Читать книгу Soko mit Handicap: Der Tote und der Taucher - Thomas Franke - Страница 8
Vandalismus und ein Todesfall
Оглавление„Das Haus da drüben ist es.“ Lina deutete auf einen Altbau.
„Bist du sicher?“, fragte Ben. „Ich kann keine Hausnummer erkennen.“
Lina seufzte. „Ganz sicher. Mein Bruder wohnt in dieser Straße.“
„Echt, in der noblen Gegend?“
„Ja, echt.“
„Na dann …“ Ben lenkte den Wagen schwungvoll ins Halteverbot und schaltete den Motor aus.
Lina hob die Brauen.
„Hey, wir dürfen das. Irgendeine Entschädigung muss es ja dafür geben, dass wir diese spießigen Uniformen tragen.“ Er nahm die Mütze vom Armaturenbrett, drückte sie auf seine Locken und zwinkerte ihr verwegen zu. Sie arbeiteten seit knapp zwei Monaten zusammen, und Ben hatte es immer noch nicht aufgegeben, sie beeindrucken zu wollen.
Lina verdrehte die Augen und ergriff das Protokoll.
„Was ist los? Bist du heute früh aus dem Bett gefallen? Gab’s Schweinskopfsülze zum Frühstück? Bewirbst du dich für die Wahl zur grimmigsten Oberwachtmeisterin der Hauptstadt?“
Lina blickte in sein jungenhaft grinsendes Gesicht und hob die Brauen.
„Nun komm schon, Lina, sei nicht so grummelig. Freundlich zu gucken, ist gar nicht so schwer. Man muss nur ein paar Muskeln bewegen. Guck mal, so!“ Er grinste sie so übertrieben enthusiastisch an, dass Lina ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.
„Yes!“ Ben ballte triumphierend die Faust. „Sie hat mich angelächelt. Meine Woche ist gerettet!“
Lina schüttelte den Kopf. „Können wir jetzt bitte unseren Job machen, Herr Kollege?“ Sie konnte nicht leugnen, dass Ben ein attraktiver Mann war. Er hatte einen durchtrainierten Körper und ein spitzbübisches Lächeln. Lina war sich sicher, dass er sich seines guten Aussehens durchaus bewusst war.
Sie stieg aus und las den knappen Protokolleintrag. Dies war einer jener typischen Fälle, die mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals aufgeklärt werden würden. Ein Dachboden war verwüstet worden.
Ben war ebenfalls ausgestiegen und linste über ihre Schulter. „Also, ich tippe auf eine etwas aus dem Ruder gelaufene Party.“
„Ist am wahrscheinlichsten“, bestätigte Lina.
In der Gegensprechanlage rauschte und knackte es, als sich nach mehrmaligem Klingeln schließlich eine heisere Stimme meldete. „Ja?“
„Guten Tag, hier sind Polizeimeister Schmidt und Polizeiobermeisterin Marquardt. Sie haben Anzeige wegen Vandalismus erstattet?“
„Warten Se, ick komme gleich!“
Der Hausmeister war ein hagerer, kahlköpfiger Mann Mitte sechzig. Er lächelte freundlich und kam ihnen mit dem Habitus eines Hürdensprinters und dem Tempo einer herzkranken Weinbergschnecke entgegen. Eine qualmende Pfeife klemmte zwischen seinen Zähnen.
„Mac Barren Vanilla Flake“, entfuhr es Lina, als der Mann bei ihnen angekommen war.
Ben warf ihr einen verblüfften Blick zu.
„Treffer“, erwiderte der Hausmeister mit schiefem Grinsen. „Roochen Se ooch Pfeife?“
„Nein.“ Die Erinnerung war vage und schmerzhaft zugleich. Er steht am Fenster. Wie ein Riese ragt er vor ihr auf. Rauch umwabert ihn wie Morgennebel. Sie zieht an seinem Hosenbein. Er senkt den Blick, und ein sanftes Lächeln legt sich auf sein bärtiges Gesicht.
Eine Hand auf ihrer Schulter holte Lina zurück in die Gegenwart. „Hey, alles in Ordnung?“, fragte Ben.
Lina nickte.
„Du siehst ein bisschen blass aus.“
„Alles okay!“ Barsch schüttelte Lina die Hand ihres Kollegen ab und wandte sich an den Hausmeister. „Haben Sie die Anzeige erstattet?“
„So isset.“ Der Mann nickte bedächtig. „Komm Se, am besten, ick zeig Ihnen mal dit Malheur.“ Bedächtig machte er kehrt und schlurfte zurück ins Treppenhaus. „Wir müssen janz ruff uff’n Dachboden. Leider jibt’s keen Fahrstuhl. Aber loofen hält ja fit.“
Lina hatte Zweifel bezüglich der Fitness des Mannes, denn ab dem dritten Stock blieb der Hausmeister auf jedem Absatz stehen und rang asthmatisch pfeifend nach Luft. Ben verdrehte heimlich die Augen.
Endlich erreichten sie den Dachboden.
„Da, sehn Se sich dit mal an!“
Die Tür war aufgebrochen und hing schief in den Angeln. Stickige Luft schlug Lina entgegen, als der Hausmeister sie aufzog.
Jemand hatte – vermutlich mit dem Schemel, der noch auf dem Boden lag – das Dachfenster eingeschlagen. Der Boden war übersät mit Glassplittern. Stirnrunzelnd sah Lina sich um. Nirgendwo waren Graffiti zu sehen, es lagen auch keine leeren Flaschen herum. „Nach Party sieht das nicht aus.“
„Ick hab ja ooch nich Anzeige wegen ’ner Party erstattet, sondern weil hier randaliert wurde“, bemerkte der Hausmeister.
„Das ist schon klar“, bemerkte Ben. „Wir fragen uns nur, welches Motiv dahinterstecken könnte.“
„Blödheit vielleicht?“, mutmaßte der Alte und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. „Zum Zerstören is nich allzu viel Jehirn notwendig.“
Ben stellte den Schemel auf und kletterte vorsichtig hinaus aufs Dach.
„Nich übermütig werden, Herr Wachtmeister. Ick würd Se unjern im Hof wieder zusammenkehrn“, bemerkte der Hausmeister.
„Kannst du irgendetwas erkennen?“
„Nicht wirklich.“
Linas Funkgerät gab ein Knacken von sich. „Ja, was gibt’s?“
„Seid ihr noch in der Mohrenstraße?“
„Ja.“
„Wenn ihr gerade nicht wisst, was ihr sonst machen sollt, schaut doch mal in der Vierzehn vorbei. Da hat’s einen Toten gegeben.“
Lina spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. „Wisst … ihr Genaueres?“
„Nicht viel, wahrscheinlich handelt es sich um eine natürliche Todesursache. In einer Behinderten-WG ist in der Nacht ein Rollstuhlfahrer gestorben.“
Lina glaubte, das Wummern ihres Herzschlags zu hören. „Wie heißt er?“
„Was …?“
„Haben wir einen Namen?“
Ben lugte durch das Dachfenster herein. „Lina, alles in Ordnung?“
Sie winkte ab.
„Äh, nein, wir haben keinen Namen. Die Betreuerin war ein bisschen durcheinander und hat uns angerufen, obwohl noch gar kein Arzt da war. Es sieht allerdings nach einer natürlichen Todesursache aus. Ich habe sie gebeten, einen Arzt zu rufen. Bevor die Leichenschau stattgefunden hat, müsst ihr eigentlich noch gar nicht –“
„Bin unterwegs.“ Lina schaltete das Funkgerät aus.
Ben und der Hausmeister sahen sie mit großen Augen an. Am liebsten hätte Lina den beiden ein Was glotzt ihr so? an den Kopf geworfen. Stattdessen sagte sie, um einen neutralen Tonfall bemüht: „Ben, du machst hier weiter. Ich kümmere mich schon mal um den nächsten Fall.“ Sie nickte dem Hausmeister zu. „Auf Wiedersehen.“ Ehe einer der beiden reagieren konnte, war sie bereits durch die Tür geschlüpft und eilte die Treppe hinunter.
„Lina?“ Ben folgte ihr. „Lina, nun warte doch.“ Auf halber Strecke holte er sie ein.
„Hatte ich dich nicht gebeten hierzubleiben?“
„Nicht ganz“, erwiderte Ben. „Du hast mir einen Befehl an den Kopf geknallt und bist abgezischt.“
„Ist doch Wurst. Du kannst unseren Zeugen nicht einfach so stehen lassen.“
„Hab ich nicht, ich habe mich freundlich verabschiedet. Also, was ist so dringend, dass du plötzlich davonstürmst?“
„Im Nachbarhaus gab es einen Todesfall.“ Lina sprang die letzten Treppenstufen hinunter und stieß die Haustür auf.
„Echt?“ Ben hetzte ihr hinterher. „Warum hast du das nicht gleich gesagt? Besteht Mordverdacht?“
„Nein!“ Lina presste die Lippen zusammen und eilte hinüber zum Nachbarhaus. Ihre Finger zitterten, als sie die Klingel der Wohngemeinschaft Lebenslust e. V. drückte.
„Irgendwie unpassend, der Name, oder?“, schnaufte Ben.
Lina antwortete nicht. Als der Türsummer erklang, stieß sie hektisch die Tür auf. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte sie die Treppe hinauf.
Ben folgte ihr.
Die WG befand sich im ersten Stock, eine mollige Frau mittleren Alters öffnete ihnen die Tür. Es war Martha Nowak, eine der Betreuerinnen. Sie hielt sich ein Telefon ans Ohr und wirkte sehr aufgeregt. „Jetzt warten Sie doch einen Moment!“, sagte sie. „Ich muss kurz die Polizei … Aber wieso denn nicht …? Sie stehen doch schon vor der Tür …“
„Entschuldigung.“ Lina zwängte sich an der Frau vorbei in den lang gestreckten Flur. Am Ende des Ganges kam ein junger Mann in einem E-Rollstuhl um die Ecke gefahren. „Theo!“ Sie rannte zu ihm und schloss ihn in die Arme. „Gott sei Dank!“, entfuhr es ihr.
„Lina“, nuschelte der junge Mann in den Stoff ihrer Uniformjacke. „Findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?“