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2 Briefe an Julia

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Feininger meinte, er würde mehr das Geistige der Kunst, Gropius dagegen mehr das Handwerkliche im Blick haben. Irgendwie fanden sie zu gemeinsamer Sprache. Jedenfalls erfuhr Julia, die doch selbst ausgebildete Malerin und Künstlerin aus gutem Hause war, dass Walter Gropius und dessen extravagante Frau Alma den Maler Feininger vollkommen respektierten und ihm die eigene Welt belassen würde. Mit Gropius käme das Staatliche Bauhaus in Fahrt und Lyonel würde der Künstler sein, dessen Stilistik und Komposition den Vorstellungen des umtriebigen, viel jüngeren Gropius` sehr genau entsprachen. Die beiden kannten sich vom Arbeitsrat für Kunst in Berlin, das Programm hatte auch Feininger mit unterschrieben: Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden. Die Kunst soll nicht mehr Genuss Weniger, sondern Glück und Leben der Massen sein…

Auf solche Positionen konnten sie sich damals einigen, die Architekten, Maler, Bildhauer, Musiker, Filmleute.

„Wieviel Einigkeit da bestanden hatte“, überlegte Matze, „es fängt ja immer mit einer gemeinsamen Idee an. Hauptsache ist wohl, das alles auch durchzuhalten“. Gropius und Feininger lernten sich auf diese Weise kennen und Feininger hatte dem Programm seinen Holzschnitt „Rathaus von Swinemünde“ beigesteuert. Und dann flog doch wieder alles auseinander.

Gropius ließ nicht locker. Der Organisator Gropius, der die Fäden spann, der Leute nach Weimar holte und der Öffentlichkeit klarzumachen suchte, welches Gesamtkonzept von Leben und Kunstgestalten sie sich da auf ihre Fahnen geschrieben hatten, dieser Gropius… Aber Feininger war hochgestimmt in diesem Frühling. Der Krieg war vorüber, endlich. Vielleicht würden die Freikorps-Rebellen ihre Gewaltakte auf den Strassen einstellen, die Lage sich beruhigen.

Wieder war Walter Gropius mit einem Programm, mit einem Manifest sogar, zur Stelle. Er wollte junge, kreative Menschen ausbilden, als gute Antwort nach dem Krieg. Und dem Gropius steckten Militär und Verwundung noch besonders schwer in den Knochen. Jetzt schreibt er in seinem Bauhaus-Manifest: Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft…

Feiningers eigentliches Manifest, das waren seine Briefe. Die Briefe, die er immerzu an Julia nach Berlin schickte. Julia kannte die Intentionen ihres Mannes, sie konnte ihn verstehen. Julia hatte ihren Mann doch überhaupt erst zur ernsthaften Malerei gebracht. Sie wußte, seine ewigen Karikaturen, seine spitzfindigen Satirezeichnungen, dabei sollte es nicht bleiben. Julia hatte vielleicht auch mit ihrem vermögenden Vater einen heimlichen Deal abgesprochen. Sie würde ihren Mann ernsthaft zur Malerei bringen und Vater Berg, Julias Vater, unterstützte das junge Paar mit seinem Geld. In den Briefen legte er präzise dar, wie seine künstlerischen Aktivitäten gelingen konnten, wie sein Tagesablauf aussah, was ihn bedrückte. Und in seinen Natur-Skizzen hielt er wesentliche architektonische und räumliche Eigenheiten seiner Beobachtungen fest. Und er war ordentlich kritisch gegen sich selbst. Er arbeitete unablässig an seiner künstlerischen Vervollkommnung.

Als Lehrer Matze diese Briefe Feiningers das allererste Mal in die Hand bekam, war er erstaunt über diese Gedankenfülle des Briefeschreibers und den exakten Schreibstil, den der Maler da anschlägt. Von 1905 an bis zum Jahr 1935 gibt es Feininger Briefe. Dieser Feininger, dieser blitzgescheite Mann war da in diesem Nest Vollersroda auf und ab gegangen. Er hatte hier gesessen und alles Wesentliche dieses Ortes auf Papier, Leinwand oder als Holzschnitt festgehalten. Die Kopien der Briefe hatte Matze vom Freund und Lehrerkollegen Wolfgang Siebert aus der Bundesrepublik nach Weimar, also Vollersroda mitgebracht bekommen. „Was für ein Schatz, diese Briefe“, Matze konnte es gar nicht oft genug ausrufen, welche Kostbarkeit er da geschenkt bekam.

Für Wolfgangs Arbeit, der damals Musiklehrer an einem Gymnasium in Esslingen war, hatte sich Matze schon als Student interessiert. Es kam so: Zweimal im Jahr kam eine Musikzeitschrift an Matzes Vater, eine Musikzeitschrift aus dem Westen. Irgendwie hatte es sich ein westdeutscher Verlag zur Aufgabe gemacht, an den ostdeutschen Musikpädagogen Dr. Friedrich, Matzes Vater, eine kostenfreie Sendung an Publikationen zu schicken. Sie lasen also offenbar im Westen auch die Aufsätze, die sein Vater in Deutschland Ost publizierte und waren ermuntert, weil sie deutsch-deutsch dachten, Bücher und Zeitschriften über die Grenze zu schicken. Was für eine interessante Lektüre, diese musikpädagogischen Hefte aus einem westlichen Verlag. Was die da alles in den höheren Klassenstufen ihren Schülern vermitteln konnten.

Es war dann dieser eine von Siebert publizierte Aufsatz, von dem sich Matze als junger Lehrerstudent so angesprochen fühlte, dass er kurzerhand dem Lehrer im fernen Westdeutschland schrieb. Was für ein Aufsatz! Lehrer Wolfgang Siebert hatte mit seinen Schülern ein BeatOrium auf den Tod des genialen Rockgitarristen Jimi Hendrix geschrieben. Unter der Überschrift „Born To Be Wild. In Memoriam Jimi Hendrix“ wurde berichtet, wie die Schüler sich in die Thematik eingearbeitet hatten. Sie hatten kleine Zeitungsnotizen auf Hendrix gesammelt, Teile aus Hendrix-Titeln dazu gesetzt und so eine Collage aus Text und Musik komponiert, die sie BeatOrium nannten. Matze fand das faszinierend. Beatmusik in der Verbindung mit Mitteln des Oratoriums, des geistigen Gedenkens und Erinnerns nicht an Christus, sondern an die Leiden dieses Rock-Musikers. Mein Gott, was man alles in einem engagierten Musikunterricht machen konnte. So wollte es Matze auch einmal anstellen. Weil es in die Zeit passte, weil damit Schüler gepackt werden konnten. Tatsächlich antwortete der Lehrer Wolfgang Siebert aus Esslingen und auf diese Weise entwickelte sich der Kontakt - eine freundschaftliche Verbindung zwischen Deutschland Ost und Deutschland West. Zeit ging ins Land.

Siebert ging wohl als Lehrer an die deutsche Schule nach Spanien oder sonst wohin, aber eines Tages war er mit seiner Familie, mit Frau und Baby zu Besuch in Weimar. Genauer gesagt, Matze quartierte ihn ein in Vollersroda. Ein paar Besuchstage beim Lehrer im Osten und ihm wurde der Wunsch erfüllt, die Briefe Feiningers in die Hand zu bekommen. Es war für Lehrer Matze eine Offenbarung. Eine solche Künstlerbiografie – und er konnte ganz unmittelbar nachvollziehen, dass das alles sozusagen vor seiner Haustür und ganz in der Nähe stattgefunden hatte. Ein Weltgeist wehte durch Vollersroda, Feininger war da und Matzes Seelenleben schwang sich auf zu neuen Höhen. Arglos ging er mit seinem Besuch um, die hatten ihr großes fremdes Auto am Dorfplatz geparkt. Lehrer Matze machte sich wenig Gedanken, dass da etwas Aufsehen entstanden war.

In Feininger erkannte Matze so etwas wie eine geistige Orientierung. Diese Korrespondenzen zeigen helle Fixpunkte, er konnte die Arbeit des Bauhaus-Meisters verstehen, auch die Beklemmungen und Beschränkungen nachvollziehen, denen die Feiningers aufgrund der politischen Zustände in Deutschland ausgesetzt waren. So nahm er Feininger-Briefe immer und immer wieder zur Hand und las darin. Er meinte auch, dass sich Geschichtsverläufe so oder so wiederholen oder ähneln konnten. „Man müsse das alles nur hin und wieder einmal erinnern“, dachte Matze, „und es würden sich viele Irrwege gesellschaftlicher Entwicklung verhindern lassen“. Lehrer Matze meinte, „alles war schon einmal da.“ Vielleicht müsste alles nicht immer erneut in Irrtümer, Wirrnisse und Kriege münden.

Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda

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