoiden können sogar als entgaste Kometen aufgefasst werden. ENOs könnten in der Zukunft nicht nur als Risiken angesehen werden, sondern auch als Rohstoffquellen und Siedlungsräume. Vielleicht ist der Weg zur Erschließung des Sonnensystems über ein ENO einfacher als über den Mond oder den Mars oder man wird eine Tages einen gut verpackten Kometen in einen Mondorbit oder nach EML4 oder 5 bringen, wo ihn die Energie der Sonne dann innerhalb der Hülle verflüssigen könnte. (Das Schmelzen ließe sich durch Umlenkspiegel und Laser beschleunigen. Vielleicht steuert man seine Bahn auch so, dass sie innerhalb der Venus- oder der Merkurbahn verläuft?)