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4 Feininger mit großen Plänen

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Die halbe Nacht hatte Matze sich um die Ohren geschlagen und das riesige Werk der Feininger Briefe studiert. Er las und las und las. Was da alles zu entdeckten und zu erfahren war über Lyonel Feiningers Leben und Schaffen. Wie selbstbewusst der Künstler sein Leben gestaltete, wie er um künstlerischen Ausdruck in seinen Bildern rang, wie er sich selbst auch immer wieder verbessern oder korrigieren konnte. Und, dass Feininger auch versuchte, sich aus dem tagespolitischen Geschehen herauszuhalten, was freilich nicht immer gut gehen konnte.

Julia wusste am meisten von seiner Kunst, konnte ihren Mann als utopischen Sozialisten verstehen. Aber Feininger schrieb auch an viele ihm nahestehende Kunstgaleristen, an Förderer seiner Malerei und verehrte Freunde. Matze überlegte, wie Feiningers Werdegang in seiner Kunst tatsächlich ausgesehen hatte. Er verdiente gut und regelmäßig an seinen Satiren. Aber, wenn er es recht besah, musste er auch seine besten Arbeiten immer wieder erklären, erläutern, sie wurden oft missverstanden. Da lernte er Julia im Frühjahr 1905 kennen, beide trennten sich von ihren bisherigen Ehepartnern und erkennen, dass nur sie, Julia und Lyonel, Lyonel und Julia für einander da sein würden. Und in Paris dann der Entschluss, sich ganz und ernsthaft und für nichts anderes in der Welt der Kunst zu widmen, ein Wendepunkt in Feiningers Leben. Julia schreibt er… mir geht eine Zukunft allmählich auf, ich werde nicht umsonst gelebt haben… Es war auch klar, dass er fortan in Kontakt kam mit anderen ernsthaften Künstlern und sich anregen ließ. Feininger erkennt sich selbst als Maler, durchdringt die Gesetze der Natur neu, beschäftigt sich mit Licht, Hell, Dunkel und ihren Graden gegenseitiger Durchdringung wieder und wieder und findet zu seinen Ton- und Bildstrukturen. Die Brücke-Leute, vor allem Schmidt-Rottluff – mit ganz neuen Welten des künstlerischen Schaffens sieht er sich konfrontiert und er schafft für sich ein unumstößliches Fundament eigener Kunst. Dann der Herbstsalon bei Herwarth Walden, 1913. Der Sturm-Kreis wird eine für Feininger überaus glückliche Fügung. Ihn beeindruckte die Ausstellung als bedeutende deutsche Kunstausstellung und er war dort erstmals selbst mit fünf Ölgemälden vertreten.

Prophetische Worte sind es, die Lyonel aus Berlin an Julia nach Weimar sendet…eins weiss ich heute schon, der Menschheit schenke ich eine neue Weltperspektive; hoffentlich erleb ich´s auch noch, das ich sie in hundert Bildern festlege…

Bis zum Jahr 1935 gibt es Briefe an Julia und wer konnte ahnen, dass im Zeitraum von zwanzig Jahren, seit Feininger seine Lebensvorschau getroffen hatte, alles vorbei sein würde. Es wurde dann unter den Nazis zu gefährlich, dass sich Lyonel Feininger offen mitteilte. Von 1935 an sind es noch zwei Jahre, die er und seine Frau in Deutschland verbrachten. „Denen wird es nicht gut gegangen sein“, überlegte sich Lehrer Matze. „Julia stammte doch aus einer jüdischen Familie und da werden sie es unter der Nazidiktatur nicht leicht gehabt haben.“

Erst 1937 schaffen sie es zurück nach Amerika. „Wie haben sie in diesen letzten Jahren im damals gelebt?“ Matze wollte das herausbekommen.

Nach fast 50 Jahren in Deutschland betraten Julia und Lyonel Feininger im Juni 1937 das Schiff zur Überfahrt nach New York. Noch Ende Mai hatte der Vater seinem Sohn Lux, der da schon in Amerika lebte, geschrieben: … Ich fühle mich fünfundzwanzig Jahre jünger seit ich weiß, dass ich in ein Land gehe, wo Phantasie in der Kunst und Abstraktion nicht als absolutes Verbrechen gelten, wie hier…Von den 30 Bildern, die ich seit vorigem Herbst begann, sind nur 6 oder 8 vollendet worden. Alle anderen hab ich ausgelöscht…

Feininger hatte diesen Brief in Englisch geschrieben, weil er Angst hatte, dass ihn deutsche Kontrolleure lesen und er sich verraten würde. Sie erleben dieses erstarkende Deutsche Reich unter Hitler, sie erfahren zugleich, wie die Spielräume, in denen sie leben, immer enger wurden. Wie haben sie das ausgehalten? Die glücklichste Zeit muss für sie schon lange zurückgelegen haben, damals als Lyonel Feininger Bauhaus-Meister war.

Für Julia und ihren Mann war es sozusagen Rettung in allerletzter Stunde. Nicht nur allein, dass ihnen das Land aufgrund seiner politischen Entwicklung vollkommen fremd geworden war. Bereits einen Monat später, im Juli, eröffnet in München die propagandistische Ausstellung „Entartete Kunst“. Allein von Feininger werden 410 Werke aus deutschen Museen beschlagnahmt: 33 Gemälde, 28 Aquarelle, 46 Handzeichnungen, 303 Graphiken. Das Naziregime hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die fortschrittliche und engagierte Moderne als entartete Malerei zu verunglimpfen und zu verfolgen. Viele Werke Feiningers wurden versteigert oder gingen verloren. Die Verantwortlichen des Regimes aber tönten in der Eröffnungsrede zur Ausstellung „Entartete Kunst“: „Wir befinden uns in einer Schau, die aus ganz Deutschland nur einen Bruchteil dessen umfasst, was von einer großen Zahl von Museen für Spargroschen des deutschen Volkes gekauft und als Kunst ausgestellt worden war. Sie sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtskönnertums und der Entartung. Uns allen verursacht das, was diese Schau bietet, Erschütterung und Ekel.“

Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda

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