Читать книгу Gustaf Gründgens - Thomas Blubacher - Страница 5
1. Ich würde mich selbst nicht erkennen
ОглавлениеEin Glückskind sei er gewesen, meinte Gustaf Gründgens und mußte sich doch am Ende seines Lebens eingestehen, daß es darin nur wenig Freude gegeben habe. Bloß im Spiel, verborgen hinter einer Maske, konnte er ein tiefes Glücksgefühl empfinden, im Spiel suchte er seine Existenz zu behaupten. Die von Ordnung und Exaktheit bestimmte Bühne war für ihn die Wirklichkeit. Auf diesem Planquadrat, wie er sie nannte, fühlte er sich sicher – über alle Systemwechsel hinweg.
Als artistisch brillanter Darsteller im Expressionismus der Weimarer Republik groß geworden, in seinen Rollen oft affektiert und von beängstigender Kälte, gelegentlich auch frivol und lasziv, erschien der zum Bühnenstar avancierte Bohemien und ehemalige Salonlinke vielen Nationalsozialisten als typischer Vertreter der verhaßten »Systemzeit« und wurde doch der führende Theatermann des »Dritten Reiches«. Er war – je nach Perspektive – der skrupellose, erfolgssüchtige Karrierist, »ein Virtuose im Sich-Arrangieren mit dem NS-Regime«1, der dessen Kulturfassade aufpolierte, oder der menschlich integere und dabei persönlich gefährdete Intendant, der mit seinem Theater einen Freiraum innerhalb des totalitären Staates schuf und couragiert bedrohte Kollegen schützte. Zweifellos muß er als Nutznießer jenes Systems, das er verachtete und dem er doch seine Kunst zur Verfügung stellte, gelten – und hat »zugleich jenen gedient, die an der Herrschaft der Nationalsozialisten litten und mitten im ›Dritten Reich‹ Trost und Hilfe suchten im Theater, zumal bei den Klassikern«2, wie Marcel Reich-Ranicki betonte. Nach dem Krieg spielte und inszenierte Gründgens im sowjetischen Sektor der Trümmerstadt Berlin und wurde in der Bundesrepublik ein für den Klassizismus seiner maßstabsetzenden Inszenierungen gefeierter, autokratischer Theater-Repräsentant der Adenauer-Restauration. Gustaf Gründgens, der Kunst sein Leben lang als autonomen Raum begriff, war über Epochen und Systeme hinweg der deutsche Theatermann, der »Nationalspieler« der Deutschen, vergleichbar Laurence Olivier in England und Jean-Louis Barrault in Frankreich – und doch der denkbar undeutscheste Schauspieler, der einzige seiner Generation, dem der Regisseur Peter Zadek die Qualität sophisticated zubilligte.3
Doch nicht nur die Widersprüche Deutschlands im 20. Jahrhundert kulminieren in seiner Person. Auf eine »einmalig persönliche Weise« hätten sich in ihm »alle positiven wie auch unübersehbar negativen Eigenarten zu einer künstlerischen Persönlichkeit«4 verbunden, meinte Ullrich Haupt. Gründgens war im Leben der leicht zu Kränkende und zeitweise lebensbedrohlich Kranke, der Demonstrant äußerster Disziplin und Selbstzucht und der exaltierte Hysteriker. Er schien vielen ein unterkühlter Rationalist und hing doch mit kindlicher Liebe an seinem Talisman, einem kleinen Stoffaffen. Er war der von seinen Anhängern geliebte, fast kultisch verehrte Künstler und zugleich ein an seiner Liebe Verzweifelnder, der sein Leben lang bemüht war, sein Innenleben zu schützen, Männer begehrte, Frauen heiraten wollte, entsetzliche Angst vor dem Altern hatte und unter Einsamkeit litt … Für Lotte Betke war er »als Mensch unangenehm bis widerwärtig, eitel und selbstherrlich«5, für ihre Schauspielerkollegin Elsa Wagner hingegen »ein himmlisches Wesen, ein zauberhafter Mensch«6. Friedrich Schoenfelder sah Gründgens, der »sprunghaft, oft völlig unbeherrscht« gewesen sei und »mit dem Fuß halbe Kulissen eingetreten« habe, als »eine seltsame, großartige, sehr schillernde Erscheinung«7, Bernhard Minetti erlebte ihn als »eine einseitige Persönlichkeit, die unerhört fähig war, sich selbst und die Wirklichkeit in eine straffe Form zu bringen«8. Gründgens selbst zitierte gerne Ernst Jüngers Epigramm »Unter den Masken der Freiheit ist die der Disziplin die undurchdringlichste«9, um zu bekennen, er habe »lange die Maske der Disziplin getragen«10.
Seit vor nunmehr 80 Jahren die erste, natürlich noch schmale Biographie11 von Robert Ramin über den 33jährigen Gründgens erschien, haben ihn zahlreiche Publikationen zu glorifizieren oder zu demontieren versucht. Wissenschaftliche Untersuchungen, Essays und fast ein Dutzend Monographien befassen sich mit Gründgens, aber auch Erzählungen und Romane. Die Figur des Tänzers Gregor Gregori in Klaus Manns 1932 erschienenem TREFFPUNKT IM UNENDLICHEN hat ebenso unverkennbar Gründgens zum Vorbild wie der Oliver in Lotte Betkes FEUERMOOR. Der berühmteste Roman, Klaus Manns 1936 veröffentlichter MEPHISTO, in dem der Autor den ehemaligen Freund und Schwager kolportagehaft als verabscheuungswürdigen und dennoch faszinierenden, chamäleonhaften Opportunisten Hendrik Höfgen porträtiert, der zynisch und vor Eitelkeit blind den Nazis als Aushängeschild dient, hat nicht nur das Bild von Gründgens verfälscht, sondern auch dafür gesorgt, daß sein Nachruhm noch immer gegenwärtig ist. Ariane Mnouchkines Dramatisierung – das »Theaterstück der ahnungslosen Französin« sei die »Diffamierung eines Mannes, der wie kaum ein zweiter sich in schwerster Zeit als Mann erwies«12, empörten sich ehemalige Kollegen von Gründgens – und István Szabós opulente, aber den Roman simplifizierende Verfilmung mit Klaus-Maria Brandauer erregten international Aufsehen. Auf Manns Roman basieren auch Mathieu Bertholets Stück RIEN QU’UN ACTEUR, das erstmals 2006 in Genf gezeigt wurde, und Tom Lanoyes MEFISTO FOREVER, 2007 in Antwerpen uraufgeführt. Gründgens wurde zudem zum Sujet weiterer Theaterstücke: Johann Kresniks GRÜNDGENS nach einer Vorlage von Werner Fritsch, der dann auch das in Gründgens letzten Stunden spielende CHROMA. FARBENLEHRE FÜR CHAMÄLEONS verfaßte. Als Streifzug durch Gründgens Leben sind Frank Raddatz’ Szenenfolge ALLES THEATER und Volker Kühns G WIE GUSTAV. MIT F. konzipiert, das als Revue mit Georg Preuße (bekannt als Travestiekünstler Mary)13 und als Solostück mit Helmut Baumann zu sehen war.
Autogrammkarte von Gustaf Gründgens aus den 30er Jahren
© privat
Ruhm sei die Summe aller Mißverständnisse, heißt es bei Rainer Maria Rilke. »Ich denke mir manchmal, wenn ich meiner Fama auf der Straße begegnen würde, ich würde mich selbst nicht erkennen«14, meinte Gustaf Gründgens 1955 in seiner Antrittsrede als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Durch die jahrzehntelange, emotional und kontrovers geführte Diskussion um Recht und Unrecht, Schuld oder Unschuld des von Hermann Göring protegierten Intendanten des Preußischen Staatsschauspiels ist der Künstler geradezu zum Mythos geworden. Der Platz vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus, Straßen in Stuttgart und Hamburg tragen seinen Namen.15 1977 wurde die Marmorplatte seines Ehrengrabes auf dem Ohlsdorfer Friedhof durch das Einkratzen eines Hakenkreuzes stark beschädigt.16 1984 errichtete man im Düsseldorfer Hofgarten ein 23 Tonnen schweres Denkmal17 für ihn – allerdings gegen heftigen Widerstand vor allem aus den Reihen der FDP.18 1987 wandte sich Jürgen Flimm, der damalige Intendant des Hamburger Thalia Theaters, dagegen, daß ein Preis des Deutschen Bühnenvereins den Namen von Gründgens tragen sollte, »der sein ganzes Talent auf dubioseste Weise in den Dienst der fürchterlichsten Diktatur gestellt hat«19, und war mit seinem Protest erfolgreich. Der 2011 in Hamburg durch das Deutsche Schauspielhaus und den Lions Club initiierte, von der Mercedes-Benz-Niederlassung Hamburg gestiftete »Gustaf-Gründgens-Preis« ist dafür wohl kaum ein Ersatz. Bis heute polarisiert Gründgens.
Doch auch wenn Gründgens länger als die meisten Theaterleute im öffentlichen Gedächtnis geblieben ist, ist das Andenken heute deutlich verblaßt. Nur noch wenige dürften sich an Vorstellungen mit dem 1963 verstorbenen Schauspieler erinnern oder an Inszenierungen des Regisseurs, der auf Tradition und präzise beherrschtes Metier bestand und proklamierte, es sei unwichtig, »ob in Deutschland gut oder schlecht Theater gespielt wird«, viel wichtiger sei, »ob richtig oder falsch Theater gespielt wird«20.
* * *
Bei der Annäherung an den Mythos Gründgens haben neben der Sichtung zahlreicher Dokumente im Theatermuseum Düsseldorf und in der Staatsbibliothek zu Berlin sowie einiger bisher noch nie ausgewerteter Briefe aus Privatbesitz vor allem – teils schon vor Jahren geführte – Gespräche mit Zeitzeugen geholfen: Interviews mit Verwandten wie Gründgens’ Schwiegertochter Ingeborg Gründgens-Gorski und seinem Halbbruder Gerrit Gründgens, mit Freunden oder deren Nachkommen wie André Pozner, dem Sohn Ida Liebmanns, Marcel Ophüls, dem Sohn von Max Ophüls, Erich Zacharias-Langhans’ Großneffen Warner Poelchau, Christoph Bernoullis Sohn Carl Christoph, Alex Vömels Sohn Edwin und Hermann Kleinhubers Sohn Ingo, mit Sekretärinnen, Mitarbeiterinnen des Betriebsbüros, Regieassistenten und Dramaturgen, mit Heinz Tietjens Witwe Liselot und Wilhelm Furtwänglers Witwe Elisabeth, vor allem aber mit zahlreichen Schauspielerinnen und Schauspielern wie Ilse Bally, Gerd Baltus, Maria Becker, Lotte Betke, Volker Brandt, Charles Brauer, Ella Büchi, Volker von Collande, Heinz Drache, Rosemarie Fendel, Sebastian Fischer, Uwe Friedrichsen, Sabine Hahn, Ruth Hellberg, Hanne Hiob, Marianne Hoppe, Jenny Jugo, Johanna von Koczian, Otto Kurth, Dieter Laser, Bert Ledwoch, Heidi Leupolt, Erni Mangold, Kurt Meisel, Bernhard Minetti, Lola Müthel, Lilo Pulver, Friedrich Schoenfelder, Gisela Uhlen, Wolfgang Wahl, Antje Weisgerber, Kurt Weitkamp und Jürgen Wilke, um nur einige zu nennen. Manche hatten bislang noch nie Auskunft gegeben, so etwa die im kalifornischen Atherton lebende ehemalige Stewardeß Hildur Kirchdörfer, die 1963, als man den toten Gründgens in seinem Hotelzimmer in Manila fand, für die Polizei dolmetschte …